Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 23.724,- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 3.954,- Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger studierte 1963 bis 1966 an der Universität Wroclaw in Polen Physik und spezialisierte sich sodann ab 1966 an der Universität Leningrad auf das Gebiet der Molekularen Physik. 1970 schloss er sein Studium an der Universität Leningrad mit einem Diplom ab, das dem österreichischen Doktorat nicht entspricht. Dies trifft erst für das "zweite Diplom" (Kandidat der Wissenschaften) zu, das der Kläger nicht erwarb (Anmerkung: Das nunmehr vom Kläger geführte Doktorat erlangte er erst während des Verfahrens). Der Kläger war aber der Auffassung, dass bereits sein Diplom dem im Westen gebräuchlichen Doktortitel gleichzusetzen sei, zumal er eine Diplomarbeit verfasst und diese vor einer Kommission verteidigt hatte. Er war der Meinung, dass diese Diplomarbeit einer Dissertation gleichzusetzen sei.
1970 bis 1972 war der Kläger am Institut für Biophysik der Universität Aarhus in Dänemark angestellt, wo er mit dem nunmehrigen Abteilungsleiter des Instituts für Molekularbiologie Prof. S***** zusammenarbeitete, mit dem er sich anfreundete. Danach war der Kläger als Stipendiat an der Duke University in North Carolina (USA) und - nach einem weiteren Aufenthalt mit einem post-doc-Stipendium der "muscular-d.-association/USA" in Dänemark (1974-1976) - als Angestellter am National Heart, Lung and Blood Institute in Maryland, USA, tätig (1976-1977).
Prof. S***** wusste über den wissenschaftlichen Werdegang des Klägers gut Bescheid. Dass er einen "Ph.D." oder einen Doktorgrad verliehen bekommen habe, hat der Kläger ihm gegenüber nie behauptet; er sagte lediglich, er habe einen Abschluss, der einem "Ph.D." gleiche.
Während seiner Tätigkeit an der Universität Aarhus erreichte der dort zunächst als Magister eingestufte Kläger die einem "Ph.D."
entsprechende Einstufung. Dies war auch darauf zurückzuführen, dass Prof. S***** für den Kläger ein Schreiben verfasste, in dem er die Höherstufung befürwortete.
Als Prof. S***** 1977 Abteilungsleiter der Abteilung für Physik des Instituts für Molekularbiologie der Beklagten wurde, veranlasste er die Anstellung des Klägers an diesem Institut. Die dem Vertragsabschluss vorangegangenen Gespräche führte Prof. S*****. Der Kläger legte seine kompletten Studiendokumente, darunter auch sein russisches "Diploma" im Original und in einer von ihm selbst angefertigten Übersetzung in die englische Sprache vor. In dieser Übersetzung ist (sinngemäß) von einem dem "Ph.D." vergleichbaren Abschluss die Rede.
Der akademische Grad des Klägers wurde anlässlich seiner Einstellung nicht diskutiert. Prof. S***** ging davon aus, dass der Kläger einen dem "Ph.D." gleichkommenden akademischen Grad erworben habe. Das Vorhandensein des Doktorates war allerdings für die Einstellung des Klägers nicht wesentlich, weil Prof. S***** den Kläger unbedingt an das Institut holen wollte. Wesentlich für seine Einstellung waren seine Erfahrung und der Abschluss eines Studiums mit einer wissenschaftlichen Arbeit vergleichbar einer Dissertation. Prof. S***** wollte, dass der Kläger ein relativ hohes Gehalt erhält, weil er ihn unbedingt als Mitarbeiter gewinnen wollte. "Eventuell" wäre seine Einstufung eine andere gewesen, hätte man gewusst, dass sein Abschluss nicht einem "Ph.D." gleichzuhalten ist.
Bei der Beklagten war es üblich, auch jene Wissenschafter, die ihren ausländischen Studienabschluss nicht nostrifiziert hatten und daher formell zur Führung des Doktortitels nicht berechtigt waren, als "Doktor" zu betiteln. Dies trifft etwa auch auf Prof. S***** zu.
Die Zusammenarbeit zwischen dem Kläger und Prof. S***** war anfänglich sehr fruchtbar. Die wissenschaftliche Leistung des Klägers war gut. Er publizierte viel, war aber auf internationalen Kongressen nicht so stark präsent wie Prof. S*****.
Im Laufe der Jahre entstanden zwischen dem Kläger und Prof. S***** immer mehr Differenzen, wobei es im Wesentlichen um zugeteiltes Personal und die finanzielle Unterstützung von Forschungsprojekten ging. Schließlich traten vermehrt auch persönliche Spannungen auf. Der Kläger wurde im Vergleich zu anderen Mitarbeitern der Abteilung in Bezug auf Geld- und Sachmittel sowie Personal diskriminiert. Mitte April 1997 hörte Prof. S***** von dem (seit langer Zeit bestehenden) Gerücht, dass der Kläger über kein Doktorat verfüge. Er beschaffte sich daraufhin eine Kopie des Diploms des Klägers und ließ sich dessen Wortlaut übersetzen.
Am 27. 5. 1997 wurde der Kläger - nachdem er ein Angebot, das Dienstverhältnis einvernehmlich aufzulösen, abgelehnt hatte - mit der Begründung entlassen, er habe sich die Anstellung bei der Beklagten durch die Behauptung erschlichen, er habe an der Universität Leningrad den Grad eines Doktors der Physik erworben.
Am 19. 6. 1997 und am 24. 7. 1997 kündigte die Beklagte für den Fall der Rechtsunwirksamkeit der Entlassung das Dienstverhältnis des Klägers unter Hinweis auf ihm vorzuwerfende Pflichtverletzungen auf.
Die Feststellungen der Vorinstanzen zu den dazu geltend gemachten Kündigungsgründen betreffen Jahre zurückliegende Vorfälle, die der Beklagten bekannt waren, jedoch nie zum Gegenstand von Konsequenzen gemacht wurden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren, mit dem der Kläger mit der Behauptung, sowohl die Entlassung als auch die Kündigungen seien rechtsunwirksam, zuletzt S 1,368.268,49 brutto sA an Entgelt begehrt, statt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und vertrat ebenfalls die Rechtsauffassung, dass sowohl die Entlassung als auch die beiden Kündigungen rechtsunwirksam seien. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es ausreicht, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Ergänzend ist auszuführen:
Rechtliche Beurteilung
Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wirft die Beklagte dem Berufungsgericht vor, sich nicht hinreichend mit der in ihrer Berufung enthaltenen Beweisrüge auseinandergesetzt zu haben. Dem folgt eine ausführliche Erörterung der Beweisergebnisse, aus der die Revisionswerberin die Unrichtigkeit erstgerichtlicher Feststellungen, vor allem der Feststellung, der Kläger sei der Meinung gewesen, sein Abschluss sei einem Doktorat vergleichbar, ableitet. Auch ein erheblicher Teil der Rechtsrüge ist inhaltlich ausschließlich der Bekämpfung dieser zuletzt genannten Feststellung gewidmet.
Die Revisionswerberin übersieht dabei, dass das Berufungsverfahren nur mangelhaft bleibt, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisrüge überhaupt nicht auseinandersetzt, nicht aber schon dann, wenn es sich nicht mit jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinandersetzt (RIS-Justiz RS0043162; zuletzt 8 ObA 248/97x, 62). Geht hingegen aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteiles hervor, dass das Berufungsgericht seiner Pflicht, die Beweiswürdigung des Erstgerichtes zu überprüfen, nachgekommen ist und warum es die vom Berufungswerber geltend gemachten Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes nicht teilt, sondern die erstgerichtlichen Feststellungen für richtig hält, kann von einem Mangel des Berufungsverfahrens nicht die Rede sein (8 ObA 248/97x; RIS-Justiz 0043268).
Hier hat sich das Berufungsgericht ausführlich mit der Beweiswürdigung des Erstgerichtes und den dagegen in der Berufung erhobenen Argumenten auseinandergesetzt. Ob die dabei angestellten Überlegungen richtig oder fehlerhaft sind, fällt in den Bereich der irrevisiblen Beweiswürdigung (8 ObA 248/97x; RIS-Justiz 0043371). Auch die Rüge, dass sich das Berufungsgericht mit bestimmten Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt habe, bedeutet in Wahrheit nur eine im Revisionsverfahren unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes (8 ObA 248/97x; RIS-Justiz 0043131). Gleiches gilt für die von der Revisionswerberin erhobenen Vorwürfe der unrichtigen Wiedergabe der Beweisergebnisse bzw. des Vorliegens sekundärer Verfahrensmängel, zumal diese Vorwürfe lediglich (nicht als erwiesen angenommene) Behauptungen der Beklagten zum Gegenstand haben, die der Feststellung, der Kläger habe geglaubt, einen dem Doktorat vergleichbaren Abschluss zu haben, widersprechen. Auch insofern weicht die Revisionswerberin daher vom festgestellten Sachverhalt ab, sodass ihr Rechtsmittel in diesem Umfang nicht gesetzmäßig ausgeführt ist.
Der behauptete Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.
Im Übrigen ist nicht strittig, dass auf das Dienstverhältnis des Klägers die "Betriebsvereinbarung über allgemeine Ordnungsvorschriften und Rechtsansprüche aus Arbeitsverhältnissen zur Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Akademiearbeitsrecht; kurz: AAR) anzuwenden ist. Nach § 38 Abs 2 lit a AAR - andere Entlassungstatbestände kommen nicht in Betracht - ist der Arbeitgeber zur Entlassung berechtigt, "wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Arbeitnehmer die Aufnahme in das Arbeitsverhältnis durch unwahre Angaben, ungültige Urkunden oder durch Verschweigen von Umständen erschlichen hat, die seine Aufnahme ausgeschlossen hätten." Eine ungerechtfertigte Entlassung gilt nach § 38 Abs 4 AAR als Kündigung, "wenn der angeführte Entlassungsgrund einen Kündigungsgrund im Sinne des § 37 Abs 3 AAR darstellt. Liegt auch kein Kündigungsgrund vor, so ist die ausgesprochene Entlassung rechtsunwirksam." Ein Kündigungsgrund iS des § 37 Abs 3 AAR liegt - soweit hier von Interesse - vor, "wenn sich erweist, dass das gegenwärtige oder frühere Verhalten des Arbeitnehmers dem Ansehen oder den Interessen der Arbeit und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften abträglich ist, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt" (§ 37 Abs 3 lit f AAR).
Die Formulierung des Entlassungstatbestandes des § 38 Abs 2 lit a AAR, vor allem die Verwendung des Wortes "erschleichen" verlangt es, diesen Tatbestand dahin zu interpretieren, dass seine Verwirklichung vorsätzliches Verhalten des Dienstnehmers voraussetzt. Hier steht aber fest, dass der Kläger geglaubt hat, über einen dem Doktorat vergleichbaren Abschluss zu verfügen. Es kann ihm daher nicht vorgeworfen werden, er habe vorsätzlich versucht, sich durch unwahre Angaben die Anstellung zu erschleichen. Dazu kommt, dass § 38 Abs 2 lit a AAR auf die Verheimlichung von Umständen abstellt, die die Aufnahme des Dienstnehmers ausgeschlossen hätten. Hier steht aber fest, dass der Kläger auch dann aufgenommen worden wäre, wenn man gewusst hätte, dass er über keinen dem Doktorat vergleichbaren Abschluss verfügt hat.
Der angezogene Entlassungsgrund ist daher - wie in der Revision gar nicht mehr explizit bestritten wird - nicht verwirklicht.
Aber auch das Vorliegen des Kündigungsgrundes des § 37 Abs 3 lit f AAR, der die Umdeutung der Entlassung in eine wirksame Kündigung ermöglichen würde, hat das Berufungsgericht zu Recht verneint. Auch in diesem Zusammenhang ist auf die Feststellungen zu verweisen, dass der Kläger von der Beklagten auch bei Kenntnis der wahren Sachlage eingestellt worden wäre, mit der dem Vorbringen der Beklagten, ein Doktortitel sei für die Beschaffung finanzieller Unterstützung für das Institut unabdingbar, der Boden entzogen ist. Und auch der Vorwurf der mangelnden wissenschaftlichen Redlichkeit und Integrität ist nicht begründet, zumal der Kläger nach den Feststellungen im guten Glauben gehandelt hat.
Die Entlassung ist daher iS § 38 Abs 4 AAR unwirksam und hat das Dienstverhältnis nicht beendet.
Im Übrigen ist nicht strittig, dass der Kläger in den Genuss des erweiterten Kündigungsschutzes nach § 37 Abs 2 und 3 AAR kommt. Eine Kündigung darf daher nach § 37 Abs 3 AAR nur bei Vorliegen eines der in den lit a bis g angeführten Gründen erfolgen. Die Vorinstanzen haben daraus übereinstimmend die Unwirksamkeit von durch diese Bestimmung nicht gerechtfertigten Kündigungen abgeleitet. Dagegen bestehen - betrachtet man die in Rede stehende Bestimmung im Zusammenhang mit den sonst weitgehend sinnlosen Regelungen über den Entlassungsschutz - keine Bedenken. Dies wird von der Revisionswerberin in ihrem Rechtsmittel auch gar nicht in Frage gestellt. Auch auf die von ihr zur Rechtfertigung der eventualiter ausgesprochenen Kündigungen geltend gemachten Gründe, deren Vorliegen von den Vorinstanzen verneint wurde, kommt sie nicht mehr zurück.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
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