VfGH B1660/88

VfGHB1660/8827.9.1990

Tribunalcharakter der OBDK als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag; keine Geltung des Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung für die OBDK; kein Verstoß gegen das Anklageprinzip und das "Prinzip der Waffengleichheit" durch den Einleitungsbeschluß im Disziplinarverfahren; keine Präjudizierung des Disziplinarrates durch den Einleitungsbeschluß; keine Gleichsetzung der Funktionen der Anklageschrift und des Einleitungsbeschlusses; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die disziplinären Verurteilungen eines Rechtsanwaltes wegen gerichtlicher Geltendmachung von Honorarforderungen trotz vorheriger Zustimmung zu einem gütlichen Beilegungsverfahren durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer sowie wegen des Erscheinens als "Dressman" in der Medienöffentlichkeit; Anlaßfallwirkung der teilweisen Feststellung der Gesetzwidrigkeit des Werbeverbots für Rechtsanwälte

Normen

B-VG Art83 Abs2 B-VG Art87 Abs3 B-VG Art90 Abs2 B-VG Art133 Z4 B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall MRK Art6 Abs1 / Tribunal MRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien DSt 1872 §2 DSt 1872 §29 Abs3 DSt 1872 §55d RAO §10 Abs2 RAO §19 Abs2 RL-BA 1977 §23
B-VG Art83 Abs2 B-VG Art87 Abs3 B-VG Art90 Abs2 B-VG Art133 Z4 B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall MRK Art6 Abs1 / Tribunal MRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien DSt 1872 §2 DSt 1872 §29 Abs3 DSt 1872 §55d RAO §10 Abs2 RAO §19 Abs2 RL-BA 1977 §23

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit ein Schuldspruch in den Verfahren D 27/79 Z1 litb und c,

D 120/82 Z1 und D 113/82 Z1 ergangen ist, wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit sowie im Strafausspruch und im Kostenspruch aufgehoben.

II. Im übrigen ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Insoweit wird die Beschwerde abgewiesen.

III. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit dem eine Mehrzahl von Disziplinarverfahren abschließenden Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK) vom 11. April 1988, Z Bkd 18/88-23, wurde den Schuldberufungen des Kammeranwaltes und des Disziplinarbeschuldigten teilweise Folge gegeben, sodaß Dr. J W von der OBDK hinsichtlich eines Vorwurfes, von dem er in erster Instanz freigesprochen worden war (D 113/82 Z2), für schuldig erkannt und hinsichtlich einer Reihe von Vorwürfen, wegen denen er in erster Instanz verurteilt worden war (D 20/84, D 102/78, D 118/83, D 85/80 und D 103/78), freigesprochen wurde. Im übrigen wurde das Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 13. Juni 1986 mit der Maßgabe bestätigt, daß hinsichtlich eines Faktums (D 102/78 litc) die Qualifikation der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes aus dem Spruche ausgeschieden und die Strafe statt mit einer zeitlich befristeten Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft mit einer Geldbuße in der Höhe von S 100.000,-- neu bemessen wurde.

Demnach wurde der Disziplinarbeschuldigte - was zur Übersichtlichkeit der weiteren Darstellung zusammenfassend wiedergegeben wird - für schuldig erkannt, daß er:

1. D 102/78 litb: "am 3.Juli 1978 seinen restlichen Honoraranspruch gegen A L zu C 146/78 des Bezirksgerichtes Mistelbach eingeklagt hat, obwohl er sich am 30.Mai 1978 mit der Überprüfung seiner Kosten durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland einverstanden erklärt hatte und diese Überprüfung noch nicht erfolgt war";

2. D 102/78 litc: "im Zusammenhang mit dem Faktum b) seine Handakten nicht dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vorgelegt hat";

3. D 27/79 Z1 litb und c: "es gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten Rechtsanwalt Dr. E W unterlassen hat, bei seinen Kontakten und Gesprächen mit Pressevertretern die gebotene Zurückhaltung zu üben, die sichergestellt hätte, daß in der 'Kronen-Zeitung' nicht Artikel über sie mit Bildern aus der Privatsphäre und wörtlichen Zitaten, die eine Hervorhebung ihrer Person enthalten, erscheinen konnten und auch keine Maßnahmen ergriffen hat, um das Erscheinen derartiger Veröffentlichungen hintanzuhalten, die geeignet sind, den Eindruck zu erwecken, daß er seinen beruflichen Wirkungskreis mit Mitteln erweitert, die Würde und Ansehen des Standes widerstreiten und zwar

a) Bericht in der 'Kronen-Zeitung' vom 29.November 1978 über ein Kanzleirendezvous;

b) Bericht in der 'Kronen-Zeitung' vom 19.November 1979 über die Feier des dritten Jahrestages der Kanzleigründung des Beschuldigten und seines Bruders, Rechtsanwalt Dr.E W";

4. D 120/82 Z1: "gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten Rechtsanwalt Dr. E W am 31.Oktober 1982 das Erscheinen von Berichten in den Rubriken 'Leute von heute' (im Kurier) und 'Adabei' (in der Kronen-Zeitung) über das in ihrer Kanzlei veranstaltete Fest veranlaßt oder nicht verhindert und hiedurch unzulässige Werbung betrieben hat";

5. D 113/82 Z1: "sich gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten Rechtsanwalt Dr. E W für die Ausgabe Oktober 1982 der Zeitschrift 'Wiener' zu Werbezwecken fotografieren und beschreiben ließ";

6. D 113/82 Z2: "gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten Rechtsanwalt Dr. E W einer dem Anwaltsstande unwürdigen Zweitbeschäftigung nachgeht"

Hinsichtlich der Schuldsprüche zu Punkt 1. und 3. bis 6. erfolgte die Qualifikation als Berufspflichtenverletzung und als Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes, hinsichtlich des Schuldspruches zu Punkt 2. nur als Berufspflichtenverletzung.

1.2. Folgende Sachverhalte wurden vom Disziplinarrat für Wien, Niederösterreich und Burgenland mit Bescheid vom 13. Juni 1986 als erwiesen angenommen:

Hinsichtlich der Schuldsprüche 1. und 2.: Daß sich der Disziplinarbeschuldigte der Kammer gegenüber mit der Überprüfung seiner Honorarnoten mit Mitteilung vom 29. Juni 1978 einverstanden erklärt habe und dennoch bei Gericht eine Kostenklage (mit Datum 30. Juni 1978) eingebracht habe und dem Ersuchen des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer vom 20. Juni 1978, bis 15. Juli 1978 die Handakten vorzulegen, nicht nachgekommen sei.

Hinsichtlich des Schuldspruches zum Faktum 3.:

"Sämtliche vom Einleitungsbeschluß umfaßten Berichte der 'Kronen-Zeitung' wurden in der Klatschspalte 'Adabei', also von R S, geschrieben, welcher vom Beschuldigten in seiner Äußerung vom 9.7.1980 als sein persönlicher Freund bezeichnet wird und von ihm auch neben anderen Journalisten wiederholt zu Privatveranstaltungen eingeladen wurde. Bei den mehreren Veröffentlichungen beigefügten Lichtbildern, handelt es sich nicht etwa um Schnappschüsse, sondern um gestellte Aufnahmen. ... Der Beschuldigte mußte ... erkennen - und zwar erstmalig im Zuge des im Verfahren D 103/78 vorgeworfenen Verhaltens -, daß sich der Journalist R S an sein Ersuchen (in Zukunft weitere Berichte und Bilder über seine Person nicht zu veröffentlichen) nicht halte, sodaß er sich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr auf den guten Glauben hinsichtlich der Zuhaltung eines Versprechens oder einer ähnlichen Zusage dieses Journalisten berufen konnte. Er mußte daher damit rechnen, daß weiterhin Artikel und Berichte, ergänzt durch Lichtbilder, veröffentlicht werden, wenn er es zuläßt, daß Journalisten, darunter auch R S an Festen, die vom Beschuldigten veranstaltet werden, teilnimmt."

Hinsichtlich des Schuldspruches zum Faktum 4.:

"Am 31.10.1982 erschienen wieder in der Klatschspalte 'Adabei' der 'Kronen-Zeitung' und in der Rubrik 'Leute von heute' im 'Kurier' Berichte mit gestellten Fotos des Beschuldigten und des abgesonderten verfolgten Dr. E W, Rechtsanwalt in Wien. Zum damaligen Zeitpunkt war der Beschuldigte bereits wiederholt auf die Unzulässigkeit seines Verhaltens und Vorgehens bei Kanzleiveranstaltungen hingewiesen worden, und zwar z.B. durch den Einleitungsbeschluß vom 19.11.1980 im Verfahren D 27/79, durch den Ablassungsbeschluß vom 18.11.1981 im Verfahren D 75/81 sowie durch das Erkenntnis im Verfahren D 75/78 u.a. vom 18.6.1982. Trotzdem hat der Beschuldigte alle derartigen Mahnungen und Vorhalte des Disziplinarrates negiert und mißachtet und im Oktober 1982 neuerlich ein Kanzleifest mit einer Vielzahl von Personen gegeben und es vor allem gestattet, daß an diesem Fest auch eine Mehrzahl von Journalisten und Bildreportern teilnahm."

Hinsichtlich des Schuldspruches zu den Fakten 5. und 6.:

"Der Beschuldigte hat sich freiwillig für die Aufnahmen zur Verfügung gestellt, und zwar in Kenntnis davon, daß diese Aufnahmen in der Zeitschrift 'Wiener' veröffentlicht werden. Er hat damit in Kauf genommen, daß bei dieser Veröffentlichung sein Name mit der Berufsbezeichnung 'Rechtsanwalt' publiziert wird. Der Verantwortung des Beschuldigten, er habe von einer Veröffentlichung der Aufnahme im Trenchcoat nichts gewußt, konnte der Disziplinarrat nicht folgen. Auf Grund der gesamten Aufmachung und des Charakters dieser Fotografie ist offensichtlich, daß es sich um ein Modefoto gehandelt hat, das zur Veröffentlichung hergestellt und bestimmt war.

Der Beschuldigte bezog für die Aufnahmen kein Entgelt. Bei diesen Aufnahmen als 'Modemannequin' handelte es sich offenbar um eine einmalige Angelegenheit."

1.3. Auf dem Boden dieser Feststellungen wurden von der belangten Behörde folgende Erwägungen angestellt:

Zum Faktum 1.: Es stehe fest, daß der Beschuldigte sich der Kammer gegenüber bereit erklärt habe, die Kosten nicht einzuklagen, bevor die Kammer nicht die Kosten überprüft habe, sodaß diesbezüglich ein Schuldspruch nach beiden Qualifikationen gerechtfertigt sei.

Zum Faktum 2.:

"Die Nichtvorlage der Handakten entgegen dem Ersuchen der Kammer stellt zwar keine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dar, da eine solche im Verhältnis zwischen dem Beschuldigten als Rechtsanwalt und seiner Kammer nicht vorliegen kann, wohl aber ist aus §23 RL-BA eine Berufspflichtenverletzung abzuleiten."

Zum Faktum 3.: Es sei das Gesamtverhalten des Beschuldigten, der immer wieder in Medien aufscheine, zu berücksichtigen, wobei im Zusammenhang mit Berichten über "Anwalts-Feste" unter Nennung seines Namens und des Zusatzes "prominenter Anwalt" und sonstiger diverser Attribute eine Werbewirkung anzunehmen sei. Da es sich um "gestellte Fotos" handle, sei es nicht möglich, daß sie ohne sein Zutun zustande gekommen seien.

Zum Faktum 4.: Die Artikel in der Kronen-Zeitung und im Kurier seien mit offensichtlich gestellten Bildern erschienen; die Verantwortung des Beschuldigten könne daher nur als Alibihandlung angesehen werden.

Zum Faktum 5.:

"Dieser Vorwurf betrifft die Fotografien in der Zeitschrift 'Wiener' zusammen mit seinem Bruder und in modischer Kleidung. Aus der Art der Aufmachung ergibt sich, daß die Fotos zu Werbezwecken gemacht wurden. Wenn in ein und derselben Zeitschrift zwei verschiedene Bildberichte gebracht werden und der Beschuldigte und sein Bruder darin als Staranwälte bezeichnet werden, so liegt dies auf derselben Linie wie die Berichte in der Kronen-Zeitung und stellt daher zweifellos eine versteckte Werbung dar".

Zum Faktum 6.:

"Was aber die Mode-Bilder anlangt, kann der Eindruck einer eines Rechtsanwaltes unwürdigen Zweitbeschäftigung des Beschuldigten als 'Dressman' entstehen. Dies mußte auch dem Beschuldigten klar sein. Es ist nach Ansicht der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für einen Anwalt unwürdig, sich in dieser Aufmachung in einer Zeitschrift veröffentlichen zu lassen. In diesem Punkt war daher der Berufung des Kammeranwaltes stattzugeben. Die weiteren Vorwürfe, der Beschuldigte habe nicht für eine Trennung zwischen dem Beruf eines Rechtsanwaltes und eines Vorführherrn gesorgt und keine Vorkehrungen getroffen, daß all dies unterbleibt, sind dagegen bereits durch die Schuldsprüche in den beiden anderen Fakten konsumiert."

2.1. Gegen den Bescheid der OBDK wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungen und eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet werden und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

2.2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1.1. Der Beschwerdeführer stellt zunächst die Verfassungskonformität disziplinärer Verfahren nach dem Disziplinarstatut (in der Folge: DSt) an sich in Frage, weil die Einleitung eines Disziplinarverfahrens durch einen nicht anfechtbaren Einleitungsbeschluß erfolge, der gemäß §29 Abs3 DSt nach Anhörung des Kammeranwaltes vom Disziplinarrat, welcher in der Folge in der Sache selbst entscheide, gefaßt werde. Dies berge die Gefahr in sich, daß die an der Fassung des Einleitungsbeschlusses beteiligten Mitglieder diese Meinungsbildung "als Vorurteil zur Grundlage der Entscheidung" nehmen könnten. Daß der Kammeranwalt vor der Erlassung des Einleitungsbeschlusses gehört werde, sei mit einem fairen Verfahren grundsätzlich unvereinbar, zumal §29 Abs3 DSt kein "gleichwertiges Anhörungsrecht des Beschuldigten" vorsehe. Damit sei aber der Unbefangenheit der entscheidenden Organe nicht in einer dem Art6 MRK entsprechenden Weise Genüge getan: Es bestehe vielmehr die Gefahr, daß die Disziplinarbehörde weder in billiger Weise entscheide noch ein unparteiisches Gericht darstelle. §29 Abs3 DSt verletze aber auch das Prinzip der "Waffengleichheit" und damit Art7 B-VG sowie Art90 Abs2 B-VG. Gegen Art6 MRK verstoße schließlich das Fehlen einer festen Geschäftsverteilung.

3.1.2. Diesem unter dem Aspekt des Art83 Abs2 B-VG gemachten Vorbringen - das sich sinngemäß zusammengefaßt in der Behauptung erschöpft, die OBDK, obwohl Gericht, unterliege nicht den Regeln einer festen Geschäftsverteilung, und damit der Sache nach die Verfassungsmäßigkeit des §55d DSt in Zweifel zieht - ist entgegenzuhalten, daß die OBDK - wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesagt hat - nicht als Gericht, sondern als Kollegialbehörde im Sinne des Art133 Z4 B-VG - und zwar den Voraussetzungen eines Tribunals im Sinne des Art6 MRK entsprechend (vgl. zB VfSlg. 11512/1987, VfGH 23.6.1989 B394,407/89) - eingerichtet ist, für die das Prinzip der festen Geschäftsverteilung nach Art87 Abs3 B-VG nicht gilt (vgl. VfSlg. 9387/1982 mit weiterführender Begründung; ebenso VfSlg. 11280/1987).

Der Verfassungsgerichtshof hegt aber auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §29 Abs3 DSt:

Bei einem Einleitungsbeschluß handelt es sich lediglich um eine prozeßleitende Verfügung, die der Durchführung eines Disziplinarverfahrens vorauszugehen hat (vgl. VfSlg. 10944/1986, 11350/1987, 11448/1987). Er legt den Gegenstand des Disziplinarverfahrens fest und zieht der disziplinären Verfolgung - zugunsten des Disziplinarbeschuldigten - Grenzen, weil ihm mit der Zustellung des Einleitungsbeschlusses nicht nur die Fortführung des Disziplinarverfahrens eröffnet wird, sondern auch dessen thematische Umschreibung. Damit kann sich der Disziplinarbeschuldigte Klarheit darüber verschaffen, welcher disziplinäre Vorwurf gegen ihn erhoben wird, wenngleich dadurch eine spätere "Erweiterung" der Anschuldigungspunkte nicht ausgeschlossen wird (vgl. VfSlg. 9425/1982). Dem Einleitungsbeschluß kommt daher - wie der Verfassungsgerichtshof im eben zitierten Beschluß erläutert hat - nicht die Funktion einer Anklageschrift nach der StPO zu, was aber unter dem Aspekt des Art90 Abs2 B-VG entgegen der Meinung des Beschwerdeführers verfassungsrechtlich schon deshalb unbedenklich ist, weil es sich bei einem Disziplinarverfahren nicht um ein Strafverfahren im Sinne dieser Verfassungsbestimmung handelt. Die Anhörung des Kammeranwaltes vor Fassung des Einleitungsbeschlusses dient dabei lediglich der Information des Disziplinarrates über die Auffassung des Kammeranwaltes. Eine Verletzung des "Prinzips der Waffengleichheit", wie sie vom Beschwerdeführer behauptet wird, kann demnach durch die bloße Anhörung des Kammeranwaltes nicht eintreten.

Ebensowenig vermag der Verfassungsgerichtshof der Auffassung des Beschwerdeführers zu folgen, daß der Disziplinarrat bei der Entscheidung des Disziplinarfalles aufgrund des Einleitungsbeschlusses bereits präjudiziert werde, weil der Einleitungsbeschluß "als Vorurteil zur Grundlage der Entscheidung" wird. Wie der Verfassungsgerichtshof im Beschluß VfSlg. 11448/1987 mit näherer Begründung dargelegt hat, ist diese Auffassung schon vom Ansatz her verfehlt; im Beschwerdefall widerlegt sie sich bereits durch den Umstand, daß von dem(n) Einleitungsbeschluß(beschlüssen) eine Vielzahl von Fakten erfaßt war, von denen der Beschwerdeführer mit dem Erkenntnis des Disziplinarrates vom 13. Juni 1986 oder schließlich mit dem angefochtenen Erkenntnis der OBDK freigesprochen wurde. Der Verfassungsgerichtshof sieht daher auch keine Veranlassung, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §29 Abs3 DSt einzuleiten.

3.2.1. Den Verurteilungen wegen der Fakten 1. und 2. (D 102/78 litb und c) hält der Beschwerdeführer entgegen, daß ein Honorarstreit ausschließlich in die Zuständigkeit der Zivilgerichte falle. Dem angefochtenen Bescheid sei weder eine Gesetzes- noch eine Verordnungsstelle zu entnehmen, aus der sich die Ansicht ableiten lasse, daß der Beschwerdeführer mit der Einklagung seines Honorars bis zur Überprüfung durch die Rechtsanwaltskammer hätte zuwarten müssen. Soweit §23 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977), verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 14. Dezember 1977 und im Anwaltsblatt 1977, S. 746, in Betracht gezogen werde, sei dem entgegenzuhalten, daß die Berechtigung der Rechtsanwaltskammer, Aufträge zu erteilen, nicht dahin verstanden werden könne, daß in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte eingegriffen werden dürfe. Demnach sei die belangte Behörde insofern ohne gesetzliche Grundlage vorgegangen. Sollte jedoch §23 RL-BA 1977 als "tragfähige Grundlage" anzusehen sein, dann sei die Regelung wegen fehlender Determinierung in bezug auf §37 RAO gesetzwidrig bzw. in bezug auf Art18 Abs1 B-VG verfassungswidrig. Der angefochtene Bescheid verletze den Beschwerdeführer schließlich auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

3.2.2. Die belangte Behörde hält diesen Ausführungen in der Gegenschrift zu Recht entgegen, daß §23 RL-BA 1977 bei den in Rede stehenden Fakten gar nicht angewendet worden sei, weil sich die Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Vorlage der Handakten nicht aus einem Auftrag der Rechtsanwaltskammer, sondern aus der von ihm selbst eingegangenen Verpflichtung (Einverständnis zur Prüfung seiner Honorarverrechnung durch den Ausschuß) herleite. Da §23 RL-BA 1977 im Beschwerdefall tatsächlich weder angewendet wurde noch anzuwenden war, kam die Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens hinichtlich dieser Bestimmung nicht in Frage.

Auch die Beschwerderügen, der Beschwerdeführer sei wegen des Schuldspruches zu Faktum 1. (gerichtliche Geltendmachung einer Honorarforderung trotz vorher bekanntgegebenem Einverständnis zu einer gütlichen Beilegung durch die Standesvertretung (D 102/78 litb)) in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, gehen ins Leere, weil ein Eingriff auch in diese Rechte nicht vorliegt. Es geht nämlich im angefochtenen Bescheid nicht darum, daß dem Beschwerdeführer Honorarforderungen oder das Recht auf deren gerichtliche Geltendmachung abgesprochen werden. Dem Beschwerdeführer wird vielmehr folgendes zur Last gelegt: Gemäß §10 Abs2 RAO sind Rechtsanwälte verpflichtet, durch redliches und ehrenhaftes Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren. §19 Abs2 RAO sieht ausdrücklich vor, daß im Falle einer Bestreitung der Richtigkeit und Höhe einer Honorarforderung sowohl die Partei als auch der Rechtsanwalt selbst berechtigt sind, den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer um gütliche Beilegung eines Streites anzugehen. Es ist nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes durchaus vertretbar, in der gerichtlichen Geltendmachung einer Honorarforderung durch einen Rechtsanwalt ein gegen Ehre und Ansehen des Standes verstoßendes Vorgehen zu erblicken, wenn er zuvor die Zustimmung zu einem gütlichen Beilegungsverfahren durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer ausdrücklich erklärt hat; der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes und wegen eines Verstoßes gegen die Berufspflichten, weil er sich ohne erkennbaren Grund an seine Zusage nicht gehalten hat, kann der Verfassungsgerichtshof aus der Sicht verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte nicht entgegentreten. Gleiches gilt hinsichtlich der Verurteilung wegen Verletzung der Berufspflichten aufgrund der in diesem Zusammenhang vorgeworfenen Nichtvorlage des Handaktes an die Rechtsanwaltskammer.

3.3.1. Zur Verurteilung wegen der Fakten 3., 4. und 5. (D 27/79 Z1 litb und c, D 120/82 Z1 und D 113/82 Z1) wird der Beschwerdevorwurf erhoben, der angefochtene Bescheid verletze den Beschwerdeführer in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art13 StGG, Art7 MRK und Art7 B-VG; §45 RL-BA 1977 erscheine in bezug auf Art8 und 10 MRK verfassungswidrig.

Zusammengefaßt wird geltend gemacht:

Tatsache sei, daß die Person des Beschwerdeführers in Pressekreisen auf ein gewisses Interesse stoße, weil seine Eltern bekannte Schauspieler waren und daher in intensiven Kontakten zu Presseleuten standen. Dadurch habe sich auch eine persönliche Freundschaft des Beschwerdeführers zu einigen Journalisten entwickelt, weshalb er sie zu von ihm veranstalteten privaten Festen eingeladen habe. Soweit der angefochtene Bescheid ihn zwinge, bei seinen persönlichen Freunden zwischen Journalisten und Nichtjournalisten zu unterscheiden, werde der Beschwerdeführer im Gleichheitsrecht verletzt, weil den Angehörigen eines Standes nicht der Verkehr mit Angehörigen eines anderen Standes untersagt werden könne. Im Zusammenhang mit diversen Veröffentlichungen in den Medien, aus denen sich im Zusammenhang mit der Nennung seines Namens und dem Zusatz "prominenter Anwalt" eine Werbewirkung ergebe, stütze sich der angefochtene Bescheid der Sache nach auf §45 RL-BA 1977, wonach Rechtsanwälten untersagt sei, ihre Person reklamehaft herauszustellen. Verfassungskonform könne dieser Verordnungsstelle jedoch nicht ein Inhalt unterstellt werden, der einen Eingriff in Gesetze oder verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte Dritter darstelle. Art13 StGG gewährleiste jedermann das Recht, seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern; als solche sei das Mediengesetz zu werten. Daraus ergebe sich für §45 RL-BA 1977, daß der angefochtene Bescheid diese Bestimmung denkunmöglich anwende, weil es nicht Pflicht des Beschwerdeführers sein könne, Journalisten in der Ausübung ihres Berufes einzuschränken.

Die zitierte Richtlinie stehe aber auch im Widerspruch zu Art10 MRK. Die in §45 RL-BA 1977 statuierten Pflichten eines Rechtsanwaltes gingen weit über den von Art10 Abs2 MRK gezogenen Rahmen hinaus, "da der von dieser Verordnungsstelle verfolgte Schutzzweck jedenfalls nicht der der Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Nachrichten oder der Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung" sei. §45 RL-BA 1977 erscheine demnach in bezug auf Art8 und Art10 MRK verfassungswidrig.

Was die Veröffentlichung von Bildern betreffe, übersehe schließlich die belangte Behörde, daß der Hersteller einer Fotografie ein besonderes Verwertungsrecht gemäß den §§73 ff. des Urheberrechtsgesetzes besitze. Soweit der angefochtene Bescheid vom Beschwerdeführer ein über seine "Ingerenz hinausgehendes restringierendes Verhalten" verlange, setze er sich "in Widerspruch zu in diesem Fall durch nichts eingeschränkten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten anderer".

3.3.2. Mit dem Vorwurf der Gesetzwidrigkeit des §45 RL-BA 1977 ist die Beschwerde hinsichtlich des zweiten Halbsatzes dieser Bestimmung im Recht: Der Verfassungsgerichtshof beschloß (auch) aus Anlaß dieser Beschwerde, gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §45 RL-BA 1977 einzuleiten, und sprach mit Erkenntnis vom 27. September 1990, V95,96/90, aus, daß der zweite Halbsatz dieser Verordnungsstelle gesetzwidrig war.

In den Disziplinarfällen D 27/79 Z1 litb und c, D 120/82 Z1 und D 113/82 Z1 (sämtliche Disziplinarvorwürfe gehen dahin, daß der Beschuldigte hätte sicherstellen müssen, daß die inkriminierten Fotos in den genannten Zeitschriften nicht erscheinen) hat die belangte Behörde den zweiten Halbsatz des §45 RL-BA 1977 und damit eine Verordnung, die gesetzwidrig war, angewendet. Da es nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen ist, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war, wurde dieser durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt (vgl. VfSlg. 10303/1984, 10515/1985).

3.4.1. Zur Verurteilung hinsichtlich des Faktums 6. (D 113/82 Z2) wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde vor, gegen das Gleichheitsgebot verstoßen zu haben, weil nicht einzusehen sei, weshalb "der Stand eines Dressmans oder Vorführherrn im Vergleich mit dem Anwaltsstand unwürdig" sei. Der angefochtene Bescheid habe allem Anschein nach keine gesetzliche Grundlage. Aus der einmaligen Abbildung eines Anwaltes in modischer Kleidung könne nicht auf eine Berufsausübung als Dressman geschlossen werden. Es sei auch unrealistisch, daß ein unbefangener Leser einer Zeitschrift aufgrund einer modischen Kleidung eines abgebildeten Anwaltes diesem die Nebenbeschäftigung eines Dressman unterstelle.

3.4.2. Damit verkennt der Beschwerdeführer den disziplinären Vorwurf, der ihm von der belangten Behörde gemacht wird. Dieser zielt ausschließlich darauf ab, daß es eines Anwaltes unwürdig sei, sich in der Aufmachung eines Dressmans der Medienöffentlichkeit zu präsentieren. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, daß der belangten Behörde mit der Beurteilung dieses Verhaltens als einem Rechtsanwalt unwürdig und damit als gegen Ehre und Ansehen des Standes verstoßend ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen sei. Die Beschwerderügen sind insofern nicht begründet.

§45 RL-BA 1977 wurde bei diesem Schuldspruch von der OBDK - wie sie auch selbst in der Bescheidbegründung ausdrücklich ausführt - nicht angewendet.

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. Angesichts des Gesamtergebnisses des Beschwerdeverfahrens (teils Abweisung, teils Stattgebung) waren Kosten nicht zuzusprechen (§43 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG).

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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