VwGH 2002/01/0321

VwGH2002/01/032118.2.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des O in Wien, geboren 1978, vertreten durch Dr. Christine Wolf, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Bräuhausgasse 63/7-8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Februar 2002, Zl. 223.737/0-V/13/01, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 22. Jänner 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 23. Jänner 2001 Asyl.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 23. Jänner und 18. Februar 2001 gab er als Grund für seine Ausreise aus Nigeria an, ihm drohe dort auf Grund seines christlichen Glaubens und wegen der bedeutenden Stellung seines Vaters in der katholischen Kirche Verfolgung durch die moslemische Bevölkerung. Das Bundesasylamt schenkte dieser Behauptung keinen Glauben, wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 6. August 2001 gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria sei zulässig.

In der am 22. August 2001 beim Bundesasylamt eingelangten, ausführlichen Berufung gegen diese Entscheidung wandte sich der Beschwerdeführer konkret und im Einzelnen gegen die Argumente, mit denen seine Glaubwürdigkeit verneint worden war, wobei er u.a. das Vorbringen mit Hinweis auf den Vorwurf des Bundesasylamtes, er habe sich auf Gemeinplätze beschränkt, durch zahlreiche Einzelheiten ergänzte und dazu ausführte, er habe bei der erstinstanzlichen Vernehmung nicht gewusst, inwieweit er "ins Detail gehen" solle.

Die belangte Behörde nahm von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung Abstand, wies mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria sei zulässig.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde stützt ihre Entscheidung - unter Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer gegen den erstinstanzlichen Bescheid "fristgerecht berufen" habe, aber ohne Bezugnahme auf den näheren Inhalt der Berufung - darauf, dass "die behaupteten Fluchtgründen" des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden könnten, und führt zur Beweiswürdigung aus, diesbezüglich werde "auf die Beweiswürdigung des bekämpften Bescheides des Bundesasylamtes verwiesen, welche zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erhoben wird".

Dem folgen noch allgemein gehaltene Ausführungen über die "unabdingbare Voraussetzung für die Bewertung des Vorbringens eines Asylwerbers zu den Fluchtgründen als glaubhaft". Danach sei es erforderlich, dass der Asylwerber "nicht bloß eine 'leere' Rahmengeschichte präsentiert, ohne diese durch das Vorbringen von Details, Interaktionen, Emotionen etc. zu substantiieren bzw. mit Leben zu erfüllen". Es reiche nicht hin, wenn er "nicht zu widerlegende Behauptungen" aufstelle, die "einer Verifizierung nicht zugänglich" seien. Vielmehr seien die Aussagen "daran zu messen, wie eine durchschnittliche Maßfigur über erlebte bzw. persönlich durchlebte Sachverhalte berichten würde". Zu erwarten sei u.a., dass "nicht lediglich objektive Rahmenbedingungen" dargelegt würden und der Erzählende "sich selbst in die präsentierte Rahmengeschichte dergestalt einbaut", dass er "seine eigenen Emotionen bzw. seine eigene Erlebniswahrnehmung zu erklären versucht, sich allenfalls selbst beim Erzählen emotionalisiert zeigt bzw. jedenfalls Handlungsabläufe bzw. die Kommunikation und Interaktion zwischen den handelnden Personen der Geschichte darlegt".

Vor dem Hintergrund dieser "Prämissen", so die belangte Behörde weiter, sei das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers "tatsächlich als blass, wenig detailreich und gänzlich oberflächlich und daher in der Folge als nicht glaubhaft zu qualifizieren." Es handle sich um die "Wiedergabe einer oberflächlichen und vagen Rahmengeschichte", die "keinen im ductus kohärenten Handlungsablauf betreffend" die "eigene Person" des Beschwerdeführers enthalte "bzw." habe er "seine eigene Person, sowie seine Emotionen nicht in die gebotenen Rahmenumstände einzubauen" vermocht. Im "Erstprotokoll" sei "auch in keinster Weise - weder durch den Ablauf des Frage-Antwort-Schemas, noch durch besondere Vermerkung von Auffälligkeiten des Verhaltens des Antragsteller - besondere emotionale Rührung des Antragstellers beim Erzählen ... zu erkennen". Die langjährige Erfahrung der Asylbehörden zeige, dass "schreckliche bzw. oftmals traumatisierende" Ereignisse mit einer "Fülle von Details unter gleichzeitiger Emotionalisierung bei der Erzählung" dargestellt würden. "Oftmals" würden dabei u.a. auch "unwichtige Details" dargeboten, was "in casu seitens des Antragstellers nicht dargeboten werden konnte". Der Einschätzung der Glaubhaftigkeit seiner Fluchtgeschichte seitens der Erstbehörde werde "sohin vollinhaltlich beigetreten".

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hätte sich die belangte Behörde mit der Berufung des Beschwerdeführers, die substantiierte Beweisrügen und neue Tatsachenbehauptungen enthielt, im Rahmen einer mündlichen Berufungsverhandlung auseinander zu setzen gehabt (vgl. in diesem Sinn schon die Erkenntnisse vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339, und etwa vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0389, und zahlreiche gleichartige Erkenntnisse). Das Absehen von einer Berufungsverhandlung verstieß daher gegen das Gesetz.

Die belangte Behörde hat aber auch ihre Begründungspflichten verletzt, indem sie zu der in der Berufung - substantiiert - bekämpften Beweiswürdigung des Bundesasylamtes, der sie sich anschloss, auf den erstinstanzlichen Bescheid verwies, ohne die Argumente in der Berufung auch nur zu erwähnen. Die der Verweisung auf den erstinstanzlichen Bescheid stattdessen zur Seite gestellten Ausführungen über "leere Rahmengeschichten", über die - das Berufungsvorbringen ausklammernde - Qualifizierung der Angaben als "blass" u.dgl. gehen nicht auf die Argumente in der Berufung ein und nehmen darüber hinaus auch auf die erstinstanzlichen Behauptungen des Beschwerdeführers nicht inhaltlich Bezug. Es handelt sich um Textbausteine, die auch in anderen Bescheiden der belangten Behörde wiederkehren (vgl. etwa das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2002/01/0594) und ohne konkrete Anbindung an das Vorbringen von vornherein nicht geeignet sind, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen (§ 60 AVG) in ausreichend nachvollziehbarer Weise darzustellen. Davon abgesehen erscheint aber auch die Ansicht der belangten Behörde, die Niederschrift über die erstinstanzliche Einvernahme eines Asylwerbers müsse im "Ablauf des Frage-Antwort-Schemas" oder "durch besondere Vermerkung" eine "besondere emotionale Rührung des Antragstellers" erkennen lassen und "unwichtige Details" enthalten, damit das Vorbringen von der Berufungsbehörde geglaubt werden könne, schon deshalb als verfehlt, weil sie außer Acht lässt, dass die Verfassung dieser Niederschrift durch die Erstbehörde erfolgte, sodass die von der belangten Behörde vermissten Anhaltspunkte Folge der Mittelbarkeit der Beweisaufnahme sein konnten.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das auf den zusätzlichen Ersatz von Umsatzsteuer aus dem Schriftsatzaufwand gerichtete Mehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.

Wien, am 18. Februar 2003

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