Normen
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
EMRK Art11
StGG Art12 / Versammlungsrecht
VersammlungsG §2 Abs1
VersammlungsG §5
VersammlungsG §13 Abs1
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
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B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
EMRK Art11
StGG Art12 / Versammlungsrecht
VersammlungsG §2 Abs1
VersammlungsG §5
VersammlungsG §13 Abs1
Spruch:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. In der vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird behauptet, daß der Bf. am 20. Juni 1984 abends in Königstetten/Bezirk Tulln auf einem Privatgrundstück eine Sonnwendfeier für geladene Gäste habe veranstalten wollen. Diese sei aber vom Bezirkshauptmann von Tulln, der persönlich in Begleitung mehrerer Gendarmeriebeamter am Veranstaltungsort erschienen sei, "verboten" worden.
Gegen diese als sogenannte faktische Amtshandlung (Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG) gewertete Maßnahme wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und begehrt wird, diese Rechtsverletzungen kostenpflichtig festzustellen.
Der Bf. meint, die Veranstaltung sei keine Versammlung iS des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG) gewesen; für das Vorgehen der Behördenorgane habe keinerlei gesetzliche Grundlage bestanden.
2. Die Bezirkshauptmannschaft Tulln als bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet. Der Bezirkshauptmann von Tulln sei unter Assistenz von Exekutivbeamten eingeschritten und habe an Ort und Stelle die Veranstaltung aufgelöst. Es habe sich um eine Versammlung nach dem VersG gehandelt, die nicht auf geladene Gäste beschränkt gewesen sei; sie wäre daher gemäß §2 VersG anzeigepflichtig gewesen. Eine Anzeige sei nicht erfolgt. Die Behörde sei daher verpflichtet gewesen, sie nach §13 Abs1 VersG aufzulösen.
II. 1. Der VfGH hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Veranstaltungsteilnehmer P H und H F, des Bezirkshauptmannes von Tulln Hofrat Dr. P P, des Leiters des Polizeireferates der Bezirkshauptmannschaft Tulln Oberrevident E B, der Kriminalbeamten der Sicherheitsdirektion NÖ Abteilungsinspektor J F und Bezirksinspektor E K und des Bürgermeisters von Königstetten Ing. D H als Zeugen sowie des Bf. als Partei.
Weiters wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die Akten der Bezirkshauptmannschaft Tulln, Z 11-A/84 (betreffend die Auflösung der in Rede stehenden Veranstaltung), Z 3-H-84148 (betreffend das - noch nicht rechtskräftig abgeschlossene - Verwaltungsstrafverfahren gegen den Bf. wegen Entzündens eines Feuers im Freien am 20. Juni 1984 - §9 Abs4 des Nö. Feuer-, Gefahrenpolizei- und Feuerwehrgesetzes, LGBl. 4400-0), Z 3-H-84148/1 und 3-H-84148/2 (betreffend - noch nicht rechtskräftig beendete - Verwaltungsstrafverfahren gegen den Bf. wegen Übertretung des VersG) und Z 3-F/8499 (betreffend das - noch nicht rechtskräftig abgeschlossene - Verwaltungsstrafverfahren gegen den Eigentümer des Grundstückes, auf dem die Veranstaltung stattfinden sollte, wegen Übertretung des VersG), sowie in den Akt des Kreisgerichtes St. Pölten, AZ 12 Vr 1085/84 (betreffend das gegen einen Veranstaltungsteilnehmer wegen Verdachtes nach §3 litd Verbotsgesetz geführte Strafverfahren - das Verfahren wurde gemäß §90 StPO eingestellt).
2. Aufgrund dieser - in den hier wesentlichen Belangen weitestgehend übereinstimmenden - Beweismittel stellt der VfGH folgenden Sachverhalt fest:
Der Bf. lud unter seinem Namen Anfang Juni 1984 im Wege einer schriftlichen Aussendung etwa 200 Personen zu einer Sonnwendfeier nach Königstetten ein. Die Briefe enthielten kein Programm über den geplanten Verlauf der Veranstaltung.
Am 17. Juni 1984 richtete der Bf. folgendes Schreiben an den Bürgermeister von Königstetten:
"Am Mittwoch, den 20/6/84 veranstalte ich um 21.00 Uhr in Königstetten für einen mündlich geladenen Freundeskreis eine Sonnwendfeier.
Diese Sonnwendfeier wird auf dem Grundstück meines Freundes Dr. jur. H F, (EZ ... GrdSt 545) stattfinden und ungefähr bis 24.00 Uhr dauern. Obwohl es sich dabei um eine geschlossene Veranstaltung handelt, die an sich nicht anmeldepflichtig ist, wurde mir geraten, die Gemeinde dennoch wegen des abzubrennenden Feuers von diesem Vorhaben in Kenntnis zu setzen.
Hochachtungsvoll G H
P.S. Selbstverständlich sind Sie persönlich ebenfalls herzlich willkommen."
Der Bürgermeister verständigte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland NÖ und auch die Bezirkshauptmannschaft Tulln von der beabsichtigten Sonnwendfeier. Beide Behörden hatten wenigstens zwei Tage vor dem geplanten Termin hievon Kenntnis. Aufgrund von Vorkommnissen, die sich bei früher vom Bf. persönlich oder von Vereinigungen, in denen er leitend tätig war, durchgeführten Veranstaltungen ereignet hatten und den dabei gewonnenen Erfahrungen nahm der Bezirkshauptmann an, daß es bei der Sonnwendfeier zu Zwischenfällen kommen könnte und daß bei ihr Ansprachen gehalten werden würden; er kam aufgrund dieser Überlegungen zum Schluß, daß zu erwarten sei, es werde eine Versammlung durchgeführt werden, die nach dem VersG anmeldepflichtig sei.
Der Bezirkshauptmann begab sich daher am Abend des 20. Juni 1984 in Begleitung von 12 Gendarmeriebeamten und von 12 Kriminalbeamten der Sicherheitsdirektion NÖ zum vorgesehenen Veranstaltungsort, einer nicht eingezäunten Wiese außerhalb des verbauten Gebietes. Der Bezirkshauptmann befragte den Bf. über den vorgesehenen Verlauf der Feier. Dieser gab ihm die gleiche Auskunft, die er schon einige Stunden vorher dem ihn kontaktierenden Abteilungsinspektor F (Sicherheitsdirektion NÖ) gegeben hatte, nämlich, daß ein Holzstoß entzündet werden sollte; außerdem sei geplant, mehrere Lieder (darunter "Flamme empor") zu singen; schließlich werde er (der Bf.) eine Ansprache "mit ein bißchen politischem Inhalt" halten. Darauf machte der Bezirkshauptmann den Bf. aufmerksam, daß die Veranstaltung als anzeigepflichtige Versammlung anzusehen sei; eine Anmeldung sei aber unterlassen worden. Der Bf. widersprach dem; es handle sich um eine Sonnwendfeier, die keine Versammlung sei; im übrigen werde sie von der politischen Partei "Volksbewegung" veranstaltet. Im Zuge der Diskussion sprach der Bf. von nach Nürnberger Vorbild rückwirkend einzuführenden Gesetzen.
Inzwischen waren zahlreiche Teilnehmer am Veranstaltungsort zusammengekommen.
Um etwa 21.00 Uhr erklärte der Bezirkshauptmann, daß er hiemit die Versammlung auflöse.
Die Veranstaltungsteilnehmer begaben sich daraufhin - wenngleich zT zögernd - (ohne daß es zu Gewaltanwendungen kam) auf das Nachbargrundstück, wo sie Grillwürstel aßen und Lieder sangen. Die Aufforderung des Bezirkshauptmannes, sich zu entfernen, beachteten sie nicht. Dieser ließ es dabei bewenden. Die weitere Zusammenkunft wurde von Exekutivorganen lediglich beobachtet.
An der aufgelösten Veranstaltung hatten etwa 50 bis 70 Personen teilgenommen, davon etwa 20 in einer uniformähnlichen Tracht (schwarze Stiefel, olivgrüne (Tarn-)Hosen, grüne Hemden mit Spangen, weinrotes Barett).
Mehrere 30 X 50 cm große, mit Runenzeichen versehene Wegweiser zeigten den Weg "zur Sonnwendfeier" an. Eine Einlaßkontrolle am Veranstaltungsort fand nicht statt; sie wäre auch gar nicht möglich gewesen, da die große Wiese nicht eingezäunt war, sodaß für jedermann der Zutritt ungehindert und zT unbeobachtet möglich gewesen wäre.
III. Der VfGH hat erwogen:
1. Die Beschwerde ist zulässig:
Die vom Bezirkshauptmann von Tulln verfügte Auflösung einer Veranstaltung erging ohne vorangehendes behördliches Verfahren. Sie ist als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren, die nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim VfGH bekämpfbar ist (vgl. VfSlg. 7762/1976).
Veranstalter der aufgelösten Zusammenkunft war der Bf., und nicht etwa eine politische Partei. Dies ergibt sich schon daraus, daß er die Einladungen unter seinem Namen versandte und die an den Bürgermeister von Königstetten gerichtete Eingabe vom 17. Juni 1984 ohne Hinweis darauf gefertigt hat, daß er etwa namens einer Vereinigung einschreite. Aus seiner Einvernahme vor dem VfGH ergibt sich, daß er dem Bezirkshauptmann gegenüber erst dann behauptete, die Veranstaltung werde von der politischen Partei "Volksbewegung" durchgeführt, als er merkte, die Behörde stehe auf dem Standpunkt, es handle sich um eine anzeigepflichtige Versammlung. Der Bf. vertrat nämlich die - wenngleich verfehlte - Meinung, daß von politischen Parteien iS des Parteiengesetzes organisierte Versammlungen von den Bestimmungen des VersG ausgenommen seien.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Bf. als Veranstalter auftrat. Jedenfalls als solcher ist er beschwerdelegitimiert (vgl. auch hiezu VfSlg. 7762/1976).
Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen sind gegeben.
2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet:
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 9783/1983 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur) ist jede Verletzung des VersG, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG und Art11 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten.
Der Bf. wäre demnach im erwähnten Grundrecht verletzt worden, wenn die Behörde - den Bestimmungen des VersG zuwider - die Auflösung der Versammlung verfügt hätte.
b) §13 Abs1 VersG lautet:
"Wenn eine Versammlung gegen die Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltet wird, so ist sie von der Behörde (§§16 und 17) zu untersagen und nach Umständen aufzulösen."
c) Die Behörde war hier nach §16 litc VersG die örtlich zuständige Bezirksverwaltungsbehörde, sohin die Bezirkshauptmannschaft Tulln.
Nach §2 Abs1 VersG ist eine "Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste" vom Veranstalter der Behörde schriftlich anzuzeigen.
Im vorliegenden Fall hat der Veranstalter (der Bf.) eine derartige Anzeige nicht erstattet. Sein Schreiben vom 17. Juni 1984 an den Bürgermeister von Königstetten ist lediglich als feuerpolizeiliche Mitteilung zu qualifizieren, nicht aber als Anzeige iS des VersG anzusehen. So wird in dem Schreiben ausdrücklich betont, daß die geplante Veranstaltung nicht anmeldepflichtig sei und die Gemeinde nur wegen des abzubrennenden Feuers von diesem Vorhaben in Kenntnis gesetzt werde.
d) Nicht jede Zusammenkunft mehrerer Personen zu einem gemeinsamen Zweck an einem bestimmten Ort ist als Versammlung iS des VersG anzusehen. So sind aufgrund der ausdrücklichen Anordnung des §5 leg. cit. "öffentliche Belustigungen, Hochzeitszüge, volksgebräuchliche Feste oder Aufzüge ..., wenn sie in der hergebrachten Art stattfinden, von den Bestimmungen dieses Gesetzes ausgenommen".
Nach der ständigen Judikatur des VfGH (VfSlg. 4586/1963, 5193/1966, 5195/1966 und 8685/1979, 9783/1983) ist eine Zusammenkunft mehrerer Personen dann als Versammlung iS des VersG zu verstehen, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Manifestation usw.) zu bringen, sodaß eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht. Der VfGH sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzurücken.
Der festgestellte Sachverhalt (s. oben II.2.) ist - ausgehend von dieser Rechtslage und dieser Judikatur - rechtlich so zu werten, daß die geplante Veranstaltung eine Versammlung iS des VersG bildete. Wenngleich das bloße Abbrennen eines Sonnwendfeuers als "volksgebräuchliches Fest" angesehen werden kann, waren hier doch darüber hinaus wesentliche zusätzliche Tätigkeiten geplant, nämlich nicht bloß Volkslieder, sondern auch Lieder politischen Inhaltes zu singen, vor allem aber eine Ansprache mit politischen Themen zu halten. Dazu kommt, daß eine größere Zahl der Teilnehmer in einer Art Uniform erschien, die keine Volkstracht, wie sie allenfalls bei Sonnwendfeiern üblich sein mag, war. Die Gesamtsituation läßt klar erkennen, daß hier keineswegs bloß ein herkömmlicher Volksbrauch geübt wurde, sondern die Teilnehmer zu gemeinsamem politischen Wirken gebracht werden sollten.
e) Die Versammlung war nicht bloß auf geladene Gäste beschränkt und damit nicht von der Anzeigepflicht nach §2 VersG ausgenommen. Dies ist nämlich nur dann der Fall, wenn die Teilnehmer persönlich und individuell vom Veranstalter der Versammlung zum Erscheinen geladen werden und wenn der Veranstalter Vorkehrungen trifft, durch die die Nichtzulassung Ungeladener gesichert ist (vgl. VfSlg. 7762/1976, 9783/1983).
Dies aber hat der Bf. im vorliegenden Fall unterlassen. Er hat zwar persönliche Einladungen ausgesandt, aber nicht einmal versucht vorzukehren, daß ungeladene Personen keinen Zutritt erhalten. Unerheblich ist hiebei, ob tatsächlich nicht geladene Personen Zutritt zum Versammlungsort gefunden haben oder nicht.
Unter diesen Voraussetzungen kann die Versammlung nicht als "auf geladene Gäste beschränkt" bezeichnet werden. Sie wäre daher der Behörde anzuzeigen gewesen.
f) Daraus folgt, daß die gemäß §2 Abs1 VersG bestehende Pflicht, die als allgemein zugängliche Versammlung zu wertende Veranstaltung der Behörde anzuzeigen, verletzt wurde. Die Versammlung wurde sohin iS des §13 Abs1 VersG entgegen den "Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltet" (vgl. zB VfSlg. 9783/1983).
Die Behörde war daher nach der zitierten Gesetzesbestimmung ermächtigt, die Auflösung der - bereits im Gang befindlichen - Versammlung nach Umständen zu verfügen und diese Maßnahme durch Anwendung von Polizeizwang in Vollzug zu setzen. Da die Versammlungsteilnehmer aber ohne Einsatz von physischer Gewalt den Veranstaltungsort verließen, waren die Gendarmeriebeamten nicht genötigt, mit Gewalt vorzugehen.
Die Behörde darf - wie schon aus dem Wortlaut des §13 Abs1 VersG hervorgeht - eine gegen die Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltete Versammlung nur "nach Umständen" auflösen. Von dieser Ansicht ist - wie sich aus dem Sachverhalt, der dem damals behandelten Fall zugrunde lag, ergibt - der VfGH auch im Erk. VfSlg. 7762/1976 ausgegangen. Das hg. Erk. VfSlg. 9783/1983 drückt dies explizit derart aus, daß auf die die Auflösungsbefugnis einschränkenden Worte "nach Umständen" Bezug genommen wird und diese mit der Wendung "weil erforderlich" gleichgesetzt werden. Der VfGH sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Rechtsprechung abzurücken.
Eines der wesentlichsten Elemente des Versammlungsrechtes ist das Recht, daß die Versammlung nicht gegen den Willen ihrer Veranstalter aufgelöst wird. Für eine behördliche Versammlungsauflösung muß also ein zureichender Grund vorliegen.
Unter welchen (weiteren) Voraussetzungen die Auflösung einer unter Verletzung der Anzeigepflicht veranstalteten Versammlung zulässig ist, welche Umstände also zur Mißachtung des §2 Abs1 VersG hinzutreten müssen, um zur Versammlungsauflösung zu ermächtigen, ist nach den Gegebenheiten des Einzelfalles zu beurteilen.
Das im jeweiligen Fall rechtmäßige Verhalten der Behörde ist vor dem Hintergrund der Versammlungsfreiheit zu beurteilen. Dieses Grundrecht ist in mehreren auf Verfassungsstufe stehenden Rechtsvorschriften verankert, insbesondere durch Art12 StGG, durch Punkt 3 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918, StGBl. 3, und durch Art11 MRK.
Zu untersuchen ist, ob die positive Rechtsordnung eine Richtlinie enthält, unter welchen Voraussetzungen die Behörde eine Versammlung auflösen darf. Nach Art11 Abs1 MRK haben alle Menschen das Recht, sich friedlich zu versammeln. Art11 Abs2 dieses völkerrechtlichen Vertrages erlaubt aber den vertragschließenden Staaten, unter bestimmten Voraussetzungen von diesem Grundsatz abzugehen: "Die Ausübung dieser Rechte" (darunter des Versammlungsrechtes) "darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind." Dieser staatsvertragliche (materielle) Gesetzesvorbehalt, wie er im Art11 Abs2 MRK umschrieben wird, gilt auch im innerstaatlichen Bereich und leitet die Vollzugsorgane an, wann sie einen zureichenden Grund für eine Versammlungsauflösung annehmen dürfen (vgl. hiezu das die Ermächtigung der Behörde, einen Verein aufzulösen, betreffende Erk. VfSlg. 8090/1977).
Die Umstände, die zur Verletzung der Anzeigepflicht hinzuzutreten haben, um eine Versammlungsauflösung zu rechtfertigen, müssen also so geartet sein, daß ohne diese Maßnahme eines der in der zitierten Konventionsnorm aufgezählten Schutzgüter gefährdet wäre.
Ob solche Umstände vorliegen, hat das Behördenorgan nach dem Bild zu beurteilen, das sich ihm an Ort und Stelle bietet. Dies muß der Veranstalter, der seiner Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist, gegen sich gelten lassen; er hat in Kauf zu nehmen, daß kein eigentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt werden kann und daß es der Behörde in der Regel auch nicht mehr möglich sein wird, allenfalls erforderliche, den ungehinderten Ablauf der Versammlung sichernde Vorkehrungen zu treffen, etwa solche, die dem Schutz der Versammlung vor Gegendemonstrationen oder der Umleitung des Straßenverkehrs dienen (vgl. hiezu das Erk. VfSlg. 9103/1981, in dem die Angabe der Aufmarschroute in der Versammlungsanzeige als essentiell behandelt wurde, dies offenkundig deshalb, weil die Kenntnis dieses Weges aus den soeben erwähnten Gründen für erforderlich erachtet wurde).
Hier konnte der (persönlich einschreitende) Bezirkshauptmann nach dem sich ihm bietenden Gesamtbild mit gutem Grund den Eindruck gewinnen, daß sich bei der Versammlung strafgesetzwidrige Vorgänge ereignen würden. So konnte er daraus, daß zur beabsichtigten Versammlung Teilnehmer in einer Art Uniform erschienen und aus der ihm gegenüber vom Bf. gemachten Äußerung über "Gesetze nach Nürnberger Vorbild" (s. oben II.2.) schließen, es werde bei der Versammlung nationalsozialistisches Gedankengut propagiert werden. Dies und eine möglicherweise sonstige unzutreffende Einschätzung des (künftigen) Verlaufes der Versammlung hat ihr Veranstalter (der Bf.) durch das Unterlassen der Versammlungsanzeige selbst verursacht. Die dadurch bedingte notwendige Eile schloß die Möglichkeit zu weitergehenden Erhebungen und Feststellungen durch die bel. Beh. aus.
Der Bezirkshauptmann konnte also - ohne daß ihm ein Fehler zur Last gelegt werden könnte - bei der von ihm an Ort und Stelle zu treffenden Entscheidung davon ausgehen, es liege im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit sowie der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, die nicht angezeigte Versammlung aufzulösen.
g) Aus all diesen Erwägungen folgt, daß die Behörde die Auflösung der als Versammlung zu wertenden Veranstaltung dem Gesetz entsprechend verfügt hat. Der Bf. wurde mithin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit nicht verletzt.
h) Die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes kommt wegen der festgestellten Rechtmäßigkeit der angefochtenen Amtshandlung nicht in Frage (s. zB VfSlg. 9783/1983 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).
i) Daß die von der bel. Beh. der angefochtenen Amtshandlung zugrunde gelegten Rechtsvorschriften verfassungswidrig seien, macht der Bf. nicht geltend; auch der VfGH hegt unter dem Blickwinkel dieses Beschwerdefalles keine derartigen Bedenken (vgl. auch hiezu zB VfSlg. 9783/1983).
Der Bf. ist sohin auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
j) Die Beschwerde war infolgedessen abzuweisen.
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