VfGH V416/2020 ua

VfGHV416/2020 ua25.6.2021

Gesetzwidrigkeit der (örtlichen) Erweiterung einer bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkung in einer oberösterreichischen Gemeinde mangels nachvollziehbarer Auseinandersetzung mit der Erforderlichkeit der – zeitlichen nicht beschränkten – Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit

Normen

B-VG Art139 Abs1 Z1
StVO §43 Abs1
GeschwindigkeitsbeschränkungsV des Gemeinderates der Stadtgemeinde Vöcklabruck vom 15.11.2010 betr eine 30 km/h-Zone
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:V416.2020

 

Spruch:

I. Die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Vöcklabruck vom 15. November 2010, Z 223‑2010‑Stb‑Pr, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Beim Verfassungsgerichtshof sind zwei (V416/2020 und V516/2020) auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützte Anträge des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich anhängig, mit denen das antragstellende Gericht wortgleich beantragt,

"der Verfassungsgerichtshof möge die Verordnung des Gemeinderats der Stadt Vöcklabruck vom 15.11.2010, ohne Geschäftszahl, mit welcher die 30 km/h Zonenbeschränkung auf der Gmundnerstraße bis zur Liegenschaft Gmundnerstraße 32 verlängert wurde, als gesetzwidrig aufheben."

II. Rechtslage

1. Die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Vöcklabruck vom 15. November 2010, Z 223‑2010‑Stb‑Pr, lautet auszugsweise (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):

"VERORDNUNG

 

Aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs wird aufgrund des Beschlusses des Gemeinderates der Stadtgemeinde Vöcklabruck vom 21. Oktober 2010 gemäß §§43 Abs1 litb) Z1, 44 und 94 Z4 der StVO 1960, BGBl Nr 159, i.d.g.F. laut beiliegendem Lageplan die bereits bestehende

 

30 km/h Zonenbeschränkung

bis zur Liegenschaft Gmundnerstraße 32

 

verlängert und verordnet.

 

[…]"

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (StVO 1960), BGBl 159/1960, idF BGBl I 77/2019, lauten auszugsweise:

"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.

 

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung

 

a) […]

 

b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,

 

1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,

 

2. […]

 

c)–d) […]

 

(1a)–(11) […]"

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem zu V416/2020 protokollierten Antrag liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck verhängte über den Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht mit Straferkenntnis eine Geldstrafe in der Höhe von € 60,– (Ersatzfreiheitsstrafe: ein Tag), weil er am 13. Oktober 2018 um 10:37 Uhr in Vöcklabruck in der Gmundnerstraße im Bereich der Hausnummer 31 in Fahrtrichtung Linzer Straße mit einem dem Kennzeichen nach näher bestimmten Kraftfahrzeug die in diesem Bereich geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 14 km/h überschritten habe. Daher habe der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht gegen §52 lita Z11 StVO 1960 verstoßen und sei gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 zu bestrafen. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht Beschwerde.

2. Dem zu V516/2020 protokollierten Antrag liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck verhängte über den Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht mit Straferkenntnis eine Geldstrafe in der Höhe von € 35,– (Ersatzfreiheitsstrafe: 16 Stunden), weil er am 8. Februar 2020 um 9:12 Uhr in Vöcklabruck in der Gmundnerstraße im Bereich der Hausnummer 31 in Fahrtrichtung Linzer Straße mit einem dem Kennzeichen nach näher bestimmten Kraftfahrzeug die in diesem Bereich geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 9 km/h überschritten habe. Daher habe der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht gegen §52 lita Z11 StVO 1960 verstoßen und sei gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 zu bestrafen. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht Beschwerde.

3. Aus Anlass dieser Beschwerdeverfahren stellte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Anträge, die das antragstellende Gericht zusammengefasst wiedergegeben wie folgt begründet:

3.1. Mit der angefochtenen Verordnung sei eine bereits bestehende "Zonenbeschränkung 30 km/h" bis zur Gmundnerstraße 32 verlängert worden. Im Verfahren zur Erlassung der bekämpften Verordnung sei von der Stadtgemeinde Vöcklabruck ein verkehrstechnisches Gutachten eingeholt worden. Dazu habe der Sachverständige ausgeführt, im Nahbereich der beabsichtigten Erweiterung befinde sich das Schulzentrum Schererstraße. Die Querungen der Gmundnerstraße seien von Schülern unumgänglich. Speziell in den Spitzenstunden am Morgen, Mittag bzw den ganzen Nachmittag über sei in diesem Bereich mit fußläufigem Verkehr zu rechnen. Durch die Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit würde in diesem Bereich ein gleichmäßiges Geschwindigkeitsverhalten der Fahrzeuglenker erreicht werden.

3.2. Die Herabsetzung der im Ortsgebiet gemäß §20 Abs2 StVO 1960 grundsätzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h sei nur zu jenen Zeiten erforderlich, zu denen auf Grund des Schulbetriebes im Schulzentrum Schererstraße realistischerweise mit einem entsprechenden Fußgängerverkehr zu rechnen sei, nicht hingegen zu anderen Zeiten. Insbesondere an Samstagen und Sonntagen, in den Ferien und auch an allen anderen Tagen zur Nachtzeit scheine die Erweiterung der 30 km/h-Zonenbeschränkung daher nicht erforderlich zu sein.

3.3. Die angefochtene Verordnung sei insoweit nicht iSd §43 Abs1 StVO 1960 erforderlich, als sie die im Ortsgebiet erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auch zu Zeiten herabsetze, in denen mit keinem erhöhten Fußgängeraufkommen wegen des Schulbetriebes zu rechnen sei. Jedenfalls sei kein ausreichendes Ermittlungsverfahren geführt worden, aus dem sich die Erforderlichkeit dieser Geschwindigkeitsbeschränkung außerhalb der Zeiten des Schulbetriebes ergeben würde.

4. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Vöcklabruck gab die folgende, zusammengefasst wiedergegebene Äußerung ab:

4.1. Im Nahbereich der gegenständlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen würden sich größere öffentliche Parkflächen, die auch außerhalb von Schultagen von Besuchern der Stadt in Anspruch genommen würden, befinden. Besucher, die auf diesen Parkflächen ihre Fahrzeuge abstellten, müssten die Gmundnerstraße queren, um fußläufig direkt ins Zentrum und zur Landesmusikschule zu gelangen.

4.2. In der Landesmusikschule fänden an Wochenenden rund zehn Veranstaltungen statt (bis zu 180 Besucher, im Durchschnitt mit 80 Besuchern). Abends fände in der Landesmusikschule täglich Unterricht statt (bis 20:00 Uhr täglich, an zwei Tagen in der Woche bis 21:00 Uhr). Abendveranstaltungen (Vortragsabende, Konzerte, Prüfungen, Proben etc.) fänden im Durchschnitt viermal in der Woche statt, wobei Vortragsabende und Prüfungen meist bis ca. 20:00 bzw 20:30 Uhr, Konzerte und Proben bis ca. 22:00 Uhr dauerten.

4.3. Weiters befände sich anschließend an die Landesmusikschule ein öffentlicher Spielplatz, der auch an Wochenenden von Kindern und Familien aus der Umgebung frequentiert werde. Somit sei auch an "Nichtschultagen" mit fußläufigem Verkehr und Querungen der betroffenen Straße zu rechnen.

5. Der Beschwerdeführer im Anlassverfahren zu V516/2020 gab die im Folgenden – auf die verfahrensrelevanten Aspekte beschränkt – zusammengefasst wiedergegebene Äußerung ab:

Das Ermittlungsverfahren der angefochtenen Verordnung sei unvollständig, weil sich die verordnungserlassende Behörde nicht mit dem Alter der an den Abenden das betroffene Gebiet frequentierenden Schüler auseinandergesetzt habe. Die angefochtene Verordnung sei darüber hinaus wegen anderer zur Verfügung stehender Querungen der Gmundnerstraße – an bestimmten Stellen auch durch Schutzwege abgesichert – nicht erforderlich.

6. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck und die Oberösterreichische Landesregierung gaben keine Äußerung ab.

IV. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Den Beschwerdeführern vor dem antragstellenden Gericht wird zur Last gelegt, sie hätten im räumlichen Geltungsbereich der angefochtenen Verordnung die mit dieser festgesetzte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h überschritten. Daher ist es offenkundig, dass das antragstellende Gericht die angefochtene Verordnung anzuwenden hat.

1.2. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, erweist sich der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Das antragstellende Gericht behauptet, die angefochtene Verordnung sei insoweit nicht iSd §43 Abs1 StVO 1960 erforderlich, als sie die im Ortsgebiet erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auch zu Zeiten herabsetze, in denen mit keinem erhöhten Fußgängeraufkommen wegen des Schulbetriebes zu rechnen sei. Jedenfalls sei kein ausreichendes Ermittlungsverfahren geführt worden, aus dem sich die Erforderlichkeit dieser Geschwindigkeitsbeschränkung außerhalb der Zeiten des Schulbetriebes ergebe.

2.3. Damit ist das antragstellende Gericht im Recht.

2.3.1. §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 sieht die Erlassung dauernder oder vorübergehender Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung vor, wenn und soweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer verkehrsbeschränkenden Verordnung die im Einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen (vgl zB VfSlg 8086/1977, 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993). Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere, sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung der Verkehrs-beziehungen und der Verkehrserfordernisse durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren (vgl zB VfSlg 12.485/1990, 16.805/2003, 17.572/2005). Die Gefahrensituation muss sich für die betreffende Straße deutlich von der allgemeinen, für den Straßenverkehr typischen Gefahrenlage unter-scheiden (vgl zB VfSlg 14.000/1994).

Wie der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und in zahlreichen nachfolgenden Erkenntnissen wiederholte (vgl VfSlg 13.371/1993, 14.051/1995, 15.643/1999, 16.016/2000, 16.805/2003, 17.573/2005), sind bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für die die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen.

Der Verfassungsgerichtshof geht somit in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Verkehrsbeschränkungen oder ‑verboten durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für welche eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie gegenüber anderen Straßen eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gebieten.

2.3.2. Die angefochtene Verordnung erstreckt den örtlichen Geltungsbereich einer bestehenden, eine Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h vorsehenden Verordnung "bis zur Liegenschaft Gmundnerstraße 32".

2.3.3. Im Verordnungsakt liegt die folgende Beurteilung eines verkehrstechnischen (Amts‑)Sachverständigen ein:

"Im Nahbereich der beantragten Erweiterung befindet sich das Schulzentrum Schererstraße, wobei Querungen der Gmundnerstraße von Schülern unumgänglich sind. Speziell in den Spitzenstunden am Morgen, Mittag bzw den ganzen Nachmittag über ist hier mit starkem fußläufigem Verkehr zu rechnen. Durch die Reduzierung der höchst zul. Fahrgeschwindigkeit wird in diesem Bereich ein gleichmäßiges Geschwindigkeitsverhalten der Fahrzeuglenker erreicht."

2.3.4. Wie das antragstellende Gericht zutreffend aufzeigt, setzte sich die verordnungserlassende Behörde nicht mit dem Umstand auseinander, ob die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ohne zeitliche Beschränkung erforderlich ist.

2.3.5. Da auf Grund dieses Fehlers im durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht zweifelsfrei beurteilt werden kann, ob die angefochtene Bestimmung erforderlich ist, verstößt die verordnungserlassende Behörde gegen die aus §43 Abs1 StVO 1960 erfließende Verpflichtung, auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens die Erforderlichkeit einer verkehrsbeschränkenden Maßnahme nachvollziehbar darzulegen (vgl zB VfGH 11.12.2019, V74/2019).

2.4. Soweit der Gemeinderat der Stadtgemeinde Vöcklabruck in seiner Äußerung zum Antrag des antragstellenden Gerichtes vorbringt, im Bereich des Schulzentrums Schererstraße fänden in den Abendstunden Unterrichtseinheiten in der Musikschule bzw abends und an den Wochenenden weitere Veranstaltungen statt, vermag die Äußerung die Erforderlichkeit der Verordnung nicht anhand des Maßstabes des §43 StVO 1960 darzulegen.

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach festgestellt hat, hat die verordnungserlassende Behörde das Ermittlungsverfahren jedenfalls vor Erlassung einer Verordnung durchzuführen. Ein nachträglich geführtes ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren vermag die Gesetzwidrigkeit einer Verordnung nicht zu beseitigen (vgl VfSlg 15.643/1999, 17.573/2005, 18.401/2008). Daher vermag auch die nachträgliche Darlegung der Erforderlichkeit einer Verordnung einen Mangel in einem vor der Verordnungserlassung durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht zu sanieren (vgl VfGH 11.6.2015, V108/2014).

2.5. Da die verordnungserlassende Behörde die Erforderlichkeit der angefochtenen Verordnung im Ermittlungsverfahren zur Erlassung der Verordnung nicht nachvollziehbar darlegt, findet die angefochtene Verordnung wegen eines Verstoßes gegen §43 Abs1 litb StVO 1960 keine Deckung im Gesetz.

V. Ergebnis

1. Die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Vöcklabruck vom 15. November 2010, Z 223‑2010‑Stb‑Pr, ist wegen nicht ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Verpflichtung der Oberösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruchs des Verfassungsgerichtshofes erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B‑VG und §59 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z2 litb Oberösterreichisches Verlautbarungsgesetz 2015.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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