European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00016.17V.0524.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 335,64 EUR (darin 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Beklagten vom 9. 9. bis 30. 11. 2014 als Messemonteur mit einem Bruttomonatslohn von 1.963,01 EUR beschäftigt. Im Arbeitsvertrag wurde festgehalten, dass „aufgrund der Zugehörigkeit des Arbeitgebers zu Fachgruppe/Innung/Gremium 'Zusammenbau von Kabinen und Standbauelementen aus vorgefertigten Teilen'“ kein Kollektivvertrag zur Anwendung kommt. Das Arbeitsverhältnis wurde einvernehmlich aufgelöst.
Die Beklagte übt seit 14. 4. 2005 das freie Gewerbe „Zusammenbau von Kabinen und Standbauelementen aus vorgefertigten Teilen“ aus. Ab 27. 5. 2005 gehörte sie der Fachgruppe 151/16 (gewerbliche Dienstleister) an, die im Jahr 2010 eine neue Nummer (126/9900) erhielt. Am 5. 11. 2014 wurde von der Wirtschaftskammer ***** fälschlicherweise eine Umreihung der Beklagten von der Fachgruppe 126/9900 (gewerbliche Dienstleister) in die Fachgruppe 110/0800 (Metalltechnik) vorgenommen. Diese falsche Umreihung wurde am 22. 6. 2016 rückwirkend korrigiert und der Beklagten mitgeteilt, dass sie somit seit jeher der Fachgruppe der gewerblichen Dienstleister zugeordnet sei. Die Beklagte war zu keinem Zeitpunkt im Rahmen der Landesinnung der Metalltechniker tätig.
Die vom Kläger mit der vorliegenden Klage begehrte Urlaubsersatzleistung wurde ihm rechtskräftig teilweise zugesprochen und im Umfang des Mehrbegehrens abgewiesen. Revisionsgegenständlich sind nur mehr die von ihm auf die Geltung des Kollektivvertrags für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe gestützten Sonderzahlungen, die er für 83 Tage (9. 9.–30. 11. 2014) mit 892,77 EUR brutto bezifferte. Nach Ansicht des Klägers könne die möglicherweise falsche Einreihung der Beklagten nicht zu seinen Lasten gehen.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte die Unanwendbarkeit des Kollektivvertrags ein.
Das Erstgericht wies diesen Teil des Klagebegehrens ab. Die Beklagte sei zu keinem Zeitpunkt Mitglied der Landesinnung der Metalltechniker gewesen und unterliege somit nicht dem fachlichen Geltungsbereich des Kollektivvertrags für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe. Der Kläger könne aus der fälschlichen Ummeldung keine Ansprüche ableiten, weil im Arbeitsvertrag (richtig) darauf hingewiesen worden sei, dass das Arbeitsverhältnis keinem Kollektivvertrag unterliege. Er habe kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Anwendbarkeit eines bestimmten Kollektivvertrags.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die angestrebte Anwendbarkeit des Kollektivvertrags setze die Kollektivvertragsangehörigkeit der Beklagten iSd § 8 Z 1 ArbVG voraus, sohin dass die Beklagte zur Zeit des Abschlusses des Kollektivvertrags Mitglied einer am Kollektivvertrag auf Arbeitgeberseite beteiligten Interessenvertretung gewesen oder später geworden sei. Diese Mitgliedschaft sei in der Form maßgeblich, wie sie faktisch gehandhabt werde, also durch die Zuordnung durch die Kammer zu einem bestimmten Fachverband. Aufgrund des Zwangscharakters der Wirtschaftskammermitgliedschaft und der Zuordnung zu einer bestimmten Fachgruppe seien Mitgliedschaftsfragen ausschließlich Angelegenheiten der Selbstverwaltung der Wirtschaftskammerorganisation. Die Frage der (materiell-rechtlichen) Richtigkeit der Zuordnung zu einer Fachgruppe sei somit der Prüfung durch die Gerichte entzogen. Aus denselben Gründen müsse auch die Beurteilung der (formell-rechtlichen) Zulässigkeit der im Zusammenhang mit der Zuordnung durch die Wirtschaftskammern gesetzten Rechtsakte der gerichtlichen Kontrolle entzogen sein. Zu diesem Aspekt sei die Revision zulässig.
In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Revision eine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig,jedoch nicht berechtigt.
1. Der Kläger stützt seinen Anspruch auf die Geltung des Kollektivvertrags für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe, der arbeitgeberseitig – soweit hier von Relevanz – ua von der Bundesinnung der Metalltechniker abgeschlossen wurde. Dass die Beklagte über eine der Metalltechnik entsprechende Gewerbeberechtigung verfügt hätte, wurde weder behauptet noch festgestellt. Sie war vielmehr zur Ausübung eines freien Gewerbes („Zusammenbau von Kabinen und Standbauelementen aus vorgefertigten Teilen“) berechtigt.
2. Die Geltung eines Kollektivvertrags ergibt sich primär aus der Kollektivvertragsangehörigkeit durch Mitgliedschaft bei der den Kollektivvertrag abschließenden Organisation:
Gemäß § 8 Z 1 ArbVG sind, sofern der Kollektivvertrag nichts anderes bestimmt, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer kollektivvertragsangehörig, die zur Zeit des Abschlusses des Kollektivvertrags Mitglieder der am Kollektivvertrag beteiligten Parteien waren oder später werden.
Die Mitgliedschaft in der Bundeskammer, in den Landeskammern und in den Fachorganisationen wird ex lege begründet (s § 2 Abs 5 WKG). Die Mitgliedschaft bei einem Fachverband oder bei mehreren Fachverbänden wird durch eine (Gewerbe‑)Berechtigung, welche die Kammer-mitgliedschaft begründet, herbeigeführt (§ 47 Abs 2 WKG). Die Mitgliedschaft zu einer Fachgruppe wird durch die Fachorganisationsordnung (FOO) bestimmt (§ 43 Abs 5 WKG). Nach § 12 FOO ist jeder Inhaber von Berechtigungen, die in den Wirkungsbereich eines Fachverbands (einer Fachgruppe) fallen, deren Mitglied.
3. Es fällt in die dem Handelskammer-(nun Wirtschaftskammer‑)Gesetz zugrunde liegende Selbstverwaltung der Kammern, die gesetzlichen Bestimmungen über die Mitgliedschaft der Arbeitgeber zu den in Betracht kommenden Kammerorganisationen im Einzelfall zu konkretisieren, also den einzelnen Arbeitgeber der nach dem Gesetz für ihn in Betracht kommenden Organisation zuzuordnen (s schon 14 Ob 147/86 unter Berufung auf Schrank, ZAS 1978, 129 ff). § 44 Abs 1 WKG sieht dazu für die Fachgruppenzuordnung vor, dass die Zuordnung eines Unternehmens gemäß § 2 zu einer oder mehreren Fachgruppe(n) durch die Landeskammer durch die Eintragung in das Mitgliederverzeichnis erfolgt. Diese Eintragung hat zufolge der Erläuterungen zum WKG (RV 1155 BlgNR XX. GP 64) deklaratorische Wirkung.
4. Für den Fall einer strittigen Fachgruppenzuordnung enthalten die Abs 7 bis 11 des § 44 WKG Anordnungen für die Durchführung eines (Verwaltungs‑)Verfahrens. Unter anderem sieht Abs 11 leg cit vor, dass Rechtswirkungen einer entsprechenden Entscheidung über die Änderung der Fachgruppenzugehörigkeit eines Mitglieds mit Beginn des auf die Rechtskraft der Entscheidung folgenden Jahres eintreten. Ein solches Verfahren wurde hier jedoch nicht durchgeführt und ist auch nicht weiter entscheidungsrelevant.
5. Nach ständiger Rechtsprechung unterliegt die Frage der Mitgliedschaft des Arbeitgebers zu einer bestimmten Fachgruppe im Rahmen seiner Wirtschaftskammer‑Mitgliedschaft und damit jene nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag im Hinblick auf die Ausschließlichkeitskompetenz der Selbstverwaltung der Kammer nicht der Beurteilung durch das Gericht (RIS‑Justiz RS0050862, zuletzt 8 ObA 35/13z). Für die Kollektivvertrags-unterworfenheit ist die im § 8 Z 1 ArbVG erwähnte Mitgliedschaft in der Form maßgeblich, wie sie faktisch gehandhabt wird, also durch Zuordnung durch die Kammer zu einem bestimmten Fachverband oder eine Innung (RIS‑Justiz RS0050871, zuletzt 9 ObA 11/14d). Auch zur Klärung der Frage, ob für Arbeitnehmer eines Unternehmens der Kollektivvertrag für Angestellte der Industrie oder des Gewerbes anzuwenden ist, ist ausschließlich auf die die Gerichte bindende Zuordnung durch die Kammer abzustellen. Es liegt nicht in der Hand des einzelnen Arbeitnehmers, mittels Klage die Geltung eines anderen Kollektivvertrags zu erzwingen, als jenes, in dessen von den Kollektivvertragsparteien autonom festgelegten Geltungsbereich der jeweilige Arbeitgeber fällt (RIS‑Justiz RS0102117).
6. Teile der Lehre befürworten die gerichtliche Überprüfbarkeit der Zuordnung des Arbeitgebers innerhalb der Wirtschaftskammer (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 8 Rz 14 ff mwN; Pfeil in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 Bd 2 [2015], § 8 Rz 17 ff mwN; Mosler, Ist das Arbeitsrecht noch aktuell? – Kollektive Rechtsgestaltung, DRdA 2014, 519 mwN; der Rspr folgend Reissner in ZellKomm ArbVG II2 § 8 Rz 10 mwN; Runggaldier in Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz [2015] § 8 Rz 5).
7. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Den bisher entschiedenen Fällen lagen Konstellationen zugrunde, in denen die „faktische Handhabung“ einer Mitgliedschaft in einer Kammerorganisation der genannten Konkretisierung der gesetzlichen Mitgliedschaft dienen sollte und vom entsprechenden Willen der Kammer getragen war (zB 8 ObA 210/96: Bescheid). Hier lag eine zunächst korrekte Zuordnung der Beklagten vor. Es erfolgte eine auch aus der Sicht der Kammer unrichtige Umreihung („fälschlicherweise“), die von der Kammer in der Folge richtiggestellt wurde und offenkundig auch zu keiner weiteren „faktischen“ Handhabung einer Fachgruppenzugehörigkeit geführt hatte (vgl ihr Schreiben Beil ./2: „Die [Beklagte] ist somit seit jeher der Fachgruppe der Gewerblichen Dienstleister zugeordnet und war zu keinem Zeitpunkt im Rahmen der Landesinnung der Metalltechnik tätig.“). Bedenkt man, dass die für die Kollektivvertragsunterworfenheit maßgebliche Kammerorganisationszugehörigkeit (Mitglied-schaft) des Arbeitgebers schon von Gesetzes wegen erworben wird, der Eintrag im Mitgliederverzeichnis nach dem gesetzlichen Konzept diese Zugehörigkeit zwar konkretisieren, nicht aber – im Widerspruch zur auf die (Gewerbe‑)Berechtigung aufbauenden Mitgliedschaft – begründen soll und die Kammer mit ihrer Korrektur nur die Richtigkeit der Eintragung wiederherzustellen bestrebt war, so besteht kein Grund, sich gerichtlich über die Selbstverwaltungstätigkeit der Kammer hinwegzusetzen. Dass hier bezüglich der Fehlzuordnung ein weiterer Schutzbedarf gegenüber der Beklagten bestünde, ist nicht ersichtlich.
8. Der Kläger kann auch nicht die – zur Anwendbarkeit des „richtigen“ Kollektivvertrags iSd § 2 Z 13 GewO 1994 ergangene – Rechtsprechung für seinen Standpunkt ins Treffen führen:
Nach § 2 Abs 13 GewO 1994 haben Normen der kollektiven Rechtsgestaltung, die für Arbeitsverhältnisse zu Arbeitgebern gelten, welche ihre Tätigkeiten aufgrund von Gewerbeberechtigungen ausüben, auch für Arbeitsverhältnisse zu jenen Arbeitgebern Geltung, welche diese Tätigkeiten ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung ausüben. Für diese Bestimmung macht es keinen Unterschied, ob der Arbeitgeber hinsichtlich seiner Tätigkeit eine nicht einschlägige oder gar keine Gewerbeberechtigung hat (Reissner in ZellKomm II2 § 8 Rz 24 mwN), ob also die entsprechende Berechtigung fehlt oder der Tätigkeit nicht entspricht (s 8 ObA 62/07m). Diese Bestimmung ist als besonderer Fall der Kollektivvertragsangehörigkeit zu sehen, weil § 8 ArbVG nur zur Anwendbarkeit jenes Kollektivvertrags führen kann, der der vorhandenen Berechtigung entspricht. In einem Fall, in dem die Gewerbeberechtigung mit der ausgeübten Tätigkeit offensichtlich nichts zu tun hat, hat das Gericht die Anwendung des „richtigen“ Kollektivvertrags selbst zu beurteilen. Eine Bindung des Gerichts an die durch die Kammer getroffene Zuordnung kann notwendigerweise nicht bestehen, weil eine derartige Zuordnung für die vom Gericht aufgrund der Norm des § 2 Z 13 GewO 1994 zu ermittelnde „richtige“ Gewerbeberechtigung nicht besteht (8 ObA 192/01w).
9. Im vorliegenden Fall ist § 2 Abs 13 GewO 1994 nicht anwendbar, weil keine Konstellation vorliegt, in der der Tätigkeit der Beklagten keine oder eine nicht einschlägige Gewerbeberechtigung zugrunde liegt. Vielmehr entspricht ihre Berechtigung für das freie Gewerbe „Zusammenbau von Kabinen und Standbauelementen aus vorgefertigten Teilen“ auch der von ihr ausgeübten Tätigkeit.
Soweit der Bestimmung und der dazu ergangenen Rechtsprechung zumindest die Wertung entnommen werden kann, dass die Anwendung des „richtigen“, dh der erforderlichen Gewerbeberechtigung entsprechenden Kollektivvertrags sichergestellt werden soll, ist für den Kläger nichts gewonnen, weil selbst eine solche Prüfung hier nur zur Unanwendbarkeit des Kollektivvertrags für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe führen würde: Die Beklagte hat stets ein freies Gewerbe ausgeübt, mit dem sie keinem Kollektivvertrag unterworfen war.
10. Insgesamt besteht damit kein Grund, von der bisherigen Rechtsprechung, wonach die Mitgliedschaft eines Arbeitgebers zu einer bestimmten Fachgruppe im Hinblick auf die Ausschließlichkeitskompetenz der Selbstverwaltung der Kammer nicht der Beurteilung durch das Gericht unterliegt, in einem Fall wie dem vorliegenden abzuweichen, in dem die Wirtschaftskammer zur Herstellung der Konkordanz von Gewerbeberechtigung und Fachgruppenzugehörigkeit lediglich eine Korrektur im Mitgliederverzeichnis vornahm.
11. Ob bei einem auf das Bestehen eines Anspruchs entstandenen Vertrauen anders zu urteilen wäre, ist hier nicht zu prüfen, weil im Arbeitsvertrag des Klägers korrekt ausgewiesen war, dass er keinem Kollektivvertrag unterlag und er auf nichts anderes vertraut hat.
Der Revision des Klägers war danach nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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