VwGH 2000/08/0103

VwGH2000/08/010314.5.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Dr. M in I, vertreten durch Dr. Bernd A. Oberhofer und Dr. Herbert Fink, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schöpfstraße 6b, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 19. Mai 2000, Zl. Vd-SV-1001-1-135/4, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara-Pölt-Weg 2, 6020 Innsbruck), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §11 Abs2;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs3 Z7;
ASVG §49 Abs3;
ASVG §11 Abs2;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs3 Z7;
ASVG §49 Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens steht folgender Sachverhalt außer Streit:

Ines E. war beim Beschwerdeführer vom 8. April 1997 bis 15. Dezember 1998 beschäftigt. Ihr monatliches Bruttoentgelt betrug zuletzt S 16.190,--. Am 15. Dezember 1998 wurde sie fristlos entlassen, nachdem das Dienstverhältnis am Tag zuvor zum 31. Jänner 1999 gekündigt worden war.

Mit einer am 23. Februar 1999 beim Landesgericht Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht eingebrachten Klage wurde der Beschwerdeführer von Ines E. u.a. auf Zahlung von S 47.360,21 an Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 16. Dezember 1998 bis 31. Jänner 1999 (S 28.062,66) Urlaubsentschädigung (Urlaubsabfindung) für 11 Tage (S 9.444,16) und nicht bezahltes Überstundenentgelt (S 9.823,39) in Anspruch genommen. Am 17. Mai 1999 schlossen der Beschwerdeführer und Ines E. in diesem Verfahren einen Vergleich mit folgendem Text (Schreibweise wie im Original):

"1. Der (Beschwerdeführer) verpflichtet sich, der (Ines E.) binnen 14 Tagen nach Rechtskraft dieses Vergleiches zu Handen des Klagsanwaltes den Betrag von netto S 17.500,-- als freiwillige Abgabensentschädigung zu bezahlen sowie die mit

S 1.455,-- verglichenen Prozesskosten (halbe Pauschalgebühr) zu ersetzen.

2. Dieser Vergleich wird rechtswirksam, wenn er nicht spätestens bis zum 2.6.1999 widerrufen, wobei für die Rechtzeitig des Widerrufes das Postaufgabedatum genügt.

3. Für den Fall des Verzuges verpflichtet sich (der Beschwerdeführer) den aushaftenden Betrag mit 8 % per anno zu verzinsen.

4. Damit sind sämtliche gegenseitigen Forderungen und Ansprüche aus dem Dienstverhältnis ausgeglichen."

Mit Aktenvermerk des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. Juni 1999 wurde festgehalten, dass kein Vergleichswiderruf eingelangt ist.

Nachdem eine Ausfertigung des Vergleiches der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zugestellt worden war, nahm diese beim Beschwerdeführer eine Beitragsprüfung über den Zeitraum 1. bis 15. Dezember 1998 vor. Mit dem auf Antrag des Beschwerdeführers erlassenen Bescheid vom 6. Dezember 1999 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Beschwerdeführer als Dienstgeber, den Betrag von S 6.877,50 zu bezahlen. In der Begründung wurde dazu ausgeführt, der Beschwerdeführer habe die auf Grund des gerichtlichen Vergleiches bezahlte freiwillige Abgangsentschädigung nicht in die Beitragsrechnung aufgenommen, weil er die Ansicht vertrete, derartige Zahlungen zählten nicht zum sozialversicherungspflichtigen Entgelt. Nach ständiger Judikatur sei jedoch der Wortlaut eines Vergleiches für die Beurteilung des Fortbestandes der Pflichtversicherung und die Beitragsberechnung insoweit unmaßgeblich, als beitragspflichtige Entgelte zur Beitragsvermeidung fälschlich als beitragsfreie Lohnbestandteile oder sonstige nicht der Beitragspflicht unterliegende Ansprüche des Dienstnehmers bezeichnet würden. Derartige der Beitragsvermeidung dienende Fehlbezeichnungen seien schon deshalb unwirksam, weil § 11 Abs. 2 ASVG nur die Nichtberücksichtigung von gemäß § 49 ASVG nicht zum Entgelt gehörenden Bezüge erlaube. Es komme daher nicht darauf an, welche Bezeichnung die Parteien im Vergleich wählen, sondern darauf, ob die Voraussetzungen für die Beitragsfreiheit tatsächlich vorlägen. Soweit die Feststellungen der Beitragsfreiheit hinsichtlich eines bestimmten Betrages nicht möglich seien, liege im Zweifel jedenfalls beitragspflichtiges Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG vor. Da im vorliegenden Fall ausschließlich beitragspflichtige Entgeltbestandteile im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG eingeklagt worden seien, stelle der Vergleichsbetrag ebenfalls beitragspflichtiges Entgelt dar und sei im Verhältnis des Klagebegehrens aufzuteilen gewesen. In der Beitragsrechnung und im Prüfungsprotokoll, die integrierende Bestandteile des Bescheides seien, sei der nachzuzahlende Betrag nachvollziehbar dargestellt.

Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. Darin führte er aus, die ehemalige Dienstnehmerin Ines E. habe einen für sie aussichtslosen Prozess gegen ihn anhängig gemacht. Er sei daher mit dem Umstand konfrontiert gewesen, dass die Dienstnehmerin ihm mit diesem Prozess eine Unmenge Arbeit bereite. Vor diesem Hintergrund sei es für ihn auf der Hand gelegen, der Dienstnehmerin eine freiwillige Abgangsentschädigung zuzugestehen, um sich den unbezahlten Zeitaufwand für sich und seine Angestellten und den Ärger vor Gericht zu ersparen. Mit der im gerichtlichen Vergleich vereinbarten freiwilligen Abgangsentschädigung habe er seiner ehemaligen Dienstnehmerin den Ärger und den nicht ersetzbaren Aufwand aus dem Arbeitsgerichtsprozess abgekauft, während sie ihre mutwillig behaupteten Ansprüche fallen gelassen habe. Er habe der ehemaligen Dienstnehmerin weder eine Kündigungsentschädigung noch eine Urlaubsentschädigung bezahlt, weil er sie aus wichtigem Grund entlassen habe. Da Ines E. keine Überstunden geleistet habe, habe sie auch keinen Anspruch auf Überstundenentgelt gehabt. Er sei nur bereit gewesen, eine freiwillige Abgangsentschädigung zu bezahlen. Grundlage für die Höhe dieser Abgangsentschädigung seien lediglich die ihm durch den Arbeitsgerichtsprozess drohenden Alternativkosten gewesen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch als unbegründet ab. Nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens führte die belangte Behörde im Erwägungsteil der Begründung zum unstrittigen Sachverhalt aus, eine Aufschlüsselung des im Vergleich festgelegten Betrages sei nicht vereinbart worden. Eine Zuordnung der vereinbarten Pauschalsumme zu bestimmten Zeiträumen sei daher nicht möglich. Bei allen mit der Klage geltend gemachten Ansprüchen handle es sich um beitragspflichtiges Entgelt. Selbst wenn die Parteien den im Vergleich ausgehandelten Betrag als freiwillige Abgangsentschädigung bezeichnen und keine Aufschlüsselung über die Zusammensetzung des Betrages vornehmen, handle es sich doch um eine Einigung über die eingeklagten Beträge. Es sei daher von einer Beitragspflicht für den vereinbarten Vergleichsbetrag auszugehen. Der Wortlaut des Vergleiches sei unmaßgeblich, es liege keine freiwillige Abgangsentschädigung vor. Der Auffassung des Beschwerdeführers, Ines E. habe die nur mutwillig erhobenen Ansprüche fallen gelassen und er habe ihr dafür die freiwillige Abgangsentschädigung bezahlt, könne nicht gefolgt werden. Mit dem Punkt 4. des Vergleiches sollte sichergestellt werden, dass auf alle nicht im Rahmen eines Vergleiches ausdrücklich genannten Ansprüche verzichtet werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Der Beschwerdeführer hält seinen im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Standpunkt aufrecht, bei der im Vergleich vereinbarten freiwilligen Abgangsentschädigung handle es sich um einen gemäß § 49 Abs. 3 Z. 7 ASVG nicht zum Entgelt gehörenden Bezug.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 49 Abs. 6 ASVG sind die Versicherungsträger und die Behörden an rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte, in denen Entgeltansprüche des Dienstnehmers (Lehrlings) festgestellt werden, gebunden. Dieser Bindung steht die Rechtskraft der Beitragsvorschreibung nicht entgegen. Die Gerichte erster Instanz haben eine Ausfertigung der rechtskräftigen Entscheidungen über Entgeltansprüche von Dienstnehmern (Lehrlingen) binnen vier Wochen ab Rechtskraft an die Gebietskrankenkasse jenes Landes zu übersenden, in dem der Sitz des Gerichtes liegt; Gleiches gilt für gerichtliche Vergleiche über die genannten Ansprüche.

Wird ein gerichtlicher oder außergerichtlicher Vergleich über den dem Dienstnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses gebührenden Arbeitslohn oder Gehalt abgeschlossen, so verlängert sich nach dem ersten Satz des § 11 Abs. 2 ASVG die Pflichtversicherung um den Zeitraum, der durch den Vergleichsbetrag (Pauschbetrag) nach Ausscheidung allfälliger, gemäß § 49 ASVG nicht zum Entgelt im Sinne des Bundesgesetzes gehörender Bezüge, gemessen an den vor dem Austritt aus der Beschäftigung gebührenden Bezügen, gedeckt ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 23. April 2003, 2000/08/0045, m. w.N.) dargelegt, dass die Behörden bei der Feststellung der sich aus einer vergleichsweisen Vereinbarung ergebenden Ansprüche des Arbeitnehmers an den Wortlaut dieser Vereinbarung insoweit nicht gebunden sind, als Entgeltansprüche im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG allenfalls fälschlich als beitragsfreie Lohnbestandteile im Sinne des § 49 Abs. 3 ASVG deklariert wurden. Derartige der Beitragsvermeidung dienende Fehlbezeichnungen sind schon deshalb unwirksam, weil § 11 Abs. 2 ASVG nur die Nichtberücksichtigung von gemäß § 49 nicht zum Entgelt gehörenden Bezügen erlaubt. Es kommt daher nicht darauf an, welche Bezeichnung die Parteien im Vergleich wählen, sondern nur darauf, ob die Voraussetzungen für die Beitragsfreiheit tatsächlich vorliegen. Soweit die Feststellung der Beitragsfreiheit hinsichtlich eines bestimmten Betrages nicht möglich ist, liegt im Zweifel jedenfalls beitragspflichtiges Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG vor. Wenn und insoweit aber die nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses noch offenen (strittigen) Ansprüche eines Arbeitnehmers tatsächlich teils aus beitragspflichtigen, teils aus beitragsfreien Entgeltbestandteilen bestehen, sind die Parteien eines darüber abgeschlossenen Vergleiches durch keine Rechtsnorm dazu verpflichtet, etwa die Anerkennung der beitragspflichtigen und nicht der beitragsfreien Ansprüche zu vereinbaren. Die Vertragsparteien sind vielmehr in der Disposition über diese Ansprüche insoweit frei, als durchaus die Leistung der beitragsfreien Ansprüche vereinbart und auf die beitragspflichtigen Gehaltsbestandteile verzichtet werden kann. In einer aus Anlass der (strittigen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffenen abschließenden Regelung können die Parteien des Arbeitsverhältnisses sowohl die Art seiner Beendigung vereinbaren als auch sich über an sich unverzichtbare Ansprüche vergleichen. Eine Grenze fände diese Dispositionsbefugnis jedoch, wenn etwa ein höherer Betrag an beitragsfreien Ansprüchen verglichen worden wäre, als gemessen an den Voraussetzungen des § 49 Abs. 3 ASVG tatsächlich zustünde.

Die belangte Behörde hatte nach diesen Grundsätzen den gegenständlichen Vergleich beitragsrechtlich zu bewerten.

Der Beschwerdeführer sieht den Vergleichsbetrag als eine beitragsfreie Abgangsentschädigung im Sinne des § 49 Abs. 3 Z. 7 ASVG an.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Nach § 49 Abs. 3 Z. 7 ASVG gelten Vergütungen, die aus Anlass der Beendigung des Dienst(lehr)verhältnisses gewährt werden, wie z.B. Abfertigungen, Abgangsentschädigungen und Übergangsgelder, nicht als Entgelt im Sinne des Abs. 1 und 2 des § 49 leg. cit. Wesentlich für die Beitragsfreiheit derartiger Vergütungen ist, dass sie aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses gewährt werden, also die Beendigung des Dienstverhältnisses das anspruchsauslösende Moment ist (vgl. auch hiezu das oben zitierte Erkenntnis vom 23. April 2003). Danach ist für eine Abgangsentschädigung charakteristisch, dass sie dafür gewährt wird, dass ein Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis scheidet oder von einer weiteren Prozessführung betreffend Fortbestehen des Dienstverhältnisses absieht. Davon kann aber hier keine Rede sein. Die dem Vergleich zu Grunde liegende Klage war nicht auf das Fortbestehen des Dienstverhältnisses an sich gerichtet, sondern ausschließlich auf Entgeltfortzahlung und auf Ansprüche aus der Beendigung des Dienstverhältnisses auf Grund einer behaupteten Rechtswidrigkeit dieser Beendigung des Dienstverhältnisses durch ungerechtfertigte Entlassung. Mit dem Beschwerdevorbringen, mit diesem Vergleich habe sich der Beschwerdeführer nur den mit der Prozessführung verbundenen Ärger und Aufwand ersparen wollen, wird zwar das Motiv für den Vergleichsabschluss genannt. Dieses Motiv wird - neben jenem der Unsicherheit des Prozessausganges - freilich häufig der Beweggrund zum Abschluss eines Vergleiches sein; ein solcher Beweggrund ändert aber nichts daran, dass nur die strittigen Entgeltansprüche Gegenstand des Vergleiches gewesen sein konnten, wie immer jener Geldbetrag bezeichnet wird, gegen dessen Zahlung sich Ines E. zum vergleichsweisen Verzicht auf die eingeklagten Ansprüche bereit gefunden hat. Gemessen an den strittigen Ansprüchen erweist sich daher die Bezeichnung der Vergleichssumme als "Abgangsentschädigung" als irrelevant. Die belangte Behörde hat die Beitragspflicht für diese Vergleichssumme zu Recht an Hand jener Ansprüche beurteilt, die Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gewesen sind.

Im Übrigen hat die belangte Behörde die Vergleichssumme entgegen der Bestimmung des § 11 Abs. 2 ASVG dem Beitragszeitraum Dezember 1998 zugeordnet. Ob der Beschwerdeführer dadurch in seinen Rechten verletzt wurde, ist jedoch nicht zu prüfen, weil die Frage der Zuordnung des beitragspflichtigen Entgelts zu einem bestimmten Beitragszeitraum vom Beschwerdepunkt nicht umfasst ist.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Der nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen mitbeteiligten Gebietskrankenkasse steht ein Schriftsatzaufwand nicht zu (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 1999, 97/08/0095).

Wien, am 14. Mai 2003

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