VwGH 2002/01/0580

VwGH2002/01/058015.5.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über den Antrag 1. der HK, geboren 1962, und

2. des OK, geboren 1993, beide in P, beide vertreten durch Dr. D und Dr. K, Rechtsanwälte in I, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung von Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates je vom 4. September 2002, Zl. 215.349/0- VIII/22/00 (ad. 1.) bzw. Zl. 215.451/0-VIII/22/00 (ad. 2.), jeweils betreffend §§ 10 und 11 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag wird stattgegeben.

Begründung

Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. September 2002 wurden die Asylerstreckungsanträge der Antragsteller, Staatsangehöriger der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien, gemäß §§ 10, 11 AsylG abgewiesen. Ihre gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, zur Post gegeben am 8. Dezember 2002, haben sie mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden. Dieser Antrag wird im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Erstantragstellerin (Mutter des Zweitantragstellers) habe am 26. September 2002 erstmals in der Kanzlei der nunmehrigen Rechtsvertreter angerufen und um einen dringenden Besprechungstermin ersucht. Noch am selben Tag habe die begehrte Besprechung stattgefunden, wobei die Erstantragstellerin die beiden mit der nunmehr erhobenen Beschwerde bekämpften Bescheide vorgelegt habe. Ausgehend vom Ausstellungsdatum habe Rechtsanwalt Dr. M.K. die Frist für die Einbringung von Verwaltungsgerichtshofbeschwerden mit 16. Oktober 2002 berechnet und diese Frist wie üblich am rechten oberen Rand der Bescheide notiert. In der Folge habe er die Bescheide gemeinsam mit Unterlagen betreffend den Ehegatten der Erstantragstellerin seiner Sekretärin übergeben, ihr aufgetragen, wie üblich "den Akt" anzulegen und sie dabei ausdrücklich auf die beiden Bescheide hingewiesen. Außerdem habe Rechtsanwalt Dr. M.K. der Sekretärin für den nächsten Tag verschiedene, im Einzelnen näher dargestellte Aufträge betreffend einen beabsichtigten Verfahrenshilfeantrag des Ehegatten der Erstantragstellerin (auf den die gegenständlichen Asylerstreckungsanträge bezogen waren) erteilt.

Die - namentlich genannte - Sekretärin sei seit Mai 2001 in der Kanzlei der Rechtsvertreter der Antragsteller beschäftigt. Es gehöre zu ihrem täglichen Aufgabenbereich, neue Akten anzulegen und von den Rechtsanwälten berechnete Fristen in das Fristenbuch zu übertragen. Üblicherweise werde bei der Anlage eines neuen Aktes im Laufnummernverzeichnis diesem Akt eine Aktenzahl zugewiesen und es werde der Name des Klienten mit dem Vermerk des Rechtsproblems sowie das Datum der Aktenanlage eingegeben. Ebenso werde der Akt in das Rechtsanwaltsprogramm ADVOKAT eingetragen. In weiterer Folge werde der Akt beschriftet und es würden die vom Rechtsanwalt zuvor berechneten und auf dem jeweiligen Schriftstück vermerkten Fristen von der Sekretärin in den im Sekretariat aufliegenden Kanzleikalender, der auch als Fristenbuch geführt werde, eingetragen. Spätestens zu den täglich stattfindenden Kanzleibesprechungen würden die Akten von den aktführenden Rechtsanwälten wieder entgegengenommen, wobei die Richtigkeit der Eintragungen anhand des Kanzleikalenders vom Rechtsanwalt persönlich überprüft werde.

Im vorliegenden Fall seien am Morgen des 27. September 2002 Unterlagen betreffend den Ehemann der Erstantragstellerin bei der Sekretärin des Dr. M.K. abgegeben worden. Diese sei in der Folge den ihr im Zusammenhang mit dem Verfahrenshilfeantrag des Ehegatten erteilten Aufträgen nachgekommen und habe wie beschrieben "den Akt" angelegt. Als sie die Beschwerdefrist betreffend die Antragsteller in den Kanzleikalender habe eintragen wollen, sei sie jedoch durch andere Klienten unterbrochen worden. In der Folge habe der an diesem Tag wegen Teilnahme an einer Fachveranstaltung nicht in der Kanzlei anwesende Rechtsanwalt Dr. M.K. angerufen, sich bezüglich des Verfahrenshilfeantrages des Ehegatten der Erstantragstellerin erkundigt und nachgefragt, ob die Fristen betreffend die Antragsteller richtig in den Kanzleikalender übertragen worden seien. Die Sekretärin habe zum Verfahrenshilfeantrag des Ehegatten der Erstantragstellerin berichtet und ausdrücklich bestätigt, dass sie die Fristen bereits eingetragen habe. Dabei sei sie davon ausgegangen, dass sie die bislang unterbliebene Eintragung der Frist sofort nachholen werde und dass diese "kleine Unwahrheit" bezüglich des noch nicht erfolgten Eintrags der Fristen nicht weiter von Belang sein werde. Tatsächlich sei sie jedoch nach dem Telefonat mit Rechtsanwalt Dr. M.K. wieder von anderen Mandanten abgelenkt worden und habe sie es in weiterer Folge vergessen, die Frist in den Kalender einzutragen. Dr. M.K. habe hingegen auf die ausdrückliche Zusicherung, dass die Eintragung bereits erfolgt sei, vertraut, zumal die genannte Sekretärin bisher immer völlig zuverlässig und fleißig gearbeitet habe und es noch nie zu Problemen bei der Übertragung von Fristen gekommen sei.

Auf Grund der bisher tadellosen Arbeitsleistung seiner Sekretärin habe es Dr. M.K. in der Folge unterlassen, die Richtigkeit der Übertragung persönlich durch Einsicht in den Kalender nochmals nachzuprüfen. Im Hinblick auf eine verhandlungsbedingte Abwesenheit des Kanzleipartners und angesichts dessen, dass Dr. M.K. die während seiner Abwesenheit am 27. September 2002 angefallene Post habe bearbeiten wollen, sei außerdem am folgenden Arbeitstag (30. September 2002) die ansonsten "obligate Morgenbesprechung" entfallen. Der "vergessene Fristeintrag" sei in weiterer Folge nicht mehr weiter aufgefallen und es sei daher die Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde bzw. eines Verfahrenshilfeantrages ungenutzt verstrichen. Erst am 3. Dezember 2002 habe sich aus Anlass einer neuerlichen Bearbeitung des Aktes die mangelnde Fristvormerkung herausgestellt.

Die erwähnte Sekretärin habe bis zum 27. September 2002 alle ihr übertragenen Aufgaben gewissenhaft und fehlerfrei erledigt. Die Überprüfung der Richtigkeit der Fristberechnung und deren Übertragung in den als Fristenbuch geführten Kanzleikalender erfolge täglich durch die Rechtsanwälte während der Postbesprechungen. Sollte die Postbesprechung einmal ausfallen, werde die Überprüfung der Richtigkeit dieses Vorganges für gewöhnlich von jedem Rechtsanwalt einzeln vorgenommen. Im vorliegenden Fall sei die Postbesprechung wie erwähnt ausnahmsweise ausgefallen. Dr. M.K. habe seinerseits eine Kontrolle durch persönliche Nachschau unterlassen, weil ihm bereits am 27. September 2002 von der Sekretärin telefonisch ausdrücklich bestätigt worden sei, dass sie die Frist richtig eingetragen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof erachtet das eben wiedergegebene Vorbringen im Hinblick auf die dem Wiedereinsetzungsantrag beigelegte eidesstättige Erklärung der Sekretärin als bescheinigt.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmung des § 46 Abs. 1 zweiter Satz VwGG nur in Betracht, wenn dem Antragsteller und seinem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden kann. Ein Versehen einer Kanzleikraft ist dem Rechtsanwalt nur dann als Verschulden anzulasten, wenn er die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber der Kanzleikraft unterlassen hat (vgl. z.B. den hg. Beschluss vom 12. September 2002, Zl. 2002/20/0457).

Im vorliegenden Fall ist eine Fristversäumnis im Verantwortungsbereich des bevollmächtigten Rechtsanwaltes zu beurteilen. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist stets der Anwalt selbst verantwortlich ist. Er selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Kanzleiangestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 26. Jänner 1999, Zl. 98/02/0412).

Gemäß dem für bescheinigt erachteten Vorbringen entspricht die in der Kanzlei der Vertreter der Antragsteller regelmäßig gepflogene Vorgangsweise den dargestellten Erfordernissen. Gegenständlich ist allerdings eine Kontrolle der Eintragung der Beschwerdefrist im Kanzleikalender unterblieben, und zwar im Ergebnis deshalb, weil dem Dr. M.K. seitens seiner Sekretärin auf ausdrückliche Nachfrage wahrheitswidrig mitgeteilt worden war, dass die von ihm selbst auf den Bescheiden vermerkten Fristen bereits in den Kalender übertragen worden seien. Ausgehend davon, dass es sich bei der besagten Sekretärin um eine bislang gewissenhafte Mitarbeiterin handle, musste Dr. M.K. nicht damit rechnen, dass er eine derartige wahrheitswidrige Auskunft erhalte. Unter diesen Umständen begründet es kein ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden, wenn er von der sonst üblichen Nachprüfung des Fristeneintrags, die sich hier als "doppelte Kontrollmaßnahme" dargestellt hätte, abgesehen hat.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher spruchgemäß Folge zu geben.

Wien, am 15. Mai 2003

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