Normen
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
Tir BauO 2011 §6 Abs6
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
Tir BauO 2011 §6 Abs6
Spruch:
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Antrag und Vorverfahren
1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist ein Beschwerdeverfahren gegen einen Bescheid der Tiroler Landesregierung als Vorstellungsbehörde in einem Baubewilligungsverfahren anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
1.1. Mit Baugesuch vom 25. August 2011 beantragte der Nachbar des Beschwerdeführers die Erteilung der Baubewilligung für den Neubau einer Garage auf seinem als Wohngebiet gewidmeten Baugrundstück. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des östlich unmittelbar angrenzenden Grundstückes. Die Garage sollte im – von der öffentlichen Verkehrsfläche aus gesehen – hinteren Teil der Bauliegenschaft im unmittelbar an der Grundgrenze zur Liegenschaft des Beschwerdeführers gelegenen Bereich errichtet werden. Dagegen erhob der Beschwerdeführer schriftlich Einwendungen und machte insbesondere geltend, dass keine Ermittlung des Baubestandes auf der Bauliegenschaft im Hinblick auf die zweifache Begrenzung des Bauens im Seitenabstand nach §6 Tiroler Bauordnung 2011, LGBl 57, stattgefunden habe. Diese Einwendungen hielt der Beschwerdeführer in der mündlichen Bauverhandlung am 21. September 2011 aufrecht.
Der Bürgermeister erteilte mit Bescheid vom 12. Jänner 2012 die beantragte Baubewilligung. Gleichzeitig wies er die Einwendungen des Beschwerdeführers mit der Begründung ab, dass das ebenfalls auf dem Baugrundstück befindliche, baurechtlich bewilligte Wohnhaus für die Verbauung im Abstandsbereich nach §6 Abs6 TBO 2011 nicht zu berücksichtigen sei.
Der Gemeindevorstand wies die dagegen erhobene Berufung mit der im Wesentlichen gleichen Begründung ab.
1.2. Die Tiroler Landesregierung wies mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 5. Oktober 2012 die Vorstellung des Beschwerdeführers ab und führte unter Verweis auf die Erläuternden Bemerkungen zur Novelle LGBl 48/2011 zur Tiroler Bauordnung 2001 aus, dass das Wohnhaus bei der Berechnung der im Seitenabstand zulässigen Bebauung nicht miteinzubeziehen sei.
1.3. Aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens stellt der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, "in §6 Abs6 dritter Satz zweiter Halbsatz der Tiroler Bauordnung 2011 (TBO 2011), LGBl 57, das Wort 'solchen' als verfassungswidrig aufzuheben".
1.3.1. Zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung führt er aus, dass er §6 Abs6 TBO 2011 anzuwenden habe, zumal der Nachbar gemäß §26 Abs3 lite TBO 2011 ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Einhaltung des §6 TBO 2011 habe. Die Übergangsbestimmung des ArtVII der Kundmachung LGBl 57/2011 komme im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, weil das gegenständliche Bauverfahren erst nach dem 1. Juli 2011 anhängig geworden sei.
1.3.2. Der Verwaltungsgerichtshof legt seine Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung in Hinblick auf den in Art7 B-VG verankerten Gleichheitssatz im Wesentlichen wie folgt dar:
"[...] Vor der Novelle LGBl Nr 48/2011 lautete der dritte Satz des §6 Abs6 der Tiroler Bauordnung 2001, LGBl Nr 94, wie folgt:
'Oberirdische bauliche Anlagen nach Abs3 lita und b dürfen überdies nur in einem solchen Ausmaß errichtet werden, dass gegenüber den angrenzenden Grundstücken zu jeder Seite hin mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grenze von baulichen Anlagen frei bleibt, außer der betroffene Nachbar stimmt einer weitergehenden Verbauung nachweislich zu.'
Zu dieser Rechtslage hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vorn 27. März 2007, Zl. 2003/06/0145, ausgesprochen, dass sich die Wortfolge 'von baulichen Anlagen frei bleibt' auf alle baulichen Anlagen und nicht nur auf die in §6 Abs3 lita und b TBO 2001 genannten bezieht.
Mit der Novelle zur TBO 2001, LGBl Nr 48/2011, erhielt der dritte Satz des §6 Abs6 TBO 2001 folgende Fassung:
'Oberirdische bauliche Anlagen nach Abs3 lita und b dürfen überdies nur in einem solchen Ausmaß errichtet werden, dass innerhalb der Mindestabstandsflächen zu jedem angrenzenden Grundstück und zu jeder Seite hin mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grenze von solchen baulichen Anlagen frei bleibt, außer der betroffene Nachbar stimmt einer weitergehenden Verbauung nachweislich zu.'
Die Erläuternden Bemerkungen zu dieser Bestimmung (120/11 BlgTirLT, 15. UP) lauten:
'Die teilweise Neufassung dieser Bestimmung, die in der Praxis immer wieder Anlass zu Auslegungsproblemen gegeben hat, dient zum einen ihrer leichteren Verständlichkeit. Nunmehr ist klargestellt, dass jeweils die gemeinsame Grenze mit einem angrenzenden Grundstück als Berechnungsgrundlage heranzuziehen ist, und zwar unabhängig davon, weichen Verlauf sie nimmt. Diese gemeinsame Grenze darf insgesamt höchstens bis zur Hälfte verbaut werden, wobei es bei einem geraden Verlauf der gemeinsamen Grenze, etwa wenn diese über ein Eck verläuft, dem Grundeigen er überlassen bleibt, zu welcher Seite oder zu welchen Seiten hin er das lässige Maß der Verbauung ausschöpft. Dabei sind wie schon bisher entsprechende Bauten im Bereich der Mindestabstandsflächen am Nachbargrund zu berücksichtigen (s. in diesem Sinn VwGH vom 28. April 2009, Zl. 2009/06/0029).
Durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die Mindestabstandsflächen wird weiters klargestellt, dass im gegebenen Zusammenhang nicht nur Bauführungen unmittelbar an der Grundstücksgrenze relevant sind, sondern allgemein Bauführungen innerhalb der Mindestabstandsflächen von 3 m bzw. 4 m. Zudem wird durch die Einfügung des Wortes 'solchen' der (ursprünglichen) Intention des Gesetzgebers folgend verdeutlicht, dass Regelungsgegenstand (oberirdische bauliche Anlagen nach Abs3 lita und b) und Berechnungsgrundlage für die gegenständliche 50 %-Regel (nämlich ebensolche bauliche Anlagen) ident sind. Diese Klarstellung war insbesondere im Hinblick auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. März 2007, Zl. 2003/06/0145, geboten, in dem die bisherige Textierung 'von baulichen Anlagen frei bleibt' auf bauliche Anlagen aller Art, und nicht nur auf jene nach Abs3 lita und b bezogen wurde.'
§6 Abs6 dritter Satz der TBO 2001 in der Fassung der Novelle LGBl Nr 48/2011 ist mit 1. Juli 2011 in der Fassung der Wiederverlautbarung als §6 Abs6 dritter Satz TBO 2011, LGBl Nr 57, in Kraft getreten (vgl. ArtII Abs1 der Novelle LGBl Nr 48/2011 und 41 Abs3 der Tiroler Landesordnung 1989). Die Übergangsbestimmung des ArtVII der Kundmachung LGBl Nr 57/2011 (vgl. ArtII Abs4 der Novelle LGBl Nr 48/2011) kommt im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, weil das gegenständliche Bauverfahren erst nach dem 1. Juli 2011 anhängig wurde.
[...] Im vorliegenden Fall ist mangels anderer Festlegungen in einem Bebauungsplan für die beschwerdegegenständliche bauliche Anlage iS des Einleitungssatzes des §6 Abs1 TBO 2011 gemäß §6 Abs1 litb TBO 2011 ein Abstand von 4 m zu den angrenzenden Grundstücken einzuhalten. Die gegenständliche Garage dürfte gemäß §6 Abs3 lita TBO 2011 in diesen Abstand ragen bzw. innerhalb desselben errichtet werden. Dabei unterliegt sie aber den Beschränkungen des §6 Abs6 TBO 2011.
[...] Nach den Einreichunterlagen und dem von den Baubehörden – insoweit unstrittig – festgestellten Sachverhalt besteht auf der Bauliegenschaft bereits ein Wohngebäude. Es ist aber nicht festgestellt, ob und allenfalls wie weit dieses Wohngebäude in den Seitenabstand hineinragt. Auch aus den Einreichunterlagen ist dies nicht abschließend nachvollziehbar; jedenfalls kann nicht von vornherein zweifelsfrei gesagt werden, dass der relevante Seitenabstand vom Wohngebäude frei ist.
[...] Während hinsichtlich der Bebauung von höchstens 15 % der Bauplatzfläche im Sinne des §6 Abs6 erster Satz TBO 2011 auf Grund des zweiten Satzes dieser Bestimmung davon auszugehen ist, dass lediglich bauliche Anlagen nach §6 Abs3 litc und d TBO 2011 sowie Pflasterungen und dergleichen – nicht also etwa das hier gegenständliche Wohnhaus – bei der Ausnützung des Seitenabstandes unberücksichtigt bleiben (auch arg: 'insgesamt' im ersten Satz des §6 Abs6 TBO 2011), ergibt sich hinsichtlich der 50 %-Regel des dritten Satzes des §6 Abs6 TBO 2011, dass bloß bauliche Anlagen im Sinne des §6 Abs3 lita und b TBO 2011 anzurechnen sind, wohingegen andere bauliche Anlagen, insbesondere auch solche wie das gegenständliche Wohnhaus, dabei unberücksichtigt bleiben. Dies folgt nunmehr eindeutig aus dem Wortlaut des Gesetzes, der lediglich verlangt, dass mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grenze von 'solchen' baulichen Anlagen frei bleibt, untermauert durch die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung nach den Erläuternden Bemerkungen. Eine Interpretation, wonach andere bauliche Anlagen als jene nach §6 Abs3 lita und b TBO 2011 bei der Berechnung ebenfalls zu berücksichtigen wären, insbesondere auch solche wie das gegenständliche Wohnhaus, erscheint angesichts des klaren Wortlautes der Bestimmung und auch der Gesetzesmaterialien ausgeschlossen.
[...] Eine sachliche Rechtfertigung dafür, dass zwar bestehende (bzw. auf Grund von rechtskräftigen Baubewilligungen noch errichtbare – vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. November 2010, Zl. 2007/06/0163) oberirdische bauliche Anlagen nach §6 Abs3 lita und b TBO 2011 bei der Berechnung des dritten Satzes des §6 Abs6 TBO 2011 zu berücksichtigen sind, andere bauliche Anlagen, wie etwa das gegenständliche Wohnhaus, hingegen nicht, ist nicht erkennbar:
[...] Durch §6 TBO 2011 soll die Bebauung an der Grenze limitiert werden, mit anderen Worten, es sollen Abstände und im Übrigen eine gewisse Freihaltung der Grenze gewährleistet sein. So vertritt auch der Verwaltungsgerichtshof zur hier gegenständlichen Regelung die Auffassung, dass an beiden Seiten 50 % der gemeinsamen Grenze frei bleiben müssen, dass also nicht jeder Nachbar beliebig 50 % auf seiner Seite verbauen kann, sodass im Ergebnis bis zu 100 % verbaut sein könnten (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 28. April 2009, Zl. 2009/06/0029, vom 24. März 2010, Zl. 2006/06/0214, und vom heutigen Tag, Zl. 2011/06/0075). Genau dieser Effekt kann aber eintreten, wenn nur mehr die jetzt beschränkte Anrechnung nach §6 Abs6 dritter Satz TBO 2011 stattfindet. Hervorzuheben ist, dass durch die Novelle LGBl Nr 48/2011, wie sich dies auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt, 'klargestellt' wurde, dass nicht nur Bauführungen unmittelbar an der Grundstücksgrenze relevant sind, sondern allgemein Bauführungen innerhalb der Mindestabstandsflächen von 3 m bzw. 4 m. Dies unterstreicht die Auffassung, dass es entscheidend auf Freiräume im Abstandsbereich an der Grenze ankommt, die aber durch die jetzige Rechtslage in unsachlicher Weise gerade nicht mehr sichergestellt sind.
[...] Der Seitenabstand wird durch andere bauliche Anlagen als jene nach §6 Abs3 lita und b TBO 2011, wie etwa das bereits bestehende Wohnhaus, zumindest ebenso wenn nicht sogar noch mehr beeinträchtigt als durch die gemäß dem dritten Satz des §6 Abs6 TBO 2011 in die Berechnung einzubeziehenden. Es ist sachlich nicht zu begründen, dass dann, wenn etwa ein Wohnhaus bereits im Seitenabstand steht, dieser Seitenabstand nunmehr eventuell sogar auf die volle Grenzlänge mit oberirdischen baulichen Anlagen nach§6 Abs3 lita und b TBO 2011 zugebaut werden kann, während derartiges ausgeschlossen wäre, wenn an derselben Stelle nicht etwa ein Wohnhaus, sondern nur bauliche Anlagen nach §6 Abs3 lita und b TBO 2011 vorhanden wären.
[...] Angesichts des nach der nunmehrigen Rechtslage zulässigen Ergebnisses (Verbauung der Grenze insgesamt in höherem Ausmaß als mit 50 %) ist es ferner sachlich nicht zu begründen, weshalb nicht etwa auch ein Wohnhaus jetzt neu an die Grenze gebaut werden darf, sondern nur bauliche Anlagen nach §6 Abs3 lita und b TBO 2011. Hinzuweisen ist hier auch darauf, dass gemäß §6 Abs9 TBO 2011 ein nach früheren baurechtliehen Vorschriften rechtmäßig bestehendes Gebäude im Seitenabstand sogar umgebaut oder wieder aufgebaut werden kann. Dies bedeutet, dass eine Art
Perpetuierung der gesamten Bebauung im Seitenabstand gegeben ist, dass also der Gesetzgeber nicht davon ausgeht, dass etwa ältere Bauten in absehbarer Zeit beseitigt würden und dann ein 'aufgelockerterer' Zustand gegeben wäre. Auch dies spricht für die Unsachlichkeit der Regelung, nach der durch eine nunmehrige Bebauung wegen der mangelhaften Anrechnung des vorhandenen Baubestandes sogar ein dauerhafter Zustand herbeigeführt werden kann, der eine Bebauung auf eine Länge bis zu 100 % umfasst.
[...] Schließlich führt die jetzige Rechtslage zur sachlich nicht gerechtfertigten Bevorzugung von Eigentümern, die ihre Grundgrenze mit Wohnhäusern verbaut haben, gegenüber jenen, die an ihrer Grundgrenze im gleichen Ausmaß bauliche Anlagen gemäß §6 Abs3lita und b TBO 2011 stehen haben.
Während erstere gegebenenfalls nach§6 Abs6 dritter Satz TBO 2011 noch Anlagen im Sinne des §6 Abs3 lita und b TBO 2011 im Seitenabstand errichten dürfen, ist dies für letztere bei sonst gleichen Umständen ausgeschlossen. Andererseits sind Nachbarn unsachlich bevorzugt, wenn auf der Bauliegenschaft im Seitenabstand nur bauliche Anlagen gemäß §6 Abs3 lita und b TBO 2011 (und nicht etwa sogar Wohnhäuser) bestehen, weil nur dann durch die neue Bebauung auf der Bauliegenschaft im Ergebnis die 50 %-Grenze insgesamt nicht überschritten werden darf."
2. Die Tiroler Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie zunächst ausdrücklich den Antrag des Verwaltungsgerichtshofes als zulässig ansieht. Die Tiroler Landesregierung tritt allerdings den im Antrag dargelegten Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache im Wesentlichen wie folgt entgegen:
"[...] Die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes, wonach im Rahmen der '15 %-Regel' des §6 Abs6 erster Satz TBO 2011 auch in den Mindestabstandsflächen bestehende Wohngebäude miteinzubeziehen seien, trifft nicht zu. Nach dieser Bestimmung dürfen die Mindestabstandsflächen von 3 bzw. 4 m insgesamt nur im Ausmaß von höchstens 15 v.H. der Fläche des Bauplatzes mit oberirdischen baulichen Anlagen im Sinn des Abs2 lita und Abs3 leg. cit. verbaut werden. Nach dem zweiten Satz leg. cit. bleiben dabei bauliche Anlagen nach Abs3 litc und d sowie Pflasterungen und dergleichen unberücksichtigt. Es ergibt sich sohin aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des ersten Satzes leg. cit., dass in das zulässige Maß der Bebauung der Mindestabstandsflächen nur die vom Gesetzgeber (ausdrücklich und ausschließlich) bezogenen baulichen Anlagen – das sind jene nach §6 Abs2 lita und Abs3 TBO 2011 – einzubeziehen sind; Wohngebäude, die – wie im Folgenden noch darzulegen sein wird – im Bereich der Mindestabstandsflächen nur unter ganz spezifischen Ausnahmefällen errichtet werden bzw. in sie hineinragen dürfen, fallen sohin nicht darunter. Der zweite Satz des §6 Abs6 leg. cit. nimmt von den solcherart im Rahmen der erwähnten '15 %-Regel' zu berücksichtigenden baulichen Anlagen jene nach §6 Abs3 litc und d leg. cit. sowie Pflasterungen und dergleichen aus. Diese Ausnahme ist ausweislich der Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage betreffend die seinerzeitige Tiroler Bauordnung 1998, LGBl Nr 15, darin begründet, dass Nachbarinteressen von diesen baulichen Anlagen nicht entscheidend beeinträchtigt werden (vgl. hierzu Wolf, Tiroler Baurecht [2012], S. 85).
Anders als der Verwaltungsgerichtshof unter Punkt 5 seines Antrages annimmt, knüpft der dritte Satz des §6 Abs6 TBO 2011 ('50 %-Regel') an die beiden vorangehenden Sätze ('15 %-Regel') an und sieht (ausschließlich) für die von der letzteren bereits mitumfassten baulichen Anlagen nach §6 Abs3 lita und b leg. cit. überdies vor, dass diese nur in einem solchen Ausmaß errichtet werden dürfen, dass innerhalb der Mindestabstandsflächen zu jedem angrenzenden Grundstück und zu jeder Seite hin mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grenze von solchen baulichen Anlagen frei bleibt, außer der betroffene Nachbar stimmt einer weitergehenden Bebauung nachweislich zu.
Es liegt somit entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichtshofes im Rahmen des §6 Abs6 TBO 2011 ein in sich stimmiges Gesamtkonzept vor, in dem Wohngebäude insgesamt außer Betracht bleiben.
[...] Selbstredend trifft es zu, dass §6 Abs6 TBO 2011 nicht für sich alleine, sondern eingebettet in das Gesamtsystem der Abstandsregelung gesehen werden muss. Dies impliziert, dass die Nichtberücksichtigung von Wohngebäuden im Rahmen dieser Bestimmung einer sachlichen Rechtfertigung bedarf. Diese liegt nach Ansicht der Tiroler Landesregierung entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes aber vor.
Hierbei ist entscheidend, dass die Errichtung von Wohngebäuden im Bereich der Mindestabstandsflächen grundsätzlich nicht zulässig ist. Von dieser Regel bestehen nur ganz spezifische Ausnahmen, die taxativ in den Abs7, 8 und 9 des §6 TBO 2011 geregelt sind. Die sachliche Rechtfertigung für die Nichtberücksichtigung von Wohngebäuden im gegebenen Zusammenhang ist in der Eigenart dieser Ausnahmekonstellationen gelegen.
Der Verwaltungsgerichtshof thematisiert hierbei nur den Ausnahmefall nach §6 Abs9 TBO 2011, was wohl impliziert, dass die Nichtberücksichtigung von Wohngebäuden im Rahmen der Abs7 und 8 leg. cit. selbst aus seiner Sicht keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken begegnet; dies trifft auch tatsächlich zu.
Der Abs7 leg. cit. regelt das Recht zum Zusammenbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze jeweils im Ausmaß der auf einer Seite bestehenden bzw. bewilligten Bebauung. Es liegt auf der Hand, dass diese Regelung im Interesse des Nachbarn gelegen ist und daher die sonst zulässige Bebauung im Bereich der Mindestabstandsflächen nicht tangieren soll. Noch mehr gilt dies für die Regelung des Abs8 leg.cit. betreffend die gekuppelte Bauweise, die eines gemeinsamen Antrages der betroffenen Grundeigentümer und sohin einer gemeinsamen Willensbildung und eines koordinierten Vorgehens derselben bedarf.
§6 Abs9 TBO 2011 betrifft hingegen nach den früheren baurechtlichen Vorschriften – das sind jene aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der Tiroler Bauordnung 1998, LGBl Nr 15 – rechtmäßig bestehende Gebäude, die den aktuellen Abstandsregelungen nicht mehr entsprechen. Diese Gebäude blieben ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zwar in ihrem rechtmäßigen Bestand abgesichert, eine bauliche Weiterentwicklung wäre aber nicht mehr möglich. Da dies in dieser Strenge nicht nur berechtigten Eigentümerinteressen, sondern auch dem öffentlichen Interesse an einer dauerhaft zweckmäßigen Nutzung der vorhandenen Bausubstanz widersprechen würde, lässt der Abs9 leg. cit. unter näher bezeichneten Voraussetzungen Umbauten, geringfügige Zubauten, sonstige Änderungen solcher Gebäude, Änderungen ihres Verwendungszweckes oder ihren Wiederaufbau zu. Dieses öffentliche Raumordnungsinteresse manifestiert sich nicht zuletzt im örtlichen Raumordnungsziel nach §27 Abs2 lite des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2011 betreffend die anzustrebende Bebauung; hierbei sind die Möglichkeiten verdichteter Bauformen 'einschließlich der nachträglichen Verdichtung bestehender Bauformen' zu berücksichtigen. Diese Bestimmung geht auf die Novelle LGBl Nr 47/2011 zum seinerzeitigen Tiroler Raumordnungsgesetz 2006 zurück, die in einem mit der Novelle LGBl Nr 48/2011 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung 2001, auf die wiederum die in Rede stehende Fassung des §6 Abs6 TBO 2011 zurückgeht, erlassen worden ist. Dies belegt, dass hier ein kohärentes Gesamtsystem vorliegt.
Im Licht des gegenständlichen Antrages entscheidend ist, dass nach dem in Rede stehenden §6 Abs9 TBO 2011 Nachbarinteressen in mehrfacher Weise besonders geschützt werden. So darf nach dem ersten Satz leg. cit. von den betreffenden Voraussetzungen (das sind die maßgebenden Abstandsbestimmungen) nicht weiter als bisher abgewichen werden (lita), es muss den Erfordernissen des (jedenfalls mit im Nachbarinteresse gelegenen) Brandschutzes entsprochen werden (litb) und es dürfen sich im Fall einer Änderung des Verwendungszweckes keine zusätzlichen nachteiligen Auswirkungen auf die Nachbargrundstücke ergeben (litc). Aus Nachbarsicht besonders wesentlich ist auch die Einschränkung nach dem zweiten Satz leg. cit., wonach an jener Seite des Gebäudes, an der die Mindestabstände unterschritten werden, die Wandhöhe gegenüber dem bestehenden Gebäude nicht vergrößert werden darf, was auch im Fall der Wiedererrichtung sonstiger baulicher Anlagen (das sind solche, die nicht unter den Gebäudebegriff fallen) gilt.
Legt der Gesetzgeber in Ansehung des hier in Rede stehenden baulichen Altbestandes, dessen bauliche Weiterentwicklung er (wie vorhin dargelegt) innerhalb gewisser Grenzen insbesondere als im örtlichen Raumordnungsinteresse gelegen zulässt, hierbei aber bereits erhebliches Augenmerk auf den Schutz von Nachbarinteressen (ein Aspekt, auf den der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Antrag in keiner Weise eingeht), so ist es nach Ansicht der Tiroler Landesregierung jedenfalls im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes gelegen, bei der Regelung der in den Mindestabstandsflächen an sich zulässigen baulichen Maßnahmen, diesen Baubestand außer Betracht zu lassen.
Damit liegen aber die vom Verwaltungsgerichtshof behaupteten unsachlichen Differenzierungen in Wahrheit nicht vor.
[...] Zu alledem kommt, dass mit der vom Verwaltungsgerichtshof beantragten Aufhebung selbst eine – wenngleich nicht aus der Sicht des Anlassfalles – verfassungsrechtlich bedenkliche Rechtslage geschaffen würde. Würde nämlich das Wort 'solchen' im §6 Abs6 dritter Satz zweiter Halbsatz TBO 2011 aufgehoben, so würden – wovon auch der Verwaltungsgerichthof ausgeht – oberirdische bauliche Anlagen aller Art der '50 %-Regel' unterliegen; damit wären aber auch jene nach §6 Abs3 litc, d und f TBO 2011 in die Berechnungsgrundlage einzubeziehen, obwohl sie – wie oben eingangs unter Punkt 1 zu den litc und d leg. cit. bereits ausgeführt – Nachbarinteressen nicht entscheidend beeinträchtigen. Zwar dürfte dies die Zulässigkeit des vorliegenden Antrages nicht in Frage stellen, zumal (von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen) eine Abgrenzung des Prüfungsgegenstandes nur derart gefordert ist, dass die Herstellung einer verfassungskonformen Rechtlage aus der Sicht des Anlassverfahrens ermöglicht wird, wogegen es nicht schadet, wenn eine andere Verfassungswidrigkeit bestehen bleibt oder eine neue entsteht (vgl. Rohregger in Korinek/Holoubek [Hrsg], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, RN 215 zu Art140 B-VG, sowie Grabenwarter/Lais in Bergthaler/Grabenwarter [Hrsg] Musterhandbuch Öffentliches Recht, Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, RN 144, beide mit Judikaturhinweisen). Nichts desto weniger zeigt dies, dass im Fall der vom Verwaltungsgerichtshof beantragten Gesetzesaufhebung in ein kohärentes, in sich stimmiges und damit gleichheitskonformes Gesamtsystem eingegriffen und dieses in verfassungswidriger Weise verändert würde.
[...] Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass es den vorerwähnten Bestimmungen im Wesentlichen vergleichbare Regelungen schon im Form des §7 Abs11, 12 und 13 der vormaligen Tiroler Bauordnung, LGBl Nr 33/1989, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl Nr 31/1997, gab.
[…]"
3. Die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beschwerdeführende Partei erstattete eine Äußerung, in der sie auf ihre Ausführungen in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof verweist und sich den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes anschließt.
4. Die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitbeteiligte Partei hält in ihrer Äußerung den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes im Wesentlichen Folgendes entgegen:
"[…]
Zunächst ist der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, wonach die hier gegenständliche Regelung eine Freihaltung der Grenzen in dem Sinne gewährleisten solle, dass im Ergebnis nicht zu 100 % der Grenze verbaut sein dürften, Folgendes zu entgegnen: die Bestimmung des §6 TBO 2011 verhindert die gänzliche Verbauung der Grenzen keineswegs. Einerseits gelten die Vorschriften über die Abstände baulicher Anlagen gemäß §6 TBO 2011 nur mangels einer anderen in einem Bebauungsplan festgelegten Bauweise. Andererseits bestimmt §6 Abs6 dritter Satz 2. Halbsatz TBO 2011 ausdrücklich, dass eine weitergehende Verbauung durchaus zulässig ist, wenn der betroffene Nachbar seine Zustimmung dazu erteilt. Je nachdem, ob ein Bebauungsplan eine andere Bauweise festlegt oder der Nachbar zustimmt, spricht nichts gegen eine vollständige Verbauung der Grenze.
Im Übrigen ist die vom Verwaltungsgerichtshof geäußerte Befürchtung (Punkt 6.1.), dass im Ergebnis bis zu 100 % verbaut sein könnten, wenn nur mehr die jetzt beschränkte Anrechnung nach §6 Abs6 3. Satz TBO 2011 stattfindet, nicht hinreichend begründet. Gemäß §6 Abs6 1. Satz TBO 2011 dürfen die Mindestabstandsflächen von 3 bzw. 4 m insgesamt nur im Ausmaß von höchstens 15 % des Bauplatzes mit oberirdischen baulichen Anlagen im Sinn des Abs2 lita und Abs3 verbaut werden. Damit ist sichergestellt, dass es nicht zu einer zu weit gehenden Verbauung kommen kann.
Darüber hinaus dürfen gemäß §6 Abs3 TBO 2011 überhaupt nur gewisse bauliche Anlagen oder Bauteile innerhalb der Mindestabstandsflächen errichtet werden. Andere als die im §6 Abs3 TBO 2011 genannte baulichen Anlagen bzw. Bauteile dürfen nicht innerhalb der Mindestabstandsflächen von 3 bzw. 4 m errichtet werden. Bei einem Wohngebäude handelt es sich nun um eine bauliche Anlage, die nach der genannten Bestimmung überhaupt nicht in der Mindestabstandsfläche errichtet werden darf. Insofern kann aber keine unsachliche Ungleichbehandlung darin liegen, dass das bestehende Wohnhaus bei der Ermittlung des Ausmaßes der Verbauung nicht berücksichtigt wird. Entsprechend den Vorschriften der TBO 2011 ist sichergestellt, dass ein Wohngebäude - jedenfalls bei offener Bauweise - nicht im Bereich der Mindestabstandsflächen errichtet wird. Bezüglich der übrigen in den Mindestabstandsflächen an sich zulässigen Bauten gelten andere Bestimmungen, die hier jedoch nicht relevant sind.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs (Punkt 6.4.) liegt in der geltenden Rechtslage keine Bevorzugung von Eigentümern, die ihre Grundgrenze mit Wohnhäusern verbaut haben gegenüber jenen, die in ihrer Grundgrenze im gleichen Ausmaß bauliche Anlagen gemäß §6 Abs3 lita und b TBO 2011 errichtet haben. Vielmehr würden Eigentümer, die ihr Wohnhaus rechtmäßig unter Einhaltung der damals geltenden Abstandsvorschriften errichtet haben und nunmehr aufgrund der Änderung der Abstandsvorschriften in den Bereich der Mindestabstandsfläche hineinragen, erheblich benachteiligt, wenn diese nunmehr grundsätzlich von der Rechtslage Errichtung jeglicher baulicher Anlagen innerhalb der Mindestabstandsfläche ausgeschlossen wären. Die Aufhebung des Wortes 'solchen' in §6 Abs6 dritter Satz TBO 2011 würde dazu führen, dass sämtliche Eigentümer, deren Gebäude aufgrund geänderter Abstandsvorschriften in die Mindestabstandsflächen von 3 bzw. 4 m hineinragen, keinerlei bauliche Anlagen mehr in der Mindestabstandsfläche errichten dürfen. Damit wären alle Eigentümer von neu zu errichtenden Gebäuden gegenüber den Eigentümern von bereits bestehenden Gebäuden bevorzugt. Eine sachliche Rechtfertigung hierfür gäbe es nicht.
Wie bereits aus §6 Abs9 TBO 2011 hervorgeht, sollen jedoch nach früheren baurechtlichen Vorschriften rechtmäßig bestehende Gebäude durch die nachträgliche Änderung der baurechtlichen Vorschriften gerade keine solchen Nachteile erfahren. Dementsprechend ist sogar der Wiederaufbau eines solchen bestehenden Gebäudes in der Mindestabstandsfläche zulässig.
Nur beispielhaft sei angeführt, dass es auch durch die nachträgliche Anbringung oder Änderung einer Fassadendämmung dazu kommen kann, dass ein selbst nach geltender Rechtslage rechtmäßig errichtetes Gebäude notwendiger Weise wenige Zentimeter in die Mindestabstandsfläche hineinragt. Mit einer solchen geringfügigen Überschreitung der Mindestabstandsgrenzen wären für den Grundnachbarn keinerlei Nachteile verbunden. Es wäre hingegen unverhältnismäßig, würde man dem Grundeigentümer, der nachträglich an seinem Haus eine Fassadendämmung anbringen musste, wegen der geringfügigen Überschreitung der Mindestabstandsfläche versagen, keinerlei bauliche Anlagen mehr in der Mindestabstandsfläche zu errichten.
Darüber hinaus ist §6 Abs6 3. Satz TBO 2011 nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Erkenntnisse vom 28.4.2009, Zl. 2009/06/0029 und 24.3.2010, Zl. 2006/06/0214) dahin zu verstehen, dass der Abstand an beiden Seiten der gemeinsamen Grundgrenze, nach jeder Seite hin, gewahrt werden muss. Besteht sohin auf dem Nachbargrund eine bauliche Anlage im Sinne des §6 Abs3 lita oder b TBO 2011, muss das Bauvorhaben am angrenzenden Grund den Gegebenheiten so angepasst werden, dass mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grundgrenze beidseits im erforderlichen Abstandsbereich von einer Verbauung frei bleibt. Würde man daher bereits bestehende Gebäude, wie das gegenständliche Wohnhaus, bei der Berechnung der 50 %-Regel mit einbeziehen, würde dies im Ergebnis tatsächlich zu einer doppelten Benachteiligung des Nachbarn führen. Würden aufgrund des Wohnhauses 50 % der gemeinsamen Grenze als verbaut gelten, wäre der Nachbar in der Errichtung baulicher Anlagen auf seinem Grundstück massiv eingeschränkt. Nachbarn von Eigentümern, deren Haus aus welchen Gründen immer innerhalb der Mindestabstandsfläche errichtet sind, würden somit nicht nur einen Nachteil daraus zu tragen haben, dass das Gebäude im Mindestabstandsbereich errichtet ist, sondern dazu noch daraus, dass sie deshalb selbst in der Verbauung eingeschränkt sind.
Die Einschränkung in §6 Abs6 3. Satz 2. Halbsatz TBO 2011 auf 'solche' bauliche Anlagen im Sinne des Abs3 lita und b ist aus folgenden Gründen notwendig: entfällt das Wort 'solchen', sind von der gegenständlichen Regelung alle baulichen Anlagen betroffen. Unter baulichen Anlagen sind gemäß §2 Abs1 TBO 2011 mit dem Erdboden verbundene Anlagen, zu deren fachgerechten Herstellung bautechnische Kenntnisse erforderlich sind, zu verstehen. Unter den Begriff 'bauliche Anlagen' fallen nach §6 Abs3 TBO 2011 insbesondere auch jene nach litc (Stützmauern, Geländer, Brüstungen, Einfriedungen und dergleichen), d (Stellplätze einschließlich der Zufahrten), e (unterirdische bauliche Anlagen) und f (Beleuchtungseinrichtungen). Auch diese baulichen Anlagen dürften sodann nach der gewünschten Änderung der Bestimmung des §6 Abs6 3. Satz 2. Halbsatz TBO 2011 nur bis zu einem Ausmaß von 50 % der gemeinsamen Grenze errichtet werden. Dieses Ergebnis vermag in keinster Weise zu überzeugen. Es würde einer sachlichen Rechtfertigung entbehren, wenn auch beispielsweise Geländer oder unterirdische bauliche Anlagen nur bis zum Ausmaß von 50 % der gemeinsamen Grenze errichtet werden dürften.
Die Aufhebung des Wortes 'solchen' in §6 Abs6 3. Satz 2. Halbsatz TBO 2011 würde im Übrigen der gesamten Bestimmung des §6 Abs6 TBO 2011 den Bedeutungsgehalt nehmen. Die gegenständliche Regelung des §6 Abs6 3. Satz TBO 2011 stellt eine Einschränkung des §6 Abs6 1. Satz TBO 2011 dar. Bei Aufhebung des Wortes 'solchen' wäre die Einschränkung in §6 Abs6 3. Satz TBO 2011 jedoch weit umfassender als die Regelung in §6 Abs6 1. Satz TBO 2011. Diese betrifft nämlich nur bauliche Anlagen nach §6 Abs2 lita und Abs3 TBO 2011; bauliche Anlagen nach §6 Abs3 litc und d TBO 2011 sowie Pflasterungen und dergleichen sind davon überhaupt ausgenommen.
[…]"
II. Rechtslage
Die Tiroler Bauordnung 2001, LGBl 94, wurde mit LGBl 48/2011 novelliert und mit LGBl 57/2011 als "Tiroler Bauordnung 2011 – TBO 2011" wiederverlautbart. Die hier maßgeblichen Bestimmungen lauten (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):
"§2
Begriffsbestimmungen
(1) Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene Anlagen, zu deren fachgerechten Herstellung bautechnische Kenntnisse erforderlich sind.
(2) Gebäude sind überdeckte, allseits oder überwiegend umschlossene bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und die dazu bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen.
[…]
(10) Nebengebäude sind Gebäude, die aufgrund ihres Verwendungszweckes einem auf demselben Grundstück befindlichen Gebäude funktionell untergeordnet und nicht für Wohnzwecke bestimmt sind, wie Garagen, Geräteschuppen, Gartenhäuschen und dergleichen. Nebenanlagen sind sonstige bauliche Anlagen, die aufgrund ihres Verwendungszweckes einem auf demselben Grundstück befindlichen Gebäude funktionell untergeordnet sind, wie Überdachungen, Stellplätze, Zufahrten und dergleichen.
(11) Die mittlere Wandhöhe ist der Abstand zwischen dem Niveau des an ein Gebäude anschließenden Geländes und dem Schnitt der äußeren Wandfläche mit der Dachhaut, wobei Höhenunterschiede, die sich aus der Neigung einer Dachfläche bzw. des anschließenden Geländes ergeben, bis insgesamt höchstens 3 m gemittelt werden. Übersteigt die Neigung einer Dachfläche den Winkel von 45°, so ist dieser Schnitt unter der Annahme zu ermitteln, dass die Dachneigung 45° beträgt, wobei vom höchsten Punkt jener Dachfläche auszugehen ist, deren Neigung den Winkel von 45° übersteigt. Wurde das Geländeniveau durch die Bauführung oder im Hinblick auf eine beabsichtigte Bauführung verändert, so ist vom Geländeniveau vor dieser Veränderung auszugehen. Andernfalls ist vom bestehenden Geländeniveau auszugehen. Dies gilt auch dann, wenn eine Geländeveränderung mehr als zehn Jahre zurückliegt. Ist jedoch in einem Bebauungsplan eine Höhenlage festgelegt, so ist in allen Fällen von dieser auszugehen.
(12) Bauplatz ist ein Grundstück, auf dem ein Gebäude errichtet werden soll oder besteht. Grundstück ist eine Grundfläche, die im Grundsteuerkataster oder im Grenzkataster mit einer eigenen Nummer bezeichnet ist oder die in einem Zusammenlegungsverfahren als Grundabfindung gebildet wurde. Bauplätze müssen außer im Fall von Sonderflächen nach §43 für Sonnenkollektoren oder Photovoltaikanlagen sowie nach den §§47, 50 und 50a des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2011 eine einheitliche Widmung aufweisen.
(13) Garagen sind Gebäude oder Gebäudeteile, die zum Einstellen von Kraftfahrzeugen bestimmt sind.
(14) Stellplätze sind außerhalb von Gebäuden liegende Flächen, die zum Abstellen von Kraftfahrzeugen und Fahrrädern bestimmt sind.
[…]
(16) Untergeordnete Bauteile sind Vordächer, Dachkapfer, Fänge, Windfänge, Freitreppen, offene Balkone, Sonnenschutzeinrichtungen und dergleichen, fassadengestaltende Bauteile wie Gesimse, Lisenen, Rahmen und dergleichen, unmittelbar über dem Erdgeschoß angebrachte offene Schutzdächer sowie an baulichen Anlagen angebrachte Werbeeinrichtungen, Sonnenkollektoren und Photovoltaikanlagen.
[…]
§6
Abstände baulicher Anlagen von den übrigen Grundstücksgrenzen und von anderen baulichen Anlagen
(1) Sofern nicht aufgrund der in einem Bebauungsplan festgelegten geschlossenen oder besonderen Bauweise oder aufgrund von darin festgelegten Baugrenzlinien zusammenzubauen bzw. ein anderer Abstand einzuhalten ist, muss jeder Punkt auf der Außenhaut von baulichen Anlagen gegenüber den Grenzen des Bauplatzes zu den angrenzenden Grundstücken mindestens einen horizontalen Abstand aufweisen, der
a) im Gewerbe- und Industriegebiet und im Kerngebiet das 0,4fache des lotrechten Abstandes zwischen dem betreffenden Punkt und dem Geländeniveau darunter, jedenfalls aber drei Meter, zum übrigen Bauland, zum Freiland, zu Sonderflächen nach den §§48, 48a, 49, 49b und 51 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2011, zu Vorbehaltsflächen jedoch das 0,6fache dieses Abstandes, jedenfalls aber vier Meter,
b) im übrigen Bauland, auf Sonderflächen nach den §§48, 48a, 49, 49b und 51 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2011 und auf Vorbehaltsflächen das 0,6fache des lotrechten Abstandes zwischen dem betreffenden Punkt und dem Geländeniveau darunter, jedenfalls aber vier Meter,
c) auf Sonderflächen nach den §§43 bis 47, 49a, 50 und 50a des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2011 das 0,4fache des lotrechten Abstandes zwischen dem betreffenden Punkt und dem Geländeniveau darunter, jedenfalls aber drei Meter, zum Bauland außer zum Gewerbe- und Industriegebiet und Kerngebiet, zu Sonderflächen nach den §§48, 48a, 49, 49b und 51 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2011, zu Vorbehaltsflächen jedoch das 0,6fache dieses Abstandes, jedenfalls aber vier Meter,
d) im Freiland das 0,4fache des lotrechten Abstandes zwischen dem betreffenden Punkt und dem Geländeniveau darunter, jedenfalls aber drei Meter, zum Bauland, zu Sonderflächen nach den §§48, 48a, 49, 49b und 51 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2011, zu Vorbehaltsflächen jedoch das 0,6fache dieses Abstandes, jedenfalls aber vier Meter, beträgt. Wurde das Geländeniveau durch die Bauführung oder im Hinblick auf eine beabsichtigte Bauführung verändert, so ist bei der Berechnung der Abstände nach lita bis d vom Geländeniveau vor dieser Veränderung auszugehen. Andernfalls ist vom bestehenden Geländeniveau auszugehen. Dies gilt auch dann, wenn eine Geländeveränderung mehr als zehn Jahre zurückliegt. Ist jedoch in einem Bebauungsplan eine Höhenlage festgelegt, so ist in allen Fällen von dieser auszugehen.
(2) Bei der Berechnung der Mindestabstände nach Abs1 bleiben außer Betracht und dürfen innerhalb der entsprechenden Mindestabstandsflächen errichtet werden:
a) untergeordnete Bauteile, sofern sie nicht mehr als 1,50 m in die Mindestabstandsflächen ragen und ein ausreichender Brandschutz zum angrenzenden Grundstück gewährleistet ist;
b) Fänge sowie Dachkapfer bis zu einer Länge von insgesamt 33 v. H. der Wandlänge auf der betreffenden Gebäudeseite und bis zu einer Höhe von 1,40 m, wobei vom lotrechten Abstand zwischen dem untersten Schnittpunkt des Dachkapfers mit der Dachhaut und dem höchsten Punkt des Dachkapfers auszugehen ist.
(3) Folgende bauliche Anlagen oder Bauteile dürfen in die Mindestabstandsflächen von 3 bzw. 4 m ragen oder innerhalb dieser errichtet werden:
a) oberirdische bauliche Anlagen, die ausschließlich dem Schutz von Sachen oder Tieren dienen und deren mittlere Wandhöhe bzw. Höhe auf der der Grundstücksgrenze zugekehrten Seite 2,80 m, im Gewerbe- und Industriegebiet 3,50 m, nicht übersteigt, wenn sie in den Mindestabstandsflächen keine Fangmündungen aufweisen, einschließlich der Zufahrten; oberirdische bauliche Anlagen, die dem Schutz von Tieren dienen, dürfen in den Mindestabstandsflächen auch keine sonstigen Öffnungen ins Freie aufweisen; die Ausstattung von oberirdischen baulichen Anlagen mit begehbaren Dächern ist nur zulässig, wenn diese höchstens 1,50 m über dem anschließenden Gelände liegen oder wenn der betroffene Nachbar dem nachweislich zustimmt; begehbare Dächer dürfen mit einer höchstens 1 m hohen Absturzsicherung ausgestattet sein;
b) Pergolen und dergleichen, sofern deren mittlere Wandhöhe bzw. Höhe auf der der Grundstücksgrenze zugekehrten Seite 2,80 m, im Gewerbe- und Industriegebiet 3,50 m, nicht übersteigt, sonstige überwiegend offene oberirdische bauliche Anlagen, die dem Aufenthalt von Menschen dienen, wie Terrassen und dergleichen, sowie offene Schwimmbecken;
c) Stützmauern, Geländer, Brüstungen, Einfriedungen und dergleichen bis zu einer Höhe von insgesamt 2 m, im Gewerbe- und Industriegebiet bis zu einer Höhe von insgesamt 2,80 m, jeweils vom höheren anschließenden Gelände gemessen, außer der betroffene Nachbar stimmt einer größeren Höhe nachweislich zu;
d) Stellplätze einschließlich der Zufahrten;
e) unterirdische bauliche Anlagen, wenn sie in den Mindestabstandsflächen keine Fangmündungen aufweisen;
f) Flutlichtanlagen und sonstige Beleuchtungseinrichtungen mit Zustimmung des betroffenen Nachbarn.
(4) Ist eine Baugrenzlinie festgelegt, so gilt Abs2 und 3 litc sinngemäß. Soweit keine Baugrenzlinien für unterirdische Geschoßebenen festgelegt sind, gilt weiters Abs3 lite sinngemäß. Darüber hinaus dürfen nur Pflasterungen, Zufahrten und dergleichen vor die Baugrenzlinie ragen oder vor dieser errichtet werden. §59 Abs3 vierter und fünfter Satz des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2011 bleibt unberührt.
(5) Auf einem Bauplatz dürfen mehrere Gebäude oder sonstige bauliche Anlagen errichtet werden, wenn die nach ihrem Verwendungszweck erforderliche Belüftung und Belichtung gewährleistet ist, den Erfordernissen des Brandschutzes entsprochen und das Orts- und Straßenbild nicht erheblich beeinträchtigt wird.
(6) Die Mindestabstandsflächen von 3 bzw. 4 m dürfen insgesamt nur im Ausmaß von höchstens 15 v. H. der Fläche des Bauplatzes mit oberirdischen baulichen Anlagen im Sinn des Abs2 lita und Abs3 verbaut werden. Dabei bleiben bauliche Anlagen nach Abs3 litc und d sowie Pflasterungen und dergleichen unberücksichtigt. Oberirdische bauliche Anlagen nach Abs3 lita und b dürfen überdies nur in einem solchen Ausmaß errichtet werden, dass innerhalb der Mindestabstandsflächen zu jedem angrenzenden Grundstück und zu jeder Seite hin mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grenze von solchen baulichen Anlagen frei bleibt, außer der betroffene Nachbar stimmt einer weitergehenden Verbauung nachweislich zu. Gemeinsame Grenzen von weniger als 3 m Länge auf einer Seite bleiben unberücksichtigt.
(7) An eine im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung oder der Erstattung der Bauanzeige an der Grundstücksgrenze bestehende bauliche Anlage darf bis zur Länge und bis zur Höhe der Wand oder des Bauteiles an der Grundstücksgrenze angebaut werden, wenn zur betreffenden Seite hin keine Baugrenzlinie festgelegt ist und wenn dadurch das Orts- und Straßenbild nicht erheblich beeinträchtigt wird. An bauliche Anlagen, die nach dem bewilligten bzw. dem aus der baulichen Zweckbestimmung hervorgehenden Verwendungszweck nur zum Schutz von Sachen oder Tieren bestimmt sind, dürfen nur bauliche Anlagen mit einem solchen Verwendungszweck angebaut werden.
(8) Bauliche Anlagen dürfen aufgrund eines gemeinsamen Antrages der Eigentümer der betreffenden Bauplätze oder der daran Bauberechtigten an der Grundstücksgrenze errichtet werden (gekuppelte Bauweise),
a) wenn ein Bebauungsplan nicht besteht und das Orts- und Straßenbild dadurch nicht erheblich beeinträchtigt wird oder
b) wenn dies aufgrund des Bebauungsplanes zulässig ist.
Besteht aufgrund eines solchen gemeinsamen Antrages zumindest für einen der betroffenen Bauplätze eine Baubewilligung, so ist die Errichtung von Gebäuden mit Ausnahme von Nebengebäuden in offener Bauweise nicht weiter zulässig.
(9) Erfüllt ein nach früheren baurechtlichen Vorschriften rechtmäßig bestehendes Gebäude die Voraussetzungen nach den Abs1 bis 4 oder 6 nicht, so sind ein Umbau, ein geringfügiger Zubau oder eine sonstige Änderung dieses Gebäudes, eine Änderung seines Verwendungszweckes oder sein Wiederaufbau im Fall des Abbruches oder der sonstigen Zerstörung auch dann zulässig, wenn
a) von den betreffenden Voraussetzungen nicht weiter als bisher abgewichen wird,
b) den Erfordernissen des Brandschutzes entsprochen wird und
c) bei einer Änderung des Verwendungszweckes weiters keine zusätzlichen nachteiligen Auswirkungen auf die angrenzenden Grundstücke, insbesondere durch Lärm, zu erwarten sind.
An jener Seite des Gebäudes, an der die Mindestabstände unterschritten werden, darf die Wandhöhe gegenüber dem bestehenden Gebäude nicht vergrößert werden. Dieser Absatz gilt sinngemäß für die Änderung und die Wiedererrichtung sonstiger baulicher Anlagen.
(10) Bei baulichen Anlagen, deren Errichtung an der Bauplatzgrenze zulässig ist, dürfen Dächer und Einrichtungen zur Ableitung von Niederschlagswasser über die Bauplatzgrenze ragen, wenn der betroffene Nachbar dem nachweislich zustimmt."
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungs-gerichtshofes darf daher ein Antrag auf Aufhebung einer generellen Norm nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Für den Verfassungsgerichtshof besteht kein Zweifel, dass der Verwaltungsgerichtshof in dem bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahren das angefochtene Wort in §6 Abs6 dritter Satz TBO 2011 (zumindest) denkmöglich anzuwenden hat.
1.2. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.
2. In der Sache
Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
2.1. Der Verwaltungsgerichtshof legt seinen Bedenken zunächst folgende Interpretation des §6 Abs6 TBO 2011 zugrunde: Während hinsichtlich der Bebauung von höchstens 15 % der Bauflächen im Sinne des §6 Abs6 erster Satz TBO 2011 auf Grund des zweiten Satzes dieser Bestimmung davon auszugehen sei, dass lediglich bauliche Anlagen nach §6 Abs3 litc und d TBO 2011 sowie Pflasterungen und dergleichen – nicht hingegen das im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof relevante Wohnhaus auf dem Baugrundstück – bei der Ausnützung des Seitenabstandes unberücksichtigt bleibe, ergebe sich hinsichtlich der 50 %-Regel des dritten Satzes in §6 Abs6 TBO 2011, dass bauliche Anlagen im Sinne des §6 Abs6 TBO 2011 anzurechnen seien, "wohingegen andere bauliche Anlagen, insbesondere auch solche wie das gegenständliche Wohnhaus, dabei unberücksichtigt bleiben". Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes gibt es keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass "zwar bestehende (bzw. auf Grund von rechtskräftigen Baubewilligungen noch errichtbare […]) oberirdische bauliche Anlagen nach §6 Abs3 lita und b TBO 2011 bei der Berechnung des dritten Satzes des §6 Abs6 TBO 2011 zu berücksichtigen sind, andere bauliche Anlagen, wie etwa das gegenständliche Wohnhaus, hingegen nicht".
Der Verwaltungsgerichtshof vertrete zu §6 TBO 2011 die Auffassung, "dass an beiden Seiten 50% der gemeinsamen Grenze frei bleiben müssen, dass also nicht jeder Nachbar beliebig 50% auf seiner Seite verbauen kann, sodass im Ergebnis bis zu 100% verbaut sein könnten (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 28. April 2009, Zl. 2009/06/0029, vom 24. März 2010, Zl. 2006/06/0214, und vom heutigen Tag [27. August 2013], Zl. 2011/06/0075)". Genau dieser Effekt könne aber eintreten, wenn nur mehr die jetzt beschränkte Anrechnung nach §6 Abs6 dritter Satz TBO 2011 stattfinde. Durch die Novelle LGBl 48/2011 zur Tiroler Bauordnung sei – wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergebe – "klargestellt" worden, dass nicht nur Bauführungen unmittelbar an der Grundstücksgrenze, sondern allgemein Bauführungen innerhalb der Mindestabstandsflächen von 3 m bzw. 4 m relevant seien. Dies unterstreiche die Auffassung, dass es entscheidend auf Freiräume im Abstandsbereich ankomme, die aber durch die jetzige Rechtslage in unsachlicher Weise gerade nicht mehr sichergestellt seien. Es sei sachlich nicht zu begründen, dass dieser Seitenabstand nunmehr eventuell sogar auf die volle Grenzlänge mit oberirdischen baulichen Anlagen nach §6 Abs3 lita und b TBO 2011 zugebaut werden könne, wenn etwa ein Wohnhaus bereits im Seitenabstand stehe, während Derartiges ausgeschlossen sei, wenn an derselben Stelle nicht etwa ein Wohnhaus, sondern nur bauliche Anlagen nach §6 Abs3 lita und b TBO 2011 vorhanden seien.
Der Verfassungsgerichtshof teilt die – für die Anfechtung wesentliche – Interpretation des §6 Abs6 TBO 2011 durch den Verwaltungsgerichtshof nicht.
Gemäß §6 Abs1 TBO 2011 müssen bauliche Anlagen gegenüber den angrenzenden Grundstücksgrenzen näher bestimmte Mindestabstände einhalten. Bei der Berechnung dieser Mindestabstände bleiben gemäß §6 Abs2 TBO 2011 unter näher festgelegten Voraussetzungen untergeordnete Bauteile (lita) sowie Fänge und Dachkapfer (litb) außer Betracht und dürfen innerhalb der entsprechenden Mindestabstände errichtet werden. §6 Abs3 TBO 2011 zählt bestimmte bauliche Anlagen und Bauteile auf, welche in die Mindestabstände ragen bzw. innerhalb dieser errichtet werden dürfen.
An diese Bestimmungen knüpft nun §6 Abs6 TBO 2011 an. Nach §6 Abs6 erster Satz TBO 2011 dürfen die Mindestabstandsflächen insgesamt nur im Ausmaß von höchstens 15 % der Fläche des Bauplatzes mit oberirdischen baulichen Anlagen im Sinne des Abs2 lita und Abs3 in §6 TBO 2011 verbaut werden. Dabei bleiben allerdings gemäß dem zweiten Satz des §6 Abs6 TBO 2011 bauliche Anlagen nach §6 Abs3 litc ("Stützmauern, Geländer, Brüstungen, Einfriedungen und dergleichen bis zu …") und d ("Stellplätze einschließlich der Zufahrten") TBO 2011 sowie "Pflasterungen und dergleichen" unberücksichtigt.
Der Verfassungsgerichtshof stimmt mit der Tiroler Landesregierung überein, dass nach dem ersten (und zweiten Satz) des §6 Abs6 TBO 2011 in das zulässige Maß der Bebauung der Mindestabstandsflächen nur die vom Gesetzgeber ausdrücklich genannten baulichen Anlagen – das sind jene nach §6 Abs2 lita und Abs3 TBO 2011 – einzubeziehen sind; Wohngebäude fallen nicht unter die ersten beiden Sätze des §6 Abs6 TBO 2011 und sind somit – im Unterschied zur Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes – nicht im Rahmen der 15 %-Regel der beiden ersten Sätze des §6 Abs6 TBO zu berücksichtigen.
Der Verfassungsgerichtshof stimmt der Tiroler Landesregierung auch darin zu, dass der dritte Satz des §6 Abs6 TBO 2011 ("50 %-Regel") an die beiden ersten Sätze des §6 Abs6 TBO 2011 ("15 %-Regel") anknüpft (arg.: "überdies"). Gemäß §6 Abs6 dritter Satz TBO 2011 dürfen ausschließlich die von den beiden ersten Sätzen des §6 Abs6 TBO 2011 bereits (mit)umfassten baulichen Anlagen im Sinne des §6 Abs3 lita und b leg.cit. "überdies" nur in einem solchen Ausmaß errichtet werden, dass innerhalb der Mindestabstandsflächen zu jedem angrenzenden Grundstück und zu jeder Seite hin mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grenze von solchen baulichen Anlagen frei bleibt, außer der betroffene Nachbar stimmt einer weitergehenden Bebauung nachweislich zu.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes bestehen keine gleichheitsrechtlichen Bedenken dagegen, dass andere als die in §6 Abs6 TBO 2011 genannten baulichen Anlagen – wie zB ein bestehendes Wohnhaus – im Anwendungsbereich des §6 Abs6 TBO 2011 gar keine Rolle spielen. Es handelt sich dabei vielmehr um ein in sich geschlossenes System; andere als die in §6 Abs6 TBO 2011 angeführten baulichen Anlagen werden nicht durch §6 Abs6, sondern durch §6 Abs7, 8 und 9 TBO 2011 erfasst (vgl. dazu Punkt 2.2.).
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat das weitere Bedenken, es sei angesichts des nach der nunmehrigen Rechtslage zulässigen Ergebnisses (Verbauung der Grenze insgesamt in höherem Ausmaß als mit 50 %) sachlich auch nicht zu begründen, dass nicht etwa auch ein Wohnhaus neu an die Grenze gebaut werden dürfe, sondern nur bauliche Anlagen nach §6 Abs3 lita und b TBO 2011. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass gemäß §6 Abs9 TBO 2011 ein nach früheren baurechtlichen Vorschriften rechtmäßig bestehendes Gebäude im Seitenabstand sogar umgebaut oder wieder aufgebaut werden könne. Damit sei "eine Art Perpetuierung der gesamten Bebauung im Seitenabstand gegeben", der Gesetzgeber gehe also nicht davon aus, dass ältere Bauten in absehbarer Zeit beseitigt würden und dann ein "aufgelockerterer" Zustand gegeben wäre. Auch dies spreche für die Unsachlichkeit der Regelung, nach der durch eine nunmehrige Bebauung wegen der mangelhaften Anrechnung des vorhandenen Baubestandes sogar ein dauerhafter Zustand herbeigeführt werden könne, der eine Bebauung auf eine Länge bis zu 100 % umfasse.
Diesem Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere auch dem Verweis des Verwaltungsgerichtshofes auf §6 Abs9 TBO 2011, aus welchem der Verwaltungsgerichtshof eine Unsachlichkeit des angefochtenen Worts in §6 Abs6 TBO 2011 ableitet, pflichtet der Verfassungsgerichtshof nicht bei:
Es bestehen keine gleichheitsrechtlichen Bedenken dagegen, dass der Landesgesetzgeber in §6 Abs2 und 3 TBO 2011 die Errichtung von Wohngebäuden nicht erlaubt und diese gemäß §6 Abs6 TBO 2011 bei der Errichtung der dort genannten baulichen Anlagen überhaupt nicht berücksichtigt. Der Gesetzgeber hat in §6 Abs7, 8 und 9 TBO 2011 besondere Ausnahmeregeln für die Errichtung sonstiger baulicher Anlagen (zB neuer Wohngebäude) innerhalb des Mindestabstandes bzw. für die (beschränkte) Änderung einer nicht von §6 Abs6 TBO 2011 erfassten baulichen Anlage (zB eines bestehenden Wohngebäudes) sowie für die Berücksichtigung solcher bestehender baulicher Anlagen festgelegt.
§6 Abs7 TBO 2011 erlaubt unter näher bestimmten Voraussetzungen den Anbau an eine an der gemeinsamen Grundstücksgrenze bestehende bauliche Anlage im Ausmaß der jeweils an der Grundstücksgrenze befindlichen Wand bzw. des Bauteiles. Gemäß §6 Abs8 TBO 2011 dürfen bauliche Anlagen auf Grund eines gemeinsamen Antrages der Eigentümer (Bauberechtigten) der betreffenden Bauplätze an der gemeinsamen Grundstücksgrenze (gekuppelte Bauweise) errichtet werden, wenn die weiteren in §6 Abs8 TBO 2011 festgelegten Erfordernisse erfüllt sind. Beiden (Ausnahme-)Tatbeständen ist gemeinsam, dass die Bebauung innerhalb des Mindestabstands gemäß §6 Abs1 TBO 2011 von vornherein Nachbarinteressen nicht beeinträchtigen kann. Der vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Antrag angeführte §6 Abs9 TBO 2011 erfasst nach den früheren baurechtlichen Vorschriften (die Tiroler Landesregierung führt dazu die baurechtlichen Vorschriften vor dem Inkrafttreten der Tiroler Bauordnung 1998, LGBl 15, an) – rechtmäßig errichtete und nach wie vor bestehende Gebäude, die den aktuellen Abstandsregelungen nach der Tiroler Bauordnung 2011 nicht mehr entsprechen. §6 Abs9 TBO 2011 lässt unter näher bezeichneten Voraussetzungen Umbauten, geringfügige Zubauten, sonstige Änderungen solcher Gebäude, Änderungen ihres Verwendungszweckes oder ihren Wiederaufbau zu.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist es sachlich gerechtfertigt, dass der Landesgesetzgeber (ausnahmsweise) die Änderung bzw. den Wiederaufbau von bereits bestehenden baulichen Anlagen (Wohngebäuden) innerhalb des gesetzlich geregelten Mindestabstands zulässt. Dies findet seine sachliche Rechtfertigung insbesondere darin, dass diese Ausnahmebestimmung nur für bereits bestehende bauliche Anlagen (zB Wohngebäude) gilt, die nach früheren landesgesetzlichen Bestimmungen zulässigerweise im Seitenabstand errichtet worden waren. Darüber hinaus müssen die in §6 Abs9 TBO 2011 näher genannten Voraussetzungen für Änderungen bzw. den Wiederaufbau solcher baulicher Anlagen (welche auch dem Nachbarschutz dienen) erfüllt werden.
Auch aus diesem Grund treffen die vom Verwaltungsgerichtshof geltend gemachten Bedenken nicht zu.
2.3. Letztlich hat der Verwaltungsgerichtshof das Bedenken, dass die jetzige Rechtslage zur sachlich nicht gerechtfertigten Bevorzugung von Eigentümern führe, die ihre Grundgrenze mit Wohnhäusern verbaut haben, gegenüber jenen, die an ihrer Grundgrenze im gleichen Ausmaß bauliche Anlagen gemäß §6 Abs3 lita und b TBO 2011 stehen haben. Während Erstere gegebenenfalls nach §6 Abs6 dritter Satz TBO 2011 noch Anlagen im Sinne des §6 Abs3 lita und b TBO 2011 im Seitenabstand errichten dürfen, sei dies für Letztere bei sonst gleichen Umständen ausgeschlossen. Andererseits seien Nachbarn unsachlich bevorzugt, wenn auf der Bauliegenschaft im Seitenabstand nur bauliche Anlagen gemäß §6 Abs3 lita und b TBO 2011 (und nicht etwa sogar Wohnhäuser) bestehen, weil nur dann durch die neue Bebauung auf der Bauliegenschaft im Ergebnis die 50 %-Grenze insgesamt nicht überschritten werden dürfe.
Auch hier ist sinngemäß auf die Ausführungen unter Punkt 2.2. zu verweisen. Für die nicht in §6 Abs6 TBO 2011 erfassten baulichen Anlagen gibt es sachlich gerechtfertigte Ausnahmeregelungen in §6 Abs7, 8 und 9 TBO 2011, welche die vom Verwaltungsgerichtshof gerügte Differenzierung sachlich rechtfertigen.
IV. Ergebnis
1. Der Antrag, das Wort "solchen" in §6 Abs6 dritter Satz zweiter Halbsatz TBO 2011, LGBl 57, wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufzuheben, wird abgewiesen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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