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European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2025:RA2022220073.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 13. November 2021 wies der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz (belangte Behörde) den rechtzeitig gestellten Antrag des Revisionswerbers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Verlängerung seiner von September 2020 bis September 2021 gültigen Aufenthaltsbewilligung „Student“ wegen Nichterbringung des erforderlichen Studienerfolges ab.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. März 2022 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.
3 Das Verwaltungsgericht stellte zusammengefasst fest, der Revisionswerber sei am 7. Oktober 2020 ins Bundesgebiet eingereist und habe sich für vierzehn Tage „coronabedingt“ in Quarantäne begeben. Am 27. Oktober 2020 sei der Revisionswerber ‑ innerhalb der sich bis 30. November 2020 erstreckenden Nachfrist für die Zulassung zum Studium ‑ persönlich beim Zulassungsservice der Johannes‑Kepler‑Universität Linz (JKU) erschienen und zum Masterstudium „Computer Science“ zugelassen worden. Obwohl sich Studierende an der JKU auch noch nach Ablauf des Hauptanmeldezeitraums für Lehrveranstaltungen anmelden hätten können und die Kurse im Masterstudium des Revisionswerbers im Wintersemester 2020/2021 nicht voll belegt gewesen seien, habe er im Wintersemester 2020 keine Lehrveranstaltungen besucht. Im Sommersemester 2021 habe der Revisionswerber Prüfungen im Ausmaß von 9 ECTS bzw. 5 Semesterwochenstunden positiv absolviert.
4 In rechtlicher Hinsicht ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Revisionswerber den für die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung erforderlichen Studienerfolg von 16 ECTS‑Punkten oder 8 Semesterwochenstunden gemäß § 64 Abs. 2 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) in Verbindung mit § 8 Z 8 lit. b NAG‑Durchführungsverordnung (NAG‑DV) und § 74 Abs. 6 Universitätsgesetz 2002 im verstrichenen Studienjahr nicht erbracht habe. Für das Fehlen des notwendigen Studienerfolgs seien keine Gründe vorgelegen, die der Einflusssphäre des Revisionswerbers entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar gewesen wären. Es habe eine Möglichkeit für den Revisionswerber gegeben, sich nach erfolgter Zulassung zum Studium im Wintersemester 2020/2021 noch für Kurse an der JKU anzumelden. Es sei ihm sowohl der Besuch von Kursen als auch die Ablegung von Prüfungen in diesem Semester möglich gewesen. Darüber hinaus stelle die Covid‑19‑Pandemie per se kein unvorhersehbares, unabwendbares Ereignis iSd § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG da, sondern es sei vielmehr Aufgabe des Revisionswerbers nachzuweisen, aus welchem Grund es ihm nicht möglich gewesen wäre, im verfahrensgegenständlichen Zeitraum die erforderlichen Prüfungen abzulegen. Im Ergebnis stehe der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung „Student“ das Fehlen einer besonderen Erteilungsvoraussetzung entgegen. Vor diesem Hintergrund sei eine Prüfung der privaten und familiären Interessen des Revisionswerbers gemäß § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK nicht geboten.
5 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, da die Akten erkennen ließen, dass eine weitere Erörterung für die Rechtssache „ergebnisneutral wäre“ und dem auch nicht Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC entgegenstünden.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung ‑ unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ‑ zusammengefasst geltend gemacht wird, dass eine Einzelfall- und Verhältnismäßigkeitsprüfung der konkreten Umstände aufgrund der Richtlinie (EU) 2016/801 vorzunehmen gewesen sei, welche die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfordert hätte.
7 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision erweist sich aus dem von ihr dargelegten Grund als zulässig. Sie ist auch begründet.
10 Mit seiner Begründung zum Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung lässt das Verwaltungsgericht unberücksichtigt, dass im vorliegenden Fall die Richtlinie (EU) 2016/801 , die bis 23. Mai 2018 in nationales Recht umzusetzen war, ‑ konkret deren Art. 21 Abs. 7 ‑ anzuwenden ist (vgl. VwGH 30.1.2024, Ra 2021/22/0112, Rn. 9).
11 Gemäß Art. 21 Abs. 7 der Richtlinie (EU) 2016/801 müssen bei jeder Entscheidung über die Entziehung oder Nichtverlängerung von Aufenthaltstiteln die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Es ist somit im Einzelfall zu prüfen, ob es unverhältnismäßig wäre, ungeachtet der Nichterfüllung der nationalen Vorgaben einen ausreichenden Studienerfolg zu verneinen (vgl. hierzu VwGH 15.9.2020, https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Vwgh&GZ=Ra 2020/22/0173&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True, Rn. 10, mwN).
12 Weiters hat das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG auf Antrag eine Verhandlung durchzuführen, welche der Erörterung der Sach‑ und Rechtslage sowie der Erhebung der Beweise dient. Als Ausnahme von dieser Regel kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Antrages von der Durchführung einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Dies ist dann der Fall, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer Verhandlung vor dem VwG erforderlich wäre (vgl. etwa VwGH 3.6.2020, https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Vwgh&GZ=Ra 2020/22/0044&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True, Rn. 11, mwN).
13 Im Anwendungsbereich des Art. 47 GRC erübrigt sich im Fall der Unterlassung einer nach dieser Bestimmung gebotenen mündlichen Verhandlung die Darlegung der Relevanz des in der Unterlassung der Durchführung der Verhandlung gelegenen Verfahrensmangels (vgl. wiederum VwGH 15.9.2020, https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Vwgh&GZ=Ra 2020/22/0173&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True, Rn. 8, mwN).
14 Der Revisionswerber beantragte in seiner Beschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht und brachte hinsichtlich der Einbringung eines nicht ausreichenden Studienerfolges im hier maßgeblichen Studienjahr 2020/2021 vor, dass er ein sehr eifriger und zielstrebiger Student sei. Ihm sei es aufgrund der Covid‑19‑Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen im Flugverkehr nicht möglich gewesen, vor Anfang Oktober 2020 ins Bundesgebiet einzureisen. Nach seiner Einreise habe er sich sofort in behördlich angeordnete Quarantäne ‑ bis 21. Oktober 2021 ‑ begeben müssen. Umgehend nach Ende der Quarantäne habe er sich am 27. Oktober 2021 persönlich an der JKU registriert, wobei eine frühere Registrierung von Seiten der Universität nicht möglich gewesen sei. Bei der Registrierung am 27. Oktober 2021 sei dem Revisionswerber mitgeteilt worden, dass es nicht mehr möglich wäre, sich für Lehrveranstaltungen anzumelden (auch eine Nachmeldung sei nicht möglich) und etwaige Prüfungen im Wintersemester 2020 zu absolvieren. Zudem habe die pandemiebedingte Umstellung des Lehrbetriebes der JKU auf „distance learning“ erhebliche Nachteile für den Revisionswerber gebracht. Der Unterricht habe lediglich über „Zoom“ stattgefunden, wobei technische Probleme bestanden hätten, weil die „Internetprovider“ überlastet gewesen seien. Der Revisionswerber sei in dieser Zeit auf sich alleine gestellt gewesen und habe ohne Hilfe und Unterstützung von Lehrpersonen die Prüfungsvorbereitungen bewältigen müssen.
15 Im Hinblick auf dieses Vorbringen hätte das Verwaltungsgericht prüfen müssen, ob die Verpflichtung zum Nachweis eines ausreichenden Studienerfolges im Studienjahr 2020/201 für den Revisionswerber unverhältnismäßig gewesen sei. Dazu bedurfte es einer mündlichen Verhandlung.
16 Das angefochtene Erkenntnis war somit schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
17 Von der Durchführung der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.
18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Februar 2025
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