Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
EMRK Art7
EMRK Art10
DSt 1990 §1
RL-BA 1977 §45
RL-BA 1977 §46
StGB §61
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
EMRK Art7
EMRK Art10
DSt 1990 §1
RL-BA 1977 §45
RL-BA 1977 §46
StGB §61
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Meinungsäußerung und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit € 1.489,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Baden. Mit Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich (in der Folge: Disziplinarrat) vom 7. Oktober 1996 wurde er schuldig erkannt, dadurch gegen §45 der Richtlinien für die Berufsausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: RL-BA 1977) verstoßen zu haben, daß er es unterlassen habe, dafür Sorge zu tragen, daß die Veröffentlichung seines Namens in einem Inserat der Dr. F Immobilien GmbH in einer Badener Zeitung am 22. Juni 1995 in Verbindung mit seinem Photo unter Hinweis auf seine Anwaltskanzlei unterbleibe, obwohl er als Hälfteeigentümer der alleinigen Gesellschafterin der Dr. F Immobilien GmbH entsprechenden Einfluß auf diese Firma habe. Über den Beschwerdeführer wurde deswegen (als Zusatzstrafe) eine Geldbuße in Höhe von S 10.000,- und die Verpflichtung zum Ersatz der Verfahrenskosten verhängt.
2. Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (in der Folge: OBDK) vom 15. Dezember 1997 nicht Folge gegeben. Mit Erkenntnis vom 25. September 2000, B1573/98 hob der Verfassungsgerichtshof dieses Berufungserkenntnis der OBDK wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf, weil an der Entscheidung der OBDK ein ausgeschlossener Anwaltsrichter teilgenommen hatte (auf weiteres - inhaltliches - Beschwerdevorbringen hatte der Verfassungsgerichtshof bei diesem Ergebnis nicht einzugehen).
3. Mit Erkenntnis vom 5. März 2001 entschied die OBDK neuerlich über die Berufung des Beschwerdeführers und gab ihr keine Folge.
4. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der Beschwerde beantragt wird.
5. Die OBDK hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie ihren Bescheid verteidigt, den Beschwerdeausführungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Die OBDK führt in der Begründung ihres Bescheides aus wie folgt:
"Von der Disziplinarbehörde erster Instanz wurde folgender Sachverhalt festgestellt, der als unbedenklich auch der nunmehrigen Rechtsmittelentscheidung zugrundezulegen ist:
Die Dr. F Immobilien GmbH ist im Haus 2500 Baden, ... etabliert, die Rechtsanwaltskanzlei des Disziplinarbeschuldigten im Haus 2500 Baden, ...
Alleiniger Gesellschafter der Dr. F Immobilien GmbH ist die Wirtschaftsdienst- und HandelsGmbH, die ihren Sitz gleichfalls in Baden hat. Bei deren Gründung war die Ehefrau des Disziplinarbeschuldigten am Stammkapital mit 2.000 S beteiligt, die Wirtschaftsdienst- und HandelsGmbH mit 498.000 S. Mit Beschluss der Generalversammlung der Wirtschaftsdienst- und HandelsGmbH wurde der Firmawortlaut auf 'Dr. F Immobilien GmbH' geändert.
Alleinige Geschäftsführerin der Dr. F Immobilien GmbH ist A F, die ferner mit 250.000 S zur Hälfte Stammeinlagen an der Wirtschaftsdienst- und HandelsGmbH hält; die weitere Hälfte der Stammeinlagen im Wert von 250.000 S an dieser Gesellschaft hält der Disziplinarbeschuldigte.
Dieser ist zwar nicht direkt an der Dr. F Immobilien GmbH beteiligt, da jedoch deren alleinige Gesellschafterin die Wirtschaftsdienst- und HandelsGmbH ist, an der der Disziplinarbeschuldigte einen Hälfteanteil hält, ist er auch indirekt Hälfteeigentümer der Dr. F Immobilien GmbH.
In der Badener Zeitung erschien am (richtig:) 22. Juni 1995 ein Inserat in Form eines Interviews mit A F, in dem ausdrücklich die Zusammenarbeit der Dr. F Immobilien GmbH mit der Anwaltskanzlei ihres Gatten Dr. G F und die Leistungsfähigkeit des 'Familienbetriebes' betont wird; das Inserat enthält auch ein Foto des Disziplinarbeschuldigten.
Bereits in der Druckschrift 'Casino Express' vom 9. März 1995 war ein gleichartiges Inserat mit identem Foto eingeschaltet worden.
Der Disziplinarbeschuldigte hatte von der Einschaltung des letztgenannten Inserates Kenntnis und seine Frau ersucht, in Hinkunft von der Einschaltung gleichartiger Inserate Abstand zu nehmen. Er hat es jedoch unterlassen, dafür zu sorgen, daß ca. 3 1/2 Monate später die Einschaltung eines gleichartigen Inserates unterblieb.
...
Zu prüfen sind zunächst die Auswirkungen der seit 17. September 1999 (somit nach Fällung des Disziplinarerkenntnisses) wirksamen Liberalisierung der Werberichtlinien (§45 RL-BA) und damit die Frage des zeitlichen Geltungsbereiches der nunmehr aktuellen Regelung.
Dazu hat die [Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission] erwogen:
Der Inhalt der in §1 Abs1 DSt normierten allgemeinen Disziplinartatbestände der Berufspflichtenverletzung bzw. der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes ergibt sich aus den jeweiligen gesetzlichen Regelungen oder den verfestigten Standesauffassungen (Standesrichtlinien ua.). Zur Klärung der Frage der Auswirkungen einer Änderung blankettausfüllender Normen (hier §45 RL-BA) ist - wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt - auf die in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 19. März 1991, AZ 11 Os 130/90 (EvBl 1991/150), zur Blankett-Strafnorm des §34 DevG angeführten Erwägungen abzustellen. Demnach ist zwischen Blankett-Strafgesetzen, die lediglich sichern sollen, dass der ausfüllenden Norm Gehorsam geleistet wird und solchen zu unterscheiden, deren Aufgabe darin besteht, einen bestimmten Regelungseffekt oder ein Ordnungsprinzip zu schützen. Im ersteren Falle trifft der Gesetzgeber, der beispielsweise ein bestimmtes Waffenverbot aufhebt oder bestimmte Stoffe vom Suchtgiftbegriff ausnimmt, damit grundsätzliche Werturteile, die einen weitere Schutz der früher bestandenen Rechtslage ausschließen. Diese Fälle sind deshalb so zu sehen, wie die Milderung oder Aufhebung der Strafnorm selbst. Anders verhält es sich, wenn das Blankett-Strafgesetz an einem hinter der ausfüllenden Norm stehenden Regelungseffekt anknüpft, wie dies hier für den Bereich der Werberichtlinien der Fall ist (die - u.a. - auch eine für alle Rechtsanwälte gleiche Regelung ihrer Werbemöglichkeiten bezwecken). Das Erfordernis, unzulässige Werbemaßnahmen eines Rechtsanwaltes hintanzuhalten, ist deshalb auch durch die erwähnte Änderung der Werberichtlinien unberührt geblieben. Daraus folgt, dass das im angefochtenen Disziplinarerkenntnis inkriminierte Verhalten fallbezogen auf Grundlage der vor ihrer Novellierung geltenden Vorschrift des §45 RL-BA (a.F) zu beurteilen ist.
Auf dieser Grundlage hatte der Disziplinarbeschuldigte Werbung, u.a. wie hier in der Form der Selbstanpreisung durch reklamehaftes Herausstellen seiner Person oder seiner Leistungen, verbunden mit der Veröffentlichung seines Fotos (§45 Abs3 lita RL-BA aF) zu unterlassen. Gemäß §47 RL-BA [gemeint: §46 RL-BA] hat der Rechtsanwalt in zumutbarer Weise dafür zu so[r]gen, dass standeswidrige Werbung für ihn durch Dritte unterbleibt.
Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission teilt die Auffassung des Disziplinarrates, dass es sich bei dem im angefochtenen Erkenntnis zitierten Inserat um eine standeswidrige Anpreisung handelt, die durch die Richtlinien für die Berufsausübung verhindert werden sollte.
Der Disziplinarbeschuldigte selbst hat in seiner Vernehmung vor dem Disziplinarrat der Niederösterreichischen Rechtsanwaltskammer am 14. Oktober 1996 deponiert, dass er, wenn er vorher gefragt worden wäre, veranlasst hätte, dass in dem im 'Casino Express' eingeschalteten Inserat die Bezugnahme auf seine Anwaltskanzlei nicht abgedruckt werde. In der selben Verhandlung gab er zu Protokoll, dass er - nach Beanstandung - diese Art der Werbung mit einem Familienfoto sofort abgestellt habe und sich nicht mehr abbilden habe lassen. Gerade aus dieser Verantwortung ergibt sich, dass der Disziplinarbeschuldigte sehr wohl in der Lage gewesen wäre, seiner Ehefrau, der Geschäftsführerin der Dr. F Immobilien GmbH, die inkriminierte Werbung wirksam zu untersagen. Er hätte daher bereits nach Erscheinen des ersten Inserates in 'Casino Express' die Möglichkeit wahrnehmen müssen, so zu reagieren, wie er dies nach Erscheinen des gegenständlichen Inserates nachgeholt hat."
1.2. Der Beschwerdeführer wurde in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt:
Die zum Zeitpunkt der Begehung der inkrimierten Handlung geltende Fassung des - die Zulässigkeit von Werbemaßnahmen regelnden - §45 RL-BA 1977 lautete (Beschluß des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 2. März 1990, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 24. März 1990 und im Anwaltsblatt 1990, S 183):
"§45.
(1) Der Rechtsanwalt wirbt durch die Qualität seiner anwaltlichen Leistung.
(2) Der Rechtsanwalt darf, sofern er sich auf das sachlich Gebotene beschränkt, wahrheitsgemäße und nicht irreführende Angaben über seine Person oder Tätigkeit machen und dabei benennen
- a) akademische Titel und Titel, die mit der anwaltlichen Berufsausübung im Zusammenhang stehen;
- b) Sprachkenntnisse;
- c) neben dem Rechtsanwaltsberuf zulässigerweise ausgeübte weitere Berufe, die eine akademische Ausbildung erfordern, soweit diese Tätigkeiten in sachlichem Zusammenhang mit der Ausübung eines rechtsberatenden Berufes stehen;
- d) Fachpublikationen;
- e) Mitgliedschaften in Fachverbänden, die mit der Berufsausübung im Zusammenhang stehen, nicht jedoch Funktionen als Organe oder Mitglieder von Körperschaften öffentlichen Rechts und nicht-anwaltlichen Fach- und Berufsverbänden;
- f) beruflichen Werdegang;
- g) Rechtsgebiete, auf denen der Rechtsanwalt vornehmlich tätig ist oder nicht tätig sein will.
(3) Hingegen hat der Rechtsanwalt standeswidrige Werbung zu unterlassen; diese liegt insbesondere vor bei
- a) Selbstanpreisung durch reklamehaftes Herausstellen seiner Person oder seiner Leistungen;
- b) vergleichende Bezugnahme auf Standesangehörige;
- c) Anbieten beruflicher Leistungen gegenüber bestimmten Auftraggebern;
- d) Erwecken objektiv unrichtiger Erwartungen, Anbieten unzulässiger Honorarvorteile oder Nennung von Auftraggebern."
1.3. Mit Beschluß des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (Vertreterversammlung) vom 17. September 1999 (kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 28. September 1999 und im Anwaltsblatt 1999, S 620) wurde der Inhalt des §45 RL-BA 1977 novelliert, sodaß §45 RL-BA 1977 nunmehr lautet wie folgt:
"§45.
(1) Der Rechtsanwalt wirbt vornehmlich durch die Qualität seiner anwaltlichen Leistung.
(2) Werbung ist zulässig, sofern sie wahr, sachlich, in Einklang mit Ehre und Ansehen des Standes, den Berufspflichten sowie der Funktion des Rechtsanwaltes im Rahmen der Rechtspflege ist.
(3) Unzulässig ist insbesondere
- a) Selbstanpreisung durch marktschreierische Werbung;
- b) vergleichende Werbung gegenüber Standesangehörigen;
- c) Mandatsakquisition unter Ausnützung einer Zwangssituation;
- d) Überlassung von Vollmachtsformularen an Dritte zwecks Weitergabe an einen unbestimmten Personenkreis;
- e) Nennung von Mandanten ohne deren Einwilligung;
- f) das Anbieten oder Gewähren von Vorteilen für Mandatszuführungen;
- g) Bezugnahme auf Erfolgs- oder Umsatzzahlen."
1.4. Das DSt 1990 regelt das Disziplinarrecht der Rechtsanwälte nicht nur in verfahrensrechtlicher Hinsicht, sondern enthält zB auch Regelungen zur Strafbemessung (die nach der Terminologie des gerichtlichen Strafrechts dem "Allgemeinen Teil" des StGB, §§1 bis 74 StGB, zuzuordnen wären). Weiters enthält das DSt 1990 neben verfahrensrechtlichen Regelungen auch die beiden - mit einer allgemein gehaltenen Generalklausel umschriebenen - Tatbestände der "Berufspflichtenverletzung" und der "Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes" (§1 DSt 1990), die nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes anhand von gesetzlichen Regelungen oder verfestigten Standesauffassungen (die sich ua. aus Richtlinien oder der Standesjudikatur ergeben) zu konkretisieren sind (so grundlegend VfSlg. 11776/1988).
Im Unterschied zum gerichtlichen Strafrecht (§61 StGB) fehlt im DSt 1990 jedoch eine ausdrückliche Regelung zur Frage, welche Fassung einer Vorschrift bei Beurteilung einer Tat anzuwenden ist, wenn die einschlägigen Tatbestände seit Begehung der Tat novelliert wurden. Aus Art7 EMRK ergibt sich zwar ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Verbot der rückwirkenden Anwendung (strengerer) Strafnormen, nicht aber zugleich auch das Gebot, günstigere Strafnormen rückwirkend auf frühere Taten anzuwenden (vgl. Thienel in Korinek/Holoubek, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht, Rz 14 zu Art7 EMRK, mwN). Es würde jedoch zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden unterschiedlichen Behandlung (und damit zu einem im Lichte des Gleichheitssatzes verfassungswidrigen Ergebnis) führen, wenn das in §61 StGB (letztlich als Ausgestaltung des in Art7 EMRK normierten Grundgedankens) zum Ausdruck kommende Günstigkeitsprinzip im Disziplinarrecht der Rechtsanwälte keine Anwendung fände.
§61 StGB lautet:
"§61. Die Strafgesetze sind auf Taten anzuwenden, die nach dem Inkrafttreten begangen worden sind. Auf früher begangene Taten sind sie dann anzuwenden, wenn die Gesetze, die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren."
1.5. Die belangte Behörde ging selbst zwar implizit von der Anwendbarkeit des §61 StGB im Disziplinarrecht der Rechtsanwälte aus, verneinte jedoch dessen Anwendung im konkreten Fall (unter Hinweis auf diesbezügliche Rechtsprechung des OGH zum Devisengesetz) mit der Begründung, daß eine bloße Änderung der "blankettausfüllenden Normen" (hier: der RL-BA 1977) keine solche Änderung der Rechtslage darstelle, die einen Günstigkeitsvergleich nach §61 StGB erforderlich mache.
Angesichts des Umstandes, daß das DSt 1990 keine konkreten Übertretungstatbestände enthält, und daß der Tatbestand des §1 DSt 1990 ("Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes" und "Verletzung der Berufspflichten") relativ allgemein formuliert ist, kann eine Verurteilung nach §1 DSt 1990 - wie vom Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont wird - verfassungskonform im Lichte des Art7 EMRK nur unter Heranziehung der in den verfestigten Standesauffassungen, in den Richtlinien, oder etwa im Gesetz enthaltenen Vorschriften erfolgen (vgl. dazu VfSlg. 11776/1988 ua., zuletzt VfGH 27.11.2001, B142/01). Gerade daraus ergibt sich aber, daß ein konkretes disziplinarrechtliches Tatbild erst im Wege der Auslegung, unter Zuhilfenahme der Richtlinien, der verfestigten Standesauffassungen oder anderer gesetzlicher Vorschriften ermittelt werden kann. Schon aus diesem Grund können inhaltliche Änderungen der einzelnen Bestimmungen in den RL-BA 1977, entgegen der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Auffassung, nicht als für die Anwendung des §61 StGB irrelevante - bloße "Änderungen von blankettausfüllenden Normen" verstanden werden.
Im Fall des Beschwerdeführers wird ein "Günstigkeitsvergleich" im Sinne von §61 StGB insbesondere deshalb von Bedeutung sein, weil die ursprüngliche Fassung dem Rechtsanwalt die "Selbstanpreisung durch reklamehaftes Herausstellen seiner Person oder seiner Leistungen" untersagte, die neue Fassung hingegen in diesem Zusammenhang von einem Verbot der "Selbstanpreisung durch marktschreierische Werbung" spricht, wovon im konkreten Fall keine Rede sein kann.
Es war daher bei Verurteilung des Beschwerdeführers ein Günstigkeitsvergleich zwischen der alten Rechtslage und den inzwischen im wesentlichen Punkt des Werbeverbots novellierten RL-BA 1977 vorzunehmen. Die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung liefe darauf hinaus, den Anwendungsbereich des aus §61 StGB erfließenden "Günstigkeitsprinzips" ausschließlich auf den Fall der Abänderung des §1 DSt 1990 zu beschränken.
1.6. Indem die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer der Gesetzlosigkeit gleichzustellenden Rechtswidrigkeit.
2.1. Der Beschwerdeführer wurde aber auch in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt, weil die belangte Behörde den anzuwendenden Vorschriften bei deren Auslegung einen dem Art10 EMRK widersprechenden Inhalt unterstellt hatte:
2.2. Die Entwicklung der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtslage (insbesondere des nunmehrigen §46 RL-BA 1977) stellt sich wie folgt dar:
Vor 1990 enthielten die RL-BA 1977 folgende Bestimmung:
"Der Rechtsanwalt darf seine Person nicht reklamehaft herausstellen; er hat dafür zu sorgen, daß auch Dritte eine solche Hervorhebung unterlassen."
Mit Erkenntnis VfSlg. 12467/1990 sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß in §45 RL-BA 1977 die Wortfolge "er hat dafür zu sorgen, daß auch Dritte eine solche Hervorhebung unterlassen" gesetzwidrig war, weil diese Bestimmung "ein aktives Eingreifen des Rechtsanwaltes gegenüber Dritten" verlange, die Berichte über seine Person bringen. Der Verfassungsgerichtshof sprach dazu aus, das Verbot der aktiven Verhinderung der Werbung mit der Person des Rechtsanwaltes durch Dritte sei durch §2 DSt 1872 (nunmehr insoweit gleichlautend: §1 DSt 1990) nicht gedeckt. Nach §2 DSt 1872 (nunmehr §1 DSt 1990) unterliege der Disziplinarbehandlung ein Rechtsanwalt, der durch sein Benehmen Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt. Für das Benehmen anderer habe der Rechtsanwalt nicht einzustehen, soferne er nicht dieses Benehmen anderer selbst veranlaßt oder fördert. Eine gesetzeskonforme (verfassungskonforme) Auslegung erschien dem Verfassungsgerichtshof nicht möglich. Die aktive, die standeswidrige Werbung fördernde Tätigkeit sei schon im ersten Absatz der genannten Verordnungsbestimmung erfaßt. Dem zweiten Absatz komme somit (zumindest auch) die Bedeutung eines Gebotes zu, Werbemaßnahmen durch Dritte, an denen der Rechtsanwalt selbst nicht aktiv mitgewirkt hat, zu verhindern.
In diesem Erkenntnis hatte sich der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs4 B-VG auf die Feststellung zu beschränken, daß die genannte Bestimmung gesetzwidrig war, weil der Rechtsanwaltskammertag die maßgebenden Bestimmungen der RL-BA 1977 mit Beschluß vom 2. März 1990 (kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 24. März 1990) neu faßte. Dabei wurde §47 RL-BA 1977 neu geschaffen, der lautet:
"Der Rechtsanwalt hat in zumutbarer Weise dafür zu sorgen, daß standeswidrige Werbung für ihn durch Dritte, insbesondere durch Medien, unterbleibt."
Nach einer weiteren Novellierung der Richtlinien ist diese Bestimmung (mit unverändert gebliebenem Wortlaut) nunmehr in §46 RL-BA 1977 enthalten (Beschluß der Vertreterversammlung des Öst. Rechtsanwaltskammertages vom 17.9.1999, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung am 28.9.1999).
2.3. Wie der Verfassungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis VfSlg. 12467/1990 festgestellt hat, findet eine an den Rechtsanwalt gerichtete Verpflichtung, aktiv Werbung mit seiner Person durch Dritte zu verhindern, in §2 DSt 1872 (heute §1 DSt 1990) bei der gebotenen verfassungskonformen - auf Art10 EMRK Bedacht nehmenden - Auslegung, keine Deckung.
Der Inhalt der novellierten Fassung des Verbots der Verhinderung von Werbung durch Dritte (diese ist neu formuliert: "Der Rechtsanwalt hat in zumutbarer Weise dafür zu sorgen, daß standeswidrige Werbung für ihn durch Dritte ... unterbleibt"; §46 RL-BA 1977) ist daher verfassungskonform im Sinne des Erkenntnisses VfSlg. 12467/1990 darauf zu beschränken, daß der Rechtsanwalt nicht bereits für die bloße Unterlassung der Verhinderung von Werbung Dritter mit seiner Person verantwortlich ist, sondern erst dann ein Disziplinarvergehen zu vertreten hat, wenn er "das Benehmen anderer selbst veranlaßt oder gefördert" hat (so VfSlg. 12467/1990, Punkt II.4.4.2).
2.4. Die OBDK hat im angefochtenen Bescheid §46 RL-BA 1977 angewendet (vgl. drittletzter Absatz im wiedergegebenen Bescheidtext). Nach den Feststellungen des angefochtenen Bescheides wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, es unterlassen zu haben, wirksam zu verhindern, daß ein Dritter (seine Ehefrau, bzw. die Gesellschaft F Immobilien GesmbH, deren Geschäftsführerin sie ist) mit seinem Namen und seinem Lichtbild Werbeinserate geschaltet hat. Aus den Feststellungen geht hervor, daß der Beschwerdeführer, der "indirekt Hälfteeigentümer" der F Immobilien GesmbH sei, als ihm der Inhalt der Werbeinserate zum ersten Mal vorgehalten wurde, sogleich auf deren Urheber dahingehend eingewirkt habe, daß derartiges in Zukunft vermieden werde. Die Disziplinarbehörden haben den Beschwerdeführer für seine Unterlassung haftbar gemacht, obwohl sie ausdrücklich festgestellt haben, daß der Beschwerdeführer selbst aktiv geworden ist, um die Werbemaßnahmen Dritter zu verhindern. Sie haben dadurch §46 RL-BA 1977 gerade jenen Inhalt unterstellt, den der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 12467/1990 als nicht von §2 DSt 1872 (heute §1 DSt 1990) - verfassungskonform ausgelegt - gesetzlich gedeckt angesehen hat.
Sie haben daher den Richtlinien (die einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich wären) einen verfassungswidrigen, weil dem Art10 EMRK widersprechenden, Inhalt unterstellt (vgl. im Unterschied dazu den dem Erkenntnis VfGH 20.6.2001, B670/00, zugrundeliegenden Sachverhalt; der dortige Beschwerdeführer wirkte aktiv an der inkriminierten "Werbemaßnahme" mit).
3. Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.
4. Der Bescheid war daher schon aus diesen Gründen aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG und enthält die Kosten in der beantragten Höhe. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,- enthalten.
6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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