OGH 9ObA94/20v

OGH9ObA94/20v25.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** L*****, als Erbin nach dem am ***** geborenen, am ***** verstorbenen *****, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bildungsdirektion für Niederösterreich), *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 17.993,35 EUR brutto sA (Revisionsinteresse: 6.999 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. August 2020, GZ 10 Ra 46/20p-24, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00094.20V.1125.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der ursprüngliche Kläger (idF: Verstorbener) stand vom 1. 9. 2008 bis zu seinem Ableben am ***** 2017 in einem dem VBG 1948 unterliegenden Dienstverhältnis zum Landesschulrat (nunmehr Bildungsdirektion) für Niederösterreich. Er war als Vertragslehrer an einer Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt tätig. Bei Dienstantritt wurde sein Vorrückungsstichtag mit 30. 6. 2001 errechnet. Vor dem 18. Geburtstag liegende Schulzeiten des Klägers wurden nicht angerechnet.

Mit seiner am 15. 7. 2016 eingebrachten Klage begehrte er Gehaltsdifferenzen von (zuletzt) 17.993,35 EUR brutto sA, soweit noch revisions-gegenständlich im Wesentlichen mit der Begründung, dass seine zwischen der Vollendung der Schulpflicht und der Vollendung des 18. Lebensjahres liegenden Vordienstzeiten bei der Berechnung des Vorrückungsstichtags in altersdiskriminierender und unionsrechtswidriger Weise (EuGH vom 18. 6. 2009, C-88/08 , Hütter) keine Berücksichtigung gefunden hätten.

Im zunächst unterbrochenen und infolge der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 8. 5. 2019, C-24/17 , Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, und C-396/17 , Leitner, fortgesetzten Verfahren legte die Beklagte dar, dass die Berechnung des Vorrückungsstichtags infolge der 2. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl I Nr 58/2019, zu ergänzen sei um:

- die Zeit von 1. 5. 1993 bis 31. 8. 1996 (3 Jahre, 4 Monate) als sonstige Zeiten im halben Ausmaß von 1 Jahr 8 Monaten gemäß § 26 Abs 1 Z 2b VBG,

- die Zeit von 1. 9. 1996 bis 30. 4. 1997 im Ausmaß von vollen 8 Monaten gemäß § 26 Abs 2 Z 6 VBG,

woraus sich unter Berücksichtigung des nach § 94c Abs 4 VBG vorzunehmenden Abzugs von 1 Jahr und 10 Monaten als Vergleichsstichtag der 1. 1. 2001, sohin ein um sechs Monate verbessertes Besoldungsdienstalter und ab 1. 5. 2016 eine Nachzahlung von 1.574,32 EUR brutto ergebe.

Die Vorinstanzen folgten dem Standpunkt der Beklagten und wiesen das Klagebegehren, soweit es den zugesprochenen Betrag von 1.574,32 EUR brutto sA überstieg, unter Darlegung der Entwicklung der Anrechnung von vor Vollendung des 18. Lebensjahres gelegenen Vordienstzeiten in Gesetzgebung und Rechtsprechung, ab. Die ordentliche Revision wurde nicht für zulässig erklärt.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die nunmehrige Klägerin (Universalrechtsnachfolgerin des Verstorbenen) zur aktuellen Rechtslage keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Sie ist darin der Ansicht, mit dem Abzug nach § 94c Abs 4 VBG idF der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 werde erneut das Unionsrecht umgangen. Der Abzug erfolge ohne sachliche Begründung und habe offensichtlich den Zweck, die finanziellen Auswirkungen der Anrechnung von den nun berücksichtigten Vordienstzeiten zu minimieren bzw neutralisieren. Die Vorgehensweise sei sehr ähnlich zu jener aus dem Jahr 2010 (BGBl I Nr 82/2010). Hier bedeute dies eine Anrechnung von sonstigen Zeiten im Ausmaß von null Tagen. Die der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 entsprechende zusätzliche Anrechnung von sonstigen Zeiten unter gleichzeitigem Wiederabzug iSd § 94c Abs 4 VBG wirke sich negativ auf die zusätzlich angerechneten Schulzeiten und somit in Summe nur geringfügig positiv auf das Besoldungsdienstalter aus. Letztlich werde durch eine etwas kompliziertere Berechnungsmethode der annähernd gleiche „Erfolg“ herbeigeführt wie durch die Ausdehnung des Verbleibs in der Gehaltsstufe 1 von zwei auf fünf Jahre iSd BGBl I Nr 82/2010. Daher sei auch die Unionsrechtswidrigkeit und das Fortbestehen der Altersdiskriminierung in gleicher Weise gegeben. Der Abzug von vier Jahren zur Hälfte iSd § 94c Abs 4 VBG habe unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs unangewendet zu bleiben. Eine Vorlage an den EuGH werde angeregt.

Dazu war zu erwägen:

1. Wie kürzlich zu 8 ObA 73/20y ausgeführt, wurde mit der 2. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl I 58/2019, für Vertragsbedienstete, deren Vorrückungsstichtag bei der Anrechnung unter Ausschluss der vor dem 18. Geburtstag zurückgelegten Zeiten festgesetzt wurde, nach Maßgabe der §§ 94b ff („Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG “) Vertragsbedienstetengesetz 1948 (VBG) eine Neueinstufung nach einem einheitlichen Regelwerk vorgesehen.

In jener Entscheidung wurde weiter ausgeführt, dass gemäß § 94c Abs 2 Z 1 VBG idF BGBl I 58/2019 für die Ermittlung des Vergleichsstichtags nach Maßgabe der Abs 3 bis 6 leg cit die Bestimmungen des § 26 VBG idF der 2. Dienstrechts-Novelle 2007, BGBl I 96/2007, anzuwenden sind. Nach § 26 Abs 1 VBG idF BGBl I 96/2007 wird zwischen Zeiten, die zur Gänze (Z 1 und Z 2 lit a leg cit), und Zeiten, die zur Hälfte (Z 2 lit b leg cit) dem Tag der Anstellung vorangesetzt werden, unterschieden. „Sonstige Zeiten“, die die Erfordernisse des § 26 Abs 3 oder 3a VBG idF BGBl I 96/2007 nicht erfüllen (§ 26 Abs 1 Z 2 lit b leg cit), sind bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags nur insoweit voranzustellen, als sie das Ausmaß von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren übersteigen (§ 94c Abs 4 VBG idF BGBl I 58/2019). Nach § 26 Abs 3 VBG idF BGBl I 96/2007 können Zeiten gemäß Abs 1 Z 2 leg cit („sonstige Zeiten“), in denen der Vertragsbedienstete eine Tätigkeit ausgeübt hat, im öffentlichen Interesse insoweit zur Gänze berücksichtigt werden, als die Tätigkeit für die erfolgreiche Verwendung des Vertragsbediensteten von besonderer Bedeutung ist.

Die Regelungen idF der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 wurden mit 1. 1. 2004 in Kraft gesetzt (§ 100 Abs 89 Z 1 VBG 1948). Sie betreffen ua am Tag der Kundmachung der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 anhängige einschlägige Verfahren, wobei die Neufestsetzung im Rahmen dieser Verfahren zu erfolgen hat (§ 94b Abs 3 VBG 1948). Das neu festgesetzte Besoldungsdienstalter ist nach Maßgabe des § 94b Abs 6 VBG 1948 auch ausdrücklich rückwirkend für die Bemessung der Bezüge maßgeblich.

2. Die von der Klägerin als (alters‑)diskriminierend erachtete Bestimmung des § 94c Abs 4 VBG 1948 idgF lautet:

„(4) Die zur Hälfte zu berücksichtigenden sonstigen Zeiten sind bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags nur insoweit voranzustellen, als sie das Ausmaß von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren übersteigen.“

Wie die bereits vom Berufungsgericht zitierten Erläuterungen (AB 675 BlgNR XXVI. GP  9) festhalten, werden mit Abs 4 für alle Bediensteten „sonstige Zeiten einheitlich nur insoweit zur Hälfte angerechnet, als diese das Ausmaß von vier Jahren zur Hälfte (also das anrechenbare Ausmaß von zwei Jahren) übersteigen. Die nach Abzug eines allfälligen Überstellungsverlusts verbleibenden sonstigen Zeiten sind also einheitlich bei allen Bediensteten um dieses Ausmaß zu reduzieren. Durch die Maßnahmen in Abs 3 Z 4 und Abs 4 werden zufällig erscheinende Veränderungen der sonstigen Zeiten, die wegen ihrer geringeren Wertigkeit zur Verwaltungsvereinfachung in pauschaler Durchschnittsbetrachtung zur Hälfte angerechnet werden, deutlich reduziert. Durch eine zusätzliche Anrechnung anderer Zeiten zur Gänze, die bei der früheren Feststellung des Vorrückungsstichtags nicht berücksichtigt wurden, kann es auch bei der Hälfteanrechnung sonstiger Zeiten zu Veränderungen kommen. Nachdem diese Veränderungen unabhängig vom Lebensalter eintreten können, in dem die sonstigen Zeiten zurückgelegt wurden, werden auch die nach dem 18. Geburtstag liegenden sonstigen Zeiten einer neuerlichen Beurteilung unterzogen.“

3. Soweit die Klägerin den Abzug nach § 94c Abs 4 VBG deshalb als unionsrechtswidrig erachtet, weil er den Vorteil einer Anrechnung neutralisiere, bedeutet die Beseitigung einer Diskriminierung nach der Rechtsprechung des EuGH „nicht, dass die unter der früheren gesetzlichen Regelung diskriminierte Person automatisch das Recht hat, rückwirkend in den Genuss einer solchen Gehaltsdifferenz oder einer Erhöhung der künftigen Gehälter zu kommen. Das ist nur der Fall, wenn und solange der nationale Gesetzgeber keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen hat“ (EuGH vom 14. 3. 2018, C‑482/16, Stollwitzer, Rn 30 mwN).

In der Entscheidung EuGH vom 8. 5. 2019, C‑24/17, Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, wurde ausgeführt, solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen wurden, impliziert daher ihre Wiederherstellung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, dass den vom alten Besoldungs- und Vorrückungssystem benachteiligten Vertragsbediensteten die gleichen Vorteile gewährt werden wie den von diesem System begünstigten Vertragsbediensteten, sowohl in Bezug auf die Berücksichtigung vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegter Vordienstzeiten als auch bei der Vorrückung in der Gehaltstabelle (Rn 61 mwN, s auch Rn 56 mwN). Dabei wurde betont, dass diese Erwägungen nur gelten, solange der nationale Gesetzgeber keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen hat (aaO Rn 63 unter Hinweis auf EuGH vom 22. 1. 2019, C‑193/17, Cresco Investigation, Rn 87).

4. Im Unterschied zur Regelung im Rahmen der Bundesbesoldungsreform 2015 sieht die nunmehrige gesetzliche Regelung in § 94b VBG die Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung für Vertragsbedienstete („Altbedienstete“) vor, wenn

sie nach § 94a Abs 1 iVm § 169c Abs 1 GehG (allenfalls iVm § 169d Abs 3, 4 oder 6 GehG oder § 94a Abs 5) übergeleitet wurden (Z 2) und

deren erstmalige Festsetzung des Vorrückungsstichtags für das laufende Dienstverhältnis unter Ausschluss der vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Zeiten erfolgt ist (Z 3) und

bei denen nach der erstmaligen Festsetzung nach Z 3 nicht die vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Zeiten nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes BGBl I Nr 82/2010 vorangestellt und durch Außerachtlassung der mit diesem Bundesgesetz bewirkten Verlängerung des für die erste Vorrückung erforderlichen Zeitraums zur Gänze für die Einstufung wirksam geworden sind (Z 4).

Der mit den §§ 94b, 94c VBG 1948 idgF geschaffene Mechanismus zur Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung von Vertragsbediensteten (durch Berechnung eines Vergleichsstichtags) kommt damit für alle diese Vertragsbediensteten („Altbedienstete“) zum Tragen. Für sie sind sonstige Zeiten nach § 94c Abs 4 VBG 1948 einheitlich nur insoweit zur Hälfte anzurechnen, als diese das Ausmaß von vier Jahren zur Hälfte übersteigen. Die Berücksichtigung dieser sonstigen Zeiten ist unabhängig von ihrer Lage im Lebensalter eines Vertragsbediensteten, diese können insbesondere auch – wie im vorliegenden Fall – Zeiten einer nach dem 18. Lebensjahr liegenden privatwirtschaftlichen Tätigkeit eines Vertragsbediensteten betreffen. Dass dadurch im Ergebnis die frühere altersdiskriminierende Rechtslage aufrecht erhalten würde, ist nicht ersichtlich. Im Hinblick auf das Revisionsvorbringen der Klägerin ist dabei hervorzuheben, dass in der Argumentation zur Entscheidung EuGH vom 11. 11. 2014, C‑530/13, Schmitzer,wesentlich war, dass der Vorrückungsstichtag der vom früheren System begünstigten Beamten nach § 113 Abs 11 GehG in der durch das Reformgesetz (BGBl I 82/2010) geänderten Fassung nur auf Antrag geändert wurde, zu dessen Stellung diese Beamten aber keinerlei Veranlassung hatten. Für sie galt daher im Gegensatz zu den vom früheren System benachteiligten Beamten, die einen solchen Antrag stellten, die Verlängerung des für die Vorrückung von der ersten in die zweite Gehaltsstufe erforderlichen Zeitraums um drei Jahre nicht (Rn 32 ff). Mit der 2. Dienstrechts‑Novelle 2019 wurde aber keine vergleichbare altersdiskriminierende Rechtslage geschaffen oder aufrecht erhalten. Es besteht danach auch kein Grund, zu den von der Klägerin zu § 94c Abs 4 VBG idgF geäußerten Bedenken erneut den EuGH anzurufen.

5. Angesichts der aktuellen Rechtslage zeigt die Klägerin im Ergebnis keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Ihre außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

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