VwGH 2000/21/0229

VwGH2000/21/02298.11.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde der am 13. November 1947 geborenen E in Höchst, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh und Dr. Hanno Lechner, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 25. Oktober 2000, Zl. Fr-4250a-52/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art7 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z6;
ARB1/80 Art7 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z6;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 25. Oktober 2000 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 6 iVm §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dabei ging die belangte Behörde von folgendem Sachverhalt aus:

Die Beschwerdeführerin sei am 28. September 1999 mit einem von der österreichischen Botschaft in Ankara für den Zeitraum vom 29. August 1999 bis 28. November 1999 ausgestellten Visum C (Reisevisum) in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Bei der Antragstellung am 3. August 1999 habe sie die auch in türkischer Sprache übersetzte Erklärung unterfertigt, dass sie sich verpflichte, das Hoheitsgebiet der Schengener Staaten bei Ablauf des Visums zu verlassen. Weiters habe sie als Zweck des Aufenthalts "Ziyaret" (Besuch) angeführt. Seit ihrer Einreise wohne die Beschwerdeführerin bei ihrem Ehegatten M. Mit Ablauf des Reisevisums am 28. November 1999 habe es die Beschwerdeführerin unterlassen, ihrer Ausreiseverpflichtung nachzukommen und sei, ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels zu sein, in Österreich verblieben. Die Beschwerdeführerin habe gegenüber der österreichischen Botschaft unrichtige Angaben über den Zweck und die Dauer ihres beabsichtigten Aufenthalts gemacht, um sich die Einreise in das Bundesgebiet zu "erschleichen", damit sie sich "erspare", das aufwendige Verfahren zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung im Ausland abzuwarten.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde, damit seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z 6 FrG erfüllt, was die Annahme nach § 36 Abs. 1 FrG rechtfertige, dass der weitere Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Von der Möglichkeit der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme werde Gebrauch gemacht, weil die Beschwerdeführerin nicht nur ein schweres Fehlverhalten durch die unrichtigen Angaben vor der Botschaft gesetzt habe, sondern sich auch trotz mehrfacher behördlicher Aufforderungen geweigert habe, durch Verlassen des Bundesgebietes den rechtmäßigen Zustand herzustellen. Der in der Berufung gestellte Antrag auf Feststellung ihrer Aufenthaltsberechtigung, in eventu auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder Niederlassungsbewilligung sei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Bregenz übermittelt und hierüber noch nicht entschieden worden. Die Beschwerdeführerin halte sich somit seit dem 29. November 1999 in Österreich nicht rechtmäßig auf.

Dem Einwand der Beschwerdeführerin, ihr Gatte sei "assoziationsintegrierter" türkischer Staatsangehöriger, weshalb ihr ein Aufenthaltsrecht zukomme, hielt die belangte Behörde Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 (ARB) entgegen. Danach hätten nur Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, welche die Genehmigung erhalten haben, zu diesem zu ziehen, bestimmte arbeits- und somit aufenthaltsrechtliche Begünstigungen. Die Erteilung eines Reisevisums beinhalte jedoch nur die Erlaubnis zu einem zeitlich beschränkten Besuch in Österreich. Da der Beschwerdeführerin sohin keine Genehmigung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 ARB erteilt worden sei, finde das Assoziationsabkommen auf sie keine Anwendung. Entgegen dem Standpunkt der Beschwerdeführerin sei auf sie als türkische Staatsangehörige auch die Richtlinie 64/221/EWG nicht anzuwenden.

Da der rechtmäßige Aufenthalt nicht einmal drei Monate gedauert habe, sei von keiner großen Integration der Beschwerdeführerin in Österreich und daher von keinem schwerwiegendem Eingriff in ihr Privatleben auszugehen. Ihr Mann halte sich aber schon seit 1971 rechtmäßig in Österreich auf und sei am Arbeitsmarkt integriert. Da auch ihr Sohn hier lebe, sei von einem Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen, auch wenn dies dadurch stark relativiert werde, dass die Beschwerdeführerin zuvor "(Jahrzehnte)" von ihrem Mann getrennt mit ihren Kindern in der Türkei gelebt habe und vorher noch nie im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung für Österreich gewesen sei.

Angesichts des sehr hohen Stellenwertes der für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) erachtete die belangte Behörde die Erlassung des Aufenthaltsverbotes für dringend geboten im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG und kam bei der Abwägung nach § 37 Abs. 2 FrG zu dem Ergebnis, es überwiege das öffentliche Interesse an der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegenüber dem Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin. Es sei im Hinblick auf die Vorbildwirkung und die Gleichbehandlung anderer Fremder, die oft jahrelange Wartezeiten im Ausland in Kauf nehmen müssten, um auf rechtmäßige Weise zu ihren in Österreich lebenden Verwandten ziehen zu können, nicht tragbar, das Verhalten der Beschwerdeführerin zu akzeptieren und ihr einen weiteren Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Die Beschwerdeführerin bekämpft die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung, sie habe gegenüber der österreichischen Vertretungsbehörde in Ankara falsche Angaben gemacht, um sich die Einreise und den weiteren Aufenthalt in Österreich zu erschleichen. Ihre Angaben über den Aufenthaltszweck und die Aufenthaltsdauer hätten der Wahrheit entsprochen. Den Entschluss, "im Rahmen des ihr nach Assoziationsrecht zukommenden Aufenthaltsrechts" bei ihrer Familie zu bleiben, habe sie erst später, als sie bereits in Österreich gewesen sei, (sogar gegen den Willen ihres Ehegatten) gefasst.

Der Verwaltungsgerichtshof kann im Rahmen der ihm zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht finden, dass die beweiswürdigenden Erwägungen der belangten Behörde zu der bekämpften Feststellung unschlüssig wären, zumal die Beschwerde auch keine Umstände darlegt, die es als naheliegend erscheinen ließen, dass die Beschwerdeführerin ursprünglich nur für die Dauer des ihr erteilten Touristensichtvermerks nach Österreich habe kommen wollen. So tritt die Beschwerde insbesondere dem Argument der belangten Behörde, es entspreche der Erfahrung, dass Lebenspartner, die - wie in diesem Fall - schon seit Jahren verheiratet seien, einen so weit reichenden Entschluss, sich in einem anderen Staat niederzulassen, gemeinsam langfristig planen, nicht substantiiert entgegen. Gleiches gilt für die Erwägung, für die Annahme der belangten Behörde sei auch das Vorbringen in der Berufung ein Indiz, dass die Beschwerdeführerin in der Türkei ganz allein gewesen wäre, nachdem (auch) ihr Sohn nach Österreich gezogen sei.

Unter Zugrundelegung der somit unbedenklichen Feststellungen der belangten Behörde begegnet deren Auffassung, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 6 FrG erfüllt sei, keinem Einwand.

2. Die Ansicht der Beschwerdeführerin, ihr komme auf Grund des Art. 7 ARB ein Aufenthaltsrecht zu und sie habe einen Anspruch auf Familiennachzug, ist nicht zutreffend. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrmals ausgesprochen, dass Art. 7 des - in Österreich unmittelbar anwendbaren - Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 nicht den Familiennachzug regle, sondern nur die beschäftigungsrechtliche Stellung jener Familienangehörigen, die nach anderen Rechtsgrundlagen der Mitgliedstaaten die Genehmigung erhalten hätten, zu einem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen (vgl. das einen gleichgelagerten Sachverhalt betreffende Erkenntnis vom 14. Dezember 2000, Zl. 98/21/0303, in dem auf das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1996, Zl. 96/21/0641, und auf weitere Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes, die zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Stellung nehmen, verwiesen wird). Der - in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vertretenen - Auffassung im angefochtenen Bescheid, die Erteilung eines Reisevisums ("Touristensichtvermerk") sei keine Genehmigung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 ARB, tritt die Beschwerde mit keinen stichhältigen Argumenten entgegen. Soweit die Beschwerde in ihren weiteren Ausführungen schlichtweg die Anwendbarkeit des ARB auf die Beschwerdeführerin unterstellt und deshalb Entscheidungen (insbesondere des Europäischen Gerichtshofes) zitiert, die somit fallbezogen keine verwertbaren Aussagen enthalten, ist dies nicht geeignet, die dargestellte Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes in den Vorerkenntnissen in Frage zu stellen. Es gehen demnach alle weiteren Schlussfolgerungen in der Beschwerde, welche von der Anwendbarkeit des ARB Nr. 1/80 ausgehen, ins Leere.

3. Angesichts des hohen Stellenwertes, welcher der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. September 1999, Zl. 99/18/0272, mwN, sowie das bereits zitierte Erkenntnis vom 14. Dezember 2000), ist es auch nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme für gerechtfertigt erachtete und überdies die Ansicht vertrat, die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und daher im Grunde des § 37 Abs. 1 FrG zulässig

4. Die Beschwerdeführerin meint allerdings, unter Berücksichtigung ihrer "massiven" Anknüpfungspunkte an das Bundesgebiet stelle die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes jedenfalls auch einen "massiven" Eingriff in ihr Privat- und Familienleben dar, der schwerer wiege als die allfälligen nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes.

Eine damit relevierte unrichtige Interessenabwägung nach § 37 Abs. 2 FrG liegt indes nach Auffassung des Gerichtshofes nicht vor. Die belangte Behörde hat die familiären Bindungen der Beschwerdeführerin und ihre allfällige, aus der relativ kurzen Dauer ihres - allerdings überwiegend unrechtmäßigen - Aufenthaltes resultierende Integration in Österreich ausreichend berücksichtigt. Dabei wurde ohnehin auf das aus dem langjährigen Aufenthalt und der Beschäftigung resultierende Aufenthaltsrecht des Ehegatten der Beschwerdeführerin nach Art. 6 Abs. 1 ARB Bedacht genommen, aber auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte infolge des seit 1971 getrennten Aufenthaltes (in der Türkei einerseits und in Österreich andererseits) auf die Führung eines Familienlebens bisher ("seit Jahrzehnten") verzichtet hatten, sodass von einem durch das Aufenthaltsverbot bewirkten "massiven" Eingriff in die nach Art 8 Abs. 1 EMRK zustehenden Rechte nicht gesprochen werden kann. Den zwar durchaus gewichtigen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet steht jedoch gegenüber, dass sie durch ihr Fehlverhalten bei der Erlangung des Reisevisums und durch ihren unrechtmäßigen Aufenthalt nach Ablauf dieses Sichtvermerks das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen erheblich beeinträchtigt hat. Vor diesem Hintergrund kann es nicht als rechtswidrig erkannt werden, dass die belangte Behörde den nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes kein geringeres Gewicht beigemessen hat als den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin.

5. Wenn die Beschwerde schließlich den Standpunkt vertritt, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wäre nicht notwendig gewesen, beim verfahrensgegenständlichen Sachverhalt hätte "maximal" eine Ausweisung verfügt werden dürfen, kann ihr ebenfalls nicht gefolgt werden. Die belangte Behörde war zutreffend der Meinung, dass aus dem bisherigen Verhalten der Beschwerdeführerin (falsche Angaben beim Antrag auf Erteilung eines Touristensichtvermerkes über die beabsichtigte Aufenthaltsdauer und den Aufenthaltszweck; Verbleiben im Inland trotz unrechtmäßigen Aufenthalts) der Schluss gerechtfertigt sei, es bestehe die Gefahr, die Beschwerdeführerin werde auch in Zukunft fremdenrechtliche Bestimmungen missachten, und es sei zu befürchten, dass sie neuerlich ein solches Fehlverhalten setzen werde. Es besteht somit ein über die durch eine Ausweisung erreichbare (bloße) Aufenthaltsbeendigung hinausgehendes Interesse an der Verhinderung einer Wiedereinreise der Beschwerdeführerin in das Bundesgebiet. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für die festgesetzte - nicht zu beanstandende -

Dauer von drei Jahren für "notwendig" erachtete, um "einschlägige Verhaltensweisen" der Beschwerdeführerin, nämlich "die Erschleichung eines österreichischen Sichtvermerkes, hintanzuhalten".

6. Der Beschwerde war somit ein Erfolg zu versagen, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuwesen war.

7. Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 FrG konnte von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.

8. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 8. November 2001

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