Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art7
RAO §9
DSt 1990 §38 Abs2
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art7
RAO §9
DSt 1990 §38 Abs2
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird daher aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 17.500,- (1.271,77 Euro) bestimmten Kosten bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 5. November 1999 wurde der Beschwerdeführer vom Vorwurf, er habe am 22. März 1999 unter Umgehung der Aufsichtspflicht im Halbgesperre des Landesgerichtes für Strafsachen Wien mit zwei Untersuchungshäftlingen "gesprochen bzw. Informationsgespräche" geführt, obwohl der Richter gefordert hat, bei diesen Gesprächen dabeizusein, freigesprochen.
1.2. Mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 13. November 2000 wurde der Berufung des Kammeranwaltes Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis des Disziplinarrates aufgehoben. Über den Beschwerdeführer wurde wegen des im Punkt I.1.1. wiedergegebenen Verhaltens (das nach Auffassung der OBDK eine Berufspflichtenverletzung darstellt), eine Geldbuße in der Höhe von S 10.000,- verhängt. Die OBDK ging dabei von folgendem Sachverhalt aus:
"Der Disziplinarbeschuldigte begab sich am 22. März 1999 in das Landesgericht für Strafsachen Wien und sprach beim Untersuchungsrichter Dr. Franz D vor. Er begehrte die Ausstellung von zwei Sprechkarten für die Untersuchungshäftlinge Sabine W und Andreas W. Der Untersuchungsrichter kam diesem Ersuchen nach, wies jedoch darauf hin, dass er aus Gründen der Verabredungsgefahr bei der Besprechung anwesend sein wolle; er vermerkte dies zumindest auf der Sprechkarte betreffend Andreas W.
Der Disziplinarbeschuldigte begab sich hierauf - nach Einholung des sogenannten Metallsiegels - in das Halbgesperre und gab die Sprechkarten dort ab. Einige Zeit später wurden ihm die beiden Beschuldigten jeweils einzeln nacheinander vorgeführt, ohne dass der Untersuchungsrichter von der Vorführung verständigt worden war. Im Hinblick auf diesen Umstand erachtete sich der Disziplinarbeschuldigte für berechtigt, mit den Untersuchungshäftlingen ohne Anwesenheit des Richters zu sprechen, weil er davon ausging, dass im Zuge des amtlichen Vorgangs der Vorführung für die Anwesenheit des Richters bzw. einer Gerichtsperson gesorgt würde; seiner Ansicht nach wäre es Sache der Justizwache gewesen, für die entsprechende Beiziehung zu sorgen. Der Disziplinarbeschuldigte hat aber nicht darüber nachgedacht, weshalb der Untersuchungsrichter bei der Besprechung nicht anwesend war.
Der Disziplinarrat billigte dem Disziplinarbeschuldigten zu, dass für die Beiziehung des Richters nicht er, sondern der zuständige Justizwachebeamte zu sorgen habe und hielt die Rechtsansicht des Beschuldigten, im Falle der für ihn unerwarteten Abwesenheit des Richters mit den Untersuchungshäftlingen sprechen zu dürfen, für vertretbar, allenfalls für einen entschuldbaren Rechtsirrtum. Demzufolge erkannte er auf Freispruch."
In rechtlicher Hinsicht würdigte die OBDK den Sachverhalt wie folgt:
"Der dagegen erhobenen Berufung der Kammeranwaltschaft kommt Berechtigung zu:
Der Hinweis des Untersuchungsrichters, aus Gründen der Verabredungsgefahr bei der Besprechung mit den Häftlingen anwesend sein zu wollen und sein entsprechender Vermerk auf der Sprechkarte ist als aufschiebende Bedingung für die Gestattung des Gespräches zu werten. Dies bedeutet, dass die Berechtigung des Disziplinarbeschuldigten, mit den Untersuchungshäftlingen zu sprechen, erst mit der Anwesenheit des Untersuchungsrichters entsteht. Der Disziplinarbeschuldigte war daher nicht berechtigt, unter Außerachtlassung der ihm vom Richter gesetzten Bedingung die Gespräche in Abwesenheit des Richters zu führen; insoweit war die Gesprächsführung nicht bewilligt und daher gesetzwidrig. Richtigerweise hätte sich der Disziplinarbeschuldigte durch eine kurze Rückfrage bei der Justizwache erkundigen müssen, ob der Untersuchungsrichter nunmehr auf seine Anwesenheit bei der Besprechung des Disziplinarbeschuldigten mit den erwähnten Häftlingen verzichtet hat.
Der Disziplinarbeschuldigte hat somit gegen das in §9 RAO normierte Gesetzlichkeitsverbot (gemeint wohl: Gesetzlichkeitsgebot) verstoßen und demnach das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung in subjektiver und objektiver Hinsicht zu vertreten.
Allerdings ist dadurch nicht auch der Tatbestand der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes erfüllt worden, weil die Verfehlung des Disziplinarbeschuldigten nur einem kleinen Personenkreis bekannt geworden ist.
Nicht entscheidend ist, ob nur auf einer Sprechkarte der Vermerk des Untersuchungsrichters bezüglich seiner Anwesenheit bei der Besprechung angebracht war; genug daran, dass der Untersuchungsrichter dem Disziplinarbeschuldigten mündlich mitgeteilt hat, dass die Besprechung nur in seiner Anwesenheit (wegen bestehender Verabredungsgefahr) stattfinden dürfe."
2. Gegen das als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung der durch Art6 und 7 Abs1 EMRK und des durch Art3 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit gewährleisteten Rechtes, sowie des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird. Zur Verletzung des Art7 EMRK führt der Beschwerdeführer insbesondere aus:
"Die belangte Behörde beruft sich ... auf §9 (Abs1) RAO,
welche Bestimmung ... folgenden Wortlaut hat:
'(1) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Er ist befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Antrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten.' ...
Hiervon kommt als konkreter Tatbestand nur der erste Halbsatz in Frage: 'Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen... .'
Nicht ausgeführt wurde im angefochtenen Bescheid, welches Gesetz der Beschwerdeführer verletzt haben soll. Und schon von daher leidet der angefochtene Bescheid an einem gravierenden Mangel, der auf eine Verletzung des Rechts auf nulla poena sine lege hinausläuft. Schon dieser Verfahrensmangel der mangelhaften Begründung, die nämlich eine Überprüfung oder innere Nachvollziehung des angefochtenen Bescheides unmöglich macht, sollte die Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch den Verfassungsgerichtshof zur Folge haben.
Das freisprechende Erkenntnis erster Instanz spricht von ... der Bestimmung des §45 Abs3 StPO, welche ... folgenden Wortlaut hat:
'(3) Der verhaftete Beschuldigte darf sich mit seinem Verteidiger ohne Beisein einer Gerichtsperson besprechen. Ist der Beschuldigte aber auch oder ausschließlich wegen Verdunkelungsgefahr in Haft, so kann der Untersuchungsrichter selbst bis zur Mitteilung der Anklageschrift der Besprechung mit dem Verteidiger zum Zweck der Überwachung des Gesprächsinhaltes beiwohnen
- 1. während der ersten 14 Tage der gerichtlichen Haft, es
sei denn, dass anzunehmen ist, eine als Folge der Besprechung eintretende Beeinträchtigung von
Beweismitteln sei auszuschließen, oder
- 2. wenn auf Grund besonderer Umstände zu befürchten ist, die Besprechung mit dem Verteidiger werde sonst zu einer Beeinträchtigung von Beweismitteln führen, und die Überwachung mit Beschluss angeordnet worden ist.'
Diesbezüglich ist aber anzumerken, dass es zur Verurteilung wegen Übertretung dieser Bestimmung der Feststellung bedürfen würde, dass entweder die 14-Tage-Frist der Ziffer 1 noch offen war oder ein Beschluss im Sinne der Ziffer 2 vorläge. Solche Feststellungen wurden jedoch nicht getroffen, sodass eine Verurteilung aufgrund Verstoßes gegen §45 Abs3 StPO nicht vorliegen kann.
Darüber hinaus hat die Disziplinarbehörde erster Instanz - unberichtigt durch die belangte Behörde - wie erwähnt festgehalten, 'daß sich im konkreten Fall keine Verdunkelungsmöglichkeit ergeben hat ...', sodass sich auch von da her der Vorwurf der Gesetzesübertretung auch auf diese Bestimmung nicht stützen kann.
Man müsste schon eine recht weit gehende Konstruktion anwenden, um eine Strafbarkeit des Beschwerdeführers ohne Übertretung des Grundsatzes nulla poena sine lege zu begründen, etwa der folgenden Art: '§45 Abs3 StPO normiere nicht nur das - im Ermessen gelegene - Beisein des Richters bei Verteidigergesprächen in der Untersuchungshaft im Falle von Verdunkelungsgefahr und Vorliegen der Tatbestände entweder nach Ziffer 1 oder nach Ziffer 2. Sondern es wäre aus dieser Bestimmung auch eine Befehlsgewalt des Richters zu erschließen, der vom Verteidiger auch Folge zu leisten wäre, wenn die Tatbestandselemente Verdunkelungsgefahr, Ziffer 1 und Ziffer 2 nicht gegeben sind.' Solches allerdings steht nirgends und wäre auch schon deswegen abwegig, weil insbesondere die Kriterien der Ziffern 1 und 2 leicht und ohne juristischen Spielraum anhand des Aktes geprüft werden können. ... .
Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit dieser erste Halbsatz von §9 RAO überhaupt als Strafvorschrift für das Disziplinarverfahren herangezogen werden kann, wie es die belangte Behörde getan hat. Die Konsequenz ist nämlich nicht mehr und nicht weniger als dass jede - schuldhafte - Übertretung welches Gesetzes auch immer disziplinär ist, sofern sie vom Rechtsanwalt im Rahmen einer von diesem übernommenen Vertretungen geschieht. Da bleibt also kein Raum zwischen der - in jeder sonstigen Rechtsordnung selbstverständlichen - Unterscheidung zwischen strafsanktionierten und nicht strafsanktionierten Bestimmungen der Rechtsordnung.
Durch Heranziehung als Vorschrift des Disziplinarrechts würde dieser erste Halbsatz des §9 RAO zu einem Verweis auf die gesamte Rechtsordnung ein - auch für Rechtsanwälte menschenrechtlich unzumutbares - Strafgesetzbuch mit einigen hunderttausend Seiten, von dem feststeht, dass es niemand zur Gänze kennen kann."
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.
II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Die Beschwerde ist im Ergebnis im Recht.
1.1. Im Erkenntnis VfSlg. 11776/1988 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß einer Verurteilung nach §2 DSt 1872 (der Vorgängerbestimmung des geltenden §1 DSt 1990) verfassungskonform im Sinne des Art7 EMRK zugrunde liegen muß, daß sie wegen einer Verletzung von Berufspflichten oder wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes erfolgt, die sich aus gesetzlichen Regelungen oder aus verfestigten Standesauffassungen - wozu allenfalls Richtlinien oder die bisherige (Standes-)Judikatur Bedeutung besitzen - ergeben, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststehen. Der Gerichtshof ging in weiterer Folge davon aus, daß das Fehlen eines konkretisierten Vorwurfes, worin die Verletzung von Berufspflichten bzw. von Ehre und Ansehen des Standes zu erblicken ist, einen Bescheid mit Willkür belastet. Dem aus Art7 EMRK erfließenden Gebot entspricht die Behörde jedenfalls (auch) dann nicht, wenn sie - statt zu benennen, gegen welche konkrete Berufs- oder Standespflicht ein inkriminiertes Verhalten verstößt - sich mit Rechtsprechungshinweisen begnügt.
Die von der Behörde gewählte Auslegung einer gesetzlichen Strafbestimmung muß sich jedenfalls im Rahmen dessen halten, was bei vernünftiger Interpretation dieser Bestimmung für den Beschwerdeführer erkennbar sein müßte, nämlich daß er sich durch sein Verhalten dem Risiko einer Bestrafung aussetzt (VfGH 12.6.2001, B114/99; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar2, Rz 4 zu Art7 EMRK mit Nachweisen auf die Rechtsprechung des EGMR; Thienel in Korinek/Holoubek, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht, Rz 17 zu Art7
EMRK).
1.2. Für den vorliegenden Fall folgt hieraus:
Der angefochtene Bescheid bezieht sich zwar auf §9 Abs1 erster Halbsatz RAO ("eine übernommene Vertretung darf nur dem Gesetz gemäß geführt werden"); er beschränkt sich aber darauf, auszusprechen, daß der Beschwerdeführer anläßlich seines Gespräches mit seinen Mandanten im Halbgesperre des Landesgerichtes für Strafsachen Wien eine Berufspflichtenverletzung deshalb begangen habe, weil er sich dabei nicht dem Gesetz entsprechend verhalten habe und führt nicht weiter aus, gegen welche gesetzliche Vorschrift in diesem Zusammenhang konkret verstoßen wurde. Indem die belangte Behörde sich bloß mit dem Hinweis auf §9 RAO begnügt und im angefochtenen Bescheid lediglich Erwägungen darüber angestellt werden, warum dem Beschwerdeführer sein Verhalten subjektiv als Berufspflichtenverletzung vorwerfbar sei, ohne diesen Vorwurf an einer gesetzlichen Bestimmung festzumachen, welche Regelungen für das Verhalten eines Rechtsanwaltes bei übernommenen Vertretungen trifft, fehlt es an einem konkreten Vorwurf iS des Art7 EMRK.
Damit handelt es sich nicht mehr um eine bloße Verletzung von Verfahrensvorschriften oder um eine unrichtige Anwendung einer vorhandenen Strafnorm (vgl. VfSlg. 6762/1972, 7814/1976, 9957/1984, 10032/1984, 10237/1984). Es fehlt im angefochtenen Disziplinarerkenntnis vielmehr am entsprechend konkretisierten Vorwurf der Verletzung von Berufspflichten und es liegt sohin mit Rücksicht auf die Bedeutung des Art7 EMRK ein willkürliches Verhalten der Behörde vor (VfSlg. 11776/1988).
Es war daher auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt wurde.
1.3. Der angefochtene Bescheid war demnach aufzuheben.
2. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich §88 VerfGG; in den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer im Betrage von S 2.500,-
(181,68 Euro) enthalten.
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