VfGH A7/07

VfGHA7/0712.3.2008

Abweisung der Staatshaftungsklage eines Gebietshändlers für Kraftfahrzeuge; kein qualifizierter Verstoß des Obersten Gerichtshofs gegen Gemeinschaftsrecht durch eine Entscheidung betreffend die Zulässigkeit einer verkürzten Kündigungsfrist eines Vertriebshändlervertrags wegen notwendiger Umstrukturierung des Vertriebsnetzes angesichts einer neuen Gruppenfreistellungsverordnung

Normen

B-VG Art137 / sonstige Klagen
EG Art81 (ex Art85)
KFZ-GruppenfreistellungsV, Verordnung (EG) Nr 1475/95 über die Anwendung von Art85 Abs3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge Art5
KFZ-GruppenfreistellungsV, Verordnung (EG) Nr 1400/2002 über die Anwendung von Art81 Abs3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor
B-VG Art137 / sonstige Klagen
EG Art81 (ex Art85)
KFZ-GruppenfreistellungsV, Verordnung (EG) Nr 1475/95 über die Anwendung von Art85 Abs3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge Art5
KFZ-GruppenfreistellungsV, Verordnung (EG) Nr 1400/2002 über die Anwendung von Art81 Abs3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor

 

Spruch:

Das Klagebegehren wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, dem beklagten Bund die mit € 1.432,50 bestimmten Kosten zuhanden der Finanzprokuratur binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Klägerin war - nach eigenen Angaben - jahrzehntelang

Gebietshändler der F. Automobil GmbH. Zuletzt wurde am 8. September 1999 aufgrund geänderter rechtlicher Rahmenbedingungen (Verordnung [EG] Nr. 1475/95 über die Anwendung von Art85 Abs3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge, ABl. L 145, S 25, idF: VO [EG] 1475/1995) ein Vertriebshändlervertrag abgeschlossen. Der Vertrag sei auf unbestimmte Dauer abgeschlossen worden und habe jederzeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 24 Monaten beendet werden können. Im Vertrag sei eine Möglichkeit enthalten gewesen, die Kündigungsfrist auf 12 Monate zu kürzen, falls das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren gewesen wäre.

2. Der Gebietshändlervertrag sei mit Schreiben vom 24. September 2002 per 30. September 2003 gekündigt worden. Dies sei von der F. Automobil GmbH damit begründet worden, dass sich aufgrund des In-Kraft-Tretens der neuen Gruppenfreistellungsverordnung, Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 über die Anwendung von Art81 Abs3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor, ABl. L 203,

S 30, idF: VO (EG) Nr. 1400/2002 , eine Notwendigkeit zur Umstrukturierung des Vertriebsnetzes in einem wesentlichen Teil ergebe.

3. In einem Schreiben der Europäischen Kommission an die Wirtschaftskammer Österreich (im Folgenden: WKÖ) vom 25. Februar 2003 legte die Kommission ihren Rechtsstandpunkt zum Umstrukturierungsbedarf wie folgt dar:

"[Im Schreiben der WKÖ] geht es um die Auslegung des Begriffs der Notwendigkeit für den Lieferanten, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren. Eine solche Notwendigkeit kann eine Verkürzung der Kündigungsfrist von mindestens zwei Jahren auf mindestens ein Jahr rechtfertigen. Der in Frage stehende Begriff ist in Artikel 5 Absatz 3, erster Unterabsatz, erster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 enthalten, die für die von Ihnen angesprochenen Kündigungen maßgeblich sein dürfte.

Artikel 3 Absatz 5 Buchstabe b) Ziffer ii) der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 enthält eine ähnliche Bestimmung.

Wie im Leitfaden der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission zur Verordnung (EG) Nr. 1475/95 ausgeführt wurde, ist die Notwendigkeit der Netzumstrukturierung zwischen den Parteien einvernehmlich oder auf Verlangen des Händlers durch einen sachverständigen Dritten oder Schiedsrichter festzustellen [siehe

Artikel 5 Absatz 3, zweiter Unterabsatz der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 ]. Davon bleibt das Recht unberührt, diese Frage dem zuständigen nationalen Gericht vorzulegen.

Die Möglichkeit einer vorzeitigen Kündigung wurde vorgesehen, um dem Hersteller eine flexible Anpassung an Veränderungen in den Vertriebsstrukturen zu ermöglichen [siehe Erwägungsgrund 19 der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 ]. Ein Umstrukturierungsbedarf kann sich aufgrund des Verhaltens von Wettbewerbern oder sonstiger wirtschaftlicher Entwicklungen ergeben, wobei letztere unabhängig davon sind, ob sie auf interne Entscheidungen des Herstellers oder auf äußere Einflüsse wie z.B. die Schließung eines Unternehmens mit einem großen Personalbestand in einem bestimmten Gebiet zurückzuführen sind. In Anbetracht der Vielzahl der möglichen Sachverhalte, war es nicht möglich, alle denkbaren Gründe im Leitfaden aufzuzählen.

Ob ein 'wesentlicher Teil' eines Händlernetzes betroffen ist, ist anhand des spezifischen Aufbaus eines Händlernetzes in jedem Einzelfall zu entscheiden. 'Wesentlich' hat sowohl einen wirtschaftlichen als auch einen räumlichen Aspekt; letzterer kann sich auf das Vertriebsnetz oder einen Teil davon in einem Mitgliedstaat beziehen. Der Hersteller muss mit dem/den Händler(n), dessen/deren Vereinbarung beendet werden soll, eine Einigung - gegebenenfalls durch Einschaltung eines sachverständigen Dritten oder Schiedsrichters - erzielen.

Der Leitfaden der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission zur Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 behandelt die Frage, ob die Tatsache, dass die Geltungsdauer der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 am 30. September 2002 endete und sie durch die Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 ersetzt wurde, bedeutet, dass ein Vertriebsnetz umgestaltet werden muss. Dies wird dort verneint. Die Umstellung eines auf quantitativer Selektion und der Zuteilung von ausschließlichen Gebieten beruhenden Vertriebs zur Anpassung an die neue Gruppenfreistellungsverordnung, die eine solche Kombination nicht mehr zulässt, steht nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit einer Netzumstrukturierung.

Das Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 kann für einen Fahrzeughersteller ein Anlass sein, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren. Dann ist eine Verkürzung der Kündigungsfrist auf ein Jahr gerechtfertigt. Andernfalls müssen Vertragskündigungen - abgesehen von der Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung - zwei Jahre im Voraus erfolgt sein, um die Verordnung (EG) Nr. 1475/95 einzuhalten und den Übergangszeitraum in Anspruch nehmen zu können.

Ob eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes insgesamt oder eines wesentlichen Teiles des Netzes stattfindet, ist eine objektiv zu beantwortende Frage. In einem solchen Fall obliegt es wie gesagt einem Schiedsrichter oder einzelstaatlichen Richter, über diese Streitfragen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände zu entscheiden."

4. Nach den Behauptungen der Klägerin habe eine tatsächliche, nach objektiven Kriterien überprüfbare Umstrukturierung des Vertriebsnetzes nicht stattgefunden. Aus ihrer Sicht wäre der Händlervertrag nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 24 Monaten zu beenden gewesen.

Die Klägerin erblickt die Verletzung des Gemeinschaftsrechts im Kern darin, dass der Oberste Gerichtshof den europarechtlichen Anwendungsvorrang missachtet und es verabsäumt habe, zur Auslegung von Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten. Hiebei wird darauf verwiesen, dass Gerichte anderer Mitgliedstaaten zu einem anderen Ergebnis gekommen seien und die Rechtsmeinung des Obersten Gerichtshofs im Widerspruch zur Rechtsmeinung der Europäischen Kommission und des - allerdings erst nach Erlassung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 23. Juni 2005 - am 7. September 2006 gefällten Urteils des EuGH (7.9.2006, Rs. C-125/05 , VW-Audi Forhandlerforeningen-Skandinavisk Motor Co. A/S, Slg. 2006, I-7637) stünde.

In der mündlichen Verhandlung am 3. März 2008 wiederholten die Parteien im Wesentlichen ihre schriftlich vorgebrachten Argumente und beantworteten die vom Verfassungsgerichtshof gestellten Fragen.

II. Der Verfassungsgerichtshof geht bei seiner Entscheidung von folgendem Sachverhalt aus:

1. Da das Erfordernis einer Kündigungsfrist von 24 Monaten von der F. Automobil GmbH bestritten wurde, brachte die Klägerin eine Feststellungsklage beim Handelsgericht Wien ein. In diesem Verfahren ging es darum, ob eine sofortige Umstrukturierung nach der VO (EG) Nr. 1400/2002 geboten bzw. - für den Fall, dass dies nicht so war - ob eine verkürzte Kündigungsfrist von 12 Monaten zulässig war. Das Handelsgericht Wien wies die Klage ab; dieses Urteil wurde vom Oberlandesgericht Wien bestätigt. Die Klägerin hatte die Einholung einer Vorabentscheidung gemäß Art234 EG jeweils angeregt.

2. Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien wurde auch vom Obersten Gerichtshof mit Urteil vom 23. Juni 2005, 6 Ob 74/05h, ohne Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH bestätigt:

"Dass Gruppenfreistellungsverordnungen als kartellrechtliche Normen die Vertragspartner zivilrechtlich nicht unmittelbar zur Anpassung der Verträge verpflichten (ÖBl 1999, 295), bedeutet keineswegs, dass objektiv gesehen kein Anpassungsbedarf im Sinn des Art5 Abs3 KFZ-GVO Nr 1475/1995 und des Art6.1. des Vertriebsvertrags durch Umstrukturierung (Reorganisation) bestünde. Die in der KFZ-GVO 2002 - als Voraussetzung einer Freistellung vom Kartellverbot des Art81 Abs1 EG - verankerten Vertriebsprinzipien erfordern vielmehr - auch objektiv gesehen - eine entsprechende grundlegende inhaltliche Neuordnung des Vertriebssystems, wollte die Beklagte die Rechtsvorteile der Gruppenfreistellung nach Ende der Übergangsfrist (30.9.2003) nicht verlieren. Die Beibehaltung ihres bisherigen Vertriebssystems hätte - wie schon das Berufungsgericht aufzeigte - das Risiko mit sich gebracht, dass der gesamte Gebietshändlervertrag mit der Klägerin (oder zumindest ein wesentlicher Teil) von der Freistellung durch die neue Gruppenfreistellungsverordnung ausgenommen und damit wegen Verstoßes gegen das Kartellverbot des §81 Abs1 EG ab 1.10.2003 nichtig geworden wäre. Diese Gefahr konnte die Beklagte nur durch eine grundlegende inhaltliche Neuordnung ihrer Vertriebsverträge abwenden. Ihr (überwiegendes) Interesse an einer entsprechenden Umstrukturierung des Vertriebssystems durch Anpassung an die KFZ-GVO 2002 als Voraussetzung für die Beibehaltung des Rechtsvorteils der Freistellung ist somit nicht zweifelhaft, zumal der Klägerin ein besonderes Interesse an der Beibehaltung eines mit Nichtigkeitssanktion bedrohten Vertrags nicht zugebilligt werden kann. Ihr Interesse an der Beibehaltung des bisherigen Gebietshändlervertrags hat gegenüber jenem der Beklagten an einer Anpassung an die geänderte Rechtslage zurückzustehen.

Die Beklagte durfte daher den Vertriebsvertrag entsprechend seinem Punkt 6.1 in der für den Fall der Reorganisation des Händlernetzes vorgesehenen Frist von 12 Monaten auflösen. Ihre Kündigung steht mit Sinn und Zweck der verkürzten Frist in Einklang. Nach den Intentionen der KFZ-GVO Nr 1475/95 sollte nämlich die Verkürzung dazu dienen, eine flexible Anpassung des Vertrags an geänderte Verhältnisse zu ermöglichen (Liebscher/Flohr/ Petsche aaO §14 Rz 57, §15 Rz 19; Ceipek KFZ-Vertrieb in der EU 253; Wendel aaO WRP 2002, 1400).

Im vorliegenden Fall ist auch nicht zweifelhaft, dass die vom F-Konzern vorgegebene Änderung des Vertriebssystems jeden einzelnen Gebietshändlervertrag und damit das gesamte Vertriebsnetz dieses Herstellers in der EU betrifft. Wieviele Händler aus dem Vertriebsnetz der Beklagten tatsächlich im Zuge der Reorganisation ausgeschieden sind und wieviele - nach Änderung der Vertriebsstruktur - in diesem System verblieben sind, ist für die Anwendbarkeit der verkürzten Kündigungsfrist nicht entscheidend. Es spielt nämlich keine Rolle, ob sich die Anzahl der Händler durch die Neuordnung des Vertriebssystems tatsächlich und wesentlich geändert hat (Roniger/Hemetsberger aaO Art3 Rz 30; Wendel aaO WRP 2002, 1395)."

III. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich dar wie folgt:

1. Art81 EG verbietet wettbewerbsbehindernde Vereinbarungen zwischen Unternehmen (Kartellverbot) und hat folgenden Wortlaut:

"Artikel 81

(1) Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, insbesondere

  1. a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen;

  1. b) die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen;

c) die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen;

  1. d) die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden;

  1. e) die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen.

(2) Die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig.

(3) Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf

  1. a) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder

  1. b) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten."

Auf Basis der Verordnung (EG) Nr. 19/65 /EWG über die Anwendung von Art85 Abs3 des Vertrags auf Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. 1965, 36, S 533/65, hat die Kommission Gruppenfreistellungsverordnungen für den Kraftfahrzeugsektor erlassen. Im vorliegenden Fall ist die VO (EG) Nr. 1475/95 relevant. Deren Art5 Abs2 und 3 hat folgenden Wortlaut:

"(2) Sofern der Händler nach Artikel 4 Absatz 1 Verpflichtungen zur Verbesserung der Strukturen von Vertrieb und Kundendienst übernommen hat, gilt die Freistellung unter der Voraussetzung,

  1. 1. daß der Lieferant darin einwilligt, den Händler von Verpflichtungen nach Artikel 3 Nummer 3 zu entbinden, falls der Händler nachweist, daß sachlich gerechtfertigte Gründe dafür vorliegen;

  1. 2. daß die Dauer der Vereinbarung mindestens fünf Jahre oder die Frist für die ordentliche Kündigung einer auf unbestimmte Dauer geschlossenen Vereinbarung für beide Vertragspartner mindestens zwei Jahre beträgt;

diese Frist verkürzt sich auf mindestens ein Jahr,

  1. 3. daß jeder Vertragspartner sich verpflichtet, den anderen mindestens sechs Monate vor Beendigung der Vereinbarung davon zu unterrichten, daß er eine auf bestimmte Dauer geschlossene Vereinbarung nicht verlängern will.

(3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Voraussetzungen für die Freistellung berühren nicht

In jedem dieser Fälle müssen die Vertragspartner bei fehlendem Einvernehmen einem zügigen Verfahren zur Beilegung der streitigen Angelegenheit durch Inanspruchnahme eines sachverständigen Dritten oder eines Schiedsrichters zustimmen; das Recht der Vertragspartner, das nach nationalem Recht zuständige Gericht anzurufen, bleibt unberührt."

Am 31. Juli 2002 erließ die Kommission die VO (EG) Nr. 1400/2002 , eine neue Gruppenfreistellungsverordnung für den Fahrzeughandel, die u.a. das Vertragshändlersystem im Kraftfahrzeughandel neu ordnete. Art10 der genannten Verordnung hat folgenden Wortlaut:

"Artikel 10

Übergangszeitraum

Das Verbot nach Artikel 81 Absatz 1 gilt vom 1. Oktober 2002 bis zum 30. September 2003 nicht für Vereinbarungen, die am 30. September 2002 bereits in Kraft waren und die die Voraussetzungen für eine Freistellung zwar nach der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 , nicht aber nach der vorliegenden Verordnung erfüllen."

2. Beim EuGH wurde am 17. März 2005 ein Verfahren zur Zahl C-125/05 anhängig, das ebenfalls die Auslegung der Bestimmung des Art5 Abs3 der VO (EG) Nr. 1475/95 zum Inhalt hatte. Der EuGH sprach in seinem Urteil Rs. C-125/05 - VW-Audi Forhandlerforeningen, Folgendes aus:

"Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorliegende Gericht im Wesentlichen wissen, welche grundsätzlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Artikel 5 Absatz 3 Unterabsatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 zur Anwendung kommt.

...

Demnach ist auf die Fragen 8 und 9 zu antworten, dass

Artikel 5 Absatz 3 Unterabsatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 dahin auszulegen ist, dass das Bestehen der 'Notwendigkeit, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzugestalten', eine bedeutsame Änderung der Vertriebsstrukturen des betroffenen Lieferanten sowohl in finanzieller als auch in räumlicher Hinsicht voraussetzt, die auf plausible Weise durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt sein muss, welche sich auf interne oder externe objektive Umstände des Unternehmens des Lieferanten stützen, die ohne eine schnelle Umstrukturierung des Vertriebsnetzes in Anbetracht des Wettbewerbsumfelds, in dem der Lieferant agiert, die Effizienz der bestehenden Strukturen des Vertriebsnetzes beeinträchtigen könnten. Mögliche wirtschaftlich nachteilige Folgen, die der Lieferant im Fall einer Kündigung der Vertriebsvereinbarung mit einer Frist von zwei Jahren erleiden könnte, sind in dieser Hinsicht erheblich. Es ist Sache der nationalen Gerichte und der Schiedsgerichte, unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit, mit der sie befasst sind, zu beurteilen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.

...

Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 als solches eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes eines Lieferanten im Sinne des Artikels 5 Absatz 3 Unterabsatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 notwendig gemacht hat.

...

Es ist jedoch Sache der nationalen Gerichte oder der Schiedsgerichte, unter Bezugnahme auf die in den Randnummern 28 bis 38 des vorliegenden Urteils gegebenen Hinweise und unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit, mit der sie befasst sind, und insbesondere der Beweise, die zu diesem Zweck von dem Lieferanten vorgelegt wurden, zu beurteilen, ob die von dem Lieferanten vorgenommenen Änderungen eine solche Umstrukturierung seines Vertriebsnetzes darstellen und ob diese durch das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 notwendig gemacht wurde.

Folglich ist auf die Frage 11 zu antworten, dass das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 als solches eine Umstrukturierung des Vertriebssystems eines Lieferanten nach Artikel 5 Absatz 3 Unterabsatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 nicht notwendig gemacht hat. Jedoch konnte dieses Inkrafttreten nach Maßgabe des spezifischen Aufbaus des Vertriebsnetzes des einzelnen Lieferanten Änderungen von solcher Bedeutung notwendig machen, dass diese eine echte Umstrukturierung dieses Netzes im Sinne dieser Bestimmung darstellen. Es ist Sache der nationalen Gerichte und der Schiedsgerichte, zu beurteilen, ob dies unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit, mit der sie befasst sind, der Fall ist."

IV. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Klage

Die klagende Partei führt aus, dass sie ihren Staatshaftungsanspruch aus einem qualifiziert gemeinschaftsrechtswidrigen Urteil des Obersten Gerichtshofes ableite. Der Verfassungsgerichtshof ist daher zur Entscheidung über die Klage zuständig (VfSlg. 17.019/2003 ua.).

2. In der Sache

2.1 Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, in einem Staatshaftungsverfahren - ähnlich einem Rechtsmittelgericht - die Richtigkeit der als staatshaftungsbegründend gerügten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu überprüfen. Er ist nur berufen zu beurteilen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorliegt. Nach dem Urteil des EuGH vom 30. September 2003, Rs. C-224/01 - Köbler, muss ein Verstoß eines Höchstgerichts eines Mitgliedsstaates gegen Gemeinschaftsrecht "offenkundig das Gemeinschaftsrecht bzw. die Entscheidung des EuGH" verkennen. Auch komme es auf das "Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift" und die Vertretbarkeit der Rechtsansicht an.

2.2 Art5 Abs3 VO (EG) Nr. 1475/95 lässt eine im Verhältnis zum Regelfall verkürzte Kündigungsfrist zu, wenn sich die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz umzustrukturieren.

Diese Vorschrift ist hinreichend präzise und wirft keine besonderen Auslegungsfragen auf. Vielmehr überlässt das Gemeinschaftsrecht die Beurteilung, ob sich nach den Umständen des Einzelfalls eine Notwendigkeit zur Umstrukturierung ergibt, den Gerichten der Mitgliedstaaten. Im Schreiben vom 25. Februar 2003 erwähnt die Europäische Kommission ausdrücklich, dass die Frage, ob eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes oder eines wesentlichen Teiles der Vertriebsnetzes stattfindet, unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände vom einzelstaatlichen Richter zu beurteilen ist. Dass das Ergebnis der Einzelfallbeurteilung verschiedener Gerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, liegt auf der Hand.

Entgegen den Ausführungen in der Klage geht auch der Oberste Gerichtshof davon aus, dass die Änderung der Rechtslage nicht schon per se zu einer Umstrukturierung führen muss (Seite 19 des Urteils). Dies bedeutet aber keineswegs, dass objektiv kein Anpassungsbedarf auf Grund des Art5 Abs3 VO (EG) Nr. 1475/95 bestehen kann. Auch befasst sich der Oberste Gerichtshof eingehend mit den Ausführungen des - rechtlich unverbindlichen - Leitfadens der Kommission.

Im Übrigen hat auch der EuGH in C-125/05 - VW-Audi Forhandlerforeningen festgelegt, dass es Aufgabe des nationalen Gerichtes ist festzustellen, ob unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles die Erlassung der VO (EG) Nr. 1400/2002 eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes notwendig gemacht hat (insbesondere Rz 23, 40, 52, 64 und 65).

Unter diesen Umständen vermag der Verfassungsgerichtshof keinen qualifizierten Verstoß des Obersten Gerichtshofes gegen Gemeinschaftsrecht zu erkennen. Wie bereits ausgeführt hat der Verfassungsgerichtshof bei einer Klage auf Staatshaftung nicht zu untersuchen, ob der Oberste Gerichtshof auch richtig entschieden hat.

Die Klage war daher abzuweisen.

3. Die der beklagten Partei gebührenden Kosten waren gemäß §41 iVm §35 Abs1 VfGG und §41 Abs2 ZPO nach dem RATG, BGBl. Nr. 189/1969 idgF, auszumessen.

In den zugesprochenen Kosten sind 50 vH Einheitssatz (§23 Abs6 RATG) enthalten.

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