VwGH 2001/01/0504

VwGH2001/01/05047.10.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Thoma und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des J in L, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 24. September 2001, Zl. 2-11.J/196-01/10, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art6 Abs3;
HauptwohnsitzG 1994 Art7 Z3;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs1 Z5 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 idF 1998/I/124;
B-VG Art6 Abs3;
HauptwohnsitzG 1994 Art7 Z3;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs1 Z5 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 idF 1998/I/124;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die Steiermärkische Landesregierung (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers, eines bosnischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß "§§ 10 Abs. 1 und 11a in Verbindung mit § 39 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, i.d.g.F.", ab. Der Beschwerdeführer habe mit Eingabe vom 1. Februar 2001 um Verleihung der Staatsbürgerschaft angesucht. Er habe seit dem 3. Oktober 1997 seinen ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet und sei seit 4. November 1995 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Somit hätte er gemäß § 11a StbG "i.d.g.F." einen Rechtsanspruch auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Wie im Ermittlungsverfahren festgestellt worden sei, sei der Beschwerdeführer zwar seit 4. November 1995 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, lebe mit ihr jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt. Dem Beschwerdeführer sei zur Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG Gelegenheit gegeben worden, zum vorliegenden Sachverhalt eine Stellungnahme abzugeben. In der am 12. September 2001 eingebrachten Stellungnahme werde von seinem rechtsfreundlichen Vertreter im Wesentlichen ausgeführt, der Staatsbürgerschaftsantrag wäre nicht auf § 11a StbG gestützt, sondern auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer bereits zehn Jahre in Österreich aufhältig sei. Ihm wäre auch klar, "dass er über die entsprechenden Meldezettel nicht verfüge und seinen Hauptwohnsitz seit April 1994 in Österreich gehabt habe". Vom rechtsfreundlichen Vertreter seien noch diverse Rechnungen aus den Jahren 1996 und 1997 von einem Hotel N., in dem sich der Beschwerdeführer aufgehalten haben solle, und eine eidesstättige Erklärung seines Vaters, dass sich der Beschwerdeführer vom April 1991 bis zum August 1997 ständig in Österreich aufgehalten haben solle und für ihn Österreich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen wäre, vorgelegt worden.

Dazu werde Folgendes ausgeführt: Die Behauptung des Beschwerdeführers, er hätte seit April 1994 seinen ununterbrochenen Hauptwohnsitz in Österreich, sei unrichtig. Richtig sei, dass die Bundespolizeidirektion G gegen ihn einen Ausweisungsbescheid vom 28. August 1997 erlassen habe. Daraufhin sei der Beschwerdeführer am 30. August 1997 nach Jugoslawien abgeschoben worden. Erst am 3. Oktober 1997 sei er wieder im Bundesgebiet zur amtlichen Anmeldung gelangt. Zu den vorgelegten Rechnungen des Hotels N. (für einige Zeiträume von 1996 und 1997) werde der Vollständigkeit halber angemerkt, dass die Bundespolizeidirektion G mit Strafverfügung vom 28. August 1997 gegen den Beschwerdeführer folgende Strafen verhängt habe:

"1. § 82 (1) Ziffer 4 i.V.m. § 15 (1) Fremdengesetz BGBl. Nr. 838/1992, i.d.g.F., zu ATS 3.000,--. (Der Einbürgerungswerber hat sich als jugoslawischer Staatsangehöriger am 27.08.1997 in G, im Hotel 'N.' unrechtmäßig aufgehalten, nachdem die Gültigkeit der ihm zuletzt erteilten Aufenthaltsbewilligung bereits mit 31.12.1995 abgelaufen war.)

2. §§ 22 (1) Ziffer 1 i.V.m. § 3 (1), 7 (1) Meldegesetz, BGBl. Nr. 9/1992, i.d.g.F., zu ATS 3.000,--. (Der Einbürgerungswerber hat am 12. Februar 1997 im Hotel 'N.'

Unterkunft genommen. In der Folge unterließ es der Einbürgerungswerber, sich innerhalb der gesetzlichen 3-tägigen Frist polizeilich anzumelden und hat der Einbürgerungswerber daher die ihn treffende Meldepflicht nicht erfüllt.)"

Zusammenfassend werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer am 30. August 1997 nach Jugoslawien abgeschoben worden und erst am 3. Oktober 1997 wieder im Bundesgebiet zur amtlichen Anmeldung gelangt sei. Somit habe er seinen ununterbrochenen Hauptwohnsitz erst seit dem 3. Oktober 1997 im Bundesgebiet. Auch stehe fest, dass er von seiner österreichischen Ehegattin getrennt lebe. Gemäß § 10 Abs. 1 StbG "i.d.g.F." könne einem Fremden die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik Österreich habe und die allgemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 StbG erfüllt seien. Von "den Voraussetzungen des zehnjährigen Wohnsitzes" könne gemäß § 10 Abs. 4 Z 1 StbG abgesehen werden, wenn es sich um einen Minderjährigen handle, der seit mindestens vier Jahren, oder um einen Fremden handle, der seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik Österreich habe und ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliege. Gemäß § 11a Abs. 1 StbG "i.d.g.F."

sei einem Fremden die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn sein Ehegatte österreichischer Staatsbürger sei und im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebe. Nachdem festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer seinen ununterbrochenen Hauptwohnsitz erst seit dem 3. Oktober 1997 im Bundesgebiet habe und von seiner österreichischen Ehegattin getrennt lebe, sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, haben folgenden Wortlaut:

"§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;

...

5. gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht und auch kein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung anhängig ist;

...

§ 11a. (1) Einem Fremden ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 und Abs. 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn

1. sein Ehegatte Staatsbürger ist und im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebt,

2. die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist,

3. er nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach § 33 Fremder ist und

... "

Die ErläutRV zur Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, 1283 BlgNR XX. GP 7, führen unter anderem zur Neufassung des § 10 Abs. 1 Z 5 leg. cit. aus:

"Der Änderungsvorschlag in Abs. 1 Z 5 nimmt darauf Bedacht, dass nicht nur ein bestehendes Aufenthaltsverbot ein Verleihungshindernis darstellen soll. Die jeweilige Staatsbürgerschaftsbehörde hat auch ein anhängiges Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (§§ 33 ff FrG) in Erfahrung zu bringen, und - sollte ein solches Verfahren anhängig sein - dieses Verleihungshindernis zu berücksichtigen. Es kann sich hiebei sowohl um ein Verfahren handeln, das mit einem Aufenthaltsverbot, als auch um ein solches handeln, das mit einer Ausweisung des Fremden endet. Ist das Aufenthaltsverbot durchsetzbar, steht der Verleihung der Staatsbürgerschaft Z 5 entgegen. Bei der Ausweisung kommt es darauf an, ob diese durchgesetzt wird. Wird die Ausweisung effektuiert, fällt eine der Verleihungsvoraussetzungen, nämlich der Hauptwohnsitz, weg, es besteht sohin ein Verleihungshindernis. Wird die Ausweisung nicht durchgesetzt, stellt sie auch kein Verleihungshindernis dar. Ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung ist ab jenem Zeitpunkt anhängig, ab dem die Absicht der Behörde, es durchzuführen, in die Außenwelt tritt, etwa indem ein Ladungsbescheid ergeht oder eine Einvernahme (Partei oder Zeuge) erfolgt."

Die Annahme der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer von seiner österreichischen Ehegattin getrennt lebe, wird von der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen, sodass die Beurteilung der belangten Behörde im Grunde des § 11a Abs. 1 StbG keinen Bedenken begegnet.

Die Beschwerde sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, dass sich der Beschwerdeführer seit April 1991 ständig im Bundesgebiet aufhalte und Österreich für ihn den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen darstelle. Die belangte Behörde sehe zu Unrecht jegliche zeitliche Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 1, Abs. 4 Z 1 StbG allein schon durch den Vollzug der Ausweisung des Beschwerdeführers am 30. August 1997 ausgeschlossen. In der Beschwerde wird in diesem Zusammenhang geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei "33 Tage nach der Abschiebung wieder legal in das Bundesgebiet" gereist, nachdem ihm zuvor eine Niederlassungsbewilligung ausgestellt worden sei. Die Ausweisung sei "nur" erfolgt, weil der Beschwerdeführer "in der Zwischenzeit" keinen Aufenthaltstitel gehabt habe. Dies alles hätte die belangte Behörde feststellen müssen. Sie habe erstmals im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass gegen den Beschwerdeführer ein Ausweisungsbescheid erlassen und er am 30. August 1997 nach Jugoslawien abgeschoben worden sei. Bereits aus dem Wesen der Ausweisung gehe hervor, dass diese nicht automatisch eine Unterbrechung des Aufenthaltes bedeute. Die belangte Behörde habe sich nicht mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt, wonach er sich seit April 1991 ständig in Österreich aufgehalten habe und Österreich für ihn den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen darstelle.

Die zitierten ErläutRV zur Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 zu § 10 Abs. 1 Z 5 StbG sprechen zwar davon, werde die Ausweisung "effektuiert", so falle eine der Verleihungsvoraussetzungen, nämlich der Hauptwohnsitz, weg und es bestehe sohin ein Verleihungshindernis. Damit haben die zitierten Materialien jedoch erkennbar nur den typischen Fall vor Augen, dass durch die Vollstreckung der Ausweisung regelmäßig die den Hauptwohnsitz konstituierenden Elemente entfallen. Allerdings hat der Gesetzgeber der in den zitierten ErläutRV genannten Effektuierung der Ausweisung weder im Tatbestand des § 10 StbG noch an anderer Stelle des Gesetzes eine unmittelbare normative Bedeutung für den Entfall des Hauptwohnsitzes verliehen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24. Juni 2003, Zl. 2002/01/0081 (mwN), darlegte, sei dem Begriff des "Hauptwohnsitzes" im Besonderen im Rahmen des Staatsbürgerschaftsrechtes das sich aus dem B-VG ergebende Verständnis zu Grunde zu legen - und nicht etwa der engere Hauptwohnsitzbegriff des MeldeG. Dass der einmal an einem Ort begründete Hauptwohnsitz nicht durch jegliche Abwesenheit von diesem Ort wieder verloren gehe, verstehe sich von selbst. Ein bestehender Hauptwohnsitz verliere diese Qualifikation nicht bloß auf Grund einer vorübergehenden Tätigkeit des Betroffenen anderswo, etwa im Ausland, sofern der "Mittelpunktcharakter" des Hauptwohnsitzes erhalten bleibe. Aber auch eine Abmeldung bei der Meldebehörde führe - ungeachtet ihres Indizcharakters - nicht jedenfalls dazu, dass ein bestehender Hauptwohnsitz erlösche.

Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, dass sich die belangte Behörde näher mit den tatsächlichen Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers bis zu seiner Wiedereinreise im Oktober 1997, insbesondere seit seiner effektuierten Ausweisung Ende August d.J., hätte auseinander setzen müssen, nachdem der Beschwerdeführer etwa in seiner Stellungnahme vom 12. September 2001 gegenüber der belangten Behörde ausdrücklich vorgebracht hatte, dass er seit April 1991 Österreich zum Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gemacht habe.

Da die belangte Behörde die zeitlichen Verleihungsvoraussetzungen in Verkennung der sachlichen Voraussetzungen des Hauptwohnsitzes beurteilte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG - unter Absehen von einer Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG - aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Die im Betrag von S 2.500,-- entrichtete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 7. Oktober 2003

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