VfGH G77/87

VfGHG77/8730.9.1989

Anrufbarkeit des Verwaltungsgerichtshofes mit Säumnisbeschwerde bei Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine, nicht mit Devolutionsantrag belangbare, Behörde erster Instanz gegeben; Abweisung des Antrages des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung einiger Worte in §311 Abs2 erster Satz BAO

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung keine
B-VG Art132
VwGG 1945 §19 Abs2
VwGG 1985 §27
Verfassung 1934 Art164 Abs3
BAO §311
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung keine
B-VG Art132
VwGG 1945 §19 Abs2
VwGG 1985 §27
Verfassung 1934 Art164 Abs3
BAO §311

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Verwaltungsgerichtshof stellt unter Berufung auf Art140 B-VG den Antrag, die Worte "... mit Ausnahme solcher Bescheide, die auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind (§§185 bis 206), ..." in §311 Abs2 der Bundesabgabenordnung-BAO, BGBl. 194/1961, als verfassungswidrig aufzuheben. Der bezogene Absatz 2 dieses Paragraphen hatte (vor der Änderung durch Abschnitt XV ArtI Z28 des Zweiten Abgabenänderungsgesetzes 1987, BGBl. 312) folgenden Wortlaut:

"(2) Werden Bescheide der Abgabenbehörden erster Instanz mit Ausnahme solcher Bescheide, die auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind (§§185 bis 206), der Partei nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen zugestellt, so geht auf schriftliches Verlangen der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz einzubringen; er ist abzuweisen, wenn die Verspätung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Abgabenbehörde erster Instanz zurückzuführen ist."

2. Zu den Prozeßvoraussetzungen und den Bedenken führt der antragstellende Gerichtshof folgendes aus:

"I.

Der Beschwerdeführer wurde vom Finanzamt Wien-Umgebung durch Zusendung eines Vermögensteuererklärungsformulars aufgefordert, bis 4. März 1983 eine Vermögensteuererklärung zum 1. Jänner 1982 abzugeben. Der Beschwerdeführer kam dieser Aufforderung innerhalb auf Antrag verlängerter Frist am 31. Mai 1983 nach.

Mit der am 9. Oktober 1984 eingebrachten Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde macht der Beschwerdeführer die Verletzung der Entscheidungspflicht geltend, weil das Finanzamt über seine Vermögensteuererklärung bisher nicht entschieden hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die belangte Behörde mit Verfügung vom 12. Dezember 1984 aufgefordert, innerhalb der Frist von drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen. Die belangte Behörde hat dieser Aufforderung nicht entsprochen, sondern die Verwaltungsakten sowie eine Gegenschrift vorgelegt, in der die Zurückweisung der Säumnisbeschwerde beantragt wird. Der Beschwerdeführer habe keinen Antrag auf Neuveranlagung gestellt. Die Zusendung des Vermögensteuererklärungsformulars habe nur den 'Charakter einer Anfrage' gehabt, 'um die belangte Behörde in die Lage zu versetzen, eine Überprüfung dahingehend zu treffen, ob die Voraussetzungen für eine amtswegige Maßnahme' gemäß §13 Abs4 VStG (Neuveranlagung) gegeben seien. Eine solche amtswegige Maßnahme stehe im Ermessen der Behörde. Eine Verpflichtung zur Erlassung eines Bescheides sei nicht gegeben. Abgesehen davon lägen die Voraussetzungen für eine Neuveranlagung nicht vor. Das steuerpflichtige Vermögen des Beschwerdeführers (und der mit diesem zusammen zu veranlagenden Personen) sei zum 1. Jänner 1981 bescheidmäßig mit S Null festgestellt worden. Zum 1. Jänner 1982 habe das Vermögen laut Erklärung ebenfalls S Null betragen. Die im §13 Abs1 VStG für die Vornahme einer Neuveranlagung erforderliche Abweichung des Vermögens vom letzten Veranlagungszeitpunkt sei daher nicht gegeben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hatte zunächst zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zur Erhebung einer Säumnisbeschwerde legitimiert war. Der Gerichtshof verneint dies aus folgenden Erwägungen:

In welchen Fällen im Abgabenverfahren eine Entscheidungspflicht der Abgabenbehörde besteht, bestimmt sich nach §311 Abs1 BAO. Darnach besteht diese Verpflichtung uneingeschränkt bezüglich aller Anbringen der Partei. Was unter Anbringen zu verstehen ist, wird durch Verweis auf §85 BAO bestimmt. Diese Norm sieht vor, daß 'Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen (insbesondere Erklärungen, Anträge, Beantwortungen von Bedenkenvorhalten, Rechtsmittel) grundsätzlich schriftlich, telegraphisch oder durch Fernschreiben' einzureichen sind. Abgabenerklärungen stellen demnach zweifelsfrei Anbringen im Sinne des §85 BAO dar, über die die Abgabenbehörde gemäß §311 BAO ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden hat. Diese Entscheidungspflicht besteht unabhängig vom Inhalt der zu treffenden Entscheidung. Auch wenn ein Anbringen als unzulässig zurückzuweisen ist, oder aus anderen Gründen keine rechtsverändernde Wirkung nach sich ziehen kann, hat die Abgabenbehörde darüber zu entscheiden (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Zlen. 934 und 1223/73, Slg. Nr. 9.458/A).

Die Behauptung der belangten Behörde, nicht alle Anbringen im Sinne des §85 BAO unterlägen der Entscheidungspflicht, findet im Gesetz keine Stütze. Das herangezogene Beispiel der Beantwortung eines Bedenkenvorhaltes vermag deswegen nicht zu überzeugen, weil ein Bedenkenvorhalt regelmäßig im Zuge der Erledigung eines Anbringens ergeht, sodaß in seiner Beantwortung sehr wohl ein (zusätzliches) Anbringen enthalten sein kann, über das die Abgabenbehörde, meist im Rahmen der Entscheidung über das (Erstanbringen), zu entscheiden hat.

Das Finanzamt Wien-Umgebung war daher gemäß §311 Abs1 BAO verpflichtet, über die Vermögensteuererklärung des Beschwerdeführers ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.

Gemäß Art132 B-VG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war.

Gemäß §27 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat.

Zu prüfen war daher, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzung für die Erhebung einer Säumnisbeschwerde erfüllt hat, nämlich daß er die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren angerufen werden konnte, tatsächlich angerufen hat, und daß diese Behörde säumig geblieben ist.

§311 Abs2 BAO lautet:

'(2) Werden Bescheide der Abgabenbehörden erster Instanz mit Ausnahme solcher Bescheide, die auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind (§§181 bis 206), der Partei nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen zugestellt, so geht auf schriftliches Verlangen der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz über. ...'

Die Geltendmachung der Entscheidungspflicht im Devolutionsweg ist demnach bei Bescheiden, die auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind, ausgeschlossen. Ein solcher Bescheid wäre im Beschwerdefall zu erlassen. Die eben zitierte gesetzliche Einschränkung des Rechtes, einen Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht zu stellen, ist daher präjudiziell, um feststellen zu können, ob vom Beschwerdeführer die 'oberste' Behörde angerufen wurde, und ob diese nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat.

Da der Beschwerdeführer auf Grund der zitierten Einschränkung betreffend die Devolutionsmöglichkeit an der Stellung eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht gehindert war, stellt sich die Frage, ob ungeachtet der Tatsache, daß für Bescheide betreffend die Durchführung oder Unterlassung einer Neuveranlagung zur Vermögensteuer ein Instanzenzug vom Finanzamt zur Finanzlandesdirektion vorgesehen ist (vgl. die §§243 ff BAO), mit Rücksicht auf den Ausschluß der Devolutionsmöglichkeit eine Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Finanzamt Wien-Umgebung vorliegt, die gemäß Art132 B-VG in Verbindung mit §27 VwGG zu einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof berechtigt. Mit anderen Worten: Ist im Beschwerdefall die erstinstanzliche Abgabenbehörde als 'oberste' Behörde anzusehen, die im Verwaltungsverfahren angerufen werden konnte?

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Auffassung, daß dies nicht zutrifft. Aus Art131 Abs1 B-VG ergibt sich der Grundsatz, daß der Verwaltungsgerichtshof erst nach Erschöpfung des verwaltungsbehördlichen Instanzenzuges zur Entscheidung berufen ist. Dies muß sinnvollerweise auch für Beschwerden gelten, die gemäß Art132 B-VG wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erhoben werden. Dementsprechend sieht §27 VwGG vor, daß eine Säumnisbeschwerde erst erhoben werden kann, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren angerufen werden konnte und auch tatsächlich angerufen wurde, säumig geblieben ist. Die Anrufung der obersten Behörde kann dabei sowohl im Instanzenzug als auch im Devolutionsweg erfolgen. Wird der Devolutionsweg - aus welchen Gründen auch immer - nicht beschritten, so bleibt der Partei nur der Instanzenzug. Ist ein solcher im Verwaltungsverfahren vorgesehen, so muß er beschritten werden. Erst wenn die letzte Instanz ihrer Entscheidungspflicht nicht nachkommt, steht der Partei die Möglichkeit einer Beschwerde nach Art132 B-VG offen. So gesehen setzt aber die letztzitierte Verfassungsbestimmung voraus, daß der Partei auch die Möglichkeit eingeräumt ist, bei Untätigbleiben der Behörde im Devolutionsweg bis zur letzten Verwaltungsinstanz vorzudringen. Eine einfachgesetzliche Bestimmung, die der Partei dieses Recht nimmt, hindert sie praktisch an der Erhebung einer Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht und schränkt dergestalt das im Art132 B-VG verankerte Rechtsinstitut der Säumnisbeschwerde in unzulässiger Weise ein. Die angefochtenen Worte im §311 Abs2 BAO stellen eine derartige Einschränkung des Devolutionsweges dar und erscheinen - weil dem Inhalt und der Intention des Art132 B-VG widersprechend - verfassungswidrig.

Abgesehen davon scheint die einschränkende Bestimmung des §311 Abs2 BAO auch im Widerspruch mit dem verfassungsgesetzlich verankerten Gleichheitsgebot zu stehen. Besonders deutlich wird dies bei Anträgen auf Berücksichtigung von Sonderausgaben, erhöhten Werbungskosten oder außergewöhnlichen Belastungen. Während derartige Anträge im Lohnsteuerverfahren mittels Devolutionsantrages einer Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz zugeführt werden können, besteht für den Abgabepflichtigen im Rahmen eines Veranlagungsverfahrens zur Einkommensteuer keine rechtliche Möglichkeit, eine Entscheidung zu erzwingen. Nicht außer acht zu lassen sind in diesem Zusammenhang auch jene Fälle, in denen der Abgabepflichtige infolge einer Veranlagung hohe Abgabengutschriften zu erwarten hat (z.B. Verlustveranlagungen, die zur Rückerstattung von Lohnsteuer oder überhöht festgesetzter Einkommensteuer-Vorauszahlungen führen). Rechtlich gesehen hat der Abgabepflichtige keine Möglichkeit, die Durchführung einer solchen Veranlagung zu betreiben, was letztlich dazu führt, daß der Rechtsanspruch auf bescheidmäßige Rückerstattung einer bereits entrichteten Steuer nicht durchsetzbar ist."

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie begehrt, die angefochtene Gesetzesstelle nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Im einzelnen führt sie folgendes aus:

"I. Zur Auslegung des Art132 B-VG

In seinem Antrag vom 18. März 1987, A9/87-1, stellt der Verwaltungsgerichtshof zunächst fest, daß das Finanzamt Wien-Umgebung gemäß §311 Abs1 BAO verpflichtet war, über die Vermögensteuererklärung des Beschwerdeführers ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden, legt aber in der Folge Art132 B-VG ('..., wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war.') iVm §27 VwGG - ganz offenkundig in der geltenden Fassung des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl. Nr. 10 - dahingehend aus, der Partei stehe die Möglichkeit einer Säumnisbeschwerde erst dann offen, wenn die letzte Verwaltungsinstanz ('oberste Behörde') ihrer Entscheidungspflicht nicht nachkommt. Unter Zugrundelegung dieser Auslegung des Art132 B-VG setze aber diese Verfassungsbestimmung voraus, 'daß der Partei die Möglichkeit eingeräumt ist, bei Untätigbleiben der Behörde im Devolutionsweg bis zur letzten Verwaltungsinstanz vorzudringen. Eine einfachgesetzliche Bestimmung, die der Partei dieses Recht nimmt, hindert sie praktisch an der Erhebung einer Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht und schränkt dergestalt das im Art132 B-VG verankerte Rechtsinstitut der Säumnisbeschwerde in unzulässiger Weise ein. Die angefochtenen Worte im §311 Abs2 BAO stellen eine derartige Einschränkung des Devolutionsweges dar und erscheinen - weil dem Inhalt und der Intention des Art132 B-VG widersprechend - verfassungswidrig.'

Der Verwaltungsgerichtshof stützt somit seine Auslegung des Art132 B-VG auf zwei Argumente, die jedoch nach Auffassung der Bundesregierung - wie im folgenden näher ausgeführt werden soll - keinesfalls überzeugen können.

1. Art131 Abs1 und Art132 B-VG:

Zunächst meint der Verwaltungsgerichtshof, der sich aus Art131 Abs1 B-VG ergebende Grundsatz der Erschöpfung des verwaltungsbehördlichen Instanzenzuges müsse 'sinnvollerweise' auch für Säumnisbeschwerden gemäß Art132 B-VG gelten. Diese ohne jede nähere Begründung aufgestellte Behauptung erscheint jedoch allein deshalb verfehlt, weil die Bescheidbeschwerde einerseits und die Säumnisbeschwerde andererseits in Ansehung der Erschöpfung des Instanzenzuges doch als zwei völlig unterschiedliche und daher auch nicht vergleichbare Rechtsinstitute anzusehen sind. Art131 Abs1 B-VG geht nämlich davon aus, daß die Behörde bescheidmäßig entschieden hat, also ein Bescheid tatsächlich vorliegt und auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen ist. In diesem Fall ist die Erschöpfung des Instanzenzuges - kraft ausdrücklicher bzw. im Falle des Art131 Abs1 Z3 B-VG impliziter verfassungsgesetzlicher Anordnung - Prozeßvoraussetzung, weshalb auch die Aussage, sie sei ein sich aus Art131 Abs1 B-VG ergebender 'Grundsatz', zumindest mißverständlich erscheint. Art132 B-VG hingegen betrifft den Fall eines qualifizierten Untätigbleibens der Behörde, wobei Prozeßvoraussetzung ist, daß die Behörde ihrer Entscheidungspflicht eben gerade nicht nachgekommen ist, also tatsächlich kein Bescheid vorliegt, dessen Rechtmäßigkeit überprüft werden könnte. Die Behauptung, der Grundsatz der Erschöpfung des Instanzenzuges müsse 'sinnvollerweise' auch für den Geltungsbereich des Art132 B-VG gelten, ist daher durch nichts begründet und kann somit nach Ansicht der Bundesregierung auch nicht 'sinnvollerweise' zur Auslegung des Art132 B-VG herangezogen werden.

2. Art132 B-VG und §27 VwGG:

a) Das zweite Argument des Verwaltungsgerichtshofes stützt sich auf die einfachgesetzliche Bestimmung des §27 VwGG:

'Dementsprechend sieht §27 VwGG vor, daß eine Säumnisbeschwerde erst erhoben werden kann, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren angerufen werden konnte und auch tatsächlich angerufen wurde, säumig geblieben ist'. Aus den folgenden Ausführungen auf Seite 5 des oz. Antrages vom 18. März 1987, insbesondere aber auch aus der praktisch wörtlichen Wiedergabe des §27 erster Satz VwGG auf Seite 3 dieses Antrages ergibt sich, daß der Verwaltungsgerichtshof dabei seine Argumentation auf die geltende Fassung dieser Bestimmung, also auf §27 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl. Nr. 10, stützt.

Damit verkennt aber der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren, das im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. dazu vor allem das grundlegende Erkenntnis VfSlg. 8524/1979) zur Sinnermittlung des - gewiß nicht eindeutigen - Wortlautes des Art132 B-VG unter Zuhilfenahme der historischen Entwicklung dieser Verfassungsbestimmung tatsächlich einzuschlagen ist: Die Berücksichtigung dieser historischen Entwicklung hat nämlich einzig und allein auf jene einfachgesetzliche Regelung, die der Verfassungsgesetzgeber bei Normierung des Art132 B-VG vorgefunden bzw. gleichzeitig mit ihr getroffen hat, und keinesfalls auf die derzeit geltende, im vorliegenden Fall erst durch die Verwaltungsgerichtshofgesetz-Novelle 1952, BGBl. Nr. 61, eingeführte und somit spätere einfachgesetzliche Neuregelung abzustellen.

b) Wird nun aber zur Sinnermittlung des Art132 B-VG die historische Entwicklung dieser Verfassungsbestimmung in der nach Ansicht der Bundesregierung zutreffenden, der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Weise zu Hilfe genommen, so ergibt sich folgendes Bild (wobei die aus der Sicht der Bundesregierung maßgeblichen Worte im folgenden durch Unterstreichen hervorgehoben sind):

Art132 B-VG wurde durch Artikel I der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 1946, BGBl. Nr. 211, mit jenem Wortlaut in das B-VG aufgenommen, der dem nunmehr geltenden ersten Satz dieser Verfassungsbestimmung entspricht. In den Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage, 208 BlgNR V. GP, wird dazu folgendes ausgeführt:

'Zur Säumnisbeschwerde: Während das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 nur die Anfechtung von Bescheiden wegen Rechtswidrigkeit kennt, sieht §19 des Verwaltungsgerichtshofsgesetzes 1945 die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes auch dann vor, wenn eine Behörde ihrer gesetzlich bestehenden Entscheidungspflicht nicht nachkommt. Diese Säumnisbeschwerde hat sich in der Praxis sehr bewährt. Sie soll deshalb auch bei voller Wiederanwendung des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 beibehalten werden.'

Ergänzend dazu, geht der Bericht des Verfassungsausschusses über diese Regierungsvorlage, 218 BlgNR V. GP, noch näher auf die damals geltende einfachgesetzliche Rechtslage ein:

'Die Bundesverfassung 1929 gab zwar jedermann die Möglichkeit, wegen Rechtswidrigkeit von Bescheiden der Verwaltungsbehörden den Verwaltungsgerichtshof anzurufen. Nicht aber war Abhilfe für den Fall vorgesehen, daß eine Behörde überhaupt keinen Bescheid erläßt, also der ihr obliegenden Entscheidungspflicht nicht nachkommt. Für diesen Fall schuf das Verwaltungsgerichtshofgesetz 1945 im §19 ebenfalls die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes, und zwar im Wege der Säumnisbeschwerde:

Wenn in einem Verwaltungsverfahren die oberste Instanz, die jemand anzurufen rechtlich in der Lage war, nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat, kann er die Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erheben. Diese Einrichtung, die sich, wie die 'Erläuternden Bemerkungen' zur Regierungsvorlage sagen, in der Praxis sehr bewährt hat, soll nun auch verfassungsrechtlich verankert werden. Die Garantien für die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung werden dadurch weiter verstärkt.'.

Der Vollständigkeit halber soll hier auch noch der Wortlaut des §19 VwGG, StGBl. Nr. 208/1945, wiedergegeben werden:

'(1) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof kann nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges erheben, wer durch einen gesetzwidrigen Bescheid einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

(2) Einem abweisenden Bescheid der letzten Instanz ist es gleichzuhalten, wenn die oberste Instanz, die der Beschwerdeführer anzurufen rechtlich in der Lage war, nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat (Säumnisbeschwerde).'

Gleichzeitig mit dem erwähnten BVG, BGBl. Nr. 211/1946, wurde am 9. Oktober 1946 die Verwaltungsgerichtshofgesetz-Novelle 1946, BGBl. Nr. 212, beschlossen, mit der der oz. §19 VwGG aufgehoben und durch folgenden §27 VwGG ersetzt wurde:

'Säumnisbeschwerden nach Artikel 132 B-VG. können erhoben werden, wenn die oberste Instanz, die der Beschwerdeführer anzurufen rechtlich in der Lage war, nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat. Diese Frist läuft von dem Tag, an dem das Parteibegehren bei der säumigen Behörde eingelangt ist. Nach Ablauf dieser Frist kann die Beschwerde jederzeit erhoben werden.'

So wie die Erläuternden Bemerkungen der diesbezüglichen Regierungsvorlage, 209 BlgNR V. GP, weist auch der Bericht des Verfassungsausschusses über diese Regierungsvorlage, 219 BlgNR V. GP, zunächst darauf hin, daß es sich hier um die notwendige Ergänzung zu der gleichzeitig in Behandlung stehenden verfassungsrechtlichen Verankerung einzelner Bestimmungen des VwGG, StGBl. Nr. 208/1945, handle. Nach dem Hinweis, daß im Hinblick auf diese Verankerung ua. auch §19 VwGG nunmehr entfallen könne, wird folgendes ausgeführt:

'Die Aufhebung des §19 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes erfordert eine Neufassung des §27 dieses Gesetzes, der von der Einbringung der sogenannten Säumnisbeschwerden handelt, das heißt, jener Beschwerden, die sich dagegen richten, daß eine Behörde ihrer Pflicht, eine Entscheidung in Verwaltungssachen zu treffen, nicht nachkommt. Die Neufassung stellt keine materiell-rechtliche Änderung dar.'.

c) Unter Berücksichtigung dieser historischen Entwicklung kommt die Bundesregierung somit zu folgendem Ergebnis:

Der Wortlaut jener einfachgesetzlichen Regelung, die der Verfassungsgesetzgeber bei Normierung des Art132 B-VG vorgefunden bzw. gleichzeitig mit ihr getroffen hat, liefert keinen wie auch immer gearteten Ansatz dafür, dem Art132 B-VG den Sinngehalt zu unterstellen, daß damit nur die Säumnis der jeweils letzten Verwaltungsinstanz erfaßt sein sollte. Vielmehr weist der oben zitierte Wortlaut sowohl des §19 als auch des §27 VwGG - arg.:

'... die oberste Instanz, die der Beschwerdeführer anzurufen rechtlich in der Lage war,' in beiden Bestimmungen, die Differenzierung zwischen 'letzter Instanz' und 'oberster Instanz' in §19 VwGG sowie der Begriff 'Parteibegehren' in §27 VwGG - deutlich und, wie die Bundesregierung meint, unmißverständlich geradezu in die entgegengesetzte Richtung: Daß nämlich der Verfassungsgesetzgeber jeden Fall der Säumnis einer Behörde erfassen wollte, die sich - ohne Ansehung des Instanzenzuges oder der Verwaltungsorganisation - aus der Sicht der Partei - mangels Anrufungsmöglichkeit einer weiteren Instanz - als 'oberste Instanz' darstellt. Nur in diesem Sinne können nach Ansicht der Bundesregierung auch die im vorliegenden Zusammenhang für die Ermittlung des Sinngehaltes des Art132 B-VG relevanten Ausführungen in den Materialien verstanden werden. (Auf die in den oz. einschlägigen Zitaten durch Unterstreichen jeweils bereits hervorgehobenen letzten Sätze ist in diesem Zusammenhang ausdrücklich zu verweisen.)

Im Ergebnis übersieht der Verwaltungsgerichtshof somit, daß seine in seinem oz. Antrag vom 18. März 1987 vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken bei entsprechender Würdigung des Sinngehaltes des Art132 B-VG keinesfalls auf die in Prüfung gezogene Wortfolge in §311 Abs2 erster Satz BAO, sondern allenfalls nur, dann aber ausschließlich auf den derzeit geltenden §27 VwGG zutreffen könnten!

d) Nach Ansicht der Bundesregierung kann aber auch der derzeit geltende - vom Verwaltungsgerichtshof zur Auslegung des Art132 B-VG unzutreffenderweise herangezogene - §27 VwGG keinesfalls dahingehend ausgelegt werden, daß damit nur die Säumnis der jeweils letzten Verwaltungsinstanz erfaßt sein sollte. Zu dieser durch die Verwaltungsgerichtshofgesetz-Novelle 1952, BGBl. Nr. 61, eingeführten Bestimmung -

'Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Artikel 132 des Bundes-Verfassungsgesetzes kann erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Weg eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.' -

wird zwar in den Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage, 487 BlgNR VI. GP, zunächst folgendes ausgeführt:

'Um deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß §27 nicht dazu bestimmt ist, die Voraussetzungen für die Einbringung der Säumnisbeschwerde erschöpfend zu regeln, sondern nur die Frist und das Erfordernis der Erschöpfung des Instanzenzuges festzulegen hat, wird im Hauptsatz des ersten Satzes das Wort 'erst' eingefügt.'

Nicht nur nach Ansicht der Bundesregierung muß diese Aussage aber wohl dahingehend interpretiert werden, daß hier mit den Worten 'Erschöpfung des Instanzenzuges' - entsprechend den in §27 VwGG enthaltenen Worten '..., sei es im Instanzenzug, ...' - nur jene Fallgruppe gemeint sein kann, die durch die Anrufung der obersten Behörde im Instanzenzug, nicht aber im Devolutionswege definiert ist. In unmittelbarem Anschluß an das oben wiedergegebene Zitat finden sich nämlich in den Erläuternden Bemerkungen folgende Aussagen:

'Zur Erläuterung sei darauf hingewiesen, daß die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Vorschrift des Artikels 132 des Bundes-Verfassungsgesetzes dahin versteht, daß schon die Tatsache allein, daß das Gesetz einer Behörde eine Zuständigkeit einräumt, die Behörde auch verpflichtet, von dieser Zuständigkeit Gebrauch zu machen, und daß unter dem Recht, als Partei die Entscheidungspflicht geltend zu machen, nichts anderes zu verstehen ist als das Recht, als Partei einen Antrag zu stellen, über den die Behörde vermöge ihrer Zuständigkeit zu entscheiden hat. Der Entwurf geht demnach von der Annahme aus, daß im Sinne des Artikels 132 des Bundes-Verfassungsgesetzes jedermann, der im Verwaltungsverfahren als Partei einen Bescheid der Verwaltungsbehörde verlangen kann, nach Ablauf der mit sechs Monaten zu bestimmenden Mindestfrist zur Erhebung der Säumnisbeschwerde berechtigt sein soll.'.

Zu diesen - im übrigen durch den Bericht des Verfassungsausschusses über diese Regierungsvorlage, 517 BlgNR VI. GP, weder abgeänderten noch ergänzten und daher durchaus als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens heranziehbaren - Ausführungen verweist die Bundesregierung schließlich noch auf Ringhofer, Der Verwaltungsgerichtshof, 1955, der auf Seite 184 folgendes festhält:

'Ist über das Parteibegehren in einziger Instanz ... von einer

Behörde zu entscheiden, die das AVG. im konkreten Fall nicht

anzuwenden hat, so kommt ein Devolutionsantrag - ... wegen

Unanwendbarkeit des AVG. - nicht in Betracht, die Partei hat keine rechtliche Möglichkeit, eine allfällige Säumnis im Verwaltungsweg zu bekämpfen. Die, wie erwähnt, auch hier zulässige Säumnisbeschwerde an den VwGH kann daher in allen diesen Fällen sofort erhoben werden. ... Derart die 'Erschöpfung des Instanzenzuges' als Voraussetzung der Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde an den VwGH.'.

e) Wie sich aus den oz. Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage, 487 BlgNR VI. GP, aus denen zumindest mittelbar auf den dem derzeit geltenden §27 VwGG zugrundeliegenden Willen des Gesetzgebers geschlossen werden kann, unmißverständlich ergibt, knüpfte der Entwurf ausdrücklich an die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art132 B-VG an. Die Bundesregierung verweist in diesem Zusammenhang jedoch nicht nur auf das einschlägige Erkenntnis VwSlg. 1622 (A)/1950, sondern erachtet darüber hinaus, im Hinblick auf den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag des Verwaltungsgerichtshofes vor allem sein Erkenntnis VwSlg. 610 (F)/1952 für außerordentlich bemerkenswert. Zu diesem - bereits auf der Grundlage des derzeit geltenden §27 VwGG ergangenen, im Hinblick auf den dem ggst.

Gesetzesprüfungsantrag zugrundeliegenden Anlaßfall ohne jeden Zweifel relevanten - Erkenntnis bleibt aus der Sicht der Bundesregierung lediglich folgendes anzumerken: Dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes entspricht vorbehaltslos der von der Bundesregierung vertretenen Rechtsauffassung und bedarf lediglich insoferne in bezug auf das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren einer Ergänzung, als das hier aktuelle, prüfungsgegenständliche Verfahrensgesetz, die BAO, nicht nur 'einer Behörde eine Zuständigkeit' zur Entscheidung einräumt, sondern in §311 Abs1 BAO grundsätzlich und ausnahmslos eine Entscheidungspflicht 'über die in Abgabenvorschriften vorgesehenen Anbringen (§85) der Parteien ohne unnötigen Aufschub' normiert. Die Bundesregierung muß aber zur Kenntnis nehmen, daß sich der oz. Antrag des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. März 1987 mit diesem ihrer Ansicht nach grundlegenden Erkenntnis nicht nur nicht auseinandersetzt, sondern weder dieses noch andere einschlägige Erkenntnisse, etwa VwSlg. 1622 (A)/1950 und das Erkenntnis vom 21. Dezember 1981, 81/17/0196, auch nur mit einem Wort erwähnt.

f) Ohne auf die besondere Lage des dem ggst.

Gesetzesprüfungsantrag zugrundeliegenden Anlaßfalles einzugehen, ist nach Ansicht der Bundesregierung der Feststellung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich zuzustimmen, daß die Abgabenbehörde über Abgabenerklärungen, soweit sie zweifelsfrei Anbringen im Sinne des §85 BAO darstellen, gemäß §311 Abs1 BAO ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden hat und somit Entscheidungspflicht besteht. Allein gemäß dieser Bestimmung der BAO verletzt daher auch die Abgabenbehörde erster Instanz die Entscheidungspflicht, wenn sie über Abgabenerklärungen nicht ohne unnötigen Aufschub entscheidet. Diesfalls ist jedoch die Abgabenbehörde erster Instanz nach Auffassung der Bundesregierung - und im Gegensatz zur Meinung des Verwaltungsgerichtshofes - sehr wohl 'die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Weg eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte' und 'die von einer Partei angerufen worden ist' im Sinne des §27 VwGG. Der Verwaltungsgerichtshof hingegen übersieht dabei - um seine eigenen, im Erkenntnis VwSlg. 610 (F)/1952 gewählten Formulierungen zu gebrauchen - 'daß die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde zufolge §27 VwGG. nicht davon abhängt, ob die Behörde, die an der Spitze des Behördenaufbaues steht, sondern allein davon, ob die oberste Behörde, die angerufen werden konnte, säumig geworden ist. Entscheidend ist also nicht, ob der säumigen eine höhere Behörde im Behördenaufbau vorgesetzt ist, sondern, ob der Beschwerdeführer auf eine Entscheidung einer höheren als der säumigen Behörde Anspruch erheben konnte.'

II. Zu den gleichheitsrechtlichen Bedenken

Obwohl im Hinblick auf die bisherigen Ausführungen auch die vom Verwaltungsgerichtshof aufgeworfenen gleichheitsrechtlichen Bedenken jeder Grundlage entbehren, wird auf die folgende - in den Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage der Bundesabgabenordnung, 228 BlgNR IX. GP, enthaltene - sachliche Rechtfertigung der in Prüfung gezogenen Ausnahmeregelung in §311 Abs2 erster Satz BAO hingewiesen:

'Der Verwaltungsgerichtshof hat in wiederholten Erkenntnissen ausgesprochen, daß die Verpflichtung einer Verwaltungsbehörde zur Entscheidung über die bei ihr gestellten Anträge als allgemeiner Verfahrensgrundsatz auch in jenen Verwaltungsbereichen gilt, in denen es an einer dem §73 AVG. entsprechenden ausdrücklichen Bestimmung fehlt, so auch im Abgabenverfahren. Dieser Rechtsauffassung soll durch Aufnahme einer Bestimmung Rechnung getragen werden, die sich an §73 AVG. zwar anlehnt, aber den Besonderheiten des Abgabenverfahrens angepaßt ist. Dementsprechend soll im §311 Abs1 die Entscheidungspflicht der Abgabenbehörden grundsätzlich festgelegt werden, jedoch mit der Einschränkung, daß alle jene verfahrensrechtlichen Anbringen und Schritte, zu denen die Abgabepflichtigen kraft Gesetzes verhalten sind, nicht unter die der Devolutionswirkung unterliegenden Anträge eingereiht werden, da ansonsten dem Abgabepflichtigen der ordentliche, nur zwei Instanzen umfassende Rechtszug entzogen würde. Daher soll eine Devolvierung keinesfalls im Bemessungs- und Feststellungsverfahren, wohl aber ansonsten zum Beispiel im Einhebungs- und Vollstreckungsverfahren eintreten.'

Der durch §311 Abs2 erster Satz BAO normierten Ausnahme solcher Bescheide, die aufgrund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind, liegt aber auch die Überlegung zugrunde, daß Abgabenerklärungen von Gesetzes wegen geforderte Informationen darstellen, die im Rahmen amtswegig durchzuführender Abgabenverfahren zu erstatten sind. Diese Abgabenerklärungen unterliegen somit - im Gegensatz zu anderen Parteianbringen, die ein Abgabenverfahren auslösen - auch nicht der freien Disposition des Abgabepflichtigen. Wie in den oz. Erläuternden Bemerkungen ausgeführt, handelt es sich dabei vielmehr um 'verfahrensrechtliche Anbringen und Schritte, zu denen die Abgabepflichtigen kraft Gesetzes verhalten sind'.

Soweit aber die vom Verwaltungsgerichtshof aufgeworfene unterschiedliche Behandlung im Lohnsteuer- und Veranlagungsverfahren darin seinen Grund hat, daß die Einhebung der Steuer für selbständig und unselbständig Erwerbstätige grundsätzlich unterschiedlich erfolgt, nämlich Veranlagung bei den selbständig Erwerbstätigen und Steuerabzug durch den Arbeitgeber bei den unselbständig Erwerbstätigen, wird auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 6533/71, 6825, 6874/72, 7947/76, 9519/82, 10155/84 und 10424/85) verwiesen, nach der verschiedene Einkunftsarten unterschiedlich behandelt werden dürfen, sofern es entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen gibt. Die unterschiedliche Regelung der Einhebungsverfahren für selbständig und unselbständig Erwerbstätige hat aber in entsprechenden tatsächlichen Unterschieden ihre Grundlage (u.a. voraussehbares fixes Gehalt des unselbständig Erwerbstätigen, Feststellung des Einkommens des selbständig Erwerbstätigen immer erst im nachhinein möglich)."

3. Auch der als Beteiligter beigezogene Beschwerdeführer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erstattete eine Äußerung, in welcher er im wesentlichen folgendes darlegt:

"1. Ich habe bereits in meiner Säumnisbeschwerde vom 8.10.1984 (Seite 5) darauf hingewiesen, daß §27 Abs1 VwGG durchaus einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich ist. Diese Bestimmung besagt nämlich in verfassungskonformer Auslegung lediglich, daß auch für die Säumnisbeschwerde die Prozeßvoraussetzungen in der Beschreitung und dem Versuch der Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges liegen (VwSlg 106 F). Die Verletzung der Entscheidungspflicht muß der obersten Instanz, die der Bf anzurufen rechtlich in der Lage war, angelastet werden können (VwSlg 100 A, 141 A). Es muß also die Behörde, die nach dem organisatorischen Aufbau der Verwaltung an höchster Stelle steht und von der Partei noch angerufen werden kann, durch mehr als 6 Monate untätig gewesen sein (VwGH 3.4.1950, 1621/49, zitiert nach Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit2, 177). Ist - wie im vorliegenden Fall - die belangte Behörde als erste Instanz die einzige, 'die der Bf anzurufen rechtlich in der Lage ist', so ist bei deren Säumnis die Anrufung des VwGH zulässig.

2. Ich verweise auf meine einschlägigen Ausführungen im Österreichischen Anwaltsblatt, nämlich auf die Nachbemerkungen Anw 1982, 525 und 527.

Streitpunkt ist letztlich - und das soll hier mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden - die Frage, ob bei der Säumnis erster Instanz die Oberbehörde mit Devolutionsantrag oder der Verwaltungsgerichtshof mit Säumnisbeschwerde anzurufen ist, also wer - hervorgerufen durch die Säumnis der ersten Instanz - die Last der Entscheidung zu tragen hat.

Ein unzulässiges Rechtsschutzdefizit wäre dann gegeben, wenn man für einen bestimmten Bereich sowohl Devolutionsanträge wie auch Säumnisbeschwerden für unzulässig ansehen wollte. Insoweit sei auf Gassner, Rechtsschutz oder Rechtsverweigerung?, ÖStZ 1985, 1 ff verwiesen, der aaO Seite 9 auch meinen bereits zitierten Ausführungen in den 'Nachbemerkungen' zustimmt."

II. 1. Der Antrag ist, da ihm Verfahrenshindernisse nicht entgegenstehen, zulässig.

2. Der Bundesregierung ist grundsätzlich beizupflichten, wenn sie zum Verständnis des vom Verwaltungsgerichtshof bezogenen §27 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl. 10, auf dessen Vorläufer hinweist, darunter auf §19 Abs2 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes, StGBl. 208/1945, (im folgenden: VwGG 1945), mit dem die Säumnisbeschwerde - allerdings vorerst ohne verfassungsrechtliche Grundlegung - in die vom Bundes-Verfassungsgesetz beherrschte Rechtsordnung als ein allgemeines Rechtsschutzinstrument eingeführt wurde. Wenngleich aus staatsrechtlicher Sicht ein rechtserheblicher Zusammenhang mit der korrespondierenden Vorschrift in der "Verfassung des Bundesstaates Österreich" (BGBl. I 239/1934; im folgenden: Verfassung 1934) nicht besteht, erscheint dennoch eine Bedachtnahme auf die im Jahr 1934 bestandene Rechtslage geboten, weil - wie die folgende Gegenüberstellung deutlich macht - §19 Abs2 VwGG 1945 dem Art164 Abs3 der Verfassung 1934 nachgebildet wurde (zur historischen Entwicklung siehe etwa Ringhofer, Der Verwaltungsgerichtshof (1955), S. 96 ff., hier S. 98, oder Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit (1983),

S. 30).

Art164 Abs3 Verfassung 1934 §19 Abs2 VwGG 1945

"Die Beschwerde gemäß Absatz 2, "Einem abweisenden Bescheid

Zahl 1, kann erst dann erhoben der letzten Instanz ist es

werden, wenn der Rechtszug gleichzuhalten, wenn die

erschöpft ist. Einem abweisenden oberste Instanz, die der

Bescheid der letzten Instanz ist Beschwerdeführer anzurufen

es gleichzuhalten, wenn die oberste rechtlich in der Lage war,

Instanz, die der Beschwerdeführer nicht binnen sechs Monaten

anzurufen rechtlich in der Lage war, in der Sache entschieden

nicht binnen sechs Monaten in der hat (Säumnisbeschwerde)."

Sache entschieden hat. Diese Frist

kann durch Gesetz verkürzt werden.

...."

Aus dem Zusammenhang der Ausdrücke "letzte Instanz" und "oberste Instanz" in Art164 Abs3 ergibt sich zweifelsfrei, daß unter der "obersten Instanz" keineswegs die nach dem hierarchischen Behördenaufbau höchste Verwaltungsbehörde zu verstehen war; mit diesem Ausdruck war vielmehr auch eine Behörde erfaßt, die in der Behördenorganisation sogar auf einer niedrigeren Stufe als die in Betracht kommende "letzte Instanz" (d.i. jene Behörde, gegen die sich die Bescheidbeschwerde zu richten hätte) steht. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wurde unter der "oberste(n) Instanz, die der Beschwerdeführer anzurufen rechtlich in der Lage war" nicht nur die im Instanzenzug angerufene Behörde sowie jene Verwaltungsbehörde verstanden, an welche die Kompetenz zur Entscheidung devolviert war, sondern auch die (mit einem gegen die Säumigkeit gerichteten administrativen Rechtsbehelf nicht angreifbare) untätig gebliebene Behörde erster Instanz (so Körner,

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der neuen Verfassung, ÖVBl. 1934, S. 108 ff., hier S. 110 Anm. 13, und Lanzer, Die Anrufung des Bundesgerichtshofes bei Untätigkeit der Behörde, ÖVBl. 1936, S. 83 ff., hier S. 88 f., mit Berufung auf den Regelungszweck:

"Dann wird die untätig gebliebene erste Instanz, mag sie auch auf der untersten Stufe der Behördenhierarchie stehen, zur obersten Instanz, die der Beschwerdeführer anzurufen rechtlich in der Lage ist. Das ist wohl eine sehr ungewöhnliche Ausdrucksweise, doch entspricht die Auslegung dem Geist einer Bestimmung, die gegen Untätigkeit der Behörden Abhilfe schaffen will".). Daß dieses Verständnis von Art164 Abs3 der Verfassung 1934 auf §19 Abs2 VwGG 1945 ohne Vorbehalt übertragen werden kann, folgt aus der offensichtlichen, zu einer nahezu wörtlichen Übereinstimmung beider Vorschriften führenden Nachbildung des §19 Abs2.

Die Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 1946, BGBl. 211, verankerte die Säumnisbeschwerde verfassungsrechtlich, gab dabei aber die Konstruktion auf, das Vorliegen einer negativen letztinstanzlichen Entscheidung als Beschwerdegegenstand zu fingieren. Der neugeschaffene Art132 B-VG (welcher von der nun geltenden B-VG-Novelle BGBl. 296/1984 wörtlich übernommen wurde und durch das Einfügen eines zweiten Satzes lediglich für den Bereich der Verwaltungsstrafsachen eine Einschränkung im Anwendungsumfang erfuhr) bestimmte nämlich, daß Beschwerde gegen die Verletzung der Entscheidungspflicht erheben kann, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war. Dementsprechend wurde auch die einfachgesetzliche Rechtslage durch die - von der Bundesregierung ebenfalls bezogene - Verwaltungsgerichtshofgesetz-Novelle 1946, BGBl. 212, geändert, und zwar derart, daß §19 VwGG 1945 entfiel und an die Stelle seines Absatzes 2 der §27 trat. Diese Vorschriften, die (trotz der obigen wörtlichen Wiedergabe des §19 Abs2 VwGG 1945) zum Vergleich gegenübergestellt seien, haben folgenden Wortlaut:

§19 Abs2 VwGG 1945 §27 VwGG idF der Nov. 1946

Einem abweisenden Bescheid Säumnisbeschwerden nach

der letzten Instanz ist es Artikel 132 B-VG. können

gleichzuhalten, wenn die erhoben werden, wenn die

oberste Instanz, die der oberste Instanz, die der

Beschwerdeführer anzurufen Beschwerdeführer anzurufen

rechtlich in der Lage war, rechtlich in der Lage war,

nicht binnen sechs Monaten nicht binnen sechs Monaten

in der Sache entschieden in der Sache entschieden hat.

hat (Säumnisbeschwerde). Diese Frist läuft von dem

Tag, an dem das

Parteibegehren bei der

säumigen Behörde eingelangt

ist. Nach Ablauf dieser

Frist kann die Beschwerde

jederzeit erhoben werden.

Die vorgenommene Gegenüberstellung zeigt, daß die zur Bezeichnung der säumigen Behörde gebrauchte Wendung "oberste Instanz, die der Beschwerdeführer anzurufen rechtlich in der Lage war" unverändert beibehalten wurde. Für die Annahme, daß dieser Ausdruck einen Bedeutungswandel erfahren habe, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Die derart definierte "oberste Instanz" ist mit der im zweiten Satz des §27 erwähnten "säumigen Behörde" identisch und umfaßt die mit einem Rechtsmittel angerufene instanzmäßig übergeordnete Behörde, die aufgrund eines Devolutionsantrages zuständig gewordene sachlich in Betracht kommende Oberbehörde sowie die (mit einem gegen die Säumigkeit gerichteten administrativen Rechtsbehelf nicht angreifbare) untätig gebliebene Behörde erster Instanz. Die eben dargelegte Auffassung, daß eine Änderung im Umfang des zu gewährenden Rechtsschutzes keineswegs beabsichtigt war, wird auch durch die von der Bundesregierung zitierten Materialien zur Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 1946 und zur Verwaltungsgerichtshofgesetz-Novelle 1946 belegt.

Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes bietet der Wortlaut des Art132 (erster Satz) B-VG überhaupt keinen Anlaß, (wenn man vom Erfordernis bestimmter, im hier gegebenen Zusammenhang jedoch nicht erörterungsbedürftiger allgemeiner Voraussetzungen absieht) eine wie auch immer geartete Einschränkung des Rechtsschutzes durch den Verwaltungsgerichtshof gegen die Untätigkeit einer zur Bescheiderlassung verpflichteten Behörde außerhalb des Falles anzunehmen, daß noch Abhilfe gegen die Untätigkeit bei einer Verwaltungsbehörde beansprucht werden kann. Daß die Entwicklungsgeschichte des in der Verfassung verankerten Rechtsinstitutes ebenfalls kein Indiz für eine solche Annahme liefert, wurde schon nachgewiesen. Schließlich kann im Hinblick auf die obigen Überlegungen auch nicht gesagt werden, daß ein Schluß vom Inhalt der am selben Tag wie die Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit-Novelle 1946 beschlossenen VwGG-Novelle 1946 zu einer einschränkenden Auslegung des Art132 B-VG führte, sodaß es sich erübrigt, auf die Zulässigkeit einer solchen Schlußfolgerung vom methodischen Standpunkt einzugehen.

Der Verfassungsgerichtshof ist ferner der Ansicht, daß der vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Antrag bezogene §27 VwGG 1985, BGBl. 10, (welcher als Bestandteil einer Wiederverlautbarung mit §27 VwGG idF der Verwaltungsgerichtshofgesetz-Novelle 1952, BGBl. 61, identisch ist) vor dem Hintergrund der geschilderten

Verfassungsrechtslage verfassungskonform und im übrigen unter Regreß auf seine Vorläuferbestimmungen interpretiert werden muß. Die betreffenden Vorschriften lauten - ebenfalls zum Vergleich gegenübergestellt - wie folgt:

§27 VwGG idF der Novelle 1946 §27 VwGG 1985

Säumnisbeschwerden nach Beschwerde wegen Verletzung

Artikel 132 B-VG. können der Entscheidungspflicht

erhoben werden, wenn die (Säumnisbeschwerde) nach

oberste Instanz, die der Art132 B-VG

Beschwerdeführer anzurufen kann erst erhoben

rechtlich in der Lage war, werden, wenn die

nicht binnen sechs Monaten oberste Behörde, die im

in der Sache entschieden hat. Verwaltungsverfahren, sei es

Diese Frist läuft von dem Tag, im Instanzenzug, sei es im

an dem das Parteibegehren bei Weg eines Antrages auf

der säumigen Behörde Übergang der

eingelangt ist. Nach Ablauf Entscheidungspflicht,

dieser Frist kann die Beschwerde angerufen werden konnte, von

jederzeit erhoben werden. einer Partei angerufen worden

ist und nicht binnen sechs

Monaten in der Sache

entschieden hat. Die Frist

läuft von dem Tag, an dem der

Antrag auf Sachentscheidung

bei der Stelle eingelangt

ist, bei der er einzubringen

war.

In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der VwGG-Novelle 1952 (487 BlgNR VI. GP S. 10) wurde die hier in Betracht zu ziehende Änderung folgendermaßen begründet:

"Die bisherige Fassung 'die oberste Instanz, die der Beschwerdeführer anzurufen rechtlich in der Lage war,' ist unzulänglich. Vor allem trägt sie der Erwägung nicht Rechnung, daß die Säumnisbeschwerde auch ermöglicht werden soll, wenn nicht der Beschwerdeführer, sondern eine Gegenpartei die Behörde angerufen hat, daß also insbesondere im Zweiparteienverfahren der Berufungsgegner bei Nichterledigung der Berufung zur Säumnisbeschwerde berechtigt sein soll. Ferner entspricht es dem Sinn des Gesetzes und der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß die Säumnisbeschwerde dann, wenn der Beschwerdeführer die Möglichkeit hat, einen Devolutionsantrag nach §73 AVG. zu stellen, erst erhoben werden darf, wenn der Beschwerdeführer auch von dieser Möglichkeit ohne Erfolg Gebrauch gemacht hat. Die mit dem Devolutionsantrag anzurufende Behörde ist im Verwaltungsverfahren aber nicht 'höhere Instanz', sondern 'sachlich in Betracht kommende Oberbehörde'. Schließlich ist die bisherige Fassung sprachlich insofern ungenau, als es nicht genügt, daß eine Partei die säumige Behörde anzurufen 'rechtlich in der Lage war', die Behörde muß vielmehr auch tatsächlich angerufen worden sein. Es soll jedoch nicht gefordert werden, daß sie der Beschwerdeführer selbst angerufen hat, es soll vielmehr genügen, daß sie von irgend einer Partei im Verfahren, also z. B. im Falle der Säumnisbeschwerde des Berufungsgegners, daß sie vom Berufungswerber angerufen worden ist. Auch trifft der Fall, daß jemand eine Behörde 'anzurufen rechtlich in der Lage war', bei wörtlicher Auslegung auch auf die Aufsichtsbeschwerde zu, da diese nicht als rechtlich unzulässig bezeichnet werden kann; dagegen kann dann, wenn nur mehr die Möglichkeit einer Aufsichtsbeschwerde offen steht, nicht davon gesprochen werden, daß eine 'Entscheidung im Verwaltungsverfahren verlangt werden' kann, weil die Aufsichtsbeschwerde nicht mehr in den Rahmen des Verwaltungsverfahrens fällt."

Beachtet man nun den Grund für die vorgenommene Änderung der Wendung "oberste Instanz, die der Beschwerdeführer anzurufen rechtlich in der Lage war" in "oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Weg eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte", so bestand er in einer Verdeutlichung und Präzisierung im Sinne der gegebenen Gesetzeslage unter Bedachtnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs; keinesfalls kann der Änderung jedoch die Absicht unterstellt werden, den mit administrativen Rechtsbehelfen nicht bekämpfbaren Fall einer Säumigkeit der Behörde erster Instanz aus dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz auszuschalten und auf die - gewiß weniger schutzbedürftigen - Fälle zu beschränken, in denen ein Rechtsmittel oder ein Devolutionsantrag unerledigt geblieben ist. Eine solche Beschränkung kann auch nicht mit der allgemeinen Annahme gerechtfertigt werden, daß der sich aus Art131 Abs1 B-VG ergebende Grundsatz, der Verwaltungsgerichtshof sei erst nach Erschöpfung des verwaltungsbehördlichen Instanzenzuges zur Entscheidung berufen, sinngemäß auf Art132 B-VG zu übertragen sei. Weder der Wortlaut noch die dargestellte Entstehungsgeschichte dieser Verfassungsvorschrift sprechen nämlich für ein solches Verfassungsverständnis, zu dem lediglich noch angemerkt sei, daß dem Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1946 die Vorausschau auf die fortschreitende Entwicklung des damals auf den Anwendungsbereich des AVG beschränkten Rechtsbehelfs des Devolutionsantrags gewiß nicht zugeschrieben werden darf. Auch das verfassungskonforme Verständnis der in Erörterung stehenden Wendung im §27 VwGG 1985 führt zum Ergebnis, daß die ausdrücklich angeführten Fälle der Anrufung der sodann säumigen Behörde im Instanzenzug oder durch einen Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht nicht als eine erschöpfende, sondern bloß als eine demonstrative Aufzählung von Säumnisfällen zu werten ist. Aus den dargelegten Gründen vermag der Verfassungsgerichtshof sohin der vom Verwaltungsgerichtshof in dessen Beschluß Zl. 82/16/0007 vom 18. Feber 1982 (Anw. 1982 S. 526 f. mit Glosse des Beteiligten) ausgedrückten Rechtsauffassung nicht beizutreten, der Verwaltungsgerichtshof könne im Fall, daß die (nicht mit Devolutionsantrag belangbare) Behörde erster Instanz ihre Entscheidungspflicht verletzt, mit Säumnisbeschwerde bloß dann angerufen werden, wenn diese Behörde zugleich (die sachlich in Betracht kommende) "oberste Behörde" ist. Der Verfassungsgerichtshof pflichtet vielmehr der von Ringhofer (a.a.O. S. 182 und 184) und Oberndorfer (a.a.O. S. 80 mit ausdrücklicher Bezugnahme auf §311 BAO) vertretenen gegenteiligen Anschauung bei (s. auch Gassner, Rechtsschutz oder Rechtsverweigerung?, ÖStZ 1985 S. 7 ff., hier S. 9).

Zusammenfassend ist sohin festzuhalten, daß die vom Verwaltungsgerichtshof unter dem Gesichtswinkel des Art132 B-VG mit Bezugnahme auf §27 VwGG 1985 geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begründet sind.

3. Was die vom Verwaltungsgerichtshof unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken anlangt, ist seine Annahme von der rechtlichen Undurchsetzbarkeit bestimmter Ansprüche im Fall der Behördensäumigkeit nur auf dem Boden seiner vorhin erwähnten Rechtsprechung zu verstehen, welche die Anrufbarkeit des Verwaltungsgerichtshofs mit Säumnisbeschwerde bei nicht mit Devolutionsantrag bekämpfbarer Untätigkeit der Behörde erster Instanz verneint. Da diese Annahme vom Verfassungsgerichtshof aus den schon angeführten Gründen nicht geteilt wird, erweist sich in diesem Sinn die Prämisse der Bedenken des Verwaltungsgerichtshofs als nicht tragfähig. Die in Rede stehenden Bedenken sind sohin ebenfalls nicht gerechtfertigt.

4. Der Antrag des Verwaltungsgerichtshofs mußte sohin abgewiesen werden.

III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

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