Normen
AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwRallg;
AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine armenische Staatsangehörige, verließ ihr Heimatland Ende November 1999 und reiste am 18. Jänner 2000 in das Bundesgebiet ein. Sie stellte am nächsten Tag einen Asylantrag, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 3. Februar 2000 gemäß § 6 Z 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abwies. Gemäß § 8 AsylG stellte es fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Armenien sei zulässig.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der unabhängige Bunndesasylsenat nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Bescheid - laut dessen schriftlicher Ausfertigung - "gem. § 6 Ziffer 1 und § 8 AsylG" ab und nahm neuerlich einen Ausspruch "nach § 8 AsylG" über die Zulässigkeit (insbesondere) der Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Armenien vor.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
"Offensichtlich unbegründete Asylanträge
§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat
1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder
2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder ..."
Die Berufungsbehörde hat ihre Entscheidung auf einen anderen Tatbestand des § 6 AsylG als die Erstbehörde - Z 1 statt Z 2 - gestützt, was nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0320). Maßgeblich ist daher nur, ob die Annahme der belangten Behörde, der Asylantrag sei im Sinne des § 6 Z 1 AsylG offensichtlich unbegründet, berechtigt ist. Der in der Beschwerde in den Vordergrund gestellten Frage, ob die behauptete Verfolgung im Zusammenhang mit einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe steht, käme aber nur unter dem Gesichtspunkt der Z 2 Bedeutung zu, sodass es dazu keiner weiteren Erwägungen bedarf.
Bei der Prüfung, ob ein unter § 6 Z 1 AsylG zu subsumierender Fall vorliegt, ist von den Angaben des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichen Eindeutigkeit keine Behauptungen im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lassen. Auf die Frage der Glaubwürdigkeit der Angaben im Asylverfahren kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Die Anwendung des § 6 Z 1 AsylG setzt im Sinne dieses Verständnisses des Verfolgungsbegriffes voraus, dass dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich keine Behauptungen zu einer ihm drohenden Verfolgung, also eines ungerechtfertigten Eingriffes der genannten Art, zu entnehmen sind. Im Hinblick auf das "Offensichtlichkeitskalkül" kann dabei auch die unzureichende Intensität des drohenden Eingriffes nur zur Subsumtion des Vorbringens unter diesen Tatbestand führen, wenn der Fall in dieser Hinsicht völlig eindeutig ist und keine Abgrenzungsfragen aufwirft (vgl. zum Ganzen zuletzt das hg. Erkenntnis vom 17. September 2003, Zl. 2000/20/0071, mit weiteren Nachweisen).
Nach dem - bei der Beurteilung nach dem genannten Tatbestand somit allein maßgeblichen - Vorbringen der Beschwerdeführerin sei ihr Ehemann, der in Gyumri ein "Gemischtwarengeschäft" betrieben habe, von mehreren Männern erpresst worden. Diese hätten von ihm Mitte September 1999 zweimal die Zahlung von USD 50.000,-- gefordert, widrigenfalls sie seinen (erwachsenen) Sohn entführen oder diesem "etwas antun" würden. Der Ehemann der Beschwerdeführerin habe erklärt, dass er nicht so viel Geld habe; er habe alles in das Geschäft investiert. Daraufhin sei er am 19. September 1999 ermordet worden, indem er beim Überqueren der Straße von einem Auto angefahren worden sei. In der Folge seien bis Ende September täglich (von der Beschwerdeführerin entgegengenommene) Anrufe gekommen, in denen weiterhin die Zahlung von USD 50.000,-- gefordert worden sei. Die (unbekannten) Erpresser hätten gedroht, wenn das Geld nicht gezahlt werde, so werde dem Sohn der Beschwerdeführerin das Gleiche passieren wie ihrem Ehegatten. Den Anrufern sei gesagt worden, dass sie (gemeint: die Beschwerdeführerin und ihr Sohn) nicht wüssten, woher sie so viel Geld nehmen sollten. Diese unrealistische Summe hätte nur aufgebracht werden können, wenn sie alles verkauft hätten. In der Folge sei - so brachte die Beschwerdeführerin weiter vor - in "unser" Geschäft eingebrochen und alles gestohlen bzw. zerstört worden. Der Sohn der Beschwerdeführerin und seine Familie seien dann von Freunden in Sicherheit gebracht worden. Nachdem die Beschwerdeführerin aber von ihnen nichts mehr gehört habe, habe sie Angst bekommen und das Land verlassen. Für den Fall der Rückkehr befürchte sie die Fortsetzung der Drohanrufe.
Die belangte Behörde folgerte daraus rechtlich, die Beschwerdeführerin habe "keine individuelle Verfolgung ihrer Person" behauptet und sei "jedenfalls" nicht in der Lage gewesen, "eine Verfolgung iSd GFK glaubhaft zu machen." Es stehe fest, dass sie zwischen Ende September und 25. November 1999 (Tag der Ausreise) "keine Probleme mit bzw. Bedrohungen durch Erpresser" gehabt habe. Somit sei die Beschwerdeführerin aus ihrem "behaupteten" Herkunftsstaat "unverfolgt" ausgereist. "Aus den angeführten Gründen" sei die Berufung somit gemäß § 6 Z 1 AsylG abzuweisen.
An dieser rechtlichen Beurteilung ist zunächst zu bemängeln, dass sie Elemente der Prüfung unter dem Gesichtspunkt des § 7 AsylG mit jenen nach § 6 AsylG vermengt, ohne erkennbar auf den nach der zuletzt genannten Bestimmung maßgeblichen "Offensichtlichkeitsmaßstab" Bedacht zu nehmen. Daran gemessen greift die Würdigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin durch die belangte Behörde, die sich auf einzelne Passagen ihrer Aussage in der Berufungsverhandlung auf die Frage, wer von der Familie bedroht worden sei, stützt, aber jedenfalls zu kurz. Es handelt sich nach den wiedergegebenen Schilderungen der Beschwerdeführerin nämlich nicht um eine ausschließlich nur ihren Sohn und nicht auch sie betreffende Drohung, sondern um einen gegen die gesamte Familie der Beschwerdeführerin gerichteten Erpressungsversuch, zumal die Beschwerdeführerin mit ihrem Sohn und dessen Familie auch zusammen gewohnt hat und ihren Angaben zufolge (Mit)Eigentümerin der vorhandenen Vermögenswerte (Häuser, Geschäft) ist. Die Reduzierung auf die Frage, wen die angedrohte Gewaltausübung treffen könnte, wird dem nicht gerecht. Die belangte Behörde lässt in diesem Zusammenhang aber auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin außer Acht, wonach auch sie sich bedroht fühle, wenn mit der Ermordung ihres Sohnes gedroht werde. Auch bei objektiver Beurteilung kann nicht gesagt werden, bei einer derartigen Drohung handle es sich nicht um einen ungerechtfertigten Eingriff von erheblicher Intensität in die persönliche Sphäre der Beschwerdeführerin. Dazu kommt im vorliegenden Fall noch, dass - nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin - auch ihrem Ehegatten (nur) mit Sanktionen gegen den Sohn gedroht und tatsächlich dann aber er selbst ermordet worden sei. Schließlich stellt auch der von der belangten Behörde betonte Umstand, dass von Ende September 1999 bis zur Ausreise Ende November 1999 keine weiteren Anrufe gekommen seien, für sich genommen noch keine ausreichende Begründung für die Annahme dar, die Beschwerdeführerin sei "unverfolgt" ausgereist und eine Wiederholung der Erpressungsversuche wäre bei einem Verbleib in Armenien nicht zu erwarten gewesen.
Bei einer Würdigung des gesamten Vorbringens der Beschwerdeführerin kann somit nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht gesagt werden, ihm lasse sich die Behauptung einer der Beschwerdeführerin drohenden "Verfolgung" im oben dargestellten Sinn mit der für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 6 Z 1 AsylG geforderten Eindeutigkeit nicht entnehmen. Das hat die belangte Behörde verkannt.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 17. Dezember 2003
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