VwGH 2001/11/0406

VwGH2001/11/040623.4.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des E in M, vertreten durch Dr. Wolfgang Poleschinski, Rechtsanwalt in 8230 Hartberg, R.-Obendrauf-Straße 9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 30. Oktober 2001, Zl. 11 - 39 - 1620/01 - 1, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs5;
StGB §202 Abs1;
StGB §43 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs5;
StGB §202 Abs1;
StGB §43 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 7 Abs. 2 und 4 Z. 2, § 24 Abs. 1 Z. 1 und § 25 Abs. 3 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Klassen A, B, C, F und G für die Dauer von 12 Monaten, gerechnet ab der (am 14. September 2001) erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides, entzogen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 26. Februar 2001 wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB und wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15 und 105 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden. Er habe am 23. September 2000 N. mit Gewalt zur Duldung von geschlechtlichen Handlungen genötigt, indem er sie unter Ausnützung seiner körperlichen Überlegenheit festgehalten und trotz Gegenwehr über der Bekleidung an den Brüsten und unter der Bekleidung an der Scheide betastet und gestreichelt habe. Auf Grund der rechtskräftigen Bestrafung stehe für die Behörde bindend fest, dass der Beschwerdeführer diese Straftaten begangen habe. Soweit der Beschwerdeführer geltend gemacht habe, er sei durch das Verhalten des Opfers zur Tat animiert worden, sei er auf die Bindung der Behörde an das rechtskräftige Urteil hinzuweisen.

Auf Grund der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen liege eine bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs. 4 Z. 2 FSG vor. Im Rahmen der gemäß § 7 Abs. 5 FSG vorzunehmenden Wertung der bestimmten Tatsache sei die besondere Verwerflichkeit der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten zu berücksichtigen gewesen, insbesondere die Tatbegehung an einer Minderjährigen unter "Ausnutzung des Über- und Unterordnungsverhältnisses durch die Beziehung Lehrmädchen-Cheffamilie" mit anschließender versuchter Nötigung, um die Minderjährige zum Schweigen zu bringen. Diese Tathandlung sei sehr verwerflich und gefährlich, zumal der Beschwerdeführer das Opfer sowohl durch tatsächlich ausgeübte Gewalt als auch durch Drohung zu Duldungen bzw. Unterlassungen bestimmt oder zu bestimmen versucht habe. Weiters sei zu berücksichtigen, dass das vom Beschwerdeführer gezeigte "Aggressionspotenzial auf eine äußerst gefährliche Sinnesart des Täters" schließen lasse, die der vom Lenker eines Kraftfahrzeuges zu erwartenden Einstellung gegenüber seinen Mitmenschen und deren Recht auf körperliche Unversehrtheit und freie Willensbestimmung zuwiderlaufe. Dem Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit der Tat komme bei der Wertung nur geringes Gewicht zu, weil seit der Tatbegehung sowohl das Strafverfahren als auch das Entziehungsverfahren durchgeführt worden seien. Auf Grund der Verwerflichkeit der strafbaren Handlung und der gezeigten Aggressionsbereitschaft sei davon auszugehen, dass die Verkehrszuverlässigkeit für ein Jahr auszuschließen sei. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen bis zur Begehung der Tat unbescholten gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG von Bedeutung:

"§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

§ 7.

...

(2) Als nicht verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 4) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden.

...

(4) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 2 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand

...

2. eine strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit gemäß den §§ 201 bis 207 oder 217 StGB begangen hat,

...

(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

...

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen ...

...

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. ..."

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die belangte Behörde habe die "eindeutigen von N. ausgehenden Provokationen" nicht ausreichend gewürdigt bzw. bei der Festsetzung der Entziehungsdauer berücksichtigt, ist zu erwidern, dass die belangte Behörde derartige Sachverhaltsfeststellungen nicht getroffen hat und die Beschwerdeausführungen auch nicht erkennen lassen, auf Grund welcher Beweisergebnisse die belangte Behörde solche Feststellungen hätte treffen sollen. Nach den Sachverhaltsfeststellungen im Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 26. Februar 2001 (Seite 4 der Urteilsausfertigung) war die Frage des Beschwerdeführers, ob er mit N. in ihr Zimmer gehen dürfe, erkennbar nicht ernst gemeint, sodass der Beschwerdeführer aus der "spasshalber" erfolgten Bejahung seiner Frage nichts ableiten könne.

Der Beschwerdeführer, der im Hinblick auf seine rechtskräftige Verurteilung wegen des Vergehens nach § 202 Abs. 1 StGB zutreffend das Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 4 Z. 2 FSG nicht bestreitet, vertritt mit Recht die Auffassung, dass die Wertung dieser bestimmten Tatsache nicht die Annahme seiner Verkehrsunzuverlässigkeit rechtfertige. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer bei der Begehung der genannten Straftat kein Kraftfahrzeug verwendet hat, ändert zwar nichts daran, dass Sittlichkeitsdelikte der genannten Art zu den strafbaren Handlungen zählen, deren Begehung durch die Benützung von Kraftfahrzeugen typischerweise erleichtert wird, ist aber im Rahmen der gemäß § 7 Abs. 5 FSG vorzunehmenden Wertung und - falls diese zum Ergebnis führt, der Betreffende sei verkehrsunzuverlässig - im Rahmen der unter Berücksichtigung der in dieser Gesetzesstelle genannten Wertungskriterien anzustellenden Prognose, wann der Betreffende die Verkehrszuverlässigkeit wieder erlangen werde, zu berücksichtigen (vgl. dazu das zum KFG 1967 ergangene hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2001, Zl. 2000/11/0084, mwN). Im Rahmen der Wertung war zugunsten des (im Jahr 1955 geborenen) Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass er im Zeitpunkt der Tat unbescholten war und sich die seiner Verurteilung zugrunde liegende strafbare Handlung nur auf einen einzigen Zeitpunkt bezog. Es ist daher verfehlt, wenn die belangte Behörde davon spricht, dass das vom Beschwerdeführer gezeigte "Aggressionspotenzial auf eine äußerst gefährliche Sinnesart" schließen lasse. Auf eine "äußerst gefährliche Sinnesart" des Beschwerdeführers hat auch das Landesgericht für Strafsachen Graz in seinem Urteil vom 26. Februar 2001 nicht geschlossen, obwohl es als Erschwerungsgründe u.a. ausdrücklich das Alter des Opfers von nur 15 Jahren und das Ausnützen eines Über- und Unterordnungsverhältnisses (Lehrmädchen-Cheffamilie) berücksichtigt hat, also jene Umstände, die auch die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt der Verwerflichkeit der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen ins Treffen führt. Dennoch hat das genannte Gericht angenommen, dass die Androhung der Vollziehung der Freiheitsstrafe ausreiche, um den Beschwerdeführer von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, und die Freiheitsstrafe gemäß § 43 Abs. 1 StGB bedingt nachgesehen. Die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende gegenteilige Auffassung, auf Grund der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen und ihrer Wertung müsse gemäß § 7 Abs. 2 FSG angenommen werden, dass sich der Beschwerdeführer wegen seiner Sinnesart weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen werde, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden, ist auf der Grundlage des von der belangten Behörde als erwiesen angenommenen Sachverhaltes rechtswidrig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner jüngeren Rechtsprechung zum FSG die Auffassung vertreten, dass die bedingte Strafnachsicht zwar für sich allein noch nicht zwingend dazu führe, dass der Betreffende bereits als verkehrszuverlässig anzusehen sei, und dies damit begründet, dass sich die bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit zu berücksichtigenden Gesichtspunkte nicht zur Gänze mit jenen decken, die für das Gericht bei der Entscheidung betreffend die bedingte Strafnachsicht gemäß § 43 Abs. 1 StGB von Bedeutung sind, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass nach dieser Gesetzesstelle die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen sind und es sich dabei im Einzelfall durchwegs um Umstände handeln könne, die für die im § 7 Abs. 5 FSG genannten Wertungskriterien von Bedeutung sein können (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 20. September 2001, Zl. 2000/11/0235, und vom 23. Oktober 2001, Zl. 2000/11/0038).

Im vorliegenden Fall führt die Wertung der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen zu dem Ergebnis, dass im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides (das war ca. ein Jahr nach der Begehung der Straftaten und mehr als ein halbes Jahr nach der rechtskräftigen Verurteilung) die Auffassung, der Beschwerdeführer sei gemäß § 7 Abs. 2 verkehrsunzuverlässig, weil angenommen werden müsse, dass er sich wegen seiner Sinnesart weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen werde, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden, nicht begründet war. Soweit die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zur Stützung ihres Standpunktes die hg. Erkenntnisse vom 20. Februar 2001, Zl. 2000/11/0281, und vom 28. Juni 2001, Zl. 2001/11/0153 und Zl. 2001/11/0173, ins Treffen führt, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Wertung gemäß § 7 Abs. 5 FSG und die für die Festsetzung der Entziehungsdauer maßgebende Prognose betreffend den Zeitpunkt der Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit jeweils auf Grund der Umstände des Einzelfalles zu erfolgen haben, weshalb Aussagen in der hg. Rechtsprechung darüber, ob bestimmte Entziehungszeiten den Betreffenden in Rechten verletzt haben oder nicht, nicht schematisch auf andere Fälle übertragen werden können. Im Übrigen lagen den von der belangten Behörde zitierten Erkenntnissen jeweils Sachverhalte zugrunde, in denen die Betreffenden das Verbrechen der Vergewaltigung gemäß § 201 StGB begangen hatten, also eine (schon vom Tatbild her) weitaus schwerer wiegende strafbare Handlung als das dem Beschwerdeführer zur Last liegende Vergehen der geschlechtlichen Nötigung gemäß § 202 Abs. 1 StGB.

Mit ihrem Vorbringen in der Gegenschrift, erst nach Eintritt der Rechtskraft des Urteiles des Landesgerichtes für Strafsachen Graz sei festgestanden, dass der Beschwerdeführer die ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen auch tatsächlich begangen habe, zeigt die belangte Behörde keinen für ihren Standpunkt sprechenden Umstand auf. Ist seit der Begehung der eine bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs. 1 oder 2 FSG darstellenden strafbaren Handlung bereits so lange Zeit verstrichen, dass die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit nach diesen Gesetzesstellen nicht mehr gerechtfertigt ist, darf die Lenkberechtigung nicht mehr entzogen werden, und zwar auch dann nicht, wenn die Erlassung des Entziehungsbescheides zu einem früheren Zeitpunkt mangels Abschlusses eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens nicht möglich gewesen ist.

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 23. April 2002

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte