VwGH 2000/20/0113

VwGH2000/20/011318.7.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der A M O in Graz, vertreten durch Mag. Dr. Regina Schedlberger, Rechtsanwalt in 8045 Graz, Andritzer Reichsstraße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Dezember 1999, Zl. 214.206/0-III/07/99, betreffend §§ 6 Z 2 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §57;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §57;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem zweiten Spruchteil betreffend die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste am 14. September 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte am 15. September 1999 einen Asylantrag. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 2. Dezember 1999 führte die Beschwerdeführerin aus, ihr Vater, der Priester der Ogboni-Sekte sei, habe sie am 2. August 1999 aufgefordert, ihn zu begleiten. Er habe sie zu einer Ogboni-Versammlung geführt. Dort sei sie von vier Männern in einen separaten Raum geführt worden. Ihr Vater sei nicht darunter gewesen. In diesem Raum seien ihr die Augen verbunden worden, und sie sei außerdem mit den Händen am Rücken gefesselt worden. Man habe sie auf den Boden gesetzt. Die Fesseln seien nur zum Essen und Trinken gelöst worden. Am vierten Tag sei ein Mann gekommen und habe ihr gesagt, dass er sie jetzt freilassen werde und dass sie gehen solle. Er habe ihr erzählt, dass sie insgesamt sieben Tage in diesem Raum hätte verbringen sollen. Weiters habe er gesagt, dass die Beschwerdeführerin nach dem siebenten Tag bei einer rituellen Handlung hätte getötet werden sollen. Der Mann habe ihr Geld und den Rat gegeben, die Stadt zu verlassen. Im Falle ihrer Rückkehr befürchtete sie, dass mit ihr wie angekündigt verfahren würde. Sie habe sich nicht an die Polizei gewandt, da viele Polizisten auch bei der Ogboni-Sekte seien. Sie könne nicht in Nigeria bleiben, da sie bereits bei ihrer Tante, bei der sie zunächst Zuflucht genommen habe, erkrankt sei. Sie habe in das Spital gebracht werden müssen. Sie habe Angst gehabt, dass sie die Sekte auf spirituelle Art töte. Auch habe sie böse Albträume gehabt. Diese Sekte verfolge sie, damit sie zurückkehre. Sie wisse nicht, ob diese Kraft auch bis Österreich reiche.

Mit Bescheid vom 2. Dezember 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet ab und erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass an der Glaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin erhebliche Zweifel bestünden. Auch wenn tatsächlich eine Verfolgung durch eine Geheimgesellschaft, selbst mit magischen Praktiken, vorliegen sollte, so würde dies keinen asylrechtlich relevanten Sachverhalt darstellen. Außerdem sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Falle der Verfolgung durch eine derartige Geheimgesellschaft die Möglichkeit gehabt hätte, durch Verlegung ihres Wohnsitzes in Nigeria einer potenziellen Gefahr aus dem Weg zu gehen. Eine Gefahr, die lediglich von Privatpersonen - und sei es auch in Form einer geheimen Gesellschaft oder des Vaters - ausgehe, könne nicht unter die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention subsumiert werden. Übergriffe auf Grund der religiösen oder politischen Überzeugung des Täters seien nicht anders zu beurteilen als solche gewöhnlicher krimineller Einzeltäter bzw. krimineller Organisationen. Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführerin staatlicherseits der notwendige Schutz versagt worden sei oder versagt werden könnte, lägen nicht vor. Die Identität der Beschwerdeführerin stehe nicht fest. Die Glaubhaftmachung einer konkreten Gefährdungssituation im Sinne des § 8 Asylgesetz setze jedoch das Feststehen der Identität voraus. Die Beschwerdeführerin habe nicht glaubhaft machen können, dass ihr in ihrer Heimat unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen würde.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie ihre Heimat auf Grund wohl begründeter Furcht verlassen habe und ihr bei einer Rückkehr Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen würde. Sie halte ihre Aussagen aus ihrer Einvernahme aufrecht und bemerke darüber hinaus, dass man ihr bei ihrer Festhaltung gesagt habe, sie sei als rituelles Opfer auserkoren worden, weshalb man sie töten müsse. Eine ihr unbekannte Person habe sie aus Mitleid befreit. Sie habe nach ihrer Flucht in ihrem Heimatland keine Existenzgrundlage mehr, fühle sich dort nicht mehr sicher, habe ständig Angst und könnte von den staatlichen Behörden keine Hilfe erwarten. Die Feststellungen der erstinstanzlichen Behörde hinsichtlich der allgemeinen Situation in Nigeria seien unzureichend. Die Behörde wäre bei ausreichender Feststellung der allgemeinen Situation wahrscheinlich zu einem anderen Ergebnis gekommen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz ab und erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 Asylgesetz iVm § 57 Abs. 1 Fremdengesetz für zulässig. In der Begründung zum ersten Spruchteil wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die von der Beschwerdeführerin vor der Behörde erster Instanz dargestellten Übergriffe, von denen die Behörde ausgehe, nicht anders zu beurteilen seien als solche gewöhnlicher krimineller Einzeltäter oder krimineller Organisationen. Die Bedrohung der Beschwerdeführerin gehe sohin offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurück. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Staat der Beschwerdeführerin keinen Schutz vor einer solchen Bedrohung durch Kriminelle gewähren würde.

Zur Begründung des zweiten Spruchteils begnügte sich die belangte Behörde - nach einer Darstellung von Rechtsgrundlagen - mit dem Hinweis, die Glaubhaftmachung einer Gefährdung im Sinne des § 57 FrG setze das Feststehen der Identität voraus. Da im konkreten Fall die Identität der Beschwerdeführerin "mangels jeglichen Dokumentes" nicht feststehe, sei es der Behörde "bereits aus diesem Grund verwehrt" gewesen festzustellen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria unzulässig sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 6 Asylgesetz sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist Flüchtling, wer sich aus wohl begründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 2. Dezember 1999 hätte sie bei einer rituellen Handlung getötet werden sollen. Bereits das Bundesasylamt hat den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz abgewiesen, wobei in der Begründung u.a. ausgeführt wurde, dass nach den Angaben der Beschwerdeführerin kein Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gegeben sei.

In ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hat die Beschwerdeführerin dennoch keine näheren Angaben dazu gemacht, weshalb ihr aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe Verfolgungsgefahr drohe. Nach der Darstellung der Beschwerdeführerin war von vornherein ihre Opferung beabsichtigt, ohne dass dies aus bestimmten Gründen, die im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention relevant sind, der Fall wäre. Auch in der Beschwerde führt die Berufungswerberin keinen solchen Grund an. Auf die - den angefochtenen Bescheid in dessen Asylteil tragende - Erwägung der belangten Behörde, es fehle offensichtlich an einem Zusammenhang mit einem Konventionsgrund, wird überhaupt nicht eingegangen.

Der belangten Behörde kann daher nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet abgewiesen hat.

Ihre Feststellung gemäß § 8 Asylgesetz hat die belangte Behörde im Spruch ihrer Entscheidung zu Unrecht auf "§ 8 des AsylG iVm § 57 Abs. 1 des Fremdengesetzes" beschränkt (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0419) und die Prüfung unter dem Gesichtspunkt des § 57 Abs. 2 Fremdengesetz nur in der Begründung vorgenommen. Im Übrigen ist aber jedenfalls das Argument verfehlt, dass die Glaubhaftmachung einer konkreten Gefährdungssituation im Sinne des § 57 Fremdengesetz stets das Feststehen der Identität voraussetze (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 2000/20/0200).

Da sich die belangte Behörde - ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsansicht - mangels Feststehens der Identität der Beschwerdeführerin mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 FrG iVm § 8 Asylgesetz nicht auseinandergesetzt hat, war der angefochtene Bescheid hinsichtlich dieses Spruchpunktes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 18. Juli 2002

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