Normen
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §1 Abs8;
MeldeG 1991 §17 Abs1;
MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §1 Abs8;
MeldeG 1991 §17 Abs1;
MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der am 4. Juli 1977 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde des mitbeteiligten Bürgermeisters, Wippenham (kurz: W), Bezirk Ried im Innkreis, gemeldet, mit weiterem Wohnsitz hingegen in der Gemeinde des beschwerdeführenden Bürgermeisters, Schlüßlberg, Bezirk Grießkirchen.
In seinem Reklamationsantrag vom 3. Juli 2001 gab der Beschwerdeführer an, der Zweitmitbeteiligte sei seit 12. Juli 2000 in der "Reha-Einrichtung" Schlüßlberg beschäftigt und dort auch wohnhaft. Da es sich bei dieser Einrichtung nicht um eine "bloße Unterkunft" (im Original unter Anführungszeichen) handle, der Zweitmitbeteiligte dort vielmehr einer sozialversicherten Tätigkeit zur Erlernung landwirtschaftlicher Arbeiten mit voller Unterkunft und Verpflegung nachgehe, komme dem Element der Dauer dieser Tätigkeit eine wesentliche Bedeutung zu. Er habe daher in S seinen Hauptwohnsitz, zumal in der Wohnsitzerklärung auch angegebenen wurde, dass sich der Zweitmitbeteiligte 335 Tage im Jahr in dieser Einrichtung aufhalte. Der Umstand, dass er weiterhin seine Eltern besuche, begründe nach Meinung des Beschwerdeführers in W keinen Hauptwohnsitz, sondern höchstens einen Wohnsitz.
Angeschlossen war eine nicht vom Zweitmitbeteiligten unterfertigte Wohnsitzerklärung vom 29. Mai 2001.
Die Mutter des Zweitmitbeteiligten äußerte sich für diesen mit Schreiben vom 7. August 2001 dahin, dass sie keineswegs mit der Verlegung des Hauptwohnsitzes ihres Sohnes von W nach Schlüßlberg einverstanden sei. Ihr Sohn wohne seit seiner Geburt in W, und habe dort auch seine Freunde und Bekannte. Auch wenn er nur 30 Tage im Jahr zu Hause verbringen könne, so sei es doch SEIN Zuhause. Da er wegen seiner Behinderung in W und Umgebung keine Möglichkeit habe, eine angemessene Arbeit zu finden, hätten sie sich für die "Reha-Einrichtung" in Schlüßlberg entschieden, wo es ihm auch sehr gut gefalle. Wenn er auch 335 Tage im Jahr dort verbringe, könne dies doch sein Zuhause nicht ersetzen.
Der mitbeteiligte Bürgermeister brachte in einer Stellungnahme vom 6. September 2001 seine Auffassung zum Ausdruck, dass der Zweitmitbeteiligte seinen Hauptwohnsitz rechtens in W habe, und verwies auch darauf, dass die Wohnsitzerklärung nicht vom Zweitmitbeteiligten ausgefüllt worden sei und die Daten unzutreffend seien.
Der Beschwerdeführer brachte hierauf in einer Erwiderung vom 21. September 2001 vor, bei dieser Einrichtung in Schlüßlberg handle es sich um einen relativ großen landwirtschaftlichen Betrieb, welcher durch den österreichischen Zivilinvalidenverband geführt werde. Es seien an diesem Bauernhof laufend ca. 30 bis 40 Personen beschäftigt, wobei diese meist einige Jahre nach Schulende - je nach Art und Ausmaß ihrer Behinderung - für die Dauer von mindestens zwei bis fünf Jahren oder bis zur Vermittlung aufgenommen würden. Der Hauptzweck dieser Einrichtung sei auf die Eingliederung in einen Arbeitsprozess gerichtet, wobei die Arbeiten in der Landwirtschaft von der Produktion über die Tierhaltung bis zur Verarbeitung der Produkte und auch die wöchentliche Vermarktung ab Hof gelehrt würden. In einem Zeitraum von mehreren Kalenderjahren werde der landwirtschaftliche Jahresablauf in verschiedenen Bereichen erlernt und es werde dabei festgestellt, ob die Rehabilitanden in der Folge für Arbeiten in anderen, meist privaten Betrieben, zur Vermittlung geeignet seien (beispielsweise als Landarbeiter).
Die Beschäftigten seien jeweils selbst verantwortlich, weil sie ein Einkommen in Form von freiem Wohnen, freier Verpflegung und ein Taschengeld bezögen, wodurch sie finanziell selbständig seien. Der Arbeitsablauf sei so eingeteilt, dass jeweils etwa die Hälfte der Belegschaft jedes zweite Wochenende frei habe. In der Freizeit führen einzelne Personen (soweit sie noch familiären Anschluss hätten) zu Eltern, Verwandten oder sonstigen Bekannten, wobei dies meist nicht regelmäßig erfolge. Freilich könnten die in dieser Einrichtung wohnhaften Personen auch in ihrer Freizeit in der Einrichtung wohnen und von dort aus, je nach dem Grad ihrer Behinderung, auch in der Umgebung ihre Freizeit gestalten.
Sei einigen Jahren gebe es auch ein eigenes Wohnhaus bei dieser Einrichtung, wo auch bereits in Pension gegangene Behinderte, welche entweder als Dauerbeschäftigte am Hof geblieben oder später wieder zurückgekommen seien, im Alter wohnen könnten. Diese Personen hätten häufig keinen Verwandtenanschluss mehr, weil die Familienangehörigen zwischenzeitig verstorben seien.
Betreffend die Schilderung der Mutter des Zweitmitbeteiligten, dass dieser auch noch außer der Familie Freunde und Bekannte in der Heimatgemeinde habe, werde dies wohl so zu bewerten sein, wie auch in anderen Bereichen. Nachdem jeder Behinderte in dieser Einrichtung sein eigenes Zimmer habe und eine gemeinschaftliche Beschäftigung und freie Zeitgestaltung sowie auch fallweise mit Ausflügen und Urlaubsgestaltung durch die Leitung der Verwaltung erfolge, ergebe sich meist auch eine Freundschaft unter den gesamten Kollegen am Hof. Die Beziehung zu den früheren Freunden und Bekannten nehme sicherlich nach längerem "Reha-Aufenthalt" ab.
Im Übrigen bekräftigte der beschwerdeführende Bürgermeister (mit näheren Ausführungen), dass der Wohnsitz des Zweitbetroffenen in dieser Einrichtung als Hauptwohnsitz zu qualifzieren sei.
In einem Aktenvermerk der belangten Behörde vom 28. Jänner 2002 ist einerseits festgehalten, dass der beschwerdeführende Bürgermeister zur Vorlage einer vollständig ausgefüllten und vom Zweitmitbeteiligten selbst unterfertigten Wohnsitzerklärung aufgefordert wurde, andererseits, dass der Zweitmitbeteiligte nicht unter Sachwalterschaft (gemäß § 273 ABGB) stehe.
In der hierauf vorgelegten, mit 26. Februar 2002 datierten und vom Zweitmitbeteiligten (unbestritten) selbst unterfertigten Wohnsitzerklärung (die inhaltlich mit der ersten übereinstimmt) heißt es, er sei berufstätig. Er halte sich in W an rund 30 Tagen im Jahr auf, wo er mit seiner Mutter wohne (die dort mit Hauptwohnsitz gemeldet sei), in Schlüßlberg hingegen an rund 335 Tagen im Jahr. Die Frage nach Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften wird für beide Wohnsitze verneint. Der Weg zur Arbeitsstätte in Schlüßlberg wird überwiegend vom weiteren Wohnsitz aus angetreten.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Reklamationsantrag des Beschwerdeführers mit der wesentlichen Begründung zurückgewiesen, die Begründung eines Hauptwohnsitzes selbst und die Erfüllung aller im § 1 Abs. 8 MeldeG angeführten Kriterien setze ein vom Willen des Betroffenen oder seiner Angehörigen getragenes, freiwilliges Handeln voraus. Ein solches sei aber bei der Unterbringung eines Behinderten in einer "Reha-Einrichtung" nicht anzunehmen. Vielmehr seien generell Sachzwänge für eine solche Entscheidung maßgeblich, wobei übliche persönliche und gesellschaftliche Kontakte, die sich aus einer derartigen Lebenslage zwangsläufig ergäben, noch nicht die Annahme eines Lebensmittelpunktes rechtfertigten. Da sohin "weder die Frage der Begründung eines Hauptwohnsitzes als wesentliche Voraussetzung für die Führung eines Reklamationsverfahrens, noch die genannten Zuordnungskriterien zum Tragen kommen" könnten, sei bei der Beurteilung der Lebensverhältnisse des Betroffenen an jener Lebenssituation anzuknüpfen, in welcher er selbständig und uneingeschränkt oder durch seinen gesetzlichen Vertreter noch in der Lage gewesen sei, am Rechtsgeschehen teilzunehmen. Die (letzte) Anmeldung der Unterkunft als Hauptwohnsitz habe konstitutive Wirkung und führe dazu, dass der Betroffene an dieser Unterkunft den Hauptwohnsitz so lange habe, bis die Abmeldung erfolge. Der Zweitmitbeteiligte habe daher den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen weiterhin in W.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt; angesprochen wird der Vorlageaufwand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).
In der Sache selbst ist zunächst festzuhalten, dass der Zweitmitbeteiligte nicht unter Sachwalterschaft steht, somit eigenberechtigt ist (insofern besteht ein wesentlicher Unterschied zum Fall betreffend eine weitere Person, die in dieser Einrichtung untergebracht ist, welcher Gegenstand des hg. Erkenntnisses vom heutigen Tag, Zl. 2002/05/1497, ist). Generell gilt, dass die Frage, ob bei Personen, die in Krankenanstalten oder auch Pflegeheimen oder vergleichbaren Einrichtungen untergebracht sind, ein Mittelpunkt der Lebensbeziehung in dieser Krankenanstalt (bzw. Pflegeheim udgl.) zu bejahen und ein solcher Mittelpunkt am bisherigen Hauptwohnsitz zu verneinen (oder ebenfalls zu bejahen) ist, letztlich nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist (zur Frage des Hauptwohnsitzes bei Unterbringung einer Person in einem Caritas- bzw. Altersheim, siehe die beiden hg. Erkenntnisse vom 19. Juni 2002, Zl. 2002/05/0398, bzw. Zl. 2002/05/0399; zu einer Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt siehe das hg. Erkenntnis vom 23. September 2002, Zl. 2002/05/0929). Es ist daher grundsätzlich ohne Weiteres möglich, dass eine Person den (einzigen) Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen und damit ihren Hauptwohnsitz in einer solchen Rehabilitations-Einrichtung (um die es hier geht) hat. Die Auffassung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, dies könne nicht sein, weil für eine Unterbringung in einer solchen Einrichtung "generell Sachzwänge" maßgeblich seien, trifft nach dem zuvor Gesagten (wie bei Krankenanstalten, Altersheimen und Pflegeheimen) nicht zu.
Die weiteren allgemein gehaltenen Ausführungen der belangten Behörde in diesem Zusammenhang zur Frage der Begründung bzw. der Änderung eines Wohnsitzes gehen im Beschwerdefall ins Leere, weil die belangte Behörde jedenfalls eine mangelnde diesbezügliche Einsichtsfähigkeit des Zweitmitbeteiligten nicht festgestellt hat (es gibt dazu im Übrigen auch keine Beweisergebnisse). Es kann daher die Frage dahingestellt bleiben, was in einem solchen Fall rechtens wäre.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 18. Februar 2003
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