VwGH 2001/20/0050

VwGH2001/20/005021.6.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des K G in H, geboren am 18. Februar 1981, vertreten durch Dr. Achim Maurer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 27-28, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Dezember 2000, Zl. 216.231/0-XI/38/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;
FrG 1997 §57 Abs1;
ZustG §8 Abs2;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;
FrG 1997 §57 Abs1;
ZustG §8 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, betrat am 19. Jänner 2000 unter Umgehung der Grenzkontrolle das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf Asyl, den er bei seiner Vernehmung durch das Bundesasylamt am 13. März 2000 damit begründete, im Mai 1999 in Sierra Leone von Rebellen zwangsrekrutiert worden zu sein und nach seiner Flucht aus dem Rebellenlager im November 1999 in Freetown von Leuten aus der Nachbarschaft, die auch seine Eltern getötet hätten, wegen seiner Mitgliedschaft bei den Rebellen verfolgt worden zu sein.

Mit Bescheid vom 20. März 2000 wies das Bundesasylamt diesen Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Der Beschwerdeführer habe eine Verfolgung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe nicht glaubhaft machen können. Es erscheine nicht nachvollziehbar, dass die Rebellen dem Beschwerdeführer, wäre er wirklich von ihnen festgehalten und ausgebildet worden, nicht einmal den Namen ihrer Gruppierung mitgeteilt hätten. Auch die Angaben des Beschwerdeführers über den Fluchtweg seien unglaubwürdig. Sie entsprächen standardisierten Vorgaben und seien so allgemein gehalten, dass sie sich einer konkreten Überprüfung entzögen.

In der dagegen erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen seine bereits deponierten Angaben.

Die belangte Behörde hielt es wegen vorzunehmender Feststellungen über die allgemeine und politische Lage in Sierra Leone (zutreffend) für erforderlich, über diese Berufung eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und den Beschwerdeführer persönlich zu laden.

Die belangte Behörde erhielt am 21. April 2000 eine Mitteilung des Bundesasylamtes, wonach der Beschwerdeführer in H, B. Gasse, aufhältig sei. Vom 11. Mai bis 11. Juli 2000 war der Beschwerdeführer in der Justizanstalt Wien-Josefstadt inhaftiert. Am 13. November 2000 teilte die Justizanstalt Wien-Josefstadt der belangten Behörde telefonisch mit, dass der Beschwerdeführer bis 11. Juli 2000 in Haft gewesen und "unbekannt verzogen" sei.

Mit "Ladungsbescheid" vom 15. November 2000 forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer auf, an einer mündlichen Berufungsverhandlung am 23. November 2000 als Partei persönlich teilzunehmen. Zugleich wurde dieser Ladung eine Dokumentation "Parteiengehör - aktuelle Situation in Sierra Leone - 13.06.2000" angeschlossen. Die Zustellung dieser Ladung und der erwähnten Dokumentation verfügte die belangte Behörde "gemäß § 23 Abs. 2 ZustellG durch Hinterlegung bei der Behörde".

In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 23. November 2000 hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer "trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen" sei und keine Stellungnahme zur Dokumentation über die aktuelle Situation in Sierra Leone erstattet habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und sprach (neuerlich) aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Sie erhob die erwähnte Dokumentation zur aktuellen Lage in Sierra Leone (betreffend den Zeitraum 1. Mai 2000 bis 31. Juli 2000) zu ihren Feststellungen und fasste diese dahin zusammen, dass die Hauptstadt Freetown und deren Umgebung sowie der Süden und Osten des Landes gegenwärtig und für die nähere Zukunft sicher seien.

Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers schloss sich die belangte Behörde der Beweiswürdigung der erstinstanzlichen Behörde an und fügte hinzu, dass der Beschwerdeführer - entgegen seinen Angaben - die Sprache Krio offensichtlich nicht spreche. Das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers sei als unglaubwürdig anzusehen, was sowohl für seine Identität und seine Staatsangehörigkeit als auch für die von ihm behaupteten Fluchtgründe und den Fluchtweg gelte. Dem gemäß sah sich die belangte Behörde nicht in der Lage, über Fluchtgründe des Beschwerdeführers Feststellungen zu treffen.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass der Asylantrag gemäß § 7 AsylG abzuweisen sei, weil das Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer Bedrohungssituation nicht den Tatsachen entspreche. Selbst wenn man hypothetisch von der Richtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers ausginge, läge der behaupteten Verfolgung durch benachbarte Bewohner von Freetown lediglich ein rein privater Charakter zu Grunde, weil der Beschwerdeführer nicht vorgebracht habe, dass der Heimatstaat nicht in der Lage oder nicht Willens wäre, ihn vor dieser Verfolgung zu schützen. Unter Bezugnahme auf das Friedenabkommen von Lome vom 7. Juli 1999 führte die belangte Behörde schließlich aus, es sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, wäre er zur Polizei gegangen, inhaftiert und getötet worden wäre. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei insbesondere deswegen zulässig, weil jedenfalls in der Hauptstadt Freetown auf Grund der Ankunft von britischen Truppen und Kriegsschiffen die Lage sicher und die Staatsmacht soweit aufrecht sei, dass sie Übergriffen von Rebellen wirksam begegnen könne.

Gegen diesen - dem Bundesasylamt gegenüber jedenfalls wirksam erlassenen - Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bemängelt, dass die Ladung zur Berufungsverhandlung vom 23. November 2000 und die Aufforderung zur Stellungnahme zur Dokumentation über die aktuellen Lage in Sierra Leone (durch Hinterlegung bei der Behörde nach § 23 ZustellG) rechtswidrig zugestellt worden seien, weil die belangte Behörde weder versucht habe, eine Zustellung unter seiner Anschrift in H vorzunehmen, noch versucht habe, gemäß § 8 Abs. 2 ZustellG eine andere Abgabestelle des Beschwerdeführers etwa durch Vornahme einer Meldeanfrage festzustellen.

Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die zwei Monate andauernde, im Zeitpunkt der Hinterlegung der Ladung bereits wieder beendete Inhaftierung des Beschwerdeführers bewirkte für sich genommen noch kein dauerndes Verlassen der Wohnung und daher keine Änderung seiner (bisherigen) Abgabestelle (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1994, Zl. 94/01/0135). Die belangte Behörde ging nach der telefonischen Auskunft der Justizanstalt Wien-Josefstadt vom 13. November 2000 zu Unrecht davon aus, dass der Beschwerdeführer nach der Beendigung seiner Haft am 11. Juli 2000 "unbekannt verzogen" sei. Selbst im Fall des Fehlschlagens eines Zustellversuches an der zuletzt bekannt gewordenen Adresse hätte die belangte Behörde geeignete Ermittlungen (Meldeanfragen) vornehmen müssen, um im Sinn des § 8 Abs. 2 ZustellG eine (neue) Abgabestelle des Beschwerdeführers festzustellen (vgl. zu den notwendigen Ermittlungen für die Feststellung einer Abgabestelle als Voraussetzung für eine Hinterlegung gemäß § 8 Abs. 2 ZustellG jüngst das auch von der belangten Behörde genannte hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2001, Zl. 99/20/0487).

Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG hat der unabhängige Bundesasylsenat § 67d AVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat etwa dann nicht als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn in der Berufung ein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässiger Weise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308). Aber auch im vorliegenden Fall, in dem die belangte Behörde insbesondere im Hinblick auf die Refoulement-Prüfung gemäß § 8 AsylG weitere Ermittlungen über die aktuelle Lage in Sierra Leone vorgenommen hat, ist die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gegeben. Die grundsätzliche Pflicht der belangten Behörde zur Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung ist auch dann zu beachten, wenn die Voraussetzungen für ein Absehen von einer Verhandlung nur im Bezug auf die zu treffende Entscheidung über den Abschiebungsschutz nicht gegeben sind (vgl. die Erkenntnisse vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465, vom 8. Juni 2000, Zlen. 99/20/0203 und 99/20/0111, und vom 21. September 2000, Zl. 99/20/0373).

Zur Berufungsverhandlung war der Beschwerdeführer gemäß § 67d Abs. 1 zweiter Satz AVG zu laden, was im vorliegenden Fall nicht wirksam geschehen ist. Angesichts der in der Verhandlung zu erörternden Fragen und des dazu in der Beschwerde erstatteten Vorbringens ist auch nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. Juni 2001

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