OGH 9ObA88/24t

OGH9ObA88/24t16.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Sibylle Wagner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Philipp Brokes (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B* GmbH, *, vertreten durch Dr. Keyvan Rastegar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F*, vertreten durch Proksch & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 19.792.217,63 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. September 2024, GZ 9 Ra 49/24b‑21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00088.24T.1216.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die klagende Gesellschaft ist in der Musikbranche (Durchführung von Musikveranstaltungen aller Art, Verkauf von Eintrittskarten und Handel mit Waren aller Art) tätig. Der Beklagte ist seit Gründung der klagenden Gesellschaft Ende 2015 einer der beiden Geschäftsführer.

[2] Die Klägerin unterhielt seit 2016 ein Geschäftskonto bei der C* AG (in der Folge: C*). Bereits ab 2017 lagen dort Gelder der Klägerin in Millionenhöhe. Im Frühling/Sommer 2020 stiegen die Barmittel der Klägerin auf mehr als 21 Millionen Euro an. Ende Juni/Anfang Juli 2020 befanden sich etwa 95 % davon auf dem Geschäftskonto bei der C*. Die Ursache für das Ansteigen der Barmittel der Klägerin in sehr kurzer Zeit waren vielfältig: Die Klägerin hatte im Zeitraum März 2020 bis Juni 2020 so gut wie keine Ausgaben, weil der Wirtschaftsbetrieb aufgrund der Corona‑Pandemie de facto stillstand. Künstler zahlten Gagen für ihre pandemiebedingt abgesagten Auftritte zurück. Die vorhandenen Einnahmen aus Ticketverkäufen mussten aufgrund des KuKuSpoSiG nicht sofort an die Kunden zurückgezahlt werden. Aufgrund einer Abfindungsvereinbarung mit einer Versicherung vom 19. 5. 2020 erhielt die Klägerin einen Betrag von 8.250.000 EUR ausgezahlt, der mit Genehmigung der Alleingesellschafterin auf das Geschäftskonto bei der C* überwiesen wurde.

[3] Am 28. 7. 2020 wurde über das Vermögen der C* der Konkurs eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Kontostand der Klägerin bei der C* 20.292.217,63 EUR. Abzüglich des der Klägerin aus der Einlagensicherung zugeflossenen Betrags blieben 19.792.217,63 EUR uneinbringlich.

[4] Die Vorinstanzen wiesen das auf eine Geschäftsführerhaftung des Beklagten gestützte Schadenersatzbegehren der Klägerin von 19.792.217,63 EUR sA übereinstimmend ab.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Sie ist daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.

[6] 1. Die geltend gemachten Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[7] 2.1. Der Geschäftsführer einer GmbH ist nach § 25 Abs 1 GmbHG der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Ein Geschäftsführer, der seine Obliegenheiten verletzt, haftet der Gesellschaft für den daraus entstandenen Schaden. Diese Haftung ist, wovon die Vorinstanzen zutreffend ausgegangen sind, eine Verschuldenshaftung. Eine Erfolgshaftung trifft den Geschäftsführer nach dieser Gesetzesstelle nicht (RS0049459), denn das Unternehmensrisiko trägt die Gesellschaft. Eine Eigenhaftung des Geschäftsführers kommt in Betracht, wenn er seine Organisations‑ und Überwachungspflichten schuldhaft verletzt hat (RS0059528; 8 ObA 190/20t Rz 47 mwN). Wesentlich dabei ist, dass die Frage, ob ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht vorliegt, stets unter Zugrundelegung einer ex‑ante‑Sicht zu beurteilen und ein „Rückschaufehler“ zu vermeiden ist (6 Ob 58/20b Pkt 1.1.).

[8] 2.2. Unter der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes sind die Sorgfalt, die Fähigkeiten und die Kenntnisse zu verstehen, die von einem Geschäftsführer in dem betreffenden Geschäftszweig und nach der Größe des Unternehmens üblicherweise erwartet werden können. Der Sorgfaltsmaßstab darf nicht überspannt werden (RS0118177).

[9] 3. Die rechtliche Beurteilung, ob gesetzlichen Präventions‑, Prüfungs‑ und Sorgfaltspflichten ausreichend nachgekommen wurde, ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls (8 Ob 109/20t Rz 54). Eine Einzelfallentscheidung ist nur dann im Revisionsverfahren überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm korrigiert werden müsste. Bewegt sich das Berufungsgericht, wie hier, im Rahmen der Grundsätze einer ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und trifft es seine Entscheidung ohne krasse Fehlbeurteilung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls, so liegt eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht vor (RS0044088 [T8, T9]).

[10] 4.1. Die Revisionswerberin vermisst eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, unter welchen Voraussetzungen, das Eingehen „existenzbedrohender Risiken“ durch einen Geschäftsführer eine Verletzung des Sorgfaltsmaßstabs des § 25 Abs 1 GmbHG darstellt. Das Berufungsgericht habe „festgestellt“, dass das Belassen von 95 % der Barmittel der Klägerin auf einem einzigen Konto bei der C* existenzbedrohend gewesen sei.

[11] 4.2. Nach der Rechtsprechung sind auch gewagte Geschäfte von Vorstands‑ bzw Aufsichtsratsmitgliedern einer AG, diesen nicht immer als Verschulden anzulasten (RS0049458). Dass das Eingehen unverhältnismäßiger oder sogar existenzbedrohender Risiken im Einzelfall einen haftungsbegründenden Ermessensmissbrauch bzw eine Ermessensüberschreitung begründen kann (vgl S.‑F. Kraus/U. Torggler in U. Torggler, GmbHG § 25 Rz 11 mwN), ist richtig. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe mit seiner Entscheidung, den größten Teil des Eigenkapitals der Klägerin auf Geschäftskonten bei der eigenen Hausbank zu belassen, keine Maßnahme gesetzt, die mit einem unverhältnismäßig hohen Schadensrisiko verbunden gewesen sei, ist nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass der Verschuldensvorwurf der Klägerin die Berücksichtigung der gebotenen ex‑ante‑Betrachtung außer Acht lasse, weil sich erst ex post gezeigt habe, dass die vermeintlich „sichere“ Platzierung des baren Gesellschaftsvermögens der Klägerin bei der C* über mehrere Monate infolge deren Insolvenz letztlich ein existenzbedrohendes Risiko für die Klägerin dargestellt habe. Dass dieses Risiko für den Beklagten „sehr konkret und ersichtlich“ gewesen sei, hat das Berufungsgericht nicht „festgestellt“. Dem festgestellten Sachverhalt lässt sich nicht entnehmen, dass der Beklagte das (konkrete) Risiko der Veranlagung des Gesellschaftsvermögens bei seiner Hausbank ex ante hätte erkennen können. Die außerordentliche Revision legt auch nicht dar, welche konkreten Informationen sich der Beklagte einholen hätte müssen und aufgrund welcher erhaltenen Informationen er anders gehandelt hätte bzw handeln müssen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe das allgemeine Risiko, dass die langjährige Hausbank der Klägerin (allenfalls durch betrügerisches Handeln eines ihrer Vorstandsmitglieder) in Insolvenz verfallen könne, nicht als konkrete Möglichkeit in seine Veranlagungsentscheidung einbeziehen müssen, ist vertretbar.

[12] 5.1. Gemäß § 25 Abs 1a GmbHG handelt ein Geschäftsführer jedenfalls im Einklang mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, wenn er sich bei einer unternehmerischen Entscheidung nicht von sachfremden Interessen leiten lässt und auf der Grundlage angemessener Information annehmen darf, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Liegen die Voraussetzungen der „Business Judgement Rule“ vor, begründen unternehmerische Entscheidungen, auch wenn sie sich letztlich als Fehler erweisen und Schaden verursachen, keine Haftung des Geschäftsführers („Safe Harbour“). Andernfalls trifft ihn zwar nicht automatisch eine Haftung, eine solche kann aber eintreten, wenn das Verhalten im Einzelnen als sorgfaltswidrig einzustufen ist und die übrigen Haftungsvoraussetzungen (insb Schaden und Kausalität) gegeben sind (6 Ob 160/15w Pkt 7.; 6 Ob 58/20b Pkt 1.1.; vgl J. Reich‑Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, WK‑GmbHG § 25 Rz 74 f).

[13] 5.2. Die in der außerordentlichen Revision aufgeworfene Frage, ob neben „bewussten Nichtentscheidungen“ (vgl 6 Ob 150/15w Pkt 6.1.) auch „unbewusste Nichtentscheidungen“ in den Anwendungsbereich der „Business Judgement Rule“ fallen, stellt sich im vorliegenden Fall aus zwei Gründen nicht: Zum einen hat der Beklagte nach den Feststellungen keine „Nichtentscheidung“ getroffen, sondern den hohen Betrag auf dem Konto der C* belassen, weil er der Hausbank der Klägerin aufgrund der langjährigen konfliktfreien Zusammenarbeit vertraute. Dass auch die hohen Zinsen ein Grund für die Entscheidung des Beklagten war, die Gelder dort zu belassen, wird in der außerordentlichen Revision nicht bestritten. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte habe nicht realisieren müssen, dass die C* als Hausbank der Klägerin die angebotenen Zinsen nicht als Entgegengekommen gegenüber und zwecks Bindung langjähriger und regional orientierter Groß‑ bzw Stammkunden gewährt, sondern als „Pull‑Faktor“ eingesetzt habe, um kriminelle Machenschaften länger verschleiern zu können, wird in der außerordentlichen Revision nicht in Zweifel gezogen. Zum anderen hat der Beklagte seine allgemeinen Sorgfaltspflichten als Geschäftsführer nach § 25 Abs 1 GmbHG nicht verletzt, weshalb ihn im konkreten Fall ungeachtet des allfälligen Vorliegens der Voraussetzungen des § 25 Abs 1a GmbHG keine Haftung trifft.

[14] 6. Richtig ist, dass der Beklagte als insofern ressortverantwortlicher Geschäftsführer für die Bankgeschäfte der Klägerin hauptverantwortlich war. Wie bereits oben dargestellt, ist die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte habe in diesem Zusammenhang bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes nicht verletzt, nicht korrekturbedürftig. § 25 GmbHG enthält einen allgemeinen Auffangtatbestand für alle Pflichtverletzungen der Geschäftsführer und bestimmt zugleich den für Geschäftsführer geltenden objektiven Sorgfaltsmaßstab. Es geht dabei um die Sorgfalt, die ein ordentlicher Geschäftsmann in verantwortlich leitender Position bei selbständiger treuhändiger Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen einzuhalten hat (RS0059449). Einen gegenüber § 25 Abs 1 GmbHG „erhöhten Sorgfaltsmaßstab“ für einen „ressortzuständigen“ Geschäftsführer sieht das Gesetz nicht vor. Es ist daher auch nicht ersichtlich, weshalb den Beklagten im Zusammenhang mit den der Klägerin aufgrund des KuKuSpoSiG gesetzlich gestundeten Verbindlichkeiten ein anderer, erhöhter Sorgfaltsmaßstab als jenen nach § 25 Abs 1 GmbHG treffen sollte.

[15] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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