VfGH V73/2024

VfGHV73/20243.10.2024

Aufhebung von Teilen eines Flächenwidmungsplans der Landeshauptstadt Graz, soweit damit die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung für ein bestimmtes Grundstück vorgeschrieben wird; Verletzung der Verpflichtung zur Erlassung eines Bebauungsplans binnen 18 Monaten durch den Gemeinderat gemäß dem Flächenwidmungsplan; Beendigung eines Verfahrens zur Erstellung oder Änderung von Bebauungsplänen nur durch Erlassung – nicht durch Verweigerung – eines Bebauungsplanes; langjährige Nichterlassung des Bebauungsplans stellt effektives Bauverbot und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkung dar

Normen

B-VG Art139 Abs1 Z1
StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
Stmk RaumOG 2010 §9 , §26, §40
Flächenwidmungsplan 4.0 der Landeshauptstadt Graz §4, Deckplan1
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2024:V73.2024

 

Spruch:

I. §4 iVm Deckplan 1 (Bebauungsplanzonierungsplan) des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz, Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz Nr 04/2018, wird, soweit damit für die Grundstücke Nr 508/7, 509 und 510/1, EZ217, KG 63102 St. Leonhard, die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung vorgesehen wird, als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Steiermark verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, der Verfassungsgerichtshof möge "§4 iVm Deckplan 1 (Bebauungsplanzonierungsplan) des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz, Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz 04/2018, soweit damit für die Grundstücke Nr 508/7, 509 und 510/1, EZ217, KG 63102 St. Leonhard, die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung vorgesehen wird," als gesetzwidrig aufheben.

II. Rechtslage

1. Die §§5 und 19 des Steiermärkischen Baugesetzes – Stmk BauG, LGBl 59/1995, idF LGBl 117/2016 lauteten auszugsweise (ohne Hervorhebungen im Original):

"§5

Bauplatzeignung

 

(1) Eine Grundstücksfläche ist als Bauplatz für die vorgesehene Bebauung geeignet, wenn

1. eine Bebauung nach dem Steiermärkischen Raumordnungsgesetz zulässig ist,

2. – 6. […]

 

(2) […]

 

[…]

 

 

 

 

§19

Baubewilligungspflichtige Vorhaben

 

Bewilligungspflichtig sind folgende Vorhaben, sofern sich aus den §§20 und 21 nichts anderes ergibt:

1. Neu-, Zu- oder Umbauten von baulichen Anlagen sowie größere Renovierungen (§4 Z34a)

2. Nutzungsänderungen, die auf die Festigkeit, den Brandschutz, die Hygiene, die Sicherheit von baulichen Anlagen oder deren Teilen von Einfluss sein können oder die Nachbarrechte berühren oder wenn Bestimmungen des jeweils geltenden

Raumordnungsgesetzes, des Flächenwidmungsplanes oder des Bebauungsplanes

berührt werden können

3. die Errichtung, Änderung oder Erweiterung von Abstellflächen für Kraftfahrzeuge, Garagen und Nebenanlagen;

4. Einfriedungen gegen Nachbargrundstücke oder öffentliche Verkehrsflächen sowie Stützmauern, jeweils ab einer Höhe von mehr als 1,5 m

5. Veränderungen des natürlichen Geländes von nach dem Flächenwidmungsplan im Bauland gelegenen Grundflächen sowie von im Freiland gelegenen Grundflächen, die an das Bauland angrenzen

6. die länger als drei Tage dauernde Aufstellung von Fahrzeugen und anderen transportablen Einrichtungen, die zum Aufenthalt oder Nächtigen von Personen geeignet sind, wie insbesondere Wohnwagen, Mobilheime und Wohncontainer, außerhalb von öffentlichen Verkehrsflächen, Abstellflächen oder Garagen;

7. der Abbruch von Gebäuden, ausgenommen Nebengebäude;

8. Projekte gemäß §22 Abs6."

 

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 2010 – StROG, LGBl 49/2010, idF LGBl 73/2023 lauten auszugsweise (ohne Hervorhebungen im Original):

"§26

Inhalt des Flächenwidmungsplans

 

(1) Der Flächenwidmungsplan hat das gesamte Gemeindegebiet räumlich zu gliedern und die Nutzungsart für alle Flächen entsprechend den räumlich-funktionellen Erfordernissen festzulegen. Dabei sind folgende Nutzungsarten vorzusehen:

 

1. Bauland,

2. Verkehrsflächen,

3. Freiland.

[…]

 

(2) – (3) […]

 

(4) Im Flächenwidmungsplan hat die Gemeinde jene Teile des Baulandes und jene Sondernutzungen im Freiland sowie jene Verkehrsflächen festzulegen, für die durch Verordnung Bebauungspläne zu erlassen sind (Bebauungsplanzonierung). Die Festlegungen sind bei der nächsten regelmäßigen Revision oder Änderung des Flächenwidmungsplanes im Flächenwidmungsplan zu treffen. Die Gemeinde kann überdies in der Bebauungsplanzonierung festlegen, dass bestimmte bauliche Anlagen bereits vor dem Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplanes baurechtlich bewilligt werden dürfen, wenn sich diese in die umgebende Bebauung einfügen, der Ensemblekomplettierung dienen und im Einklang mit den mit der Bebauungsplanung verfolgten Zielsetzungen stehen. Dazu sind Festlegungen hinsichtlich Lage, Größe, Höhe, Gestaltung und Funktion zu treffen. Bei jeder weiteren Fortführung oder Änderung des Flächenwidmungsplanes sind die Bebauungsplanzonierung sowie der Inhalt der Festlegungen zu überprüfen.

 

(5) – (8) […]

 

[…]

 

§40

Bebauungsplanung

 

(1) Jede Gemeinde hat zur Umsetzung der im Flächenwidmungsplan festgelegten Bebauungsplanzonierung durch Verordnung Bebauungspläne zu erstellen und fortzuführen. Der Bebauungsplan besteht aus einer zeichnerischen Darstellung und einem Verordnungswortlaut. Zur Begründung ist ein Erläuterungsbericht zu erstellen.

 

(2) Mit der Bebauungsplanung ist eine den Raumordnungsgrundsätzen entsprechende Entwicklung der Struktur und Gestaltung des im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Baulandes und des Freilandes (Sondernutzungen) anzustreben.

 

(3) […]

 

(4) Die Erlassung von Bebauungsplänen hat jedenfalls zu erfolgen:

1. Nach einer Änderung des Flächenwidmungsplanes zur Vermeidung oder Behebung von Widersprüchen zu übergeordneten Planungen der Gemeinde, zumindest im Anlassfall.

2. Zur Errichtung von Einkaufszentren. Ein begründeter Entfall ist bei bereits abgeschlossen bebauten Gebieten zulässig, wenn keine wesentliche Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes und der Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind. Die Aufstellung oder Fortführung eines Bebauungsplanes ist auch Voraussetzung für Änderungen an einem Einkaufszentrum, die eine Baubewilligung erfordern und auf den Flächenwidmungsplan und den Zweck der Bebauungsplanung von Einfluss sind. In der Bebauungsplanung sind unter anderem die gesetzlichen Regelungen für Einkaufszentren in Verbindung mit den Bestimmungen der Einkaufszentrenverordnung umzusetzen.

3. In einem Landschaftsschutzgebiet gemäß den naturschutzrechtlichen Bestimmungen, wenn die als Bauland, Sondernutzungen im Freiland sowie Verkehrsflächen ausgewiesenen, zusammenhängend unbebauten Grundflächen 3 000 m2 übersteigen, sofern kein räumliches Leitbild gemäß §22 Abs7 erlassen wurde.

4. Beim Erfordernis einer Grundumlegung.

5. Für Flächen, die nach den forstrechtlichen und wasserrechtlichen Bestimmungen als Gefahrenzonen ausgewiesen sind, wenn die als Bauland, Sondernutzungen im Freiland sowie Verkehrsflächen ausgewiesenen, zusammenhängend unbebauten Grundflächen 3 000 m² übersteigen.

 

(5) – (7) […]

 

(8) Für die Teile des Baulandes und jene Sondernutzungen im Freiland, für die gemäß §26 Abs4 Bebauungspläne zu erlassen sind, haben die Gemeinden spätestens im Anlassfall (z. B. Ansuchen um Erstellung eines Bebauungsplanes nach erfolgter Abklärung aller Vorfragen) Bebauungspläne zu erstellen. Dabei ist das Verfahren zur Erstellung oder Änderung der Bebauungspläne unverzüglich nach Eintreten des Anlassfalles einzuleiten und spätestens innerhalb von 18 Monaten abzuschließen. Baubewilligungen nach dem Steiermärkischen Baugesetz dürfen erst nach Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplanes erteilt werden. Für Zubauten sowie für bauliche Anlagen, die entsprechend einer Festlegung im Flächenwidmungsplan gemäß §26 Abs4 vor der Erlassung eines Bebauungsplanes baurechtlich bewilligt werden dürfen, ist ein Gutachten eines Sachverständigen auf dem Gebiet der Raumplanung ausreichend.

 

§41

Inhalt der Bebauungsplanung

 

(1) In den Bebauungsplänen sind jedenfalls ersichtlich zu machen und festzulegen (Mindestinhalt):

1. Ersichtlichmachungen:

a) – d) […]

2. Festlegungen:

a) Geltungsbereich: Abgrenzung des Planungsgebietes, Abgrenzung von Teilbereichen mit unterschiedlichen Festlegungen;

b) Verkehrsflächen der Gemeinde: Straßenfluchtlinien, Abgrenzung der öffentlichen Verkehrsfläche;

c) Regelungen für den ruhenden Verkehr: Grundsätze zur Art und Lage der Abstellflächen;

d) Freiflächen und Grünanlagen: Grundsätze zur Nutzung und Gestaltung;

e) private Verkehrsflächen: Grundsätze zur inneren Erschließung;

f) Bebauungsweise: offen, gekuppelt, geschlossen;

g) Höhenentwicklung der Gebäude: Maximalwerte zur Gesamthöhe von Gebäuden und/oder zu Gebäudehöhen;

h) Mindestabstand zu öffentlichen Verkehrsflächen;

i) bauliche Ausnutzbarkeit der Grundflächen: Erhöhung oder Verringerung der im Flächenwidmungsplan angegebenen Grenzwerte der Bebauungsdichte, Festlegung des Bebauungsgrades und des Grades der Bodenversiegelung.

 

(2) In den Bebauungsplänen können folgende zusätzliche Inhalte (fließend bis Maximalinhalt) festgelegt werden:

1. Verkehrsflächen der Gemeinde und private Verkehrsflächen: Höhenlage und Profile der Verkehrsflächen, Überbaubarkeit von Verkehrsflächen, differenzierte Verkehrsfunktionen, Grundstückszufahrten, Grundsätze zur Grünausstattung, zur Oberflächengestaltung und Beleuchtung, Abtretungsflächen, Festlegung der inneren Erschließung, Durchlässigkeit (auch für Fuß- und Radwege, Durchgänge, Passagen, Arkaden und dergleichen);

2. öffentlicher Verkehr: Vorkehrungen für den öffentlichen Verkehr;

3. Regelungen für den ruhenden Verkehr: Reduktion oder Erhöhung der Anforderungen, Detailangaben zur Gestaltung und Grünausstattung von Parkplätzen, zu Einfahrten in Tiefgaragen usw;

4. Detailfestlegungen zu Erschließungssystemen;

5. Nutzung der Gebäude: Verteilung der Nutzungen im Sinn der jeweiligen Baugebietskategorie (in Teilbereichen, in Gebäuden, in Geschoßen), Anzahl der Wohnungen oder Anteil der Wohnnutzflächen, Anteil der Betriebsflächen, Angaben zur Raumhöhe, Anzahl der Abstellflächen pro Wohneinheit;

6. Höhenentwicklung der Gebäude: Detailangaben zu Gebäudehöhen, Geschoßanzahlen, Geschoßhöhen in Abhängigkeit von Nutzungen; Maximal- und Mindesthöhen, Höhenlage der Gebäude (Niveau Erdgeschoß Fußboden);

7. Lage der Gebäude, nicht bebaubare Flächen, Stellung der Gebäude: Festlegung von Baugrenzlinien, Baufluchtlinien, der Längsrichtung, Firstrichtung, Gebäudetiefe usw, Differenzierung nach Geschoßebenen und Grundstücksgrenzen;

8. Grün- und Freiflächen: Detaillierte Festlegung der Nutzungen, Oberflächen – und Geländegestaltung, Erhaltungs- und Pflanzgebote, Grünflächenfaktor, lebende Zäune, Höfe, Kinderspielplätze und dergleichen;

9. Gestaltung von Gebäuden und Anlagen: Proportionen der Baukörper, Dachformen, Materialien, Farben, Oberflächenbehandlung, Stützmauern, Beläge von Terrassen, Spielplätze;

10. Umweltschutz (Lärm, Kleinklima, Beheizung, Oberflächenentwässerung und dergleichen): Maßnahmen an Gebäuden, an Verkehrs- und Betriebsflächen und Grundstücken und zum Schutz vor Naturgefahren;

11. Ver- und Entsorgung: Trassen der Ver- und Entsorgung, Abfall- und Altstoffsammelzentren;

12. Einfriedungen und Werbeanlagen: Vorschriften über Höhe, Ausbildung, Materialien, Beleuchtung;

13.unterirdische Gebäudeteile.

 

(3) […]"

 

3. Die maßgebliche Bestimmung des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz, beschlossen im Gemeinderat am 11. Mai 2017 und am 8. Februar 2018, genehmigt von der Steiermärkischen Landesregierung mit Bescheid vom 8. März 2018 und kundgemacht im Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz 04/2018 vom 22. März 2018, lautet (die gesamte Bestimmung ist als in Bezug auf die betreffenden Grundstücke angefochten hervorgehoben):

"§4

BEBAUUNGSPLANZONIERUNG

 

(1) Für Flächen, für die gemäß Deckplan 1 (Bebauungsplanzonierungsplan) eine Bebauungsplanung erforderlich ist, wird im Anlassfall ein Bebauungsplan erstellt. Baubewilligungen sowie Genehmigungen nach §33 nach dem Steiermärkischen Baugesetz 1995 dürfen erst nach Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplanes erteilt werden. Für Zubauten ist ein Gutachten eines Sachverständigen auf dem Gebiet der Raumplanung ausreichend.

 

(2) Gemäß §26 Abs26 des 4.0 Stadtentwicklungskonzeptes der Stadt Graz gilt Abs1 sinngemäß auch für Flächen mit bestehender oder angestrebter Blockrandbebauung in geschlossenen Siedlungsbereichen, für die zum Schutz der Innenhöfe und Vorgärten die Bebauungsplanpflicht festgesetzt ist, mit der Maßgabe, dass bei der Schließung von Baulücken und bei Zubauten ein raumplanerisches Gutachten genügt.

 

(3) Für Flächen mit zeitlich nachfolgend einsetzender Bebauungsplanpflicht gilt ebenfalls Abs1 sinngemäß.

 

(4) Innerhalb der festgelegten bebauungsplanpflichtigen Gebiete ist im Zuge der Bebauungsplanerstellung eine Unterteilung in städtebaulich zweckmäßige Planungsgebiete (Teilbebauungspläne) vorzunehmen.

 

(5) Die in der Bebauungsplanzonierung festgelegte Bebauungsplanpflicht für Vorbehaltsflächen tritt erst mit Einsetzen der zeitlich nachfolgenden Nutzung in Kraft. Für diese gilt dann Abs1 sinngemäß."

 

4. Der maßgebliche Bereich des Deckplanes 1 (Bebauungsplanzonierungsplan) des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz stellt sich wie folgt dar (die betreffenden Grundstücke sind türkis umrandet und grau unterlegt):

 

 

 

 

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2. Die Partei des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht (im Folgenden: beteiligte Partei), ist Eigentümerin der Grundstücke Nr 508/7, 509 und 510/1, EZ217, KG 63102 St. Leonhard, in Graz. Mit dem 4.0 Flächenwidmungsplan der Landeshauptstadt Graz wurde ua für diese Grundstücke gemäß §26 Abs4 StROG die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung verordnet (§4 iVm Deckplan 1 [Bebauungsplanzonierungsplan], Bebauungsplanpflicht zum Schutz und zur Revitalisierung von Innenhöfen und Vorgärten in geschlossenen Sanierungsbereichen iSd §26 Abs26 der Verordnung zum 4.0 Stadtentwicklungskonzept). Allgemein gilt gemäß §40 Abs8 StROG, dass, soweit eine Bebauungsplanpflicht nach §26 Abs4 StROG besteht, die Gemeinden spätestens im Anlassfall Bebauungspläne zu erstellen haben, wobei das Verfahren zur Erstellung oder Änderung der Bebauungspläne unverzüglich nach Eintreten des Anlassfalles einzuleiten und spätestens innerhalb von 18 Monaten abzuschließen ist. Baubewilligungen dürfen erst nach Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplanes erteilt werden.

3. Am 30. November 2016 stellte die beteiligte Partei gemeinsam mit den weiteren damaligen Eigentümern der Liegenschaften das – an die Stadt Graz als Bau- und Anlagenbehörde sowie das Stadtplanungsamt der Landeshauptstadt Graz gerichtete – Ansuchen auf Erlassung eines Bebauungsplanes für die Grundstücke Nr 508/7 und 510/1, EZ217, KG 63102 St. Leonhard, in Graz.

4. Mit Eingabe vom 2. Dezember 2016 brachte die beteiligte Partei beim Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz einen Antrag auf Erteilung der Baubewilligung für den Austausch eines bestehenden Bodenbelags im Hofbereich auf den Grundstücken Nr 508/7, 509 und 510/1, EZ217, KG 63102 St. Leonhard, ein.

5. Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz wies mit Bescheid vom 10. Jänner 2024 den Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung zum plan- und beschreibungsgemäßen Austausch eines bestehenden Bodenbelags auf den Grundstücken Nr 508/7, 509 und 510/1, EZ217, KG St. Leonhard, ab. Begründend führte dieser im Wesentlichen aus, dass sich der Bauplatz in einem bebauungsplanpflichtigen Gebiet befinde, weshalb sich die Frage stelle, ob eine Bewilligung vor der Erlassung eines Bebauungsplanes gemäß §40 Abs8 StROG iVm §4 Abs2 des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz möglich sei. Dies sei jedoch nicht möglich, weil es sich beim gegenständlichen Bauvorhaben weder um die Schließung einer Baulücke noch um den Zubau zu einer bestehenden Anlage gemäß §4 Z64 Stmk BauG handle, sodass eine baurechtliche Bewilligung vor der Erlassung eines Bebauungsplanes für das vorliegende Gebiet nicht in Frage komme. Einer Bewilligung stünde nach dem Stmk BauG folglich bereits aus formalen Gründen die Bebauungsplanpflicht entgegen, weshalb das gegenständliche Bauvorhaben nicht genehmigungsfähig sei und der Antrag abzuweisen gewesen wäre.

6. Aus Anlass der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom 12. Februar 2024 stellte das Landesverwaltungsgericht Steiermark am 28. August 2024 den vorliegenden Antrag gemäß Art139 Abs1 Z1 B‑VG an den Verfassungsgerichtshof.

7. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark legt seine Bedenken wie folgt dar:

"[…]

Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 17.604/2005 ausgeführt hat, kann ein Gesetz verfassungswidrig sein, wenn seine Verfassungsmäßigkeit von der Erlassung einer Verordnung abhängt, der Verordnungsgeber jedoch in der Folge untätig bleibt. Angesichts eines gesetzlich angeordneten Ausschlusses der Erteilung einer Baubewilligung, die nur dann möglich sein sollte, wenn entsprechende Bebauungspläne erlassen würden, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass das so effektiv bewirkte Bauverbot eine Eigentumsbeschränkung darstellt, für deren Zulässigkeit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ua im Urteil vom 23.09.1982, Fall Sporrong und Lönnroth, Appl 7151/75, 7152/75, EuGRZ1983, S 523 ff., ein faires Gleichgewicht zwischen den öffentlichen Interessen an der Eigentumsbeschränkung und dem privaten Interesse am Schutz des Eigentums verlangt hat. Ein solches faires Gleichgewicht im Sinne des Art1 1. ZPEMRK liegt nicht mehr vor, wenn in einem unangemessen langen Zeitraum trotz Vorliegens der Vor-aussetzungen keine Bebauungsplanung vorgenommen wird und dies auch nicht in einem absehbaren Zeitraum der Fall sein wird. Das Verbot der Erteilung der Baubewilligung für Bauland, das seit Jahrzehnten als solches gewidmet war und für das (auf Grund der in jenem Fall geltenden Rechtslage) zwar ein allgemeiner Bebauungsplan, jedoch nicht der notwendige ergänzende Bebauungsplan erlassen worden und dessen Erlassung innerhalb eines absehbaren Zeitraumes auch nicht sichergestellt war, ist – so der Verfassungsgerichtshof – unverhältnismäßig und verstößt gegen das gebotene faire Gleichgewicht zwischen den öffentlichen Inter-essen an der Eigentumsbeschränkung und dem privaten Interesse am Schutz des Eigentums.

 

Diese Überlegungen hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 03.03.2022, V249/2021-10, auf das Verhältnis von Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan nach der Steiermärkischen Rechtslage übertragen. Sieht nämlich der Verordnungsgeber im Flächenwidmungsplan die Erlassung eines Bebauungsplans verpflichtend vor, so bewirkt er damit, solange er keinen Bebauungsplan erlässt, ein effektives Bauverbot auf dem betreffenden Grundstück:

 

§40 Abs8 Stmk ROG 2010 und §4 Abs1 des 4.0 Flächenwidmungsplans der Landeshauptstadt Graz bestimmen nämlich, dass Baubewilligungen erst nach Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplans erteilt werden dürfen. Sollte eine Baubewilligung dennoch vor einem rechtswirksamen Bebauungsplan erteilt werden, ist diese mit Nichtigkeit gemäß §8 Abs5 Stmk ROG 2010 iVm §68 Abs4 Z4 AVG bedroht.

 

Der Landesgesetzgeber sieht daher auch vor, dass die jeweilige Gemeinde spätestens im 'Anlassfall', insbesondere im Falle eines 'Ansuchens um Erstellung des Bebauungsplans nach erfolgter Abklärung aller Vorfragen', Bebauungspläne zu erstellen, Verfahren zur Erstellung oder Änderung der Bebauungspläne unverzüglich nach Eintreten des Anlassfalles einzuleiten und spätestens innerhalb von 18 Monaten abzuschließen hat (§40 Abs8 Stmk ROG 2010). Das Gesetz verpflichtet somit dazu, dass ein solches Verfahren mit der Erlassung eines Bebauungsplans zu enden hat, wobei das 'Abschließen' des Verfahrens zur Bebauungsplanerstellung in der Kundmachung des Bebauungsplans besteht (vgl VfGH 03.03.2022, V249/2021‑10). Aus §40 Abs1 und 8 StROG ergibt sich demnach, dass die Erstellung eines Bebauungsplans nicht im Ermessen der verordnungserlassenden Behörde liegt, sondern sie dazu verpflichtet ist, die Bebauungsplanung innerhalb einer bestimmten Frist vorzunehmen. Die 18-monatige Frist zur Erlassung des Bebauungsplans dient dabei der Rechtssicherheit des Grundstückseigentümers, der im Vertrauen auf die Widmung eines Grundstücks als Bauland seine individuellen Planungsabsichten gestalten möchte (vgl VfSlg 17.604/2005 mwN). Somit ist es gerade des Telos der verpflichtend einzuhaltenden Frist in §40 Abs8 Stmk ROG 2010, den mit der Festlegung der Bebauungsplanpflicht für – wie im vorliegenden Fall – als Bauland gewidmeten und erschlossenen Grundstücke als Voraussetzung für die Erteilung einer Baubewilligung verbundenen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK und die daraus erfließende Baufreiheit (vgl VfSlg 17.604/2005; 13.282/1992, 11.914/1988, 11.374/1987) abzumindern. Würde hingegen die Erlassung eines Bebauungsplans vor dem Hintergrund der dargelegten Rechtslage im Ermessen der verordnungserlassenden Behörde liegen, könnte die Neubautätigkeit auf einem als Bauland gewidmeten und erschlossenen Grundstücke zeitlich unbefristet hintangehalten werden können, was mit Art5 StGG und Art1 1. ZPEMKR unvereinbar wäre (VfSlg 17.604/2005).

 

Wie der Verfassungsgerichtshof in dessen Entscheidung vom 03.03.2022, V249/2021-10, dargelegt hat, ist dabei gemäß §40 Abs2 Stmk ROG 2010 die 'den Raumordnungsgrundsätzen entsprechende Entwicklung der Struktur und Gestaltung des im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Baulandes' mit der Bebauungsplanung anzustreben, weshalb ein Bebauungsplan jedenfalls zu erlassen ist, wenn der Flächenwidmungsplan dies vorsieht. Die Planungsziele sind durch den Bebauungsplan anzustreben und die Erlassung des Bebauungsplans kann auch nicht mit Verweis auf die Raumordnungsgrundsätze über die Frist von 18 Monaten ab Vorliegen eines Ansuchens um Erstellung eines Bebauungsplans hinausgezögert werden. Lassen die Raumordnungsgrundsätze nämlich im Einzelfall keine Bebauung zu, dürfte die betreffenden Grundstücke überhaupt nicht als Bauland gewidmet sein. Hinzu kommt, dass dem Rechtsunterworfenen bei Untätigkeit des Verordnungsgebers über die 18‑monatige Frist des §40 Abs8 Stmk ROG 2010 hinaus auch nicht die Möglichkeit zukommt, die Bebaubarkeit des von der Bebauungsplanpflicht betroffenen Grundstücke im Wege eines Verfahrens über die Festlegung der Bebauungsgrundlagen gemäß §18 Stmk BauG zu erreichen, kommt diese doch nur in Betracht, 'sofern Bebauungspläne nicht erforderlich sind'.

 

So hat der Verfassungsgerichtshof in der angeführten Entscheidung in einem Fall, in dem die verordnungserlassende Behörde nach Ablauf von 18 Monaten nach Eintreten des Anlassfalls durch ausdrückliche Verweigerung der Erlassung des Bebauungsplans qualifiziert untätig geblieben ist, in der Bebauungsplanpflicht eines Grundstücks eine Eigentumsbeschränkung angenommen, die nicht mehr von einem fairen Gleichgewicht der öffentlichen und privaten Interessen getragen ist, was zur Gesetzwidrigkeit der Bebauungsplanpflicht führte.

 

Der vorliegende Fall dürfte mit dem der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 03.03.2022, V249/2021-10, zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar sein, sodass das Landesverwaltungsgericht Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Bebauungsplanpflicht für die in Rede stehenden Grundstücke hegt:

 

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer – neben dem Antrag auf Erteilung der Baubewilligung – nachweislich am 30.11.2016 einen an die Stadt Graz als Bau- und Anlagenbehörde sowie Stadtplanungsamt gerichteten Antrag auf Erlassung eines Bebauungsplans für die Grundstücke Nr 508/7, Nr 509 und Nr 510/1 gestellt. Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz hat das Verfahren nicht binnen 18 Monaten abgeschlossen, sondern vielmehr bis zum heutigen Tag keinen Bebauungsplan erlassen. Somit besteht seit nahezu acht Jahren ein effektives Bauverbot, dass die verordnungserlassende Behörde nach Ansicht des Landesverwaltungsgericht Steiermark durch Erlassung eines Bebauungsplans hätte beseitigen müssen.

Dass die Erstellung eines Bebauungsplans aufgrund der raumordnungsrechtlichen Vorgaben aus dem Stadtentwicklungskonzept, den räumlichen Leitbild und dem Flächenwidmungsplan die Errichtung von oberirdischen PKW-Abstellplätzen auf dem beschwerdegegenständlichen Grundstücken Nr 508/7, Nr 509 und Nr 510/1 nicht ermöglichen könnte, wie vom Stadtplanungsamt in der Stellungnahme vom 28.06.2024 ausgeführt wurde, stellt für das Landesverwaltungsgericht Steiermark zusätzlich einen Grund für die Annahme dar, dass die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung, wie sie im §4 iVm Deckplan 1 (Bebauungsplanzonierungsplan) des Flächenwidmungsplans der Landeshauptstadt Graz, Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz Nr 04/2018, für die beschwerdegegenständlichen Grundstücke vorgesehen ist, verfassungswidrig ist.

 

§40 Abs8 Stmk ROG 2010 führt als Beispiel für einen die Frist von 18 Monaten zur Erlassung eines Bebauungsplans auslösenden Anlassfall ein 'Ansuchen um Erstellung eines Bebauungsplanes nach erfolgter Abklärung aller Vorfragen' an.

 

Was eine Vorfrage iSd §40 Abs8 Stmk ROG 2010 ist, wird weder im Gesetz definiert noch hat sich der Verfassungsgerichtshof in dessen Entscheidung vom 03.03.2022, V249/2021, damit auseinandergesetzt. In der Literatur werden darunter etwa Aufschließungserfordernisse verstanden (vgl Katalan/Reitinger, Eigentumsbeschränkung durch nicht erlassenen Bebauungsplan? RFG 2022/22, 104 [106]). Das antragsgegenständliche Grundstück liegt im Allgemeinen Wohngebiet. Es sind im gegenständlichen Fall keine ungeklärten Vorfragen ersichtlich, die den Fristenlauf des §40 Abs8 Stmk ROG 2010 hindern würden.

 

Nach dem Antrag des Beschwerdeführers auf Erlassung eines Bebauungsplans am 30.11.2016 wurden laut der dem Landesverwaltungsgericht Steiermark vorliegenden Aktenlage von der verordnungserlassenden Behörde keinerlei Verfahrensschritte hinsichtlich der Erstellung des Bebauungsplans gesetzt, dies auch nicht nach der Darlegung der Rechtsansicht der Bau- und Anlagenbehörde vom 18.04.2018, GZ: A17-BAB-071901/2016/0007betreffend das Erfordernis der Erlassung des Bebauungsplans.

 

Ursache für die Nichterlassung eines Bebauungsplans war offenkundig nicht in noch zu lösenden Vorfragen zu suchen, sondern in der Ansicht des Stadtplanungsamts gelegen, dass aufgrund der positiven Stellungnahme zur Frage, ob von der Pflicht zur Schaffung von PKW-Abstellplätzen abgesehen werden kann, vom 20.05.2015, GZ: A14-153198/2015, der Fall abgeschlossen sei und darüber hinaus die Erstellung eines Bebauungsplans aufgrund der raumordnungsrechtlichen Vorgaben aus dem Stadtentwicklungskonzept, dem Räumlichen Leitbild und dem Flächenwidmungsplan nach Ansicht des Stadtplanungsamts die Errichtung von oberirdischen PKW-Abstellplätzen nicht ermöglichen würde.

 

Im Ergebnis dürfte es sich bei der Nichterlassung eines Bebauungsplans binnen achtzehn Monaten ab dem Antrag vom 16.11.2016 (Nichterlassung tatsächlich seit beinahe 8 Jahren) um eine qualifizierte Untätigkeit der verordnungserlassenden Behörde im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs handeln, die dazu führen dürfte, dass sich die Bebauungsplanpflicht im 4.0 Flächenwidmungsplan in Bezug auf die Grundstücke des Beschwerdeführers als Eigentumsbeschränkung darstellt, die nicht mehr von einem fairen Gleichgewicht der öffentlichen und privaten Interessen getragen sein dürfte. Sie dürfte damit gesetzwidrig sein."

 

8. Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz hat keine Akten vorgelegt und keine Äußerung erstattet.

9. Die Steiermärkische Landesregierung hat ebenfalls keine Äußerung erstattet.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Wie das antragstellende Gericht darlegt, stützt die belangte Behörde die Abweisung des Antrages auf Erteilung einer Bewilligung für den Austausch eines bestehenden Bodenbelags im Hofbereich der bezogenen Grundstücke, welcher den Abbruch des bestehenden Bodenbelags sowie die Neuerrichtung einer betonierten und aus Rasengittern bestehenden Fläche – sohin die Herstellung einer bauliche Anlage und damit ein baubewilligungspflichtiges Vorhaben im Sinne des §19 Stmk BauG – umfasst, auf die in §4 iVm Deckplan 1 (Bebauungsplanzonierungsplan) des 4.0 Flächenwidmungsplans der Landeshauptstadt Graz für die näher bezeichneten Grundstücke festgelegte Bebauungsplanpflicht. Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark, wonach es die Bestimmung des §4 sowie Deckplan 1, der die Bebauungsplanpflicht effektuiert, im Beschwerdeverfahren insoweit anzuwenden hätte, als sich diese auf die näher bezeichneten Grundstücke beziehe, jedenfalls nicht denkunmöglich. Im Übrigen ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung zweifeln ließe.

1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 17.604/2005 ausgeführt hat, kann ein Gesetz verfassungswidrig sein, wenn seine Verfassungsmäßigkeit von der Erlassung einer Verordnung abhängt, der Verordnungsgeber jedoch in der Folge untätig bleibt. Angesichts eines gesetzlich angeordneten Ausschlusses der Erteilung einer Baubewilligung, die nur dann möglich sein sollte, wenn entsprechende Bebauungspläne erlassen würden, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass das so effektiv bewirkte Bauverbot eine Eigentumsbeschränkung darstellt, für deren Zulässigkeit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ua im Urteil vom 23. September 1982, Appl 7151/75, 7152/75, Sporrong und Lönnroth, EuGRZ1983, S 523 ff., ein faires Gleichgewicht zwischen den öffentlichen Interessen an der Eigentumsbeschränkung und dem privaten Interesse am Schutz des Eigentumes verlangt hat. Ein solches faires Gleichgewicht im Sinne des Art1 1. ZPEMRK liegt nicht mehr vor, wenn in einem unangemessen langen Zeitraum trotz Vorliegens der Voraussetzungen keine Bebauungsplanung vorgenommen wird und dies auch nicht in einem absehbaren Zeitraum der Fall sein wird. Das Verbot der Erteilung der Baubewilligung für Bauland, das seit Jahrzehnten als solches gewidmet war und für das (auf Grund der in jenem Fall geltenden Rechtslage) zwar ein allgemeiner Bebauungsplan, jedoch nicht der notwendige ergänzende Bebauungsplan erlassen worden und dessen Erlassung innerhalb eines absehbaren Zeitraumes auch nicht sichergestellt war, ist – so der Verfassungsgerichtshof – unverhältnismäßig und verstößt gegen das gebotene faire Gleichgewicht zwischen den öffentlichen Interessen an der Eigentumsbeschränkung und dem privaten Interesse am Schutz des Eigentumes.

2.4. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes lassen sich diese Überlegungen auf das Verhältnis von Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan übertragen. Sieht der Verordnungsgeber im Flächenwidmungsplan die Erlassung eines Bebauungsplanes verpflichtend vor, so bewirkt er damit, solange er keinen Bebauungsplan erlässt, ein effektives Bauverbot auf dem betreffenden Grundstück (vgl VfSlg 20.527/2022 sowie jüngst VfGH 11.6.2024, V26/2024; 3.10.2024, V51/2024, mwN).

§40 Abs8 StROG und §4 Abs1 des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz bestimmen, dass Baubewilligungen erst nach Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplanes erteilt werden dürfen. Der Landesgesetzgeber sieht daher vor, dass die jeweilige Gemeinde spätestens im "Anlassfall", insbesondere im Falle eines "Ansuchens um Erstellung des Bebauungsplanes nach erfolgter Abklärung aller Vorfragen", Bebauungspläne zu erstellen, Verfahren zur Erstellung oder Änderung der Bebauungspläne unverzüglich nach Eintreten des Anlassfalles einzuleiten und spätestens innerhalb von 18 Monaten abzuschließen hat (§40 Abs8 StROG). Das Gesetz verpflichtet somit dazu, dass ein solches Verfahren mit der Erlassung eines Bebauungsplanes – nicht mit deren Verweigerung – zu enden hat: Das "Abschließen" des Verfahrens zur Bebauungsplanerstellung besteht in der Kundmachung des Bebauungsplanes. Aus §40 Abs1 und 8 StROG ergibt sich demnach, dass die Erstellung eines Bebauungsplanes nicht im Ermessen der verordnungserlassenden Behörde liegt, sondern sie dazu verpflichtet ist, die Bebauungs-planung innerhalb einer bestimmten Frist vorzunehmen. Aus §40 Abs2 StROG ergibt sich ferner, dass die "den Raumordnungsgrundsätzen entsprechende Entwicklung der Struktur und Gestaltung des im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Baulandes und des Freilandes (Sondernutzungen)" mit der Bebauungsplanung und nicht durch ihre tatsächliche Verweigerung anzustreben ist. Ein Bebauungsplan ist daher jedenfalls zu erlassen, wenn der Flächenwidmungsplan dies vorsieht; die Planungsziele sind durch den Bebauungsplan anzustreben und die Erlassung des Bebauungsplanes kann nicht mit Verweis auf die Raumordnungs-grundsätze verweigert werden. Lassen diese nämlich im Einzelfall keine Bebauung zu, so dürfte das betreffende Grundstück überhaupt nicht als Bauland gewidmet sein.

2.5. Die beteiligte Partei stellte am 30. November 2016 – gemeinsam mit den weiteren Eigentümern der verfahrensgegenständlichen Grundstücke – das Ansuchen auf Erlassung eines Bebauungsplanes sowie am 30. November 2016 einen Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung für den Austausch eines bestehenden Bodenbelages im Hofbereich auf den Grundstücken Nr 508/7, 509 und 510/1, EZ217, KG 63102 St. Leonhard. Der Verfassungsgerichtshof schließt sich dabei den Ausführungen des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark an, wonach keine ungeklärten Vorfragen iSd §40 Abs8 StROG ersichtlich seien, welche den Eintritt des Anlassfalles hintangehalten hätten bzw hintanhalten würden.

2.6. Folglich besteht für die beteiligte Partei seit knapp acht Jahren ein effektives Bauverbot, das die verordnungserlassende Behörde durch Erlassung eines Bebauungsplanes hätte beseitigen müssen. Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz hat bisher jedoch keinen Bebauungsplan erlassen. Im Ergebnis führt dies dazu, dass sich die Bebauungsplanpflicht im 4.0 Flächenwidmungsplan der Landeshauptstadt Graz, ABl. 04/2018, in Bezug auf die Grundstücke der beteiligten Partei im Einzelfall als Eigentumsbeschränkung darstellt, die nicht mehr von einem fairen Gleichgewicht der öffentlichen und privaten Interessen getragen ist. Sie ist damit gesetzwidrig.

V. Ergebnis

1. §4 iVm Deckplan 1 (Bebauungsplanzonierungsplan) des 4.0 Flächenwidmungsplanes der Landeshauptstadt Graz, Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz 04/2018, ist daher, soweit damit für die Grundstücke Nr 508/7, 509 und 510/1, EZ217, KG 63102 St. Leonhard, die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung vorgesehen wird, als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Verpflichtung der Steiermärkischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B‑VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 Z7 Steiermärkisches Kundmachungsgesetz, LGBl 25/1999, idF LGBl 84/2022.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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