VfGH G290/91

VfGHG290/9112.12.1991

Gleichheitswidrigkeit der Besteuerung unterhaltspflichtiger Eltern durch das Einkommensteuergesetz 1988; Aufhebung von Bestimmungen des EStG 1988 betreffend den Ausschluß der Unterhaltsleistungen an Kinder vom Abzug als außergewöhnliche Belastung; Verweis auf Aufhebung einer Wortfolge in §34 Abs2 EStG 1972

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
EStG 1988 §34 Abs2
EStG 1988 §34 Abs7
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
EStG 1988 §34 Abs2
EStG 1988 §34 Abs7

 

Spruch:

Die Wortfolge "und gleichen Familienstandes" in §34 Abs2 und der §34 Abs7 Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1992 in Kraft.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Das Verfahren betrifft die Besteuerung unterhaltspflichtiger Eltern durch das Einkommensteuergesetz 1988 und wurde aus Anlaß der Beschwerde gegen einen Einkommensteuerbescheid für 1989 von Amts wegen eingeleitet.

Der zu B719/91 beschwerdeführende Journalist und Schriftsteller war für drei Kinder aus geschiedener Ehe unterhaltspflichtig, die bei ihrer Mutter leben. Während diese Unterhaltsleistungen bei der Bemessung der Einkommensteuer für 1988 noch als außergewöhnliche Belastung gemäß §34 Abs2 EStG 1972 berücksichtigt worden waren, blieben bei der Festsetzung der Einkommensteuer für 1989 die Kinder überhaupt außer Betracht.

Die Berufung gegen den Bescheid des Finanzamtes, in der die Anerkennung der laufenden Unterhaltszahlungen in der Höhe von 191.406 S als außergewöhnliche Belastung nach §34 EStG 1988, allenfalls die Zuerkennung des Alleinverdiener- oder Alleinerhalterabsetzbetrages und die Berücksichtigung der Kinder bei den Sonderausgaben und der Besteuerung der sonstigen Bezüge begehrt wurde, blieb erfolglos. Gemäß §34 Abs7 EStG 1988 seien Aufwendungen für Unterhaltszahlungen nur mehr insoweit abzugsfähig, als sie zur Deckung von Aufwendungen gewährt werden, die beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen würden. Laufende Unterhaltszahlungen an Kinder aus geschiedener Ehe stellten daher keine außergewöhnliche Belastung dar. Abzugsfähige Aufwendungen, welche durch eine Krankheit der Kinder erwachsen seien und demzufolge als abzugsfähig anzuerkennen wären, lägen nicht vor. Der Alleinverdienerabsetzbetrag stehe nur einem verheirateten Steuerpflichtigen zu und die Gewährung des Alleinerhalterabsetzbetrages und der sonstigen Begünstigungen für Kinder setze das Vorhandensein von Kindern im Sinne des §106 EStG 1988, also von solchen voraus, für die dem Steuerpflichtigen oder dem nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten Familienbeihilfe gewährt werde; die Kinderbeihilfe beziehe aber die geschiedene Ehegattin.

Die Beschwerde gegen den Berufungsbescheid rügt die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und macht der Sache nach die Verletzung von Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (nämlich des EStG 1988) geltend.

II. Der Verfassungsgerichtshof hätte bei Behandlung der Beschwerde die Absätze 2 und 7 des §34 EStG 1988 anzuwenden. Die beiden Bestimmungen lauten im Zusammenhang:

"Außergewöhnliche Belastung

§34. (1) Jeder unbeschränkt Steuerpflichtige kann beantragen, daß bei Ermittlung des Einkommens (§2 Abs2) nach Abzug der Sonderausgaben (§18) außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden. Die Belastung muß folgende Voraussetzungen erfüllen:

  1. 1. Sie muß außergewöhnlich sein (Abs2).
  2. 2. Sie muß zwangsläufig erwachsen (Abs3).
  3. 3. Sie muß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs4).

Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

(2) Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwächst.

(3) Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

...

(7) Unterhaltsleistungen sind überdies nur insoweit abzugsfähig, als sie zur Deckung von Aufwendungen gewährt werden, die beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen würden. Ein Selbstbehalt (Abs4) auf Grund eigener Einkünfte des Unterhaltsberechtigten ist nicht zu berücksichtigen.

..."

III. Aus Anlaß früher anhängig gewordener Beschwerdeverfahren hatte der Verfassungsgerichtshof bereits mit Beschluß vom 14. März 1991, B168,595/90, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "und gleichen Familienstandes" in §34 Abs2 EStG 1972 eingeleitet (G 188,189/91). Unter Bezugnahme auf diesen Prüfungsbeschluß leitete der Verfassungsgerichtshof aus Anlaß des Beschwerdeverfahrens B719/91 das vorliegende Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "und gleichen Familienstandes" in §34 Abs2 und des §34 Abs7 EStG 1988 mit nachstehender Begründung ein:

"In der Fassung des EStG 1988 wird die dem EStG 1972 im wesentlichen gleichartige Bestimmung des §34 Abs2 betreffs der Unterhaltsleistungen - abgesehen vom Wegfall der Begünstigung des Unterhaltes für geschiedene Ehegatten - durch Abs7 noch weiter eingeschränkt. Die gegen §34 Abs2 in der Fassung des EStG 1972 entstandenen, im Punkt III.2. und 3. des (beiliegenden) Prüfungsbeschlusses B168/90, B595/90 näher dargelegten Bedenken treffen daher auch die Fassung des EStG 1988 mit der Maßgabe, daß sie sich hier auch auf Abs7 erstrecken. Es ist vorläufig kein sachlicher Grund ersichtlich, der es rechtfertigen würde, die Unterhaltslast für Kinder nicht - in der nach dem System (auch) des Einkommensteuerrechtes 1988 allein in Betracht kommenden Weise der Geltendmachung geminderter Leistungsfähigkeit - als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Es sind offenbar die eingangs genannte Wortfolge in §34 Abs2 und der §34 Abs7, die dem Sorgepflichtigen ihre Geltendmachung verwehren."

Auch die Äußerung der Bundesregierung in diesem Gesetzesprüfungsverfahren entspricht der im Verfahren G188,189/91 abgegebenen, teilweise bereits auf die Vehältnisse nach 1988 Bedacht nehmenden Äußerung zum größten Teil wörtlich. Auf Basis einer Familienbeihilfe von jährlich 15.600 S für Kinder bis zu zehn Jahren und 18.600 S für Kinder über zehn Jahren errechnet sie - wie schon in ihrer Äußerung zu G188,189/91 - unter Anwendung des Spitzensteuersatzes ein "steuerfreies Existenzminimum" von 31.200 S bzw. 37.200 S und unter Anwendung des für Einkommen bis 300.000 S geltenden Steuersatzes von 32 % ein solches von 48.750 bzw. 58.125 S für ein Kind im Jahre 1990. Ein Absetzbetrag in der Höhe der Familienbeihilfe ergebe ein zum steuerlichen Existenzminimum des Steuerpflichtigen hinzutretendes steuerfreies Einkommen von ca. 70.900 S bis bzw. 84.500 S.

IV. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde und an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Gesetzesstellen zweifeln ließe.

V. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sind auch begründet. Die in Prüfung gezogene Wortfolge in §34 Abs2 EStG 1988 und der §34 Abs7 EStG 1988 verstoßen gegen den Gleichheitssatz.

Mit Erkenntnis G188,189/91 vom heutigen Tag hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "und gleichen Familienstandes" in §34 Abs2 EStG 1972 wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufgehoben. Es ist nichts hervorgekommen, was für das EStG 1988 eine andere Beurteilung nahelegen würde. Weder die Änderung im Tarif noch andere Neuerungen des EStG 1988 haben in der hier in Rede stehenden Frage eine entscheidende Verbesserung gebracht. Nur der Vergleich mit dem nicht mehr begünstigten Geschiedenen fällt weg. Der Gerichtshof kann sich daher damit begnügen, auf die Begründung dieses Erkenntnisses zu verweisen und beizufügen, daß §34 Abs7 EStG 1988 nach Aufhebung der in Prüfung gezogenen Wortfolge in §34 Abs2 eine ähnlich diskriminierende Wirkung entfalten würde wie diese und daher gleichfalls aufzuheben ist.

Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei schließlich - wie schon im Erkenntnis G188,189/91 vom heutigen Tag - noch folgendes betont:

Durch welche Maßnahmen der Gesetzgeber das verfassungsrechtlich gebotene Ergebnis erzielt, liegt in seinem Ermessen. Er kann den Tarif entsprechend gestalten, taugliche Frei- oder Absetzbeträge vorsehen und direkte Leistungen (z.B. aus dem Familienlastenausgleichsfonds) gewähren und diese oder andere Maßnahmen auch nebeneinander einsetzen. Soweit Teile des Einkommens durch die Wirkung der Familienbeihilfen von der Steuerbelastung freigestellt werden, ist dies ebenso zu berücksichtigen, wie bei der Feststellung der Höhe der besonderen Belastung der Eltern. Eine gleichmäßige Besteuerung unterhaltspflichtiger Eltern und nicht unterhaltspflichtiger Personen (der gleichen Einkommensstufe) verlangt auch nicht, daß der Gesetzgeber bei Bedachtnahme auf die tatsächlichen Unterhaltsleistungen (und der darauf entfallenden Steuer) etwa individuell-konkrete Leistungen oder Leistungspflichten berücksichtigen müßte (die in der Familiengemeinschaft regelmäßig gar nicht feststellbar sind). Vielmehr darf er von Durchschnittswerten ausgehen und der Bemessung der Steuer jenen Unterhalt zugrundelegen, der sich aus dem für die Besteuerung in Frage kommenden Einkommen unter Außerachtlassung steuerlich irrelevanter Einkommensteile oder Vermögenswerte typischerweise ergibt. Und er kann den gebotenen Lastenausgleich durch eine der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit entsprechende unterschiedliche Verteilung der Steuerlast - also durch eine Umschichtung zulasten der nicht Unterhaltspflichtigen - zugleich aufkommensneutral gestalten.

VI. Die für das Außerkrafttreten gesetzte Frist soll die bisherige Rechtslage bis zum Inkrafttreten einer allfälligen Neuregelung aufrechterhalten und für den Fall des Unterbleibens einer Neuregelung die verfassungswidrigen Bestimmungen erst mit Ablauf des Kalenderjahres aus dem Rechtsbestand ausscheiden. Bei Anwendung des Art140 Abs5 B-VG geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, daß eine Kundmachung der Aufhebung nicht vor Ende des Jahres 1991 möglich sein wird (vgl. VfSlg. 10.730/1985, 10.731/1985 und G260-267/91 vom 4. Dezember 1991). Auf Art140 Abs5 B-VG stützt sich auch der Ausspruch über die Kundmachung.

Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Verfassungsgerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs4 VerfGG).

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