OLG Graz 6Ra58/24g

OLG Graz6Ra58/24g16.1.2025

Das Oberlandesgericht Graz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Maga. Fabsits als Vorsitzende und die Richterinnen Maga. Gassner und Drin. Meier sowie die fachkundigen Laienrichter Färber (Arbeitgeber) und Zimmermann (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*, **, vertreten durch Mag. B*, Rechtsreferent der Kammer für Arbeiter und Angestellte für C*, **, gegen die beklagte Partei D* GmbH, **, vertreten durch die Huber & Dietrich Rechtsanwalts-Partnerschaft in Linz, wegen EUR 9.260,02 samt Anhang, über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse: EUR 800,00 sA) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. Juli 2024, GZ: **-27, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0639:2025:0060RA00058.24G.0116.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist binnen 14 Tagen schuldig, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für C* als gesetzliche Interessenvertretung der Klägerin den mit EUR 625,00 bestimmten Aufwand für das Berufungsverfahren zu ersetzen.

Die Revision ist nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

1. Allgemeines zum Arbeitsverhältnis der Klägerin bei der Beklagten:

Die Klägerin war bei der Beklagten im Zeitraum vom 21. Oktober 2019 bis zum 18. Juli 2023 als Kassamitarbeiterin vollzeitbeschäftigt. Auf dieses Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe ** anzuwenden. Das Dienstverhältnis endete am 18. Juli 2023 durch Entlassung. Die Klägerin war zuvor auch von 20. November 2011 bis 5. September 2013 bei der Beklagten als Kellnerin beschäftigt gewesen. Die Klägerin brachte bei der Beklagten einen monatlichen Bruttolohn von zuletzt EUR 1.850,00 ins Verdienen.

Bei der Beklagten ist kein Betriebsrat eingerichtet.

Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 18. Juli 2023 bestand seitens der Klägerin ein Urlaubsanspruch von 7,56 Urlaubstagen, der von der Beklagten in der Lohnabrechnung Juli 2023 mit einem Betrag von EUR 672,71 brutto abgerechnet und ausbezahlt wurde.

E* war seit 2016 als Betriebsleiter bei der Beklagten tätig und war für den Standort der Klägerin von Herbst 2021 bis Oktober 2023 zuständig und in seiner Funktion ein- bis zweimal pro Woche im Betrieb vor Ort. Der Betriebsleiter schätzte die Klägerin als gute Mitarbeiterin im Betrieb. Über die gesamte Beschäftigungsdauer wurde sie nie von ihm aufgrund eines Fehlverhaltens verwarnt.

2. Zur Tätigkeit der Kassier:innen bei der Beklagten:

Jede/r Kassa-Mitarbeiter:in verfügt über einen eigenen Code zum Ein- und Aussteigen in die Kassenlade. Es gibt bei der Beklagten jeweils einen Frühdienst und einen Spätdienst, wobei die Klägerin zumeist den Spätdienst verrichtete.

Es handelt sich bei dem Restaurant der Beklagten um einen à‑la‑Carte-Betrieb. Die Gäste bestellen ihre Konsumation im Restaurant auf eine Zahlkarte bzw einen Scheck, mit dem sie im Anschluss bei der Shop-Kassa bezahlen. An der Shop-Kassa, bei der unter anderem auch die Klägerin arbeitete, wurden einerseits die Konsumationen der Gäste im Restaurant sowie andererseits allfällige Shop-Einkäufe bezahlt.

Wenn die Klägerin ihren Dienst antrat, bekam sie zwei Taschen mit Geldscheinen und Münzen, die sie von der Sekretärin der Beklagten, F*, oder der damaligen Betriebsassistentin, G*, erhielt. Die Klägerin zählte zunächst den Ist-Stand des vorhandenen (Wechsel-)Geldbetrages und gab das Geld aus den Taschen in die Schubfächer ihrer Kassenlade, in die sie sich mit ihrem eigenen Code einloggte.

Allen Kellner:innen im Restaurant der Beklagten ist eine eigene Nummer zugeordnet. Unter der Kassa befindet sich eine Schublade, in der Becher mit den jeweiligen Nummern der Kellner:innen und auch Becher für die Kassa-Mitarbeiter:innen stehen. Auf der Zahlkarte bzw dem Scheck der Gäste ist ebenso die Nummer der bedienenden Kellner:innen vermerkt. Bezahlt ein Gast, der im Restaurant von einem/einer Kellner:in bedient worden war, anschließend seine Konsumation an der Kassa, so ist ein allfälliges Trinkgeld dem jeweiligen auf der Zahlkarte vermerkten Kellner bzw Kellnerin zuzuordnen und das Trinkgeld von der Kassa-Mitarbeiterin in den unter der Kassa befindlichen jeweiligen Trinkgeldbecher einzuordnen. Tätigte ein Gast ausschließlich Einkäufe im Shop und gab er an der Kassa ein Trinkgeld oder teilte er ausdrücklich mit, dass das Trinkgeld für die Shop-Kassierin bestimmt ist, so handelte es sich dabei um ein Trinkgeld für die jeweilige Kassa-Mitarbeiterin, das sie an sich nehmen bzw in ihren eigenen Trinkgeldbecher legen durfte. Diese Vorgehensweise war der Klägerin bekannt. Die Kellner:innen können daneben auch Trinkgelder dadurch erhalten, dass Gäste diese direkt auf den Tischen im Restaurant hinterlegten.

Während der gesamten Dienstverrichtung ist es nicht gestattet, private Gelder der Kassier:innen oder Kellner:innen, insbesondere die Trinkgelder, in der Kassenlade aufzubewahren. Darin darf sich nach Anordnung der Beklagten nur der Umsatz der Beklagten samt Wechselgeld befinden. Das ist den Mitarbeitern der Beklagten auch bekannt.

Über den gesamten Arbeitstag fällt bei Kellner:innen ein Trinkgeld von durchschnittlich EUR 20,00 bis EUR 30,00 an, dies im Früh- und Spätdienst. Kassier:innen bekommen demgegenüber deutlich seltener ein Trinkgeld, teilweise kann über den Tag auch gar kein Trinkgeld anfallen. Das durchschnittliche Trinkgeld der Shop-Kassier:innen beläuft sich auf maximal EUR 1,00 bis EUR 2,00 pro Tag.

In der Hauptsaison ist es durchaus üblich, dass Kellner:innen ein Trinkgeld in Höhe von EUR 40,00 bis EUR 50,00 am Tag erhalten, dies über die Dauer eines 8- bis 10-Stunden-Dienstes.

Während der Pausenzeit einer Shop-Kassierin ist es bei der Beklagten grundsätzlich vorgesehen, dass eine andere Kollegin mit ihrer eigenen Kassenlade eine zweite Kassa öffnet und die Kassenlade der pausierenden Shop-Mitarbeiterin in der Zwischenzeit gesperrt wird. Es kam aber regelmäßig vor, dass stattdessen in die entsperrte Kassa der anderen Kassa-Mitarbeiterin hinein kassiert wurde und nicht in die eigene Kassenlade der vertretenden Mitarbeiterin.

Am Ende ihres Spätdienstes versperrte die Klägerin das Restaurant und machte an der Kassa ihre Abrechnung, wobei sie die Geldscheine, Münzen und Bankomatbelege auszählte und danach den Betrag von EUR 600,00 als Wechselgeld für die Kassa in einer Tasche deponierte und in die andere Tasche die unterschriebene Tages-Abrechnung samt dem Umsatz und den Belegen legte. Die Geldtasche mit dem Tagesumsatz hinterlegte sie im Tresor. Die Abrechnung wurde immer am Folgetag von F* kontrolliert.

3. Zu den Beschwerden über die Klägerin:

Die Klägerin wurde von der Betriebsleitung als gute Mitarbeiterin geschätzt. Ab etwa Jahresende 2022 häuften sich jedoch Beschwerden von anderen Mitarbeiter:innen dahingehend, dass bei der Klägerin deutlich weniger Trinkgeld für die Kellner:innen anfallen würde als bei anderen Kassier:innen. Unangekündigte Kassastürze wurden von E* bei der Klägerin durchgeführt, wobei die Kassa der Klägerin dabei in Ordnung war. Der Betriebsleiter führte aufgrund der Beschwerden der anderen Mitarbeiter:innen auch ein Gespräch mit der Klägerin, wobei ihm diese erwiderte, dass viele Gäste mit Kreditkarten zahlen würden und dabei keine Trinkgeldeingabe im System möglich sei.

Seitens der Beklagten wurden bei der Klägerin aus diesem Anlass jedoch nie die Trinkgeldbecher kontrolliert.

Als Vorsichtsmaßnahme gewöhnten es sich die anderen diensthabenden Shop-Kassier:innen an, bei Dienstwechsel von der Früh- auf die Spätschicht, wobei letztere von der Klägerin vorgenommen wurde, die Trinkgeldbecher der Kellner:innen auszuleeren.

4. Zur Installation der Videoüberwachungs-Anlage im Juli 2023:

Bei der Beklagten war im Jahr 2023 die Installation einer Videoüberwachung geplant, die im Zuge der Sanierung des Außenbereiches und des Shop-Bereichs erfolgen hätte sollen. Grund dafür waren Vorfälle mit Trickgeldbetrügern und Wechselgeldbetrügern und das Anraten der Autobahnpolizei, weil in anderen Betrieben Kassenladen durch Gäste aufgebrochen worden waren. Die Sanierung des Shop-Bereiches wurde verschoben und der Betriebsleiter, E*, wusste nicht, zu welchem konkreten Zeitpunkt die Installation der Kamera erfolgen würde, wobei ihm eine Zusage für die Installation im Laufe der Woche vom 17. Juli 2023 vorlag. Die Installation der Videoüberwachungskamera erfolgte schließlich bereits am Montag, 17. Juli 2023, als E* sich nicht im Dienst befand. Die Kamera wurde auf den Kassenbereich ausgerichtet, wo die Kassiertätigkeit verrichtet wurde. Auch die Anlieferungsräume am Hintereingang des Restaurants wurden videoüberwacht. Die Pausenbereiche der Mitarbeiter waren von der Kamera nicht erfasst.

Die Klägerin wurde am 17. Juli 2023 bei Dienstantritt nicht über die Installation der Videokamera informiert und war auch nicht in Kenntnis über die geplante Installation der Überwachungskamera.

Ihre Pausenzeiten verbrachte die Klägerin jeweils auf der Terrasse des Restaurants oder in der Küche des Restaurants der Beklagten. Im Bereich der Kasse (und damit im Überwachungsbereich der Videokamera) verrichtete sie hingegen keine Pausen.

5. Zum Vorfall am 17. Juli 2023:

Am 17. Juli 2023 verrichtete die Klägerin den Spätdienst als Shop-Kassierin bei der Beklagten. Im Laufe ihres Dienstes wurden der Klägerin Trinkgelder im Gesamtausmaß von zumindest EUR 15,00 von Restaurantgästen bei Bezahlung ihrer Rechnungen übergeben, die für die jeweils (laut Scheck-Karte) bedienenden Kellner:innen des Restaurants bestimmt waren und der Klägerin mit dem Zweck übergeben wurden, diese an die jeweiligen Kellner:innen weiterzureichen. Die Klägerin wäre verpflichtet gewesen, diese Trinkgelder unmittelbar nach deren Erhalt in die jeweiligen Trinkgeldbecher der Kellner:innen unterhalb der Kassenlade einzusortieren, was sie pflichtwidrig nicht tat, sondern sie zunächst in der Kassenlade beließ. Zu einem späteren Zeitpunkt während ihres Dienstes entnahm die Klägerin, nachdem sie zuvor die in der Kassa befindlichen Geldscheine gezählt hatte, aus der Kassenlade zwei Geldscheine in Höhe dieses Betrages von zumindest EUR 15,00, legte sie zunächst zur Seite und steckte sie anschließend in ihre Rocktasche und behielt sie. Bei diesem Geldbetrag handelte es sich weder um Gelder der Beklagten, noch um Trinkgelder der Klägerin, sondern um jene Trinkgelder, die die Restaurantgäste der Klägerin bei Bezahlung ihrer Rechnungen für die bedienenden Kellner:innen anvertraut hatten, um sie an diese weiterzureichen.

Solcherart eignete sich die Klägerin daher ein Gut, nämlich Trinkgelder der Restaurant-Kellner:innen in Höhe von zumindest EUR 15,00, das ihr von den Restaurantgästen bei Bezahlung ihrer Rechnungen anvertraut worden war, an. Dabei wusste die Klägerin, dass ihr die Trinkgelder ihrer Kolleg:innen in Höhe von zumindest EUR 15,00 von den Restaurantgästen anvertraut worden waren und dass sie verpflichtet gewesen wäre, diese an ihre Kolleg:innen auszuhändigen, indem sie sie in die Trinkgeldbecher der Kellner:innen unterhalb der Kassenlade einsortieren hätte müssen. Sie wollte sich die Trinkgelder jedoch selbst zueignen, indem sie sie (entgegen der Herausgabeverpflichtung) in ihre Rocktasche steckte und behielt. Dabei wusste die Klägerin, dass sie sich durch die Zueignung der Trinkgelder ihrer Kolleg:innen in Höhe von zumindest EUR 15,00 unrechtmäßig bereicherte, was sie auch wollte.

Als die Klägerin am 17. Juli 2023 die Trinkgelder ihrer Kolleg:innen aus der Kassenlade entnahm, wurde sie von der neu installierten Videoüberwachungsanlage gefilmt. Bei Sichtung der Videoaufzeichnungen am Abend des 17. Juli 2023 entdeckte die Betriebsassistentin, G*, die Aufnahme zufällig, filmte den Ausschnitt mit einem Mobiltelefon ab und übermittelte ihn umgehend an den Betriebsleiter, E*.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin darüber hinaus bereits zu früheren Zeitpunkten, nämlich vor dem 17. Juli 2023, Trinkgelder ihrer Kellner-Kolleg:innen veruntreut hat.

6. Zum Entlassungsgespräch am 18. Juli 2023:

Am darauffolgenden Tag, dem 18. Juli 2023, wurde die Klägerin kurz nach Dienstbeginn zu einem Gespräch mit E* gerufen, der sie in Anwesenheit von G* mit dem Inhalt der Videoaufzeichnung des Vortags konfrontierte und ihr den Videoausschnitt vorspielte, auf dem die Geldentnahme aus der Kassenlade durch die Klägerin zu sehen ist. E* hielt der Klägerin vor, dass das Diebstahl sei, worauf die Klägerin bloß antwortete: „Ja“. Im Anschluss daran sprach E* die Entlassung der Klägerin aus und schickte sie nach Hause.

7. Zu dem gegen die Klägerin eingeleiteten Strafverfahren:

Aufgrund des Vorfalls vom 17. Juli 2023 war gegen die Klägerin zu Geschäftszahl ** des Bezirksgerichts Graz-Ost ein Strafverfahren anhängig, das am 25. Jänner 2024 mit einer diversionellen Erledigung dahingehend endete, dass der Klägerin die Bezahlung einer Geldbuße in Höhe von EUR 320,00 binnen 14 Tagen aufgetragen wurde. Zuvor hatte die Klägerin in der Verhandlung die Verantwortung für den Vorfall übernommen und angegeben: „Ich übernehme schon die Verantwortung, dass in dem Zeitraum allenfalls Trinkgelder nicht weitergegangen sind, weil ich gedacht habe, das wären meine Trinkgelder. Ich wäre auch bereit, die € 15,00, welche an dem Tag waren, zu bezahlen.“

8. Zu den Kassafehlbeträgen im Jahr 2023:

Der Klägerin wurde im Hinblick auf mögliche Kassafehlbeträge von der Beklagten eine monatliche Fehlgeldpauschale in Höhe von EUR 14,53 ausbezahlt. Im Gegenzug wurden der Klägerin allfällige im Zuge der Kassenabrechnung festgestellte Fehlgelder von ihrem Lohn abgezogen. Dementsprechend wurde der Klägerin jeweils unter der Position „Abzug Kassaminus“ in der Lohnabrechnung für Mai 2023 der Betrag von EUR 14,20 netto, in der Lohnabrechnung für Juni 2023 der Betrag von EUR 46,64 netto und in der Lohnabrechnung Juli 2023 der Betrag von EUR 80,56 netto an Fehlgeldern vom auszubezahlenden Lohn in Abzug gebracht.

Es kann nicht festgestellt werden, an welchen konkreten Tagen diese Fehlgeldbeträge zustande gekommen sind, dass die Klägerin an diesen Tagen als einzige Mitarbeiterin der Beklagten Zugriff auf ihre Kassenlade hatte und sie die Fehlbeträge verursacht hat.

9. Zur Teuerungsprämie 2023:

Mit Schreiben der Beklagten vom 21. April 2023 wurde der Klägerin die Auszahlung einer Prämie in Höhe von EUR 800,00 im Zuge der nächsten Lohnzahlung von der Geschäftsleitung der Beklagten zugesagt.

Dabei handelte es sich um eine freiwillige Prämie der Geschäftsleitung, die einzelnen Mitarbeiter:innen ausgeschüttet wurde und unter anderem als Ausgleich für jene Mitarbeiter:innen gedacht war, die ihre Arbeit gut verrichteten und im Rahmen ihrer Tätigkeit kein oder weniger Trinkgeld erhielten.

Das Schreiben der Beklagten lautet auszugsweise wie folgt:

„(…) Ihre Arbeit wird bei D* sehr geschätzt. Sie werden mit der nächsten Lohnzahlung eine Prämie erhalten und bitte Sie auch weiterhin rasch auftretende Probleme zu lösen, alle im Team bei D* identifizieren. Es gilt auch weiterhin durchsetzungsstark zu sein, auch wenn die Lösung nicht gleich sichtbar ist.

Ich erwarte einen Shake Out im Gastgewerbe, die Stärksten werden überleben und wir werden zu den Stärksten gehören. Ich zähle auf Sie und brauche Sie dringend für unsere weitere Marktdurchsetzung.

Ich danke Ihnen für die immerwährende, wertschätzende Zusammenarbeit.

Herzlichst,

Ihr

H*“.

Dem Schreiben war eine Mitteilung der Lohnverrechnung vom 21. April 2023 beigelegt, in dem die Auszahlung mit dem Monat April zugesagt wurde. Ergänzend wurde darin festgehalten: Herr H* schätzt die enge, zukunftsorientierte Zusammenarbeit, sollten Sie jedoch Widererwarten bis Ende April 2024 austreten wäre die gesamte Prämie rückzahlbar bzw. April 2025 austreten zur Hälfte rückzahlbar.

Tatsächlich wurde der Klägerin die zugesagte Prämie in Höhe von EUR 800,00 nie ausbezahlt.

Über entsprechende Rückfrage der Klägerin bei H* wenige Tage vor ihrer Entlassung im Juli 2023 sagte ihr dieser zu, dass die Auszahlung der Teuerungsprämie an sie noch erfolgen würde. Infolge der Entlassung der Klägerin wurde die Auszahlung tatsächlich aber nicht mehr veranlasst.

Im Verfahren begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von insgesamt EUR 9.260,02 brutto/netto (anteilige Sonderzahlungen vom 1. Jänner 2023 bis 30. September 2023 in Höhe von EUR 2.017,26 brutto; EUR 69,00 brutto an noch ausständiger Urlaubsersatzleistung; Kündigungsentschädigung und anteilige Sonderzahlungen vom 19. Juli 2023 bis 30. September 2023 in Höhe von EUR 5.732,36 brutto; Abzüge für Fehlgelder in Höhe von insgesamt EUR 141,40 brutto; Teuerungsprämie 2023 in Höhe von EUR 800,00 netto; immateriellen Schadenersatz in Höhe von EUR 500,00). Im Berufungsverfahren strittig ist nur noch die Zahlung der Teuerungsprämie in Höhe von EUR 800,00. Dazu bringt die Klägerin vor:

Der Klägerin sei aufgrund ihrer vorbildlichen Leistungen der Erhalt einer Teuerungsprämie zugesagt worden. Von einem Irrtum oder einer sonstigen fehlenden Anspruchsgrundlage könne keine Rede sein. Nur bei einem Austritt durch die Dienstnehmerin wäre diese Prämie zurückzuzahlen gewesen, die bereits mit der Lohnabrechnung April 2023 fällig geworden sei.

Die Beklagte bestreitet und beantragt kostenpflichtige Klagsabweisung. Die Teuerungsprämie sei besonders verdienten und zuverlässigen Mitarbeitern zugesagt worden. Bis zum Bekanntwerden des Entlassungstatbestands sei die Beklagte davon ausgegangen, dass es sich bei der Klägerin um eine solche zuverlässige Mitarbeiterin handle. Nachdem sich herausgestellt habe, dass die Klägerin sich vorsätzlich fremde Gelder angeeignet habe, sei die Geschäftsgrundlage für diese Zusage weggefallen und die Beklagte nicht daran gebunden. Die Zusage der Teuerungsprämie sei von der Beklagten irrtümlich getätigt worden, wobei dieser Irrtum von der Klägerin veranlasst worden sei und die Zusage wegen Irrtums widerrufen werde. Die Zugriffe der Klägerin auf die Trinkgelder der Kollegen seien bereits ab ca Jänner 2023 erfolgt, was die Beklagte bei Zusage der Prämie nicht habe wissen können. Die Beklagte sei an eine zugesagte Prämienzahlung nicht gebunden, wenn sich herausstelle, dass sich die Arbeitnehmerin vorsätzlich fremde Gelder angeeignet habe.

Mit dem in seinem Zuspruch teilweise angefochtenen Urteil gibt das Erstgericht dem Klagebegehren im Umfang von EUR 941,40 netto samt Anhang statt und weist das Mehrbegehren von EUR 8.318,62 brutto/netto samt Anhang ab.

Aus dem eingangs dargestellten, im Berufungsverfahren unbekämpften Sachverhalt zieht es zusammengefasst folgende rechtliche Schlüsse: Infolge der berechtigten Entlassung der Klägerin wegen Vertrauensunwürdigkeit aufgrund der am 17. Juli 2023 begangenen Veruntreuung stehe ihr die Kündigungsentschädigung ebenso wenig zu, wie die Sonderzahlungen, die Sonderzahlung zur Urlaubsersatzleistung sowie immaterieller Schadenersatz. Berechtigt sei jedoch - neben dem hier nicht mehr strittigen Anspruch auf Ersatz von EUR 141,40 an zu Unrecht vom Lohn einbehaltenen Fehlgeldern - ihr Begehren auf Zahlung der Teuerungsprämie 2023. Die Teuerungsprämie diene einerseits als Anerkennung der vergangenen guten Arbeitsleistung und andererseits dem Ausgleich dafür, dass die betroffene Person bei ihrer Arbeitsverrichtung kein Trinkgeld erhalte. Diese Voraussetzungen habe die Klägerin erfüllt. Diese „Geschäftsgrundlagen“ seien auch nicht später weggefallen. Die Auszahlung sei bereits für April 2023 zugesagt und eine Rückzahlungsverpflichtung nur für den Fall vorgesehen worden, dass sie bis zu einem gewissen Datum vorzeitig austrete, nicht jedoch für den Fall einer berechtigten Entlassung. Durch die Entlassung sei weder die Geschäftsgrundlage weggefallen noch sei von einer Kausalität eines allfälligen Irrtums der Beklagen dahingehend auszugehen, dass die Teuerungsprämie mit Blick auf die spätere Entlassung nicht zugesagt worden wäre. Das zur Entlassung führende Fehlverhalten sei erst weit nach der Zusage und dem ursprünglichen Auszahlungszeitpunkt der Teuerungsprämie gesetzt worden. Vorangegangenes, früheres Fehlverhalten der Klägerin habe nicht festgestellt werden können.

Gegen den Zuspruch von EUR 800,00 an Teuerungsprämie richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil dahingehend abzuändern, dass der Klage nur im Umfang von EUR 141,40 netto sA stattgegeben, darüber hinausgehende EUR 800,00 netto hingegen abgewiesen würden.

Die Klägerin beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG in nicht öffentlicher Sitzung zu entscheiden war, ist nicht berechtigt.

Die Beklagte führt nur eine Rechtsrüge aus und bemängelt allem voran eine fehlerhafte Vertragsauslegung durch das Erstgericht. Die festgestellte „Formulierung der Lohnverrechnung“ lasse keinen Zweifel daran bestehen, dass durch die Teuerungsprämie auch die zukünftige Treue der Dienstnehmer belohnt werden sollte und die Prämie nicht nur rückzahlbar sei, wenn der Dienstnehmer „austrete“, sondern auch bei Sachverhalten, die den Dienstgeber zur Entlassung berechtigten. Es wäre absurd und entspreche nicht der Übung des redlichen Verkehrs, wenn die Klägerin mit einer Teuerungsprämie belohnt werde, obgleich sie ihre Kollegen systematisch um ihre Trinkgelder bringe.

Bei der Auslegung von Verträgen im Sinne des § 914 ABGB ist ausgehend vom (schriftlichen) Wortlaut der Vereinbarung die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (RIS-Justiz RS0017797). Lässt sich ein vom objektiven Erklärungswert abweichender Wille der Parteien nicht feststellen (RIS-Justiz RS0017915 [T28]; RS0017834; vgl auch RS0017911), ist der Vertrag unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs (RIS-Justiz RS0017817 [T3]; RS0017902; RS0017797 [T16]) und der Übung des redlichen Verkehrs so auszulegen, wie er für einen redlichen und verständigen Empfänger zu verstehen war (RIS-Justiz RS0113932; RS0017781). Haben die Vorinstanzen ausschließlich Urkunden ausgelegt und daraus rechtliche Schlussfolgerungen gezogen, liegt insofern eine (grundsätzlich reversible) rechtliche Beurteilung vor. Die Erforschung der wahren Absicht der Parteien ist dagegen eine Beweisfrage, wenn (auch) andere Beweismittel als die Urkunde herangezogen werden. Insoweit werden Tatsachenfeststellungen getroffen (RIS-Justiz RS0017849, insb [T 4]; RS0017911; RS0017882; RS0017797 [T 11]; RS0043422 [T 9]).

Ihrem Wortlaut nach knüpft die Zusage der Beklagten die Gewährung der Prämie an keine Voraussetzungen. Die dahinterstehende Absicht der Beklagten wurde vom Erstgericht durch Einvernahme des Zeugen E* erforscht, auf Basis dessen Aussage es Feststelllungen zum Zweck der Teuerungsprämie traf, die die Berufung nicht bekämpft. So hat das Erstgericht den Parteiwillen dahingehend festgestellt, dass die Teuerungsprämie einerseits als Anerkennung der vergangenen guten Arbeitsleistung und andererseits als Ausgleich dafür dient, dass der Empfänger weniger oder kein Trinkgeld erhält (vgl dazu die Feststellungen auf Urteilsseite 13 und die [betreffend die dortige missverständliche Formulierung „unter anderem“, die grundsätzlich noch weitere Zwecke ermöglichen würde] klarstellende Konkretisierung auf Urteilsseite 27, dass die Prämie nur diesen beiden Zwecken dient, durch die Wortfolge „einerseits“ und „andererseits“). Diese Feststellung ist das Ergebnis der Aussage des Zeugen E*, fußt also nicht auf einer reinen Urkundenauslegung und ist daher auch nicht der Überprüfung im Rahmen der Rechtsrüge zugänglich (RIS-Justiz RS0017911 [T 9, T 13] uva). Soweit die Beklagte also damit argumentiert, Zweck der Prämie sei (auch) die künftige Treue der Mitarbeiter gewesen, ignoriert sie die zum Zweck der Prämie getroffenen Feststellungen. Eine gesetzmäßige Rechtsrüge erfordert jedoch ein striktes Festhalten am konkret festgestellten Sachverhalt (4 Ob 74/21t; RIS-Justiz RS0043312; RS0043603 [T 8]). Unabhängig davon ist der Umstand, ob die Beklagte bei Formulierung dieser Zusage im Sinn hatte, „auch die zukünftige Treue“ der Dienstnehmer zu belohnen, zudem gar nicht entscheidungsrelevant. Selbst wenn sich Derartiges im Verfahren ergeben hätte – wobei eine entsprechende Parteiabsicht, die durch Aufnahme von Beweisen hätte erforscht werden können, von der Beklagten im Verfahren gar nicht behauptet wurde – würde dieser Umstand für sich genommen nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Zusage führen, wenn der Dienstnehmer später, und zwar erst nach Fälligkeit des bereits erworbenen Anspruchs, Verhalten setzt, dass letztlich in einer berechtigen Entlassung mündet. Relevant ist, ob die Prämie bei gegebenem Sachverhalt (nachfolgende Verwirklichung eines Entlassungstatbestands) von der Beklagten zurückgefordert werden könnte bzw ob die Klägerin ihren zuvor erworbenen Anspruch auf Zahlung der Prämie durch ihr nachfolgendes Verhalten wieder verloren hat. In diesem Zusammenhang vertritt die Rechtsrüge nun den Standpunkt, die Prämie sei nicht nur in dem im Schreiben vom 21. April 2023 konkret verbalisierten Fall des Austritts der Dienstnehmerin rückforderbar, sondern auch bei Verwirklichung eines Sachverhalts, der den Dienstgeber zur Entlassung berechtige.

Dazu, ob nach dem Parteiwillen der Beklagten neben dem Austritt auch Fälle der berechtigten Entlassung eine Rückzahlungspflicht auslösen sollen, traf das Erstgericht keine Feststellungen. Eine solche, vom Wortlaut der Vereinbarung abweichende Parteiabsicht wurde von der Beklagten im Verfahren erster Instanz auch gar nicht behauptet: Diese nahm in ihrem Vorbringen darauf Bezug, die Prämie sei nur unter Hinweis auf die geschätzte Arbeit der Klägerin zugesagt worden, weil die Klägerin jedoch Gelder veruntreut habe, sei sie nicht an ihre Zusage gebunden; die Beklagte behauptete aber keinen konkreten, durch Beweisanbote untermauerten Parteiwillen betreffend die Zusage vom 21. April 2023, wonach die dort normierte Rückzahlungspflicht auch im Falle einer Entlassung zum Tragen kommen solle. Die Absicht der Beklagten ist insoweit daher im Rahmen der rechtlichen Beurteilung alleine aus dem festgestellten Vertrag nach dessen objektiven Aussagewert und dem Wortsinn seiner gewöhnlichen Bedeutung im Zusammenhang mit dem Zweck der Vereinbarung zu ermitteln (RIS-Justiz RS0017833).

Es galt somit anhand des Wortlauts der Zusage im Wege der Vertragsauslegung zu erforschen, ob die Teuerungsprämie nur unter der Voraussetzung zustehen sollte, dass die Klägerin in Zukunft nicht Trinkgelder veruntreut und deswegen entlassen wird. Dies ergibt sich aus dem Inhalt der Zusage nicht. Zwar wird in den Schreiben auf zukunftsorientierte Zusammenarbeit Bezug genommen, der Erhalt der Prämie wird jedoch an keine Voraussetzungen geknüpft. Eine Rückzahlungspflicht wird nur für den einen Fall normiert, dass der Dienstnehmer binnen eines oder zwei Jahren austreten sollte. Denkbare andere Änderungen des Beschäftigungsverhältnisses, wie eine Kündigung, einvernehmliche Auflösung oder Entlassung, aber auch interne Aufgabenänderungen (denkbar wäre die Tätigkeit als Kellnerin statt Kassiererin) werden nicht angesprochen und diesbezüglich keine Rückzahlungspflicht angeordnet. Insgesamt ergibt daher die Auslegung des Schreibens vom 21. April 2023 nicht das von der Beklagten gewünschte Ergebnis, die Klägerin hätte ihren Anspruch auf die Teuerungsprämie verloren, weil sie vor April 2025 berechtigt entlassen worden sei. Hätte die Beklagte als Arbeitgeberin andere Fälle der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses umfassen wollen, hätte sie - ohne relevanten Mehraufwand - verbalisieren können, dass die Prämie zurückzuzahlen sei, wenn der Empfänger „wider Erwarten kündigt, austritt, gekündigt oder entlassen wird“ oder aber ganz generell formulieren können, dass die Prämie im Fall einer Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses innerhalb eines Jahres zurückzuzahlen sei. Dass in dem Schreiben nur der Fall des Austritts erwähnt wird, durfte ein redlicher Erklärungsempfänger so verstehen, dass nur dieser Fall der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Dienstnehmer selbst zur Rückzahlungspflicht führt. Bedenken an der Auslegung des Vertrags durch das Erstgericht werden durch die Berufung jedenfalls nicht erzeugt.

Die Argumentation, es sei „absurd“, die Klägerin zu „belohnen“, obgleich sie Trinkgelder veruntreut habe, verkennt, dass die Prämie bereits im April 2023 zugesagt und laut eindeutiger Zusage bereits mit der folgenden Lohnzahlung ausbezahlt hätte werden sollen. Der Umstand, dass die Beklagte nun angehalten ist, der Klägerin die Prämie nunmehr im Wissen um deren Verfehlungen zu zahlen, ist nur dem Umstand geschuldet, dass diese die Prämie nicht bereits bei Fälligkeit ausbezahlt hat. Dieser Umstand vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass die Voraussetzungen für den Erhalt der (einmaligen) Teuerungsprämie im maßgeblichen Zeitpunkt erfüllt waren und nicht nachträglich wegfielen.

Die Berufung argumentiert weiters damit, die Beklagte sei bei Zusage der Teuerungsprämie einem Geschäftsirrtum unterlegen, weil „die Zusage darauf abzielte, dass die Mitarbeiter dem Unternehmen treu bleiben und weiterhin ihre Arbeit gut verrichten“. Im Zeitpunkt der Zusage habe sie nicht gewusst, dass die Klägerin Trinkgelder „veruntreute bzw veruntreuen werde“.

Auch diese Argumentation vermag eine unrichtige rechtliche Beurteilung nicht aufzuzeigen.

Der von der Beklagten im Verfahren erster Instanz behauptete Irrtum konnte von ihr nicht unter Beweis gestellt werden: Die Beklagte behauptete einen Irrtum (nur) dahingehend, die Klägerin habe bereits ab ca Jänner 2023 Trinkgelder veruntreut, worüber die Beklagte bei Zusage der Prämie im April 2023 nicht Bescheid gewusst habe und insoweit einem durch die Klägerin veranlassten Irrtum unterlegen sei (ON 24, PS 24).

Das Erstgericht stellte nach abgeführtem Beweisverfahren unbekämpft fest, dass die Klägerin am 17. Juli 2023 Trinkgelder veruntreute, dass sie auch bereits zu früheren Zeitpunkten Trinkgelder veruntreut habe könne hingegen nicht festgestellt werden (Urteilsseite 11). Im relevanten Zeitpunkt der Zusage der Teuerungsprämie im April 2023 steht daher kein pflichtwidriges Verhalten der Klägerin fest, über das die Beklagte sich geirrt haben könnte; vielmehr erfüllte die Klägerin damals die Voraussetzungen für die Gewährung der Prämie (gute Arbeitsleistung, kein Erhalt von Trinkgeld). Es steht somit nicht fest, dass die Klägerin bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der Zusage Trinkgelder ihrer Kolleginnen veruntreute, die entsprechende Argumentation der Berufung, die insoweit einen Irrtum der Beklagten behauptet, geht daher nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

Soweit die Beklagte in der Berufung darüber hinaus auch auf einen Irrtum darüber Bezug nimmt, dass die Klägerin Gelder „veruntreuen werde“, so behauptet sie damit - erstmals in der Berufung, daher gegen das Neuerungsverbot verstoßend - einen Irrtum über Zukünftiges: Die damit behauptete Fehlvorstellung von der Wirklichkeit bezieht sich nicht auf Eigenschaften der Klägerin im Zeitpunkt der Zusage der Teuerungsprämie im April 2023, sondern ihr Verhalten danach. Fehlerwartungen über künftige Entwicklungen sind nach der Rechtsprechung Motivirrtümer, die bei entgeltlichen Geschäften unbeachtlich sind (vgl Bollenberger/P. Bydlinski in KBB6 § 871 Rz 9, 12; Pletzer in Kletečka/Schauer ABGB-ON1.03 § 871 Rz 31, 32 [Stand 1.8.2019, rdb.at]; RIS-Justiz RS0014913; RS0031505). Prämien an Dienstnehmer, die freiwillig, also ohne Verpflichtung dazu gewährt werden (wie die Teuerungsprämie der Klägerin) sind als entgeltliche Leistungen zu qualifizieren, weil sie mit Rücksicht auf die erbrachten Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers erfolgen. Auch im Anlassfall ist die Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte kausal für die (freiwillige) Zahlung der Prämie durch die Beklagte und liegt daher ein entgeltliches Geschäft vor (vgl dazu Gruber in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.07 § 917 Rz 15 mN [Stand 15.7.2024, rdb.at]; Reischauer in Rummel/Lukas ABGB4 § 917 Rz 2, 4). Der von der Beklagten behauptete Motivirrtum ist daher unbeachtlich (vgl dazu Bollenberger/P. Bydlinski aaO § 901 Rz 3ff).

Da ein entsprechender Irrtum über Künftiges im Verfahren erster Instanz daher weder konkret behauptet wurde, noch dieser Behauptung rechtliche Relevanz zukommt (zumal ein solcher Motivirrtum beim vorliegenden entgeltlichen Vertrag unbeachtlich ist), haften dem Urteil auch keine Feststellungsmängel dahingehend an, ob die Beklagte im April 2023 die Teuerungsprämie zugesagt hätte, hätte sie gewusst, dass die Klägerin im Juli 2023 Trinkgelder von Kollegen veruntreuen werde.

Schließlich kann sich die Beklagte im Anlassfall nicht erfolgreich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage stützen.

Nach der Rechtsprechung kann nur der Wegfall der typischen Grundlage, das heißt jener, die jedermann mit einem solchen Geschäft verbindet und bei deren Wegfall der im Vertragsinhalt zum Ausdruck gelangte, von beiden Teilen anerkannte wesentliche Vertragszweck nicht nur zeitweilig unerreichbar geworden ist, allenfalls zur Vertragsauflösung führen (RIS-Justiz RS0017530 [T17]). Unter Geschäftsgrundlage sind dabei Erwartungen zu verstehen, die die Parteien bei Vertragsabschluss nicht konkret bedacht und nicht geregelt haben, die aber Rechtsgeschäften wie den abgeschlossenen immer zugrundeliegen. Treffen solche geschäftstypischen Erwartungen von Anfang an nicht zu oder werden sie aufgrund späterer Entwicklungen enttäuscht, ist die Bindung des dadurch benachteiligten Teils an den unveränderten Vertrag unter bestimmten Voraussetzungen als unzumutbar zu betrachten (Kolmasch in Schwimann/Neumayr, ABGB: Taschenkommentar6§ 901 Rz 4ff). Der Rückgriff des Rechtsanwenders auf das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist zum Schutz der Vertragstreue zurückhaltend anzuwenden und bildet nur „ultima ratio“. Die Geschäftsgrundlage kann nur zur Anwendung kommen, wenn einerseits eine Vertragslücke vorliegt, die zudem nicht durch die dispositiven Normen oder ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden kann (sogenannte „Doppellücke“). In diesem Sinne geht auch eine ergänzende Vertragsauslegung vor. Ein Rückgriff auf die Lehre von der Geschäftsgrundlage hat zu unterbleiben, wenn ein Vertrag nach seinem von den Parteien festgelegten immanenten Zweck nicht lückenhaft ist (RIS-Justiz RS0017453; 7 Ob 155/18x; Bollenberger/P.Bydlinski aaO § 901 Rz 6ff).

In dem Zusammenhang vertritt die Beklagte nun den Standpunkt, sie habe die Prämie unter Hinweis auf die hervorragende, geschätzte Arbeit zugesagt, in der Folge habe sich herausgestellt, dass die Arbeit der Klägerin nicht zu schätzen sei und sich diese an den Kassengeldern vergriffen habe, wodurch die Geschäftsgrundlage weggefallen sei. Das Erstgericht kam im Wege der Vertragsauslegung jedoch zum Ergebnis, dass für den Fall der berechtigten Entlassung der Klägerin keine Rückzahlungspflicht (bzw kein Anspruchsverlust) vereinbart worden sei, dies sei nur für den Fall des Austritts vereinbart worden. Ein Rückgriff auf die Lehre von der Geschäftsgrundlage hat zu unterbleiben, wenn ein Vertrag nach den von den Parteien festgelegten immanenten Zweck nicht lückenhaft ist, sondern ein vom Vertrag geregelter oder – wie hier – im Auslegungsweg klärbarer Fall vorliegt (RIS-Justiz RS0017453; Bollenberger/P. Bydlinski aaO § 901 Rz 6ff). Dass das künftige Verhalten, das die Beklagte zur Entlassung berechtigte, nicht zu einer Rückzahlungspflicht der Prämie führt und nunmehr der Auszahlung entgegengehalten werden könnte, ist - wie bereits dargestellt wurde - ein vertretbares Auslegungsergebnis des Schreibens vom 21. April 2023. Da die Vereinbarung der Zahlung einer Prämie im vorliegenden Fall nicht lückenhaft ist und vom Erstgericht im Wege der Vertragsauslegung geklärt werden konnte, hat es zu keinem Rückgriff auf die Lehre der Geschäftsgrundlage zu kommen.

Hinzu kommt, dass es nicht typische Grundlage einer jeden Prämienzusage ist, dass der Dienstnehmer in Zukunft keinen Entlassungstatbestand setzt. So wurde beispielsweise das Fehlen oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage verneint in folgenden Fällen: Der Fortbestand der Ehe ist keine Geschäftsgrundlage eines Übergabsvertrags, einer Bürgschaftsverpflichtung zugunsten des Ehepartners oder eines obligatorischen Wohnungsgebrauchsrechts des künftigen Schwiegersohns; der Fortbestand der Lebensgemeinschaft ist nicht Geschäftsgrundlage eines Wohnungsgebrauchsrechts der Geliebten oder der Übertragung einer Liegenschaftshälfte; der Fortbestand der Geschäftsführereigenschaft ist keine Geschäftsgrundlage für eine Bürgschaft für Sozialversicherungsbeiträge (Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB: Praxiskommentar5 § 901 ABGB Rz 10 mN und zahlreichen weiteren Beispielen). Damit vergleichbar, ist der künftige Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses bzw künftiges Wohlverhalten keine typische Geschäftsgrundlage für die Gewährung einer Prämie als Anerkennung vergangener Arbeitsleistungen und Mindereinnahmen bei Trinkgeld. Auch daran müsste der darauf gestützte Anspruch auf Vertragsanfechtung daher scheitern.

Die Berufung ist daher insgesamt nicht berechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

Da keine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu lösen war, kommt die Zulassung der ordentlichen Revision nicht in Betracht.

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