VfGH B817/04 ua

VfGHB817/04 ua11.10.2006

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

 

Spruch:

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes bzw. einer gesetzwidriger Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu B817/04 zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten, den Beschwerdeführern zu B854/04, B1040/04 und B1174/04 jeweils die mit € 2.556,-- bestimmten Prozesskosten zuhanden ihrer Rechtsvertreter binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1 Die Beschwerdeführerin zu B817/04 ist Vollerwerbslandwirtin und führt einen Milchwirtschaftsbetrieb. Sie verfügt über eine Anlieferungs-Referenzmenge (A-Quote) von 86.944 kg. Mit Quotenzukauf vom 15. September 1999 erwarb sie im Wege der Handelbarkeit - rückwirkend zum 1. April 1999 - eine zusätzliche Quote in der Höhe von 9.560 kg. Mit Antrag vom 19. September 2003 begehrte die Beschwerdeführerin die Zuteilung einer (zusätzlichen) Anlieferungs-Referenzmenge gemäß §§21ff. der Milch-Garantiemengen-Verordnung (im Folgenden: "MGV") 1999 für den Zwölfmonatszeitraum 2003/2004. Mit Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria (im Folgenden: "AMA") vom 12. Dezember 2003 wurde dem Antrag keine Folge gegeben.

1.2 Die Beschwerdeführer zu B854/04 sind Milcherzeuger und haben am 20. Oktober 2003 einen Antrag auf Zuteilung einer Anlieferungs-Referenzmenge für den Zwölfmonatszeitraum 2003/2004 gemäß §§21f bis 21i MGV 1999 an die AMA gestellt. Mit Bescheid vom 12. Dezember 2003 wurde dem Antrag der Beschwerdeführer auf Zuteilung einer Anlieferungs-Referenzmenge für den Zwölfmonatszeitraum 2003/2004 keine Folge gegeben.

1.3 Die Beschwerdeführer zu B1040/04 sind Milcherzeuger und haben mit 1. April 2000 durch Zupachtung Maßnahmen zur Erhöhung der Anlieferungs-Referenzmengen gesetzt und in den Jahren 2002 und 2003 landwirtschaftliche Nutzflächen im Gesamtausmaß von 10 ha erworben. Am 5. Oktober 2003 stellten sie einen Antrag auf Zuteilung einer Anlieferungs-Referenzmenge für den Zwölfmonatszeitraum 2003/2004 gemäß §§21f bis 21i MGV 1999 an die AMA. Diesem wurde mit Bescheid vom 12. Dezember 2003 keine Folge gegeben.

2. Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wurden vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft jeweils mit der Begründung, dass die Beschwerdeführer nicht die Zuteilungsvoraussetzungen im Hinblick auf die Zuteilung einer Anlieferungs-Referenzmenge erfüllen würden, da auf ihren Betrieb für den relevanten Zeitraum weder im Wege der Handelbarkeit (§21g Abs1 Z1 MGV 1999) noch im Wege des Quotenleasings (§21g Abs1 Z2 MGV 1999) Referenzmengen im geforderten Ausmaß übertragen worden seien, gemäß §289 Bundesabgabenordnung (im Folgenden: "BAO") iVm §21 g MGV 1999, BGBl. II Nr. 28/1999 idF BGBl. II Nr. 390/2003, abgewiesen.

3. Die Beschwerdeführer haben jeweils Beschwerde gegen die drei genannten Bescheide des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft an den Verfassungsgerichtshof erhoben und die Rechtsverletzung wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet.

4.1 Die Beschwerdeführer im Verfahren zu B1174/05 beantragten, die dem Almbetrieb Krinegg-Bechter zustehenden Referenzmengen II als Referenzmengen I (allgemeine Referenzmenge) anzusehen und die gesamte Referenzmenge auf den Betrieb Hittisau, Komma Nr. 56, der kein Almbetrieb ist, zu übertragen. Mit Bescheid der AMA vom 8. April 2004 wurde die am 2. Dezember 2002 angezeigte Übertragung der Anlieferungs-Referenzmenge II und der Direktverkaufsmenge des Almbetriebes Krinegg-Bechter auf den Betrieb der Beschwerdeführer in Hittisau für unzulässig bzw. unwirksam erklärt.

4.2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft wurde mit Bescheid vom 29. Juli 2004 gemäß §289 BAO iVm §§10, 14 und 15 der MGV 1999, BGBl. II Nr. 28/1999, sowie §9 Milch-Referenzmengen-Zuteilungsverordnung, BGBl. Nr. 226/1995, mit der Begründung abgewiesen, dass Anlieferungs-Referenzmengen II an den Almbetrieb gebunden seien und ausschließlich auf den zugehörigen Almbetrieben von den jeweiligen Bewirtschaftern genutzt werden könnten und dass die Übertragung der Direktverkaufs-Referenzmenge deshalb unzulässig sei, da sie nicht gemäß §8 MGV 1999 im Wege der Handelbarkeit erworben worden sei.

5. Die Beschwerden sind in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden worden.

II. Aus Anlass dieser Beschwerden leitete der Verfassungs-gerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG und Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §101 des Marktordnungsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 210/1985 idF BGBl. I Nr. 108/2001, sowie ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Garantiemengen im Bereich der Gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999 - MGV 1999) in ihrer Stammfassung BGBl. II Nr. 28/1999 sowie in den Fassungen BGBl. II Nr. 188/2003 und BGBl. II Nr. 390/2003 ein.

Mit Erkenntnis vom 11. Oktober 2006, G50/06, V28/06; G51-53/06, V29-31/06, hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "Referenzmengen," in §101 des MOG 1985 idF BGBl. I Nr. 108/2001 wegen Verstoßes gegen das aus Art18 B-VG abzuleitende, auch den Gesetzgeber bindende Determinierungsgebot als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass die Aufhebung mit Ablauf des 30. Juni 2007 in Kraft tritt. In dem selben Erkenntnis hob er die MGV 1999 in ihrer Stammfassung BGBl. II Nr. 28/1999 sowie in den Fassungen BGBl. II Nr. 188/2003 und BGBl. II Nr. 390/2003 wegen Wegfalls der gesetzlichen Grundlage - ebenfalls mit Ablauf des 30. Juni 2007 - zur Gänze auf.

III. Die Beschwerden sind begründet.

Die belangte Behörde hat eine gesetzwidrige Verordnung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

Die Beschwerdeführer wurden folglich durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.303/1984, 10.515/1985).

Die Bescheide waren daher aufzuheben.

IV. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zu B817/04 zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,-- und eine Eingabegebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten. In den zu B854/04, B1040/04 und B1174/04 zugesprochenen Kosten ist unter sinngemäßer Anwendung des §15 RATG ein Streitgenossenzuschlag, Umsatzsteuer in der Höhe von € 396,-- sowie eine Eingabegebühr in der Höhe von € 180,-- enthalten. Da die Eingabegebühr zu B1174/04 gemäß §17a VfGG nur einmal zu entrichten war, war diese nur in der Höhe von € 180,-- zuzuerkennen.

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