VfGH A21/06

VfGHA21/0626.2.2007

Zurückweisung einer Klage gegen den Bund auf Schadenersatz für die Belastung durch jahrzehntelange Gerichtsverfahren einschließlich der psychischen und physischen Schäden mangels Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes für Ansprüche aus der Amtshaftung; kein Vorliegen legislativen Unrechts zur Begründung der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über Staatshaftungsansprüche

Normen

B-VG Art137 / ord Rechtsweg
EMRK Art6 Abs1 / Allg
AHG §2 Abs3
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit
B-VG Art137 / ord Rechtsweg
EMRK Art6 Abs1 / Allg
AHG §2 Abs3
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit

 

Spruch:

Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

Die Klage wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1. In der beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art137 B-VG gegen den Bund wegen insgesamt € 10.500.000,- zuzüglich 4% Zinsen eingebrachten und zu A21/06 protokollierten Klage begehrt der Kläger Schadenersatz "für die über 30-jährige Belastung mit Gerichtsverfahren und den damit verbundenen Existenzängsten, Verlust von Sozialkontakten etc. und den damit verbundenen psychischen und physischen Schäden und zur Abgeltung des ... jahrzehntelangen Verdienstentganges", den Ersatz von Verfahrenskosten und der Kosten für entstandene Bankverbindlichkeiten samt Zinsen sowie die Feststellung, dass die "Republik Österreich (der Bund)" für den Ausfall an künftigen Pensionen hafte. Ferner behielt sich der Kläger ausdrücklich die "Ausdehnung der geltend gemachten Beträge" vor.

1.1. Begründend führt der Kläger auf das Wesentliche zusammengefasst aus: Er sei seit langem Eigentümer mehrerer (ursprünglich lastenfreier) Liegenschaften der KG Hörgersteig, auf welchen seinen Grundstücksnachbarn zu Unrecht insgesamt acht Fahrt- und Wegerechte gerichtlich zugesprochen worden seien.

Im Zusammenhang mit diesen im Einzelnen konkretisierten - seiner Ansicht nach jeweils "unrichtigen" - Gerichtsentscheidungen sei er "gezwungen" gewesen, zur Durchsetzung seiner Rechte hunderte kostenintensive Gerichtsverfahren anzustrengen, in welchen ebenfalls (insgesamt tausend) Fehlentscheidungen (insbesondere des Bezirksgerichtes Frankenmarkt und des Landesgerichtes Wels) ergangen seien und Richter sowie (im Konnex mit strafrechtlichen Belangen eingeschrittene) staatsanwaltschaftliche Organe gegen ihre Amtspflichten verstoßen hätten. Der Kläger sei "insbesondere durch die grobe Missachtung der Grundsätze des fair trails gem Art6 MRK u. a." auch in seinen Menschenrechten verletzt worden.

Die Abwicklung der "dem Kläger aufgezwungenen" (teils noch anhängigen) Gerichtsverfahren habe seine gesamte Arbeits- und Freizeit in Anspruch genommen, wodurch ihm die ordnungsmäßige Bewirtschaftung seines landwirtschaftlichen Betriebes sowie die Ausübung seiner nebenberuflichen Tätigkeit als Vertreter und der Abschluss des begonnenen Studiums der Rechtswissenschaften unmöglich geworden sei. Die endgültige Bezifferung insbesondere der aus jahrzehntelangen Existenzängsten und Erniedrigungen resultierenden Schmerzengeldansprüche könne erst nach Vorliegen entsprechender medizinischer Gutachten erfolgen.

1.2. Zur Klagslegitimation bringt der Kläger vor, dass ihm die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen vor den ordentlichen Gerichten dadurch verwehrt worden sei, dass die in diesem Zusammenhang (bei den Landesgerichten St. Pölten, Innsbruck und Graz) eingebrachten Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe jeweils abgewiesen worden und dagegen (bei den Oberlandesgerichten Wien, Innsbruck und Graz) erhobene Rechtsmittel erfolglos geblieben seien.

Im Einzelnen wird ausgeführt:

"Der Ausschluss eines Ersatzanspruches nach dem AHG im Sinne des §2 ist nicht gegeben, da vom Obersten Gerichtshof hinsichtlich der bereits geltend gemachten Amtshaftungsansprüche niemals eine Sachentscheidung gefällt wurde, sondern in letzter Instanz immer nur die Verfahrenshilfe verweigert worden ist, ohne die der Kläger aber nicht in der Lage ist, seine Ersatzansprüche geltend zu machen. Eine Sachentscheidung wurde vom Obersten Gerichtshof niemals gefällt.

Der Kläger wollte, wie aus den Beweisakten ersichtlich ist, einen Amtshaftungsanspruch im ordentlichen Rechtsweg durchsetzen und beantragte für die Einbringung einer Amtshaftungsklage wegen des ihm auf Grund einer denkunmöglichen Rechtsauslegung verursachten Schadens die Verfahrenshilfe beim Landesgericht Linz. Dieses erklärte sich zunächst für unzuständig.

Der Oberste Gerichtshof in Wien bestimmte dann zur Entscheidung über die beantragte Verfahrenshilfe und eine einzubringende Amtshaftungsklage zunächst das Landesgericht St. Pölten. Dieses Gericht verweigerte ihm die beantragte und gesetzlich zustehende Verfahrenshilfe durch Antragsabweisung, dem Rekurs wurde durch das Rekursgericht des Landesgerichtes Wien keine Folge gegeben (...). Der Kläger stellte daraufhin neuerlich einen Verfahrenshilfeantrag und leitete seinen geltend gemachten weiteren Amtshaftungsanspruch auch aus der unzulässigen Verweigerung der beantragten Verfahrenshilfe durch das Landesgericht St. Pölten und Oberlandesgericht Wien ab.

Der Oberste Gerichtshof bestimmte in weiterer Folge das Landesgericht Innsbruck als zuständiges Gericht. Das Landesgericht sowie auch das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht versagten ihm jedoch neuerlich die beantragte Verfahrenshilfe (...).

Zuletzt wurde zur neuerlichen Durchsetzung seiner Amtshaftungsansprüche vom OGH das Landesgericht Graz bestimmt, auch dieses sowie das Oberlandesgericht Graz verweigerte ihm neuerlich die Gewährung der Verfahrenshilfe (...).

Da somit sämtliche zuständige Gerichte ausgeschöpft worden waren, besteht für den Kläger im Sinne des §9 Abs4 Amtshaftungsgesetz keine weitere verfahrensrechtliche innerstaatliche Möglichkeit, seine Amts- bzw. Staatshaftungsansprüche im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen.

...

Da dem Kläger sohin eine Geltendmachung seiner vermögensrechtlichen Ansprüche vor dem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde nicht möglich ist, ist die suppletorische Zuständigkeit des VfGH im Sinne des Artikel 137 B-VG gegeben.

Im Übrigen widerspricht der in §2 Amtshaftungsgesetz normierte Ausschluss einer Haftung aus der Entscheidung eines Höchstgerichtes dem Gemeinschaftsrecht, nach ständiger Rechtsprechung sind Staatshaftungsansprüche wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechtes ebenfalls nach Artikel 137 B-VG geltend zu machen (vgl. EuGH 30.9.2003, Rs C-224/01 -Köbler, ÖBl. 2003, 566)."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Frage seiner Zuständigkeit erwogen:

1. Nach Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Mit der vorliegenden Klage werden aus dem Titel des Schadenersatzes Ansprüche gegen die "Republik Österreich" (richtig: gegen den Bund) für die aus Anlass verschiedener Gerichtsverfahren erlittenen psychischen und physischen Belastungen, für Verdienstentgang und für Verfahrenskosten geltend gemacht. Dem Vorbringen des Klägers zufolge sind sämtliche Ansprüche auf fehlerhafte Gerichtsentscheidungen bzw. fehlerhaftes Vorgehen von Staatsanwaltschaften zurückzuführen. Die Klage knüpft daher jeweils an die Tätigkeit von Vollzugsorganen an.

2. Über Schadenersatzansprüche ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes grundsätzlich aber - sei es nach den Bestimmungen des ABGB oder nach jenen des Amtshaftungsgesetzes - im ordentlichen Rechtsweg zu erkennen (vgl. zB VfSlg. 13.079/1992, 16.107/2001).

Die vom Kläger aus Entscheidungen von Gerichten bzw. aus staatsanwaltschaftlichem Handeln abgeleiteten Ansprüche sind daher aus dem Titel der Amtshaftung im ordentlichen Rechtsweg auszutragen (VfSlg. 15.703/1999, 17.095/2003). Diesen Rechtsweg hat der Kläger seinem Vorbringen zufolge auch beschritten; er vermeint jedoch, zufolge negativer Erledigung seiner Verfahrenshilfeanträge im Amtshaftungsverfahren keine weitere innerstaatliche Möglichkeit zur Durchsetzung dieser Ansprüche zu haben und deshalb zur Klage nach Art137 B-VG legitimiert zu sein. Hiebei verkennt er jedoch, dass diese Bestimmung weder eine konkurrierende Zuständigkeit schafft noch bereits bestehende Zuständigkeiten (der ordentlichen Gerichte oder des Verwaltungsgerichtshofes) ändert, sondern nur eine suppletorische Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes begründet. Dass die Weiterverfolgung von Ansprüchen nach dem Amtshaftungsgesetz (hier wegen Verweigerung von Verfahrenshilfe) unterblieben ist, ändert an der grundsätzlichen Kognitionsbefugnis der Amtshaftungsgerichte für vermögensrechtliche Ansprüche der vorliegenden Art nichts.

Auch die begehrte Feststellung künftiger (Pensions)Ansprüche fällt nicht in die suppletorische Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art137 B-VG.

3. Soweit die Ersatzansprüche ganz allgemein auf "gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung" gegründet werden, liegt ebenfalls keine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes vor, weil sich der Kläger nicht auf einen im Gemeinschaftsrecht wurzelnden Staatshaftungsanspruch beruft:

Eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über Ersatzansprüche aus dem Titel der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung nach Art137 B-VG bestünde nur dann, wenn der behauptete (qualifizierte und kausale - vgl. EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01 , Köbler, Slg. 2003, I-10.239, Rz 30 ff; VfSlg. 17.019/2003, 17.095/2003) Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht unmittelbar dem Gesetzgeber (als "legislatives Unrecht" - vgl. VfSlg. 16.107/2001, 17.002/2003 und VfGH 4.12.2006, A13/06) oder aber einem Höchstgericht, für dessen (behaupteterweise) gemeinschaftswidrige Entscheidung ein Amtshaftungsanspruch nicht besteht (§2 Abs3 AHG), zuzurechnen wäre. Beides liegt hier offenkundig nicht vor.

4. Die auf Art6 EMRK gestützte Argumentation geht schon deshalb ins Leere, weil sie sich ebenfalls auf dem Art137 B-VG entzogene Akte von Justizbehörden bezieht; abgesehen davon kann ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch als solcher aus einer Norm der EMRK nicht unmittelbar abgeleitet werden (vgl. VfSlg. 17.002/2003).

5. Soweit in der Klage auf Schriftsätze in anderen Verfahren Bezug genommen wird (zB "Der Kläger erhebt ... seine Ausführungen in den Schriftsätzen der angeführten Beweisakte zu seinem ausdrücklichen Vorbringen"), ist darauf nicht einzugehen, da Verweisungen auf andere, nicht in einem verbundenen Verfahren erstattete Schriftsätze im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof grundsätzlich unzulässig sind (vgl. VfSlg. 16.605/2002 mwN).

6. Die Klage war daher im Ergebnis wegen offenbarer Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§19 Abs3 Z2 lita VfGG).

7. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe war zufolge offenbarer Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung abzuweisen.

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