VwGH 2002/13/0073

VwGH2002/13/007331.5.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Keidel, LL.M., über die Beschwerde der Mag. M K in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Halm, Wirtschaftsprüfer in 1090 Wien, Berggasse 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat I, vom 14. Februar 2002, Zlen. RV/478- 15/03/2000 und RV/097-15/03/2001, in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 14. Juni 2002, Zl. RG/38-15/03/2002, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1998 und 1999, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115 Abs2;
BAO §184;
EStG §16 Abs1 Z8 litb;
BAO §115 Abs2;
BAO §184;
EStG §16 Abs1 Z8 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist seit 4. November 1998 Eigentümerin eines Mietobjektes in Wien, das sie im Erbweg von ihrem Vater erworben hat. Strittig ist die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Absetzung für Abnutzung (AfA) nach § 16 Abs. 1 Z. 8 lit b EStG 1988 (fiktive Anschaffungskosten).

In Beantwortung eines Vorhaltes des Finanzamtes legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. November 2000 ein Gutachten über den "nachhaltig erzielbaren Ertragswert" vom 30. Oktober 2000 vor. Darin errechnete sich, ausgehend von einer zukünftigen Mietzinsbildung, "vor allem betrachtet auf einen Zeitraum von 50 Jahren Restnutzungsdauer", zum Erwerbsstichtag ein Verkehrswert von 19,300.000 S, in dem ein Anteil für Grund und Boden von 5,850.000 S enthalten war.

Die belangte Behörde folgte im angefochtenen Bescheid dieser Bewertung, aus der sich eine AfA-Bemessungsgrundlage (Gebäudewert) von 13,450.000 S ergab, nicht und setzte als Bemessungsgrundlage für die AfA einen Betrag von 6,447.174 S (Ertragswert insgesamt 12,297.173,65 abzüglich Grundanteil von 5,850.000 S) fest. Dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Sachverständigengutachten könne nicht vollinhaltlich gefolgt werden. Bei der streitgegenständlichen Liegenschaft handle es sich um ein bebautes Grundstück, auf dem das Gebäude im Jahr 1913 errichtet worden sei.

Im Keller sei ein Lokal gelegen, das aber - wie das Gutachten bestätige - infolge Feuchtigkeit nicht vermietbar sei. Die belangte Behörde gehe hinsichtlich dieses Teiles davon aus, dass eine Vermietung in absehbarer Zeit nicht wahrscheinlich sei, weshalb eine Berücksichtigung bei der Ermittlung der erzielbaren Mietzinse nicht erfolgen könne.

Zur Wohnung Top 2, die von einer im Jahr 1938 geborenen Frau bewohnt werde, sei der Gutachter von einer Neuvermietung in absehbarer Zeit ausgegangen. Im Hinblick auf die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen könne sich die belangte Behörde der Meinung des Gutachters nicht anschließen. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Wohnung in absehbarer Zeit nicht zu einem höheren Mietzins vermietet werden könne.

Für die Wohnungen Top 3, Top 4, Top 5 und Top 6 folge die belangte Behörde dem Gutachten dahingehend, dass diese Wohnungen als in absehbarer Zeit neu vermietbar angesehen werden könnten. Bei den Wohnungen Top 7 und Top 8 sei allerdings eine Neuvermietung in absehbarer Zeit nicht anzunehmen, weil Top 7 von einer Familie mit vier Kindern (einem 55-jährigen Ehepaar) und Top 8 von einer im Jahr 1958 geborenen Frau bewohnt werde.

Unter Berücksichtigung der nach Ansicht der belangten Behörde in Zukunft erzielbaren Mieten errechnete die belangte Behörde in Anlehnung an die Zinsliste für September 2000 einen Jahresnettomietzins von 662.176,20 S. Davon sei nach der in der Literatur vertretenen Meinung (Lenneis, Fiktive Anschaffungskosten, Anteil Grund und Boden, Restnutzungsdauer von Gebäuden - unbekannte Größen?, ÖStZ 1998, 572) ein Betrag zwischen 20 % und 30 % des Jahresrohertrages für das Mietausfallsrisiko und für laufende Instandhaltung abzuziehen. Der im Gutachten angesetzte Betrag von 138.000 S entspreche einem Prozentsatz von 20,84 und könne daher unverändert übernommen werden. Auf den sich damit ergebenden Betrag von 524.176,20 S sei der von der Restnutzungsdauer von 50 Jahren und dem Kapitalisierungszinssatz abhängige Vervielfältiger anzuwenden.

Im Sachverständigengutachten werde ein Kapitalisierungszinssatz von 3 % angesetzt, ohne dass dieser näher begründet werde. Dem könne sich die belangte Behörde nicht anschließen. Ihrer Ansicht nach sei als Basis für die Berechnung des Kapitalisierungszinssatzes die Vergleichsveranlagung in festverzinslichen Wertpapieren heranzuziehen. Dabei könne die Sekundärmarktrendite als Anhaltspunkt für die aus Anleihen fließenden Zinsen dienen (Hinweis auf Kranewitter, Liegenschaftsbewertung, 2. Auflage, S. 81). Diese Sekundärmarktrendite habe im Jahr 1998 4,29 % betragen. Da in diesem Zinssatz eine Komponente enthalten sei, welche die künftig zu erwartende Geldentwertung berücksichtige, sei dafür ein Abschlag vorzunehmen. Die belangte Behörde erachte einen Abschlag von ungefähr einem halben Prozentpunkt als angemessen und gelange daher zu einem Kapitalisierungszinssatz von 3,5 %.

Bei 50 Jahren Restnutzungsdauer und einem Kapitalisierungszinssatz von 3,5 % ergebe sich ein Vervielfältiger von 23,46. Der Ertragswert des Gebäudes betrage daher - ausgehend von einem "Jahresreinertrag" von 524.176,20 S - 12,297.173,65 S. Nach Abzug des Anteils für Grund und Boden in Höhe von 5,850.000 S verbleibe als AfA-Bemessungsgrundlage ein Betrag von 6,447.174 S. Die Jahres-AfA betrage somit 128.943,50 S (AfA-Satz 2 %).

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 16 Abs. 1 Z 8 EStG 1988 sind bei unentgeltlich erworbenen Gebäuden auf Antrag die fiktiven Anschaffungskosten im Zeitpunkt des unentgeltlichen Erwerbes (§ 6 Z 9) für die Bemessung der Absetzung für Abnutzung oder Substanzverringerung anzusetzen.

Ist die Feststellung des abgabenrechtlich erheblichen Sachverhaltes durch einen Akt der Schätzung vorzunehmen, was bei der Ermittlung fiktiver Anschaffungskosten regelmäßig der Fall ist, dann obliegt den Abgabenbehörden die Beachtung der Grundsätze, die der Verwaltungsgerichtshof in seiner zur Bestimmung des § 184 BAO ergangenen Judikatur erarbeitet hat. Hiezu zählt die Verpflichtung der Behörde zur Wahl jener (gegebenenfalls auch mit anderen Methoden kombinierten) Schätzungsmethode, die im konkreten Einzelfall das Ziel der größtmöglichen Annäherung an die Wirklichkeit am besten erreichen kann, die Verpflichtung zur Auseinandersetzung mit relevanten Behauptungen des Steuerpflichtigen, zur Wahrung des Parteiengehörs und zur ausreichenden Begründung aller Schätzungsergebnisse (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. August 2005, 2002/13/0132, mwN).

Die Beschwerde rügt vor allem die Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs durch die belangte Behörde, weil sie von dem im Gutachten vom 30. Oktober 2000 angegebenen Werten abgewichen sei, ohne der Beschwerdeführerin dazu eine Stellungnahme zu ermöglichen.

Der Beschwerdeführerin sei dadurch das Vorbringen verwehrt gewesen, dass für die Wohnung Top 2 ein höherer Mietzins deshalb in Ansatz zu bringen sei, weil die Mieterin im Jahr des Eigentumserwerbs durch die Beschwerdeführerin (1998) bereits 60 Jahre alt gewesen sei und die Restnutzungsdauer des Gebäudes 50 Jahre betrage (der die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid im Übrigen auch gefolgt sei). Ausgehend von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von etwa 82 Jahren sei daher evident, dass während der überwiegenden Zeit der Restnutzungsdauer ein erhöhter Mietzins erzielt werden könne, weil "rein statistisch betrachtet" für die Höhervermietung noch ein Zeitraum von 28 Jahren verbleibe (allenfalls hätte auf Grund des Lebensalters und der Lebenserwartung der Mieterin ein Abschlag vorgenommen werden können). Weiters sei ihr verwehrt gewesen, vorzutragen, dass nach dem im vorgelegten Gutachten ermittelten jährlichen Mietzinsertrag (888.000 S) der für das Mietausfallsrisiko und für laufende Instandhaltung in Abzug gebrachte Betrag von 138.000 S nur 15,54 % dieses Mietzinsertrages und nicht 20,84 % ausmache und somit auch bei der Berechung des nachhaltigen Mietzinsertrages durch die belangte Behörde nur ein solcher Abschlag in Höhe von etwa 15,54 % hätte vorgenommen werden dürfen. Im Beschwerdefall lägen zudem besondere Umstände in Bezug auf das Mietausfallsrisiko und den Anfall von Erhaltungskosten vor. Auch zur Abweichung beim Ansatz des Kapitalisierungszinssatzes zu Ungunsten der Beschwerdeführerin in Höhe von 3, 5 % (an Stelle von 3 %) hätte die Beschwerdeführerin geltend machen können, dass der Kapitalisierungszinssatz auch nach der von der belangten Behörde zitierten Literatur zwischen 2,5 und 4 % schwanke. Entsprechend der Wertsicherung über einen Zeitraum von 50 Jahren würden die nach den Erfahrungen des Jahres 1998 geschätzten Mietzinse um mindestens 30 bis 40 % steigen und es sei wegen der günstigen Lage und baulichen Gestaltung des Mietobjektes für den Betrachtungszeitraum von 50 Jahren mit einer überproportionalen Steigerung des Nachfrage- und Marktwertes der Wohnungen zu rechnen. Weiters sei die belangte Behörde auf im Gutachten vom 30. Oktober 2000 zusätzlich angestellte "Plausibilitätsbetrachtungen" zur Wertermittlung nicht eingegangen.

Diesem Vorbringen kann von vornherein die Relevanz nicht abgesprochen werden. Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass der Partei die Möglichkeit eingeräumt werden muss, behördlichen Annahmen auf Tatsachenebene entgegenzutreten. Um solche handelte es sich aber in Bezug auf die Grundlagen für die Ausmessung etwa eines Abschlages für das Mietausfallsrisiko oder die Erhaltungskosten (das diesbezügliche Beschwerdevorbringen kann wegen des unterbliebenen Parteiengehörs in der Gegenschrift auch nicht mit Erfolg als "unbeachtliche Neuerung" abgetan werden), des Kapitalisierungszinssatzes oder auch der Berücksichtigung eines "absehbaren" Zeitraumes zur Erfassung künftiger Mieterträge. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass für Zwecke der rechnerischen Ermittlung der fiktiven Anschaffungskosten (und damit auch zur Bestimmung des Zeitraumes des zu erwartenden zukünftigen Ertrages) grundsätzlich von der Restnutzungsdauer des Gebäudes auszugehen sein wird (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 10. August 2005).

Der angefochtene Bescheid, der mit Bescheid vom 14. Juni 2002 nachträglich nach § 293 BAO berichtigt wurde (um auch einem in der Beschwerde aufgezeigten Rechenfehler bei der Ertragswertermittlung Rechnung zu tragen), war damit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Die gesondert geltend gemachte Mehrwertsteuer ist im pauschalierten Schriftsatzaufwand bereits enthalten.

Wien, am 31. Mai 2006

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