OGH 9ObA32/19z

OGH9ObA32/19z15.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und ADir. Gabriele Svirak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. (FH) S***** H*****, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei D***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Partnerschaft Schuppich Sporn & Winischhofer Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. Jänner 2019, GZ 10 Ra 122/18m‑15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00032.19Z.0515.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Parteien wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.  Geht ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber über (Betriebsübergang), so tritt dieser als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein (§ 3 Abs 1 AVRAG).

2.  In Rechtsprechung und Lehre ist anerkannt, dass Arbeitnehmer, die im Betrieb des Veräußerers zwar eingegliedert sind, nicht aber zum Veräußerer, sondern zu einem Dritten in arbeitsvertraglicher Beziehung stehen, bei Übergang des Betriebs des Veräußerers grundsätzlich nicht mit übergehen. Daher werden auch Leiharbeitnehmer von der Eintrittsautomatik in der Regel nicht erfasst, wenn nicht der Überlasserbetrieb, sondern bloß der Beschäftigerbetrieb übergeht (9 ObA 19/18m [Pkt 2.] mwN = RS0110829 [T3] = JAS 2019, 30 [34] [zust Schindler ]; Binder/Mair in Binder/Burger/Mair , AVRAG³ § 3 Rz 40; Holzer/Reissner , AVRAG² § 3 Erl 10; Gahleitner in ZellKomm 3 § 3 AVRAG Rz 38 ua).

3. 1. In der Rechtssache Albron (EuGH 21. 10. 2010, C‑242/09) hat der EuGH entschieden, dass bei einem Betriebs‑(teil‑)übergang im Sinne der BetriebsübergangsRL 2001/23/EG eines einem Konzern angehörenden Unternehmens auf ein Unternehmen, das diesem Konzern nicht angehört, als „Veräußerer“ im Sinne von Art 2 Abs 1 lit a dieser Richtlinie auch ein Konzernunternehmen betrachtet werden kann, zu dem die Arbeitnehmer ständig abgestellt waren, ohne mit diesem durch einen Arbeitsvertrag verbunden gewesen zu sein, obwohl es in diesem Konzern ein Unternehmen gab, an das die betreffenden Arbeitnehmer durch einen Arbeitsvertrag gebunden waren (Rn 32).

3.2.  Der Senat hat bereits mit ausführlicher Begründung und Darlegung des Meinungsstands im Schrifttum betont, dass der Entscheidung in der Rechtssache Albron ein „atypischer Fall“ einer ständigen konzerninternen Überlassung von Arbeitnehmern zu Grunde lag. Erfolgt die Abstellung (innerhalb oder außerhalb eines Konzerns) hingegen nicht ständig, so wird beim Übergang einer wirtschaftlichen Einheit im Bereich des Beschäftigers die BetriebsübergangsRL nach Auffassung des EuGH nicht greifen. Insoweit muss es dann beim üblichen nationalen Verständnis bleiben, dass sich ein Betriebsübergang beim Beschäftiger nicht auf die dorthin bloß überlassenen Arbeitskräfte auswirkt (9 ObA 19/18m [Pkt 4.1. ff]).

4.  Ob ein mit der Rechtssache Albron vergleichbarer Sachverhalt einer ständigen Abstellung eines Arbeitnehmers an einen anderen Betrieb vorliegt, der im Falle des (Teil‑)Betriebsübergangs dieses Betriebs ausnahmsweise von der Eintrittsautomatik des § 3 Abs 1 AVRAG umfasst ist, hängt naturgemäß von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, deren Beurteilung in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet. Dies ist auch hier nicht anders.

5.  Die Klägerin war von 1. 3. 2004 bis 31. 12. 2005 als Crew Controller bei der D*****S***** AG, einer Tochtergesellschaft der Beklagten, beschäftigt und auch bei dieser tätig. Ab 1. 1. 2006 war die Klägerin bei der Beklagten (vormals D***** AG) angestellt. Bis 31. 3. 2012 war sie in deren Abteilung Human Resources tätig. Ab 1. 4. 2012 wurde sie bei der H***** GmbH, einer weiteren Tochtergesellschaft der Beklagten, eingesetzt. Dort arbeitete sie – unterbrochen von einem Zeitraum von drei Monaten, in welchem die Klägerin ein Projekt wieder direkt für die Beklagte übernahm – zunächst bis 31. 3. 2015 in der Abteilung Human Resources und ab 1. 4. 2015 als Human Resources Manager. Bei der H***** GmbH war die Klägerin zunächst für das Rekrutieren neuer Mitarbeiter, später auch für das Personal, die Administration, die Verantwortung für die Leihmitarbeiter bei H***** GmbH und für das Thema Arbeitsrecht zuständig. Obwohl die Abteilung Human Resources der H***** GmbH grundsätzlich eine eigenständige Abteilung war, berichtete die Klägerin fast durchgehend an die Beklagte.

Die Klägerin stand seit 1. 1. 2006 ohne Unterbrechung in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten, bei der sie sozialversicherungsrechtlich gemeldet war und von welcher sie auch ihr Gehalt bezog. Seit 15. 7. 2017 befindet sich die Klägerin in Elternteilzeit gemäß § 15h MSchG.

Die H***** GmbH war im Jahr 2012 als Tochterunternehmen der Beklagten ausschließlich zur Bewirtschaftung von Zügen der Ö***** AG gegründet worden. Diese Bewirtschaftung führte die H***** GmbH aufgrund eines von der Beklagten mit der Ö***** AG abgeschlossenen Vertrags vom 1. 4. 2012 bis 31. 3. 2018 durch.

Seit 1. 4. 2018 wird nun diese Bewirtschaftung von der d***** GmbH durchgeführt, die nach einer öffentlichen Ausschreibung im Jahr 2017 den Zuschlag für diesen Auftrag erhielt.

Die Beklagte vertritt gegenüber der Klägerin den Standpunkt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsvertragsverhältnis von der H***** GmbH auf die d***** GmbH iSd § 3 AVRAG übergegangen sei, weshalb die Beklagte die Klägerin ab 1. 4. 2018 nicht weiter beschäftigte. Die d***** GmbH verweigert ihrerseits unter Berufung auf den gegenteiligen Rechtsstandpunkt ebenfalls die Weiterbeschäftigung der Klägerin.

6.  Die Vorinstanzen gaben dem Begehren der Klägerin gegenüber der Beklagten auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 31. 3. 2018 hinaus statt. Da die Klägerin nur rund die Hälfte ihrer gesamten Dienstzeit bei der Beklagten dem Beschäftigerbetrieb H***** GmbH überlassen worden sei, könne nicht von einer ständigen Abstellung der Klägerin an die Beschäftigerin gesprochen werden. Überdies sei die Klägerin auch zwischendurch für drei Monate wieder direkt für die Beklagte tätig gewesen. Dass die Einbindung der Klägerin in den Betrieb der H***** GmbH nicht mit dem besonderen Sachverhalt vergleichbar sei, der der Rechtssache Albron zugrunde gelegen sei, zeige auch die während der Überlassung an die H***** GmbH nahezu durchgehende Berichtspflicht der Klägerin an die Beklagte sowie der Umstand, dass die Bewirtschaftung durch die H***** GmbH nur eine befristete (mit Ende der Auftragsvergabe bzw Neuausschreibung) gewesen sei.

7.  Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zeigt die außerordentliche Revision der Beklagten nicht auf. Ob für die Annahme einer „ständigen“ Abstellung des Arbeitnehmers an ein anderes Unternehmen eine Abstellung an dieses Unternehmen während der gesamten Dauer des Arbeitsvertragsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erforderlich ist, kann hier dahingestellt bleiben. Im konkreten Fall führen die vom Berufungsgericht genannten Aspekte (Pkt 6.), nämlich dass die Klägerin auch zwischendurch für drei Monate direkt für die Beklagte tätig, die Klägerin auch während der Überlassung an die H***** GmbH an die Beklagte berichtspflichtig und die Bewirtschaftung durch die H***** GmbH nur eine befristete (mit Ende der Auftragsvergabe bzw Neuausschreibung) war, zur Beurteilung, dass die H***** GmbH nicht als „nichtvertraglicher“ Arbeitgeber und damit als Veräußerer im Sinn der BetriebsübergangsRL angesehen werden kann.

8.  Die Einholung eines neuerlichen Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art 267 AEUV war nicht erforderlich, weil der EuGH bereits in der Rechtssache Albron die Grundsätze für die ausnahmsweise Bejahung des Beschäftigers als nichtvertraglichen Arbeitgeber im Sinn der BetriebsübergangsRL dargelegt hat. Ihre Anwendung auf den konkreten Einzelfall wirft hier keine Fragen auf, die neuerlich an den EuGH heranzutragen wären.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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