Normen
EStG 1988 §4;
EStG 1988 §4;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer sind die Erben nach Katharina F. Diese hatte in den Einkommenssteuererklärungen 1989 bis 1991 u.a. positive Einkünfte aus Kapitalvermögen aus einer (echten) stillen Beteiligung am Betrieb der F-KG erklärt.
Die Veranlagung zur Einkommensteuer erfolgte zunächst erklärungsgemäß.
Im Zuge einer Betriebsprüfung bei der F-KG wurde der stillen Gesellschaft (ab dem Jahre 1987) die steuerliche Anerkennung versagt (Versagung des Betriebsausgabenabzuges für die der stillen Gesellschafterin zugewiesenen Gewinnanteile).
Das Finanzamt nahm gegenüber Katharina F die Einkommensteuerverfahren 1989 und 1990 wieder auf und ließ bei Erlassung der geänderten Einkommensteuerbescheide die Einkünfte aus der stillen Beteiligung außer Ansatz. Für das Jahr 1991 nahm es eine entsprechende Änderung durch die Erlassung einer Berufungsvorentscheidung vor.
In der Folge gab die belangte Behörde einer Berufung der F-KG gegen den Bescheid, mit welchem bei der Feststellung ihres Gewinnes die echte stille Gesellschaft (durch Versagung des Betriebsausgabenabzuges) nicht anerkannt worden ist, mit Berufungsentscheidung vom 13. Dezember 1996 Folge.
Mit Bescheiden vom 30. April 1997 nahm das Finanzamt sodann gegenüber Katharina F die Verfahren betreffend Einkommensteuer 1989 bis 1991 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf, weil Tatsachen und Beweismittel neu hervorgekommen seien, die im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht worden seien. In den geänderten Einkommensteuerbescheiden setzte es die positiven Einkünfte aus Kapitalvermögen aus der echten stillen Beteiligung wiederum an. In der Berufung gegen die Wiederaufnahmebescheide brachte Katharina F vor, Tatsachen oder Beweismittel seien nicht neu hervorgekommen, es liege ausschließlich eine andere rechtliche Beurteilung des bereits bekannten Sachverhaltes vor.
In der Berufungsvorentscheidung vom 12. Oktober 1998 führte das Finanzamt aus, die Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren stütze sich auf eine geänderte Vorfragenentscheidung.
Mit zweiter Berufungsvorentscheidung vom 22. Februar 1999 wurde der Berufung stattgegeben; die Wiederaufnahmebescheide wurden aufgehoben.
Mit Bescheiden vom 12. März 1999 verfügte das Finanzamt neuerdings die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 1989 bis 1991 und setzte in den Einkommensteuerbescheiden neuerdings die positiven Einkünfte aus Kapitalvermögen aus der stillen Beteiligung an. In der Bescheidbegründung führt das Finanzamt aus, die abgabenbehördliche Anerkennung einer stillen Gesellschaft entfalte zwar keine Bindungswirkung für die Einkommensbesteuerung der Gesellschafterin (Katharina F). Die Zuordnung von Erträgen aus Kapitalvermögen an Katharina F komme darin nämlich nicht bescheidmäßig zum Ausdruck. Dem Institut der Wiederaufnahme des Verfahrens liege allerdings das Ziel zu Grunde, ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis zu erreichen und dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Es widerspreche diesen Grundsätzen, wollte man die im § 303 BAO angeführten Voraussetzungen des Vorfragetatbestandes auf eine Vorfrage im technischen Sinn beschränken. Da in der vorliegenden Fallkonstellation das Unterbleiben der Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 1989 bis 1991 zu einem ungerechtfertigten Steuervorteil für Katharina F führte (Nichtbesteuerung von Erträgen aus einem abgabenbehördlich anerkannten stillen Gesellschaftsverhältnis), insoweit also ein Zustand geschaffen würde, welcher dem verfassungsmäßigen Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zuwiderliefe, sei in verfassungskonformer Interpretation des § 303 BAO ein Analogieschluss zum Vorfragentatbestand herzustellen (Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6. Dezember 1990, B 783/89). Die Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 1989 bis 1991 seien daher wieder aufzunehmen.
In der Berufung vom 14. Juli 1999 gegen diese Bescheide vom 12. März 1999 brachten die Beschwerdeführer vor, der Beschwerdefall sei mit jenem, über den der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 6. Dezember 1990, B 783/89, auf welches sich das Finanzamt berufe, nicht vergleichbar. Die Frage, ob Katharina F Einkünfte als stille Gesellschafterin beziehe, sei keine Vorfrage im Sinn des § 116 und § 303 Abs. 1 lit. c BAO. Die Einkünfte aus der Beteiligung als stiller Gesellschafter seien in den Steuererklärungen offen gelegt worden. Es sei zunächst erklärungsgemäß veranlagt worden. Nachträglich habe das Finanzamt die Einkünfte infolge einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung von Amts wegen wieder ausgeschieden. Überdies sei die neuerliche Erlassung von Wiederaufnahmebescheiden deshalb rechtswidrig, weil zwischen der stattgebenden zweiten Berufungsvorentscheidung vom 22. Februar 1999 und der neuerlichen Verfügung der Wiederaufnahme mit Bescheiden vom 12. März 1999 keine Neuerungen eingetreten seien, weshalb über denselben Sachverhalt bereits entschieden worden sei. Da der gesamte Sachverhalt dem Finanzamt in allen Einzelheiten so umfassend bekannt gewesen sei, dass dieses schon im abgeschlossenen Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumption zu der nunmehr im wieder aufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können, sei eine neuerliche Wiederaufnahme unzulässig.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Der Verfassungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom 6. Dezember 1990, B 783/89, den Katalog der im § 303 BAO normierten Wiederaufnahmegründe erweitert. Das Finanzamt führe weder das Vorliegen des Neuerungstatbestandes noch des Tatbestandes der abweichenden Vorfragenentscheidung als Grund für die Wiederaufnahme ins Treffen. Es verweise vielmehr auf den Umstand, dass der Tatbestand der abweichenden Vorfragenbeurteilung in Ermangelung einer Bindungswirkung der steuerlichen Beurteilung des Vorliegens einer echten stillen Beteiligung gerade nicht vorliege. Die vom Verfassungsgerichtshof entwickelten Prinzipien seien allerdings auch für den Fall der amtswegigen Wiederaufnahme anzuwenden und zwar unabhängig davon, ob sich eine solche Maßnahme zu Gunsten oder zu Lasten des Abgabepflichtigen auswirke. Die auf den verfassungsrechtlichen Erkenntnissen fußende Wiederaufnahme sei als Regulativ zur Hintanhaltung der Erzielung eines ungerechtfertigten Vorteils für den Abgabepflichtigen heranzuziehen. Im gegenständlichen Fall liege der Vorteil in der ertragssteuerlichen Berücksichtigung des Anteiles der echten stillen Gesellschafter bei der F-KG (als Betriebsausgabe), während andererseits die entsprechenden Anteile nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst würden. Das Finanzamt habe im Wege der Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren von Amts wegen dem Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung Rechnung getragen. Es liege eine Änderung im Hinblick auf den Bescheid vor, mit welchem gegenüber der KG die echte stille Gesellschaft nicht anerkannt worden sei (gemeint: keine Anerkennung der entsprechenden Betriebsausgaben). Ein Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem sei nicht gegeben. Eine auf einem anderen Grund basierende neuerliche Wiederaufnahme des Verfahrens sei nicht ausgeschlossen (Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. März 1999, 97/14/0069).
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:
Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Der angefochtene Bescheid stützte die Wiederaufnahme der Verfahren nicht auf das Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel, auch nicht auf eine nachträglich ergangene Vorfragenentscheidung. Der angefochtene Bescheid stützt die Wiederaufnahme auch nicht auf einen anderen der im Gesetz formulierten Wiederaufnahmetatbestände.
Der angefochtene Bescheid geht allerdings davon aus, dass der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 6. Dezember 1990, B 783/89, Slg. 12.566, den Katalog der Wiederaufnahmegründe erweitert hat (vgl. in diesem Sinn auch Ritz, BAO-Kommentar2, § 303 Tz 22).
Der im zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes entwickelte Wiederaufnahmegrund betrifft die nachträgliche Änderung der rechtlichen Beurteilung eines Sachverhaltes durch die Abgabenbehörde für ein früheres Steuerjahr in einem an denselben Steuerpflichtigen gerichteten Bescheid, und zwar nachträglich, nachdem die Behörde bereits in (rechtskräftigen) Bescheiden betreffend die nachfolgenden Steuerjahre - abweichend von der Erklärung des Steuerpflichtigen - eine andere rechtliche Beurteilung vorgenommen hat. In jenem Verfahren war strittig, ob bei nachträglicher Aktivierung eines Aufwandes mit dem im Jahr 1984 ergangenen Bescheid (Berufungsentscheidung) für das Jahr 1974 die Wiederaufnahme der (mit Bescheiden aus dem Jahr 1979 abgeschlossenen) Verfahren für die Folgejahre 1975 bis 1977 zwecks Berücksichtigung der AfA vorzunehmen ist, wenn die Behörde zunächst ihren Bescheiden für die Jahre 1974 bis 1977 - abweichend von den Abgabenerklärungen - die Rechtsauffassung zugrunde gelegt hat, der Aufwand sei nicht auf die betroffenen Jahre zu verteilen, sondern zur Gänze im Jahr 1974 abzusetzen. Der Verfassungsgerichtshof führt in jenem Erkenntnis aus: "(Es) stellte einen unerklärlichen Wertungswiderspruch dar, wollte man annehmen, dass zwar die Tatsache, dass nachträglich über eine Vorfrage von einer anderen (hiefür zuständigen) Behörde anders entschieden wurde, einen Wiederaufnahmegrund darstellt, nicht aber eine Entscheidung derselben Behörde für einen früheren Steuerzeitraum, der sich in der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes direkt auf einen (einen späteren Steuerzeitraum betreffenden) Bescheid auswirkt. Ein derartiger Fall muss daher in gleicher Weise wie der Fall der Vorfrage behandelt werden, soll
ein gleichheitswidriges Ergebnis vermieden werden. ... Die
vorliegende Fallkonstellation ist daher gleich zu beurteilen wie das Hervorkommen von Tatsachen oder eine von der vorläufigen Beurteilung der Behörde abweichende Entscheidung der zuständigen Behörde über eine Vorfrage."
Der gegenständliche Fall betrifft die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 1989 bis 1991. Eine nachträgliche Änderung der Entscheidung der belangten Behörde betreffend die Einkommensteuerverfahren der Katharina F für die vorangegangenen Veranlagungsjahre (Jahre vor 1989) liegt im gegenständlichen Fall nicht vor. Überdies vermöchte eine solche Entscheidung für vorangegangene Veranlagungsjahre ohnedies keine ersichtlichen Auswirkung auf Folgejahre entfalten.
Die Rechtsansicht der belangten Behörde lässt sich wie folgt zusammenfassen: Leistet ein Steuerpflichtiger eine Zahlung und wird diese beim ihm bescheidmäßig als Betriebsausgabe (bzw. im Rahmen der Werbungskosten) anerkannt, so müsse die Zahlung beim Empfänger einkünfteerhöhend erfasst werden, wofür, wenn das Steuerverfahren bereits abgeschlossen ist, ein eigener Wiederaufnahmetatbestand zur Verfügung stehe, welcher zwar nicht im Gesetz formuliert sei, aber sich aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes B 783/89, ergebe. Mit dieser Rechtsansicht hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt. Es ist - unbeschadet der Frage, ob der Katalog der Wiederaufnahmegründe durch die zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes erweitert worden ist - festzustellen, dass der von der belangten Behörde hergestellte Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Verfahren (verschiedener Abgabepflichtiger) in keiner Weise mit jenem vergleichbar ist, welcher dem zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zugrundeliegt. Hinzu kommt, dass das materielle Steuerrecht einen Grundsatz, wonach die bei einer Person gewinnmindernd angesetzten Beträge stets bei einer anderen Person einkünfteerhöhend zu erfassen sind, nicht kennt.
Der angefochtene Bescheid ist sohin insgesamt - also auch hinsichtlich der im wieder aufgenommenen Verfahren ergangenen neuen Sachbescheide, auf welche die Rechtswidrigkeit der Entscheidung über die Wiederaufnahme durchschlägt - mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II 333/2003. Die Umrechung der entrichteten Stempelgebühren beruht auf § 3 Abs. 2 Z 2 EuroG, BGBl. I 72/2000.
Wien, am 16. September 2003
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