VwGH 2000/08/0015

VwGH2000/08/001514.5.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Dr. N, Rechtsanwalt in G, als Masseverwalter im Konkurs der S Gesellschaft mbH in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 9. Dezember 1999, Zl. 5-s26n51/10-1999, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei:

Steiermärkische Gebietskrankenkasse in 8010 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1. Aus dem zur Zl. 95/08/0228 protokollierten hg. Beschwerdeverfahren ergibt sich folgender wesentlicher Sachverhalt:

Mit Bescheid vom 26. Jänner 1994 hat die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse gemäß § 410 Abs. 1 Z. 1 und 7 ASVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 leg. cit. sowie gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG ausgesprochen, dass die in der zur Dienstgeberkontonummer der S. GmbH (im Folgenden: Gemeinschuldnerin) ergangenen Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 25. Februar 1992 angeführten Dienstnehmer in den dort bezeichneten Zeiten auf Grund ihrer Beschäftigung bei der Gemeinschuldnerin der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht unterlagen. Gleichzeitig ist gemäß den §§ 44 Abs. 1 Z. 1, 49 Abs. 1 und 2 sowie 54 ASVG die Gemeinschuldnerin verpflichtet worden, die in der Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 25. Februar 1992 angeführten allgemeinen Beiträge, Sonderbeiträge, Umlagen und Zuschläge nach den dort ausgewiesenen Beitragsgrundlagen für die oben genannten Dienstnehmer nachzuentrichten. Die Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 25. Februar 1992 hat einen Bestandteil des Bescheides gebildet.

Die belangte Behörde hat mit ihrem Bescheid vom 20. Juni 1995 dem Einspruch des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und den Kassenbescheid vollinhaltlich bestätigt.

2.a) Der Beschwerdeführer hat gegen diesen Bescheid, soweit er die Beitragsnachverrechnung betroffen hat, Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, hinsichtlich des Ausspruches über die Versicherungspflicht hingegen Berufung erhoben.

Die Beschwerde wurde mit Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 95/08/0228, als unbegründet abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis ausgeführt, die Anfechtung eines Beitragsbescheides ausschließlich aus dem Grunde der behauptetermaßen mangelnden Versicherungspflicht sei grundsätzlich zulässig, weil die Versicherungspflicht als notwendige Voraussetzung der Beitragspflicht im Beitragsverfahren eine Vorfrage im Sinne der §§ 38 und 69 Abs. 1 Z. 3 AVG darstelle und die gesetzwidrige Beurteilung einer Vorfrage die Rechtswidrigkeit der darauf gestützten Entscheidung der Hauptfrage zur Folge hätte. Unter Hinweis auf seine Judikatur hat der Verwaltungsgerichtshof weiters ausgesprochen, dass die Einspruchsbehörde bei der Entscheidung über die Beitragspflicht an ihre eigene Entscheidung über die Versicherungspflicht (selbst wenn diese noch nicht rechtskräftig sei) gebunden sei. Zum Einspruchsvorbringen hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, die Einwände der Beschwerde, die Beschäftigten hätten als Volonteure keinen Anspruch auf Entgelt gehabt, sondern lediglich Taschengeld bekommen, betreffe nicht die Entscheidung der belangten Behörde über die Beitragspflicht, sondern ausschließlich ein Sachverhaltselement der Versicherungspflicht. Da aber die belangte Behörde an ihren Abspruch über die Versicherungspflicht gebunden sei, sei es auch nicht rechtswidrig, wenn sie der Entscheidung über die Beitragspflicht den Bestand der Versicherungspflicht und damit die Entgeltlichkeit der Beschäftigungsverhältnisse zu Grunde gelegt habe. Ob die belangte Behörde die Versicherungspflicht zu Recht festgestellt habe oder ob - wie der Beschwerdeführer behauptet habe - die Entgeltlichkeit der in Rede stehenden Beschäftigungsverhältnisse zu verneinen sei, werde im Berufungsverfahren betreffend die Versicherungspflicht zu erörtern sein. Unter Zugrundelegung des Bestehens der Versicherungspflicht habe die belangte Behörde der Beurteilung der Beitragspflicht zu Recht die kollektivvertraglichen Mindestentgelte zu Grunde gelegt.

2.b) Der gegen den Bescheid vom 20. Juni 1995 erhobenen Berufung wurde Folge gegeben: Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat mit Bescheid vom 11. Mai 1998 in Abänderung des Einspruchsbescheides festgestellt, dass der Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 26. Jänner 1994 mit der Maßgabe behoben werde, dass in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise festzustellen sei, auf welche Arbeitnehmer und auf welchen Zeitraum sich die Beurteilung der Frage der Versicherungspflicht beziehe.

3. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat daraufhin mit Bescheid vom 14. Juli 1998 in Punkt I. gemäß § 410 Abs. 1 Z. 2 i. V.m. § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG sowie gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG ausgesprochen, dass folgende Personen auf Grund ihrer Tätigkeit als Bauhilfsarbeiter für die Gemeinschuldnerin der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegen (es folgt eine Anführung von Personen nach Vor- und Zunamen sowie Geburtsdatum und die Angabe bestimmter Zeiträume). Im Punkt II. dieses Bescheides hat die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse gemäß § 44 Abs. 1 und 49 Abs. 1 ASVG ausgesprochen, dass die Gemeinschuldnerin verpflichtet sei, für die im Spruchpunkt I genannten Dienstnehmer die in der Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 25. Februar 1992 zum Dienstgeberkontonummer jeweils ausgewiesenen allgemeinen Beiträge, Nebenumlagen, Sonderbeiträge und Zuschläge nach den jeweils angeführten Beitragsgrundlagen und für die jeweils näher bezeichneten Zeiten im Betrage von insgesamt

S 821.301,76 nachzuentrichten. Die Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 25. Februar 1992 bilde einen Bestandteil des Bescheides.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hat die Einspruchsbehörde dem Einspruch des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und den bekämpften Kassenbescheid vollinhaltlich bestätigt. In der Begründung dieses Bescheides ist zunächst das Verwaltungsgeschehen dargestellt und die bezughabenden Gesetzesstellen auszugsweise wiedergegeben worden. Sodann hat der Landeshauptmann ausgeführt, dem Einwand des Beschwerdeführers, die Angelegenheit sei bereits verjährt, könne nicht gefolgt werden. Am 25. Februar 1992 sei die Beitragsnachverrechnungsanzeige erstellt worden. Dieses Verfahren sei nach wie vor anhängig, die Verjährung sei daher gehemmt. Selbst wenn man im vorliegenden Fall von der dreijährigen Verjährungsfrist ausgehe - gerechtfertigt wäre zweifelsohne auch die fünfjährige Verjährungsfrist - so wäre das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen erst für Zeiträume verjährt, die vor dem Februar 1989 lägen. Aus dem Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gehe doch eindeutig hervor, dass ausschließlich jene Zeiten nachversichert und damit der Beitragspflicht unterworfen worden seien, welche nach dem Jänner 1989 liegen. Nach § 68 Abs. 1 ASVG sei die Verjährung gehemmt, solange ein Verfahren in Verwaltungssachen, auch vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, über das Bestehen der Pflichtversicherung oder die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen anhängig sei.

Zum Einwand des Beschwerdeführers, bei den im Spruch genannten Personen handle es sich nicht um Dienstnehmer, sondern um Volonteure, hat die Einspruchsbehörde wie folgt ausgeführt:

Personen, die ausschließlich zum Zweck der Erweiterung und Anwendung von Kenntnissen und zum Erwerb von Fertigkeiten für die Praxis ohne Arbeitspflicht und ohne Entgeltanspruch bis zu 3 Monaten beschäftigt seien, seien als Volonteure zu qualifizieren. Im vorliegenden Fall seien die meisten der genannten Personen weit mehr als drei Monate, in vielen Fällen sogar mehr als ein Jahr tätig gewesen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass im "Baubereich" die Aneignung von spezifischen Kenntnissen und Fertigkeiten eine gewisse Zeit in Anspruch nehme, so sei die Notwendigkeit einer Beschäftigung über teilweise mehr als ein Jahr hinweg nicht gerechtfertigt. Die Gemeinschuldnerin habe bei Einstellung der Dienstnehmer keinen Unterschied gemacht, ob die betreffenden Personen - Fremde im Sinne des Fremdengesetzes - Vorkenntnisse in der Baubranche besessen haben. Nach den Anmeldungen bei der allgemeinen Unfallversicherungsanstalt seien nicht nur Maurer, Schlosser und Elektriker, sondern auch Schuster, Coiffeure, Schüler und Studenten als Volonteure beschäftigt worden. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe hinsichtlich vier dieser ausländischen Dienstnehmer mit gesonderten Bescheiden vom 26. Juni 1989 die Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht ausgesprochen. Die angemeldeten Ausländer hätten Bauhilfsarbeiten von wirtschaftlichem Wert in der üblichen Arbeitszeit verrichtet. Sie hätten im Rahmen ihrer Tätigkeit Anweisungen, jedoch keine für das Volontariat typischen besonderen Unterweisungen erhalten. Es sei ihnen kein freiwilliges Taschengeld, sondern eine vereinbarte Entlohnung gewährt worden. Zusammenfassend gesehen seien sämtliche Merkmale der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit und damit der Dienstnehmereigenschaft gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG vorgelegen. Zur Entlohnung dieser Bauhilfsarbeiten sei noch auszuführen, dass diese weit unter den kollektivvertraglichen Ansätzen gelegen sei, aber nicht weil ihr lediglich Taschengeldcharakter zugekommen wäre, sondern weil sich diese ausländischen Arbeitnehmer bereit erklärt hätten, gegen diese äußerst niedrige Bezahlung zu arbeiten.

4. Mit der vorliegenden Beschwerde bekämpft der Beschwerdeführer den Abspruch über die Beitragsnachverrechnung. Sowohl unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, es sei Verjährung eingetreten, es könne weder von einer Hemmung noch von einer Unterbrechung der Verjährungsfrist ausgegangen werden. Hätte die belangte Behörde zwei namhaft gemachte Personen einvernommen, hätte sie grundlegende sachdienliche Aufklärung erhalten. Die belangte Behörde habe die Höhe der Entlohnung den einschlägigen kollektivvertraglichen Bestimmungen entnommen. Dies entspreche nicht den tatsächlich erfolgten Zahlungen, welche als Berechnung bzw. Bemessung der Beitragsgrundlage heranzuziehen seien. Bereits im Einspruchsverfahren sei darauf hingewiesen worden, dass mangels Entgeltanspruches der Volonteure die Zahlung durch die Gemeinschuldnerin lediglich in Form eines Taschengeldes als freiwillige Gratifikation geleistet worden sei.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit Kassenbescheid vom 26. Jänner 1994 ist die Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht bestimmter Dienstnehmer auf Grund ihrer Beschäftigung bei der Gemeinschuldnerin festgestellt und gleichzeitig die Gemeinschuldnerin verpflichtet worden, die in der Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 25. Februar 1992 angeführten allgemeinen Beiträge, Sonderbeiträge, Umlagen und Zuschläge nach den dort ausgewiesenen Beitragsgrundlagen für die dort genannten Dienstnehmer und die jeweils näher bezeichneten Zeiten nachzuentrichten. Der Einspruch des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid wurde mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 20. Juni 1995 abgewiesen. Da auch die vom Beschwerdeführer gegen diese Beitragsnachverrechnung erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen worden ist, entfaltet der Bescheid der belangten Behörde vom 20. Juni 1995 betreffend die Beitragsnachverrechnung die Wirkung, dass die mit ihm erledigte Sache (vorbehaltlich insbesondere einer Wiederaufnahme des Verfahrens) nicht neuerlich entschieden werden kann.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 95/08/0228, die Parteien des Verfahrens darauf hingewiesen, dass eine allfällige Verneinung der Versicherungspflicht im Wege des Berufungsverfahrens Anlass geben kann, das Beitragsverfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG wiederaufzunehmen.

Auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers wurde zwar der Ausspruch über die Versicherungspflicht aufgehoben, eine Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Beitragsnachverrechnung ist jedoch nicht aktenkundig und ist auch nicht behauptet worden. Damit war es aber der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse verwehrt, in ihrem Bescheid vom 14. Juli 1998 neuerlich über die Beitragsnachverrechnung auf Grund der Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 25. Februar 1992 abzusprechen. Sie hat mit ihrem Bescheid vom 14. Juli 1998 somit in einer schon entschiedenen Sache nochmals eine Sachentscheidung getroffen. Dieser Bescheid ist daher inhaltlich rechtswidrig (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 20. Juni 1985, Zl. 84/08/0099, und vom 27. Februar 1990, Zl. 89/08/0200). Die belangte Behörde hätte diese Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides wahrnehmen und auf Grund des Einspruches des Beschwerdeführers den erstinstanzlichen Bescheid vom 14. Juli 1998 ersatzlos beheben müssen. Da sie dies unterlassen hat, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Ein Ersatz der Stempelgebühren konnte im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG nicht zugesprochen werden.

Wien, am 14. Mai 2003

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