Normen
B-VG Art139 Abs1 Z1
StVO 1960 §29b, §43, §44, §52, §54
Halte- und ParkverbotsV des Stadtsenats der Landeshauptstadt Linz vom 06.05.1997
VfGG §7 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2024:V68.2023
Spruch:
I. Punkt I.2. der Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz vom 6. Mai 1997, Z101‑5/19 - 330056342, war gesetzwidrig.
II. Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit den vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Anträgen begehrt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass Punkt I.2. der Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz vom 6. Mai 1997, 101‑5/19 - 330056342, gesetzwidrig war.
II. Rechtslage
1. Die Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz vom 6. Mai 1997, 101‑5/19 - 330056342, hat folgenden Wortlaut (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original, die angefochtene Wort- und Zeichenfolge ist hervorgehoben):
"V E R O R D N U N G
I. Gemäß §43 StVO 1960, i.d.Fassung BGBl.Nr 518/1994,
wird verordnet:
1.
Das Halten und Parken ist verboten (§52 lita Z13 b StVO 1960)
Bereich: im Sackgassenbereich der Grillparzerstraße an der westlichen Fahrbahnseite auf Länge von 12,5 m unmittelbar südlich des Vorplatzes beim BBRZ auf dem im beiliegenden, vom PlA am 25.4.1997 erstellten Plan M 1:500 dargestellten Bereich
Zeit: werktags von Montag bis Freitag von 7.00 bis 17.00 Uhr
Ausnahme: Ladetätigkeit
2.
Das Halten und Parken ist verboten (§52 lit.a Z13 b StVO 1960)
Bereich: im Sackgassenbereich der Grillparzerstraße (Zufahrt BBRZ) auf den im beiliegenden, vom PlA am 25.4.1997 erstellten Plan M 1:500 dargestellten Bereichen Grillparzerstraße 50
Ausnahme: Fahrzeuge, die von stark gehbehinderten Personen, welche im Besitz eines Ausweises gem. §29b Abs4 StVO 1960 sind, gelenkt oder als Mitfahrer benützt werden.
II. Gemäß §25 Abs1 i.V.m. §43 StVO 1960, i.d.F.
BGBl.Nr 518/1994, wird verordnet:
Das Parken wird zeitlich beschränkt – Kurzparkzone (§52 lita Z13 d und e StVO 1960).
Bereich: im Sackgassenbereich der Grillparzerstraße (Zufahrt BBRZ) auf den im beiliegenden, vom PlA am 25.4.1997 erstellten Plan M 1:250 dargestellten Bereichen
Zeit: An Werktagen, Montag bis Freitag von 7.00 – 19.00 Uhr
samstags von 7.00 – 14.00 Uhr
Max. Parkdauer: 90 Minuten
Die Verkehrsregelung (Verkehrsverbote, -beschränkung) gilt dauernd
Für den Stadtsenat:
[…]"
2. Die für die Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmung anzuwendenden Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO. 1960), BGBl 159/1960, lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):
"Menschen mit Behinderungen
§29b. (1) Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, BGBl Nr 283/1990, die über die Zusatzeintragung 'Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung' verfügen, ist als Nachweis über die Berechtigungen nach Abs2 bis 4 auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Ausweis auszufolgen. Die näheren Bestimmungen über diesen Ausweis sind durch Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zu treffen.
(1a) […]
(2) Inhaber eines Ausweises gemäß Abs1 dürfen
a) auf Straßenstellen, für die durch das Straßenverkehrszeichen 'Halten und Parken verboten' oder eine nicht unterbrochene, am Fahrbahnrand angebrachte gelbe Linie (§24 Abs1 litp) ein Halte- und Parkverbot kundgemacht ist,
b) entgegen der Vorschrift des §23 Abs2 über das Abstellen eines Fahrzeuges am Rand der Fahrbahn
mit dem von ihnen selbst gelenkten Fahrzeug oder mit einem Fahrzeug, das sie als Mitfahrer benützen, zum Aus- oder Einsteigen einschließlich des Aus- oder Einladens der für den Ausweisinhaber nötigen Behelfe (wie etwa ein Rollstuhl u. dgl.) für die Dauer dieser Tätigkeiten halten.
(3) Ferner dürfen Inhaber eines Ausweises gemäß Abs1 das von ihnen selbst gelenkte Fahrzeug oder Lenker von Fahrzeugen in der Zeit, in der sie einen Inhaber eines Ausweises gemäß Abs1 befördern,
a) auf Straßenstellen, für die durch das Straßenverkehrszeichen 'Parken verboten' oder eine unterbrochene, am Fahrbahnrand angebrachte gelbe Linie (§24 Abs3 lita) ein Parkverbot kundgemacht ist,
b) in einer Kurzparkzone ohne zeitliche Beschränkung,
c) auf Straßen, für die ein Parkverbot, das gemäß §44 Abs4 kundzumachen ist, erlassen worden ist, und
d) in einer Fußgängerzone während der Zeit, in der eine Ladetätigkeit vorgenommen oder die Fußgängerzone gemäß §76a Abs2a befahren werden darf,
parken.
(4) Beim Halten gemäß Abs2 sowie beim Befahren einer Fußgängerzone gemäß §76a Abs2a hat der Inhaber eines Ausweises gemäß Abs1 diesen den Straßenaufsichtsorganen auf Verlangen vorzuweisen. Beim Parken gemäß Abs3 sowie beim Halten oder Parken auf den nach §43 Abs1 litd freigehaltenen Straßenstellen hat der Ausweisinhaber den Ausweis bei mehrspurigen Kraftfahrzeugen hinter der Windschutzscheibe und durch diese gut erkennbar, bei anderen Fahrzeugen an einer sonst geeigneten Stelle gut wahrnehmbar anzubringen.
(5)–(6) […]
[…]
§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.
(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung
a)–c) […]
d) für dauernd stark gehbehinderte Personen, die wegen ihrer Behinderung darauf angewiesen sind, das von ihnen selbst gelenkte Kraftfahrzeug oder ein Kraftfahrzeug, das sie als Mitfahrer benützen, in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung oder ihrer Arbeitsstätte oder in unmittelbarer Nähe von Gebäuden, die von solchen Personen in der Regel häufig besucht werden, wie etwa Invalidenämter, bestimmte Krankenhäuser oder Ambulatorien, Sozialversicherungseinrichtungen u. dgl., oder in unmittelbarer Nähe einer Fußgängerzone abstellen zu können, Straßenstellen für die unbedingt notwendige Zeit und Strecke zum Abstellen der betreffenden Kraftfahrzeuge durch ein Halteverbot freizuhalten.
(1a)–(11) […]
§44. Kundmachung der Verordnungen.
(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. […]
(1a)–(5) […]
[…]
§52. Die Vorschriftszeichen
Die Vorschriftszeichen sind
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,
b) Gebotszeichen oder
c) Vorrangzeichen.
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen
1.–13a. […]
13b. 'HALTEN UND PARKEN VERBOTEN'
[Zeichen]
Dieses Zeichen zeigt mit der Zusatztafel 'ANFANG' den Beginn und mit der Zusatztafel 'ENDE' das Ende eines Straßenabschnittes an, in dem das Halten und Parken verboten ist. Das Verbot bezieht sich auf die Straßenseite, auf der sich dieses Zeichen befindet.
Eine Zusatztafel mit der Aufschrift 'AUSGENOMMEN ZUSTELLDIENSTE' zeigt an, dass das rasche Auf- oder Abladen geringer Warenmengen vom Halteverbot ausgenommen ist.
Eine Zusatztafel mit der Aufschrift 'AUSGENOMMEN LADETÄTIGKEIT' zeigt eine Ladezone an.
Hinsichtlich weiterer Zusatztafeln gelten die Bestimmungen der Z13a sinngemäß.
13c.–14b. […]
b) Gebotszeichen.
15.–22a. […]
c) Vorrangzeichen
23.–25b. […]
[…]
§54. Zusatztafeln.
(1) Unter den in den §§50, 52 und 53 genannten Straßenverkehrszeichen sowie unter den in §38 genannten Lichtzeichen können auf Zusatztafeln weitere, das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen erläuternde oder wichtige, sich auf das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen beziehende, dieses erweiternde oder einschränkende oder der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs dienliche Angaben gemacht werden.
(2)–(4) […]
(5) Die nachstehenden Zusatztafeln bedeuten:
a)–g) […]
h)
[Zeichen]
Eine solche Zusatztafel unter dem Zeichen 'Halten und Parken verboten' zeigt an, dass das Halte- und Parkverbot nicht für Fahrzeuge gilt, die nach der Bestimmung des §29b Abs4 gekennzeichnet sind.
i)–n) […]."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Den Anträgen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Mit Bescheid des Magistrates der Landeshauptstadt Linz vom 24. März 2022 wurden dem Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: Beschwerdeführer) die Kosten der am 3. Februar 2022, um 22.50 Uhr, von der Grillparzerstraße 49, 4020 Linz, erfolgten Entfernung seines verkehrsbehindernd aufgestellten Kraftfahrzeuges in Höhe von € 299,– vorgeschrieben. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz vom 4. Oktober 2022 als unbegründet abgewiesen.
1.2. Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 16. Mai 2022 wurde dem Beschwerdeführer eine Übertretung des §24 Abs1 lita StVO 1960 zur Last gelegt, weil er am 9. März 2022, um 21.00 Uhr, in 4020 Linz, Grillparzerstraße 49, ein nach dem Kennzeichen näher bestimmtes Kraftfahrzeug im Bereich des Vorschriftszeichens "HALTEN UND PARKEN VERBOTEN" ausgenommen Fahrzeuge, die nach der Bestimmung des §29b Abs4 gekennzeichnet sind, gehalten habe, obwohl das Fahrzeug nicht mit einem Ausweis gemäß §29b Abs4 StVO 1960 gekennzeichnet gewesen sei. Über den Beschwerdeführer wurde daher gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.
2. Aus Anlass der Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz vom 4. Oktober 2022 (V 68/2023) und gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 16. Mai 2022 (V 69/2023) stellt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die vorliegenden Anträge und weist hinsichtlich deren Zulässigkeit jeweils darauf hin, dass die Kundmachung der angefochtenen Verordnungsbestimmung durch Anbringung von Straßenverkehrszeichen erfolgt sei, sodass sie ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt habe und daher mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen sei.
2.1. Zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung in dem zu V68/2023 protokollierten Verfahren bringt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich Folgendes vor: Im Beschwerdeverfahren gelange §89a Abs2 iVm Abs2a litd StVO 1960 zur Anwendung, wobei die Voraussetzung für die Entfernung eines Gegenstandes ohne ein weiteres Verfahren gegeben sei, wenn ein Fahrzeug, bei dem kein Ausweis iSd §29b Abs4 StVO 1960 angebracht sei, auf einem gemäß §43 Abs1 litd StVO 1960 freigehaltenen Abstellplatz abgestellt sei. Im Bereich Grillparzerstraße 49, 4020 Linz, seien entsprechend der angefochtenen Verordnungsbestimmung Straßenverkehrszeichen gemäß §52 lita Z13b StVO 1960 mit einer Zusatztafel gemäß §54 Abs5 lith StVO 1960 angebracht. Diese Verordnungsbestimmung gelange im Beschwerdeverfahren daher zur Anwendung. Zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung in dem zu V69/2023 protokollierten Verfahren wird vorgebracht, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung auf Grund der Tatzeit und des Tatortes im Beschwerdeverfahren anzuwenden sei.
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich weist in seinen Anträgen darauf hin, dass das angefochtene Halte- und Parkverbot mit Verordnung des Vizebürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 26. April 2022, 0057175/2022, behoben und in Punkt II. dieser Verordnung neu geregelt worden sei. Die den Beschwerdeverfahren zugrunde liegenden Tathandlungen seien jedoch bereits am 3. Februar und am 9. März 2022 erfolgt, sodass die angefochtene Verordnungsbestimmung aus dem Jahr 1997 zur Anwendung gelange.
2.2. In der Folge werden in den Anträgen – im Wesentlichen gleichlautend – die Bedenken gegen die angefochtene Verordnungsbestimmung dargelegt:
2.2.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich habe einen verkehrstechnischen Sachverständigen mit der Vermessung der durch die angefochtene Verordnungsbestimmung verordneten und angebrachten Straßenverkehrszeichen beauftragt. Ein am 20. April 2023 durchgeführter Lokalaugenschein habe ergeben, dass das Straßenverkehrszeichen "HALTEN UND PARKEN VERBOTEN" mit der Zusatztafel gemäß §54 Abs5 lith StVO 1960 auf der Seite des Gebäudes Grillparzerstraße 49 um 9,5 Meter von dem in der angefochtenen Verordnungsbestimmung (laut beigefügtem Plan) vorgesehenen Aufstellungsort abweiche: Laut diesem Plan sei das Straßenverkehrszeichen nordöstlich im Bereich zwischen dem Ende bzw der Hausecke des Gebäudes Grillparzerstraße 49 und dem Gebäude des BBRZ auf dem Grundstück 115/4 anzubringen; tatsächlich sei das Straßenverkehrszeichen jedoch direkt "auf Ebene" der Hausecke des Gebäudes Grillparzerstraße 49 angebracht. Zum Zeitpunkt der Vermessung sei zwar bereits die Verordnung des Vizebürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 26. April 2022 in Geltung gestanden, im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich sei jedoch festgestellt worden, dass die örtliche Position der Straßenverkehrszeichen seit dem Tatzeitpunkt nicht verändert worden sei. Die festgestellte Abweichung von 9,5 Metern stelle eine signifikante Abweichung iSd höchstgerichtlichen Rechtsprechung dar. Die Nichtübereinstimmung der verordnungsmäßig festgelegten Grenzen dieses Halte- und Parkverbotes mit den tatsächlich kundgemachten Grenzen führe zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmung und zu einer nicht gesetzmäßigen Kundmachung iSd §44 StVO 1960, zumal im vorliegenden Fall der tatsächliche Standort eines der Straßenverkehrszeichen außerhalb des in der angefochtenen Verordnung festgelegten Geltungsbereiches liege.
2.2.2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich bringt ferner vor, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung gesetzwidrig sei, weil die Verordnung eines zeitlich unbegrenzten Halte- und Parkverbotes (mit Ausnahme von Menschen mit Behinderungen) im Sackgassenbereich der Grillparzerstraße, nicht erforderlich iSd §43 Abs1 litb StVO 1960 sei. Dies ergebe sich zum einen aus dem Inhalt des Verordnungsaktes, wonach der örtliche Geltungsbereich eines bereits im Jahr 1976 erlassenen, zeitlich unbeschränkt geltenden Halte- und Parkverbotes im Jahr 1997 eingeschränkt worden sei, und überdies die Auslastung dieser Parkplätze laut einem Aktenvermerk vom 25. Februar 1997 "sehr schlecht" gewesen sei. Die mangelnde Erforderlichkeit des mit der angefochtenen Verordnungsbestimmung verordneten, zeitlich unbeschränkten Parkverbotes ergebe sich aber auch aus dem Umstand, dass mit Verordnung des Vizebürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 26. April 2022, mit der das angefochtene Halte- und Parkverbot behoben worden sei, nunmehr lediglich ein zeitlich beschränktes Halte- und Parkverbot verordnet worden sei.
2.2.3. Die verordnungserlassende Behörde hat im Verfahren zu V68/2023 die Akten betreffend das Zustandekommen der zur Prüfung gestellten Verordnungsbestimmung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der mitgeteilt wird, dass "[d]ie Ausführungen in der vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich eingeholten verkehrstechnischen Befundaufnahme vom 20.04.2023 […] zur Kenntnis genommen" werden.
IV. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:
1. Zur Zulässigkeit der Anträge
1.1. Der Verfassungsgerichtshof geht zu Art89 Abs1 B‑VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 davon aus, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B‑VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl VfSlg 20.251/2018).
Die angefochtene Verordnungsbestimmung wurde ausweislich der vorgelegten Akten durch Anbringung von Straßenverkehrszeichen kundgemacht, sodass sie ein Mindestmaß an Publizität erreicht hat und mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat in dem Beschwerdeverfahren, das dem zu V68/2023 protokollierten Antrag zugrunde liegt, über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides zu entscheiden, mit welchem dem Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer die mit behördlicher Entfernung eines Kraftfahrzeuges entstandenen Kosten vorgeschrieben wurden. Gemäß §89a Abs2 StVO 1960 hat die Behörde die Entfernung eines Fahrzeuges ohne weiteres Verfahren zu veranlassen, wenn durch dieses – betriebsfähige oder nicht betriebsfähige – Fahrzeug der Verkehr beeinträchtigt wird. Eine Verkehrsbeeinträchtigung ist etwa dann gegeben, wenn ein Fahrzeug, bei dem kein Ausweis iSd §29b Abs4 StVO 1960 angebracht ist, auf einem gemäß §43 Abs1 litd StVO 1960 freigehaltenen Abstellplatz abgestellt ist (§89a Abs2a litd StVO 1960). Die Rechtmäßigkeit der Vorschreibung der mit der behördlichen Entfernung des Kraftfahrzeuges entstandenen Kosten hängt von der Frage ab, ob eine Verkehrsbeeinträchtigung iSd §89a Abs2 iVm Abs2a StVO 1960 gegeben und demnach die zwangsweise Entfernung des Fahrzeuges durch die Behörde berechtigt war (vgl in diesem Sinn VwGH 21.11.1980, 1093/80). Die Beurteilung der Frage des Vorliegens einer Verkehrsbeeinträchtigung ist im vorliegenden Fall daher von der Existenz eines Halte- und Parkverbotes gemäß §43 Abs1 litd StVO 1960 abhängig, sodass es offenkundig ist, dass das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die angefochtene Verordnungsbestimmung in diesem Beschwerdeverfahren anzuwenden hat.
1.2.2. In dem Beschwerdeverfahren, das dem zu V69/2023 protokollierten Antrag zugrunde liegt, hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich über die Rechtmäßigkeit eines Straferkenntnisses zu entscheiden, mit welchem dem Beschwerdeführer zur Last gelegt wird, er habe im Geltungsbereich des mit der angefochtenen Verordnungsbestimmung verordneten Halte- und Parkverbotes, ausgenommen Fahrzeuge, die nach der Bestimmung des §29b Abs4 StVO 1960 gekennzeichnet sind, gehalten, obwohl das Kraftfahrzeug nicht mit einem Ausweis gemäß §29b Abs4 StVO 1960 gekennzeichnet gewesen sei. Es ist daher offenkundig, dass das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die angefochtene Verordnungsbestimmung auch in diesem Beschwerdeverfahren anzuwenden hat.
1.3. Ungeachtet der Formulierung der Anträge, "der Verfassungsgerichtshof möge entscheiden, dass Punkt I.2. der Verordnung […] gesetzwidrig war", sind die Anträge im Zusammenhang mit ihrer Begründung als Aufhebungsbegehren zu verstehen (vgl zB VfGH 29.11.2022, V185/2022 mwN).
1.4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Anträge insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Die Anträge sind begründet.
2.2.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich macht zunächst geltend, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung nicht gesetzmäßig kundgemacht worden sei, weil die tatsächliche Kundmachung nicht mit den verordnungsmäßig festgelegten Grenzen dieses Halte- und Parkverbotes übereinstimme.
2.2.2. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft.
Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO 1960 ist immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort angebracht sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet. Zwar ist zur Kundmachung von Verkehrsbeschränkungen keine "zentimetergenaue" Aufstellung der Verkehrszeichen erforderlich, jedoch wird dieser Vorschrift nicht Genüge getan und liegt ein Kundmachungsmangel vor, wenn der Aufstellungsort vom Ort des Beginns bzw Endes des verordneten Geltungsbereiches einer Verkehrsbeschränkung signifikant abweicht (vgl zB VwGH 25.6.2014, 2013/07/0294 sowie VfSlg 20.251/2018, jeweils mwN). Bei der Beurteilung, ob eine Abweichung im vorstehenden Sinn signifikant ist, sind überdies die Art der verordneten Verkehrsbeschränkung sowie die konkreten Straßenverhältnisse zu berücksichtigen.
2.2.3. Mit Punkt I.2. der Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz vom 6. Mai 1997, 101‑5/19 - 330056342, wurde im Sackgassenbereich der Grillparzerstraße (Zufahrt BBRZ) für einen in einem der Verordnung angeschlossenen Plan näher dargestellten Bereich ein Halte- und Parkverbot (§52 lita Z13b StVO 1960), ausgenommen Fahrzeuge, die nach der Bestimmung des §29b Abs4 StVO 1960 gekennzeichnet sind, erlassen. Die verordnungserlassende Behörde hat das Vorbringen des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, wonach die Kundmachung der angefochtenen Verordnungsbestimmung durch das Straßenverkehrszeichen "HALTEN UND PARKEN VERBOTEN" mit der Zusatztafel gemäß §54 Abs5 lith StVO 1960 auf der Seite des Gebäudes Grillparzerstraße 49 um 9,5 Meter von dem in der angefochtenen Verordnungsbestimmung (laut beigefügtem Plan) vorgesehenen Aufstellungsort abweiche, zur Kenntnis genommen und ist diesem nicht entgegengetreten. Für den Verfassungsgerichtshof steht daher fest, dass dieses Straßenverkehrszeichen um 9,5 Meter abweichend von dem in der angefochtenen Verordnungsbestimmung vorgesehenen Bereich angebracht wurde.
2.2.4. Auch wenn die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Kundmachung von Verordnungen iSd §44 Abs1 StVO 1960 je nach örtlichen Verkehrsverhältnissen eine bestimmte Fehlertoleranz vorsieht und die Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen nicht "zentimetergenau" zu erfolgen hat, bewirkt die festgestellte, signifikante Abweichung von 9,5 Metern im vorliegenden Fall eine nicht gesetzmäßige Kundmachung (vgl VfSlg 20.251/2018 mwN), zumal der tatsächliche Standort des Straßenverkehrszeichens außerhalb des mit der angefochtenen Verordnungsbestimmung festgelegten Halte- und Parkverbotes liegt (vgl in diesem Sinn VwGH 10.10.2014, 2013/02/0276; VfGH 14.6.2022, V285/2021). Die angefochtene Verordnungsbestimmung erweist sich daher schon mangels gesetzmäßiger Kundmachung als gesetzwidrig, sodass auf die weiteren Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich nicht weiter einzugehen ist.
2.3. Gemäß Art139 Abs3 Z3 B‑VG hat der Verfassungsgerichtshof nicht nur die präjudiziellen Teile einer Verordnung, sondern die ganze Verordnung aufzuheben (vgl VfSlg 18.068/2007), wenn er zur Auffassung gelangt, dass die ganze Verordnung gesetzwidrig kundgemacht wurde. Diese Bestimmung ist von dem Gedanken getragen, den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, in all jenen Fällen, in denen die festgestellte Gesetzwidrigkeit der präjudiziellen Verordnungsstelle offenkundig auch alle übrigen Verordnungsbestimmungen erfasst, die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben (vgl VfSlg 19.128/2010).
Der festgestellte Kundmachungsmangel betrifft jedoch ausschließlich das angefochtene – in den Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich präjudizielle – Halte- und Parkverbot. Die Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz vom 6. Mai 1997, 101‑5/19 - 330056342, enthält weitere Verkehrsregelungen, die auf andere Weise, insbesondere durch Anbringung entsprechender Straßenverkehrszeichen, an näher bezeichneten Orten kundzumachen sind. Eine Aufhebung der ganzen Verordnung gemäß Art139 Abs3 Z3 B‑VG kommt daher im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht.
2.4. Im Hinblick auf die Ausführungen des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich, wonach das angefochtene Halte- und Parkverbot mit Verordnung des Vizebürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 26. April 2022, 0057175/2022, behoben und neu geregelt worden sei, hat der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, dass Punkt I.2. der Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz vom 6. Mai 1997, 101‑5/19 - 330056342, gesetzwidrig war (Art139 Abs4 B‑VG).
V. Ergebnis
1. Punkt I.2. der Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz vom 6. Mai 1997, 101‑5/19 - 330056342, war daher gesetzwidrig.
2. Die Verpflichtung der Oberösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B‑VG und §59 Abs2 iVm §61 VfGG sowie §4 Abs1 Z2 litb Oö Verlautbarungsgesetz 2015.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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