VwGH 98/02/0412

VwGH98/02/041226.1.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über 1. den Antrag des R P und des O P, beide vertreten durch Dr. Andreas Stepan, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schulerstraße 18, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 11. Mai 1998, Zlen. E 13/02/97.088/6 und E 13/02/97.089/4, betreffend Zurückweisung durch ein Grenzkontrollorgan anläßlich der versuchten Einreise am 4. November 1997, und 2. die Beschwerde gegen den zu 1. genannten Bescheid, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 11. Mai 1998 wurde dem als Verfahrenshelfer einschreitenden Vertreter der Beschwerdeführer am 16. Oktober 1998 zugestellt. Die vorliegende Beschwerde wurde nach Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist des § 26 Abs. 1 VwGG, nämlich am 4. Dezember 1998, zur Post gegeben. Ihren zugleich mit der Beschwerde gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen die Beschwerdeführer wie folgt: Noch am Tage der Zustellung des Bestellungsbescheides der Rechtsanwaltskammer habe die Kanzleileiterin des Verfahrenshelfers den neuen Akt, insbesondere jedoch die Frist zur Erhebung der Beschwerde mit sechs Wochen ab dem 16. Oktober 1998 (richtigerweise der 27. November 1998) kalendiert; tatsächlich habe jedoch die Kanzleileiterin als Frist zur Erhebung der Beschwerde - aus einem ihr heute nicht mehr näher bekannten Grund - den 4. Dezember 1998 im Kanzleikalender eingetragen. Die Kanzleileiterin sei seit September 1996 in der Kanzlei des Verfahrenshelfers beschäftigt und erledige eine "Unzahl von Kanzleitätigkeiten", insbesondere auch die Kalendierungen vollkommen selbständig und auch immer zur vollsten Zufriedenheit des Verfahrenshelfers. Seit der Kanzleileiterin die Kalendierung übertragen worden sei, sei es auch noch zu keiner Falschkalendierung einer von ihr selbst vorgenommenen Kalendierung gekommen. Darüber hinaus würden die Kalendierungen durch den bestellten Verfahrenshelfer immer wieder stichprobenweise kontrolliert und habe es auch noch keinerlei Beanstandungen der Kalendierungen gegeben.

Aus einem Versehen habe jedoch die Kanzleileiterin die Frist zur Erstattung der Beschwerde im gegenständlichen Fall versehentlich mit 4. Dezember 1998 kalendiert; sie könne sich dies nur dadurch erklären, daß sie im Kalender versehentlich eine Doppelseite (welcher eine Woche darstelle) "überblättert" habe. Dieses Versehen sei in der Kanzlei des Beschwerdevertreters erstmals am 1. Dezember 1998 aufgefallen.

Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes demjenigen der Partei oder des Rechtsanwaltes nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden darf. Das Versehen eines solchen Kanzleibediensteten ist dann ein Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenen Bediensteten gegenüber nachgekommen ist. Hiebei ist zu beachten, daß der Rechtsanwalt die Aufgaben, die ihm gegenüber seinen Klienten erwachsen, auch insoweit erfüllen muß, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Er muß gegenüber diesem Apparat alle Vorsorgen treffen, die die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben gewährleisten. Insoweit der Rechtsanwalt diese Vorsorgen nicht in der Art und dem Maß getroffen hat, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten war, kommt ein Verschulden an einer späteren Fristversäumung in Betracht. Insbesondere muß der Anwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen unter anderem dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Ein Rechtsanwalt verstößt danach auch dann gegen eine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind (vgl. den hg. Beschluß vom 27. Jänner 1997, Zl. 96/10/0253, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof geht ferner in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß der Rechtsanwalt lediglich rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verläßlichen Kanzleikraft überlassen kann. Hingegen ist für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist stets der Anwalt selbst verantwortlich. Er selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Kanzleiangestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tut er dies nicht oder unterläuft ihm hiebei ein Versehen, ohne daß er dartun kann, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des betreffenden Kanzleiangestellten beruht und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliegt, so trifft ihn ein Verschulden an der Versäumung (vgl. wieder den bereits zitierten Beschluß vom 27. Jänner 1997, mwN). Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang gleichfalls wiederholt ausgesprochen hat, darf der Rechtsanwalt die Festsetzung von Fristen nicht völlig einer Kanzleikraft überlassen und sich nur auf stichprobenartige Kontrollen beschränken (vgl. nur den hg. Beschluß vom 21. Oktober 1992, Zlen. 92/02/0247 bis 0249). Kommt der Rechtsanwalt im erwähnten Zusammenhang seiner Aufsichts- und Kontrollpflicht nicht nach, so handelt es sich nicht um einen minderen Grad des Versehens (vgl. die bereits zitierten hg. Beschlüsse vom 27. Jänner 1997 und vom 21. Oktober 1992, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Im Beschwerdefall hat der Rechtsanwalt nach den Darlegungen des Antrages die Berechnung der Beschwerdefrist nicht selbst vorgenommen, sondern dies der Kanzleileiterin überlassen. Damit hat er selbst weder auf die richtige Berechnung noch auf die richtige Eintragung des Endes der Beschwerdefrist im konkreten Einzelfall abzielende Maßnahmen gesetzt. Die Berufung auf das "Überblättern" durch die Kanzleiangestellte ist im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht zielführend, weil es nicht darauf ankommt, ob der Kanzleiangestellten ein Verschulden bzw. ein den minderen Grad eines Versehens übersteigendes Verschulden an der Versäumung vorzuwerfen ist. Schon aus den Behauptungen des Antrages geht somit hervor, daß im Beschwerdefall der einschreitende Rechtsanwalt die Frist nicht selbst berechnete und überdies kein auf die Überprüfung der Eintragung von richtig ermittelten Fristen gerichtetes (ausreichendes) Kontrollsystem bestand, sodaß bei dieser Sachlage nicht davon gesprochen werden kann, daß nur ein Verschulden des Rechtsanwaltes vorlag, das den minderen Grad des Versehens nicht überstiegen hat.

Dem Wiedereinsetzungsantrag war demnach nicht stattzugeben. Damit war die gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebrachte Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Beschwerdefrist des § 26 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. ohne weiteres Verfahren mit Beschluß zurückzuweisen.

Wien, am 26. Jänner 1999

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