VwGH 2002/12/0048

VwGH2002/12/004815.5.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der S, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schulgasse 7, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. April 1997, Zl. 121.083/6- III/11/97, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art6;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §1 Abs3 Z1;
AufG 1992 §3 Abs1 Z2;
AufG 1992 §6 Abs1;
ARB1/80 Art6;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §1 Abs3 Z1;
AufG 1992 §3 Abs1 Z2;
AufG 1992 §6 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 927,62 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 1. September 1994 durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin bei der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn unter Verwendung des hiefür vorgesehenen Formulars die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft. Aus einer über Ersuchen der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom Amt der Stadt Hohenems durchgeführten Überprüfung der Unterkunft der Beschwerdeführerin und ihrer Familie vom 26. September 1994 geht hervor, dass der Vater der Beschwerdeführerin derzeit über kein Einkommen verfüge, die Mutter einen "Lebensmittelhandel" betreibe und ihr Einkommen unterschiedlich sei.

Am 29. Oktober 1996 langte bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg ein an diese adressierter Devolutionsantrag (u.a.) der Beschwerdeführerin ein, in dem vorgebracht wurde, "bis heute" sei "weder ein Bescheid zugestellt noch mündlich verkündet" worden. Das Assoziationsabkommen EWG/Türkei samt den Beschlüssen des Assoziationsrates sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Österreich unmittelbar anwendbar. Die Beschwerdeführerin (und ihre Familie) benötigten gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG keine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, da sie die Voraussetzungen des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 erfüllten. Nach herrschender Auffassung sei daher das Fremdengesetz anzuwenden, sodass übergeordnete Behörde die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg sei. Es werde der Antrag gestellt, in Stattgebung des Devolutionsantrages der Beschwerdeführerin einen auf fünf Jahre befristeten Sichtvermerk auszustellen.

Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn (namens des Landeshauptmannes von Vorarlberg - dies ergibt sich aus der Zitierung der entsprechenden Bestimmungen des AufG und der Verordnung des Landeshauptmannes von Vorarlberg über die Ermächtigung der Bezirkshauptmannschaften zur Entscheidung nach dem Aufenthaltsgesetz, LGBl. Nr. 32/1993) wies mit Bescheid vom 12. November 1996 den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 AufG ab. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde (auf das Wesentlichste zusammengefasst) aus, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin und der mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebenden "unterhaltsverpflichteten" Familienangehörigen nicht gesichert sei, weil hiefür ein monatliches Einkommen der Mutter der Beschwerdeführerin in Höhe von nur S 7.900,-- zur Verfügung stehe. Unter Zugrundelegung der Richtsätze der Sozialhilfeverordnung ergebe sich jedoch ein monatlicher Bedarf von S 12.391,60. Auch die der Beschwerdeführerin und ihren Familienangehörigen zur Verfügung stehende Unterkunft sei "nicht ausreichend", weil sie lediglich über ihnen allein zur Verfügung stehende Räumlichkeiten mit einer Größe von 28,73 m2, bestehend aus einem Schlafzimmer und einem Wohnzimmer, verfügen könnten.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin insbesondere vor, im Hinblick auf den von ihr eingebrachten Devolutionsantrag an die übergeordnete Behörde sei die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zur Erlassung ihres Bescheides nicht mehr zuständig gewesen. Im Übrigen läge "sehr wohl eine dem Gesetz entsprechende Unterkunft" vor, wobei der Beschwerdeführerin und ihrer Familie insgesamt vier Zimmer zur ausschließlichen Nutzung zur Verfügung stünden. Dies hätte die erstinstanzliche Behörde bei Durchführung eines Lokalaugenscheines feststellen können. Auch sei der Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin und ihrer Familie vollständig gedeckt. Im Fall der Beschwerdeführerin und ihrer Familie seien überdies das Assoziationsabkommen und die hiezu ergangenen Beschlüsse anwendbar.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg übermittelte den Devolutionsantrag vom 28. Dezember 1996 an den Bundesminister für Inneres, bei dem er am 20. Februar 1997 einlangte und der ihn mit Datum vom 3. März 1997 an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg retournierte.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. April 1997 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 4 Abs. 1 und 3 sowie § 5 Abs. 1 AufG ab. Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen aus, die Beschwerdeführerin habe als Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit den Eltern" angegeben, die verpflichtet seien, für ihren Unterhalt aufzukommen. Die Berufungen ihres Vaters und ihrer Mutter seien jedoch mit näher bezeichneten Bescheiden der belangten Behörde abgewiesen worden. Daraus ergebe sich, dass zum einen der Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin für die Geltungsdauer der Bewilligung gemäß § 5 Abs. 1 AufG keinesfalls gesichert sei und zum anderen keine Familienzusammenführung in Österreich vorliege. Darüber hinaus sei gemäß § 4 Abs. 3 AufG eine Bewilligung gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AufG jeweils mit der gleichen Befristung zu erteilen wie die der Bewilligung des Ehegatten bzw. Elternteiles oder Kindes. Da weder der Vater noch die Mutter der Beschwerdeführerin über eine Aufenthaltsbewilligung verfügten, sei der Antrag gemäß § 4 Abs. 3 AufG abzuweisen gewesen. Bei Abwägung der privaten Interessen der Beschwerdeführerin mit den öffentlichen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK habe die belangte Behörde festgestellt, dass durch den bisherigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich eine teilweise Integration unabsprechbar sei. Dennoch habe die belangte Behörde festgestellt, dass unter Abwägung der privaten Interessen mit den öffentlichen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK die öffentlichen Interessen vorrangig seien, weil der Lebensunterhalt als nicht gesichert zu beurteilen und davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführerin auf Unterstützung der Sozialhilfeträger angewiesen sein werde. Dies sei auch ausschlaggebend dafür gewesen, dass die Ermessensentscheidung der belangten Behörde zu ihren Ungunsten ausgefallen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 1 Abs. 3 Z. 1, § 3 Abs. 1 Z. 2, § 4 Abs. 3 und § 5 Abs. 1 AufG lauteten:

"§ 1. ...

...

(3) Keine Bewilligung brauchen Fremde, wenn sie

1. auf Grund allgemein anerkannter Regeln des Völkerrechts, eines Staatsvertrages, unmittelbar anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union oder anderer bundesgesetzlicher Vorschriften in Österreich Niederlassungsfreiheit genießen;

...

§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten

...

2. von Fremden, die auf Grund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerkes oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z 1 bis 5 rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben,

ist nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z 3 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.

...

§ 4. ...

...

(3) Eine Bewilligung gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 ist jeweils mit der gleichen Befristung zu erteilen, wie die der Bewilligung des Ehegatten bzw. Elternteiles oder Kindes, bei der ersten Bewilligung aber höchstens für die Dauer von fünf Jahren.

§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."

Art. 6 Abs. 1 ARB lautet:

"Artikel 6

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

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