OGH 9ObA11/14d

OGH9ObA11/14d25.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei N***** T*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei a***** e.U., *****, vertreten durch RECHTUNDCO Janezic & Schmidt Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 1.186,41 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 20. November 2013, GZ 7 Ra 47/13f‑15, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 27. März 2013, GZ 38 Cga 165/12w‑11, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark an Aufwandersatz für das Berufungsverfahren 435 EUR sowie der klagenden Partei die mit 336,82 EUR (darin 56,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war beim Beklagten vom 5. 9. 2011 bis 31. 10. 2012 als Sekretärin mit einem monatlichen Gehalt von zuletzt 1.693,10 EUR brutto beschäftigt. Im Dienstvertrag war festgehalten, dass auf das Dienstverhältnis kein Kollektivvertrag zur Anwendung kommt. Das Dienstverhältnis endete durch Dienstgeberkündigung.

Der Beklagte ist Mitglied der Wirtschaftskammer Steiermark in der Fachgruppe Immobilien‑ und Vermögenstreuhänder und gehört den Berufszweigen der Bauträger, Immobilienmakler und Immobilienverwalter an. Er verfügt über drei aufrechte Gewerbeberechtigungen, nämlich für Immobilienmakler, Immobilienverwalter und Bauträger. Er ist nur in den Berufszweigen Bauträger und Immobilienmakler tätig. Die Tätigkeit als Immobilienverwalter übte er nie aus.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten 1.186,41 EUR brutto, bestehend aus restlicher anteiliger Sonderzahlung für die Zeit vom 1. 1. 2012 bis 31. 10. 2012 (1.160,75 EUR) und Urlaubsersatzleistung für zwei Arbeitstage (25,66 EUR). Sie brachte dazu ‑ soweit für die Revisionsentscheidung noch relevant ‑ vor, dass auf das Dienstverhältnis der Kollektivvertrag für Angestellte bei Immobilienverwaltern (kurz: KV Immobilienverwalter) anwendbar sei. Dieser sehe Sonderzahlungen (13. und 14. Monatsgehalt) vor. Zwei Urlaubstage habe sie nicht verbraucht.

Der Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass er dem KV Immobilienverwalter nicht unterliege, weil er tatsächlich keine Immobilien-verwaltungstätigkeit ausübe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Da der Beklagte Mitglied der Fachgruppe Immobilien‑ und Vermögenstreuhänder in der Wirtschaftskammer Steiermark sei, komme der KV Immobilienverwalter zur Anwendung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es sei zwar richtig, dass sich die Kollektivvertragsunterworfenheit nach der tatsächlichen Zuordnung durch die Wirtschaftskammer richte. Der KV Immobilienverwalter schränke aber seinen fachlichen Geltungsbereich auf Mitgliedsbetriebe ein, die der Berufsgruppe der Immobilienverwalter im Fachverband der Immobilien‑ und Vermögenstreuhänder angehörten. Im Zusammenhalt mit der Zusammenführung der drei Gewerbe (Immobilienmakler, Immobilienverwalter und Bauträger) zum reglementierten Gewerbe der Immobilientreuhänder (§ 117 GewO 1994) sei davon auszugehen, dass der KV Immobilienverwalter fachlich nur jene Mitgliedsbetriebe erfassen wollte, die Tätigkeiten der Immobilienverwalter tatsächlich ausübten. Da der Beklagte keine Immobilienverwaltungstätigkeiten ausübe, sei der KV Immobilienverwalter auf das gegenständliche Arbeitsverhältnis nicht anwendbar.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. Die aufgrund § 15 Wirtschaftskammer-gesetz 1998 (WKG) erlassene Fachorganisationsordnung (FOO) errichtete in der Sparte „Information und Consulting“ (§ 8) den Fachverband der Immobilien- und Vermögenstreuhänder (Z 7). Dieser umfasst

a) Immobilienmakler,

b) Immobilienverwalter,

c) Bauträger und

d) Inkassoinstitute.

2. Der Beklagte ist, wie bereits erwähnt, Mitglied der Wirtschaftskammer Steiermark in der Fachgruppe Immobilien‑ und Vermögenstreuhänder und gehört den Berufszweigen der Bauträger, Immobilienmakler und Immobilienverwalter an.

3. Der KV Immobilienverwalter gilt fachlich für alle Mitgliedsbetriebe, die der Berufsgruppe der Immobilienverwalter im Fachverband der Immobilien‑ und Vermögenstreuhänder angehören (§ 2 Abs 1 lit b KV).

4. Zufolge § 8 Z 1 ArbVG sind, sofern der Kollektivvertrag nichts anderes bestimmt, innerhalb seines räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereichs die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, die zur Zeit des Abschlusses des Kollektivvertrags Mitglied der im Kollektivvertrag beteiligten Parteien waren oder später werden, kollektivvertragsangehörig. Daraus folgt, dass die kollektivvertragsangehörigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht nur Mitglied einer der jeweiligen kollektivvertragsschließenden Parteien sein müssen, sondern auch in den vom Kollektivvertrag umschriebenen räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich fallen müssen. Dem Kollektivvertrag ist es unbenommen, seine Geltung im Verhältnis zum an sich anzunehmenden Anwendungsbereich differenziert zu gestalten bzw einzuschränken ( Reissner in ZellKomm² § 8 ArbVG Rz 2; Runggaldier in Tomandl ArbVG § 8 Rz 3). Fachliche Geltungsbereichsbestimmungen ziehen die Grenze der Anwendbarkeit des Kollektivvertrags nach verschiedenen Arten der bei den kollektivvertragsangehörigen Arbeitgebers ausgeübten Tätigkeiten ( Reissner in ZellKomm² § 8 ArbVG Rz 5; Marhold/Friedrich Arbeitsrecht² 458). Die Lehre verweist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf den Fachverband der Nahrungs‑ und Genussmittelindustrie, die einen Kollektivvertrag nur für Brauereien erlassen hat ( Reissner in ZellKomm² § 8 ArbVG Rz 5), oder darauf, dass ein Kollektivvertrag für Angehörige der Tourismuswirtschaft fachlich etwa Sonderregelungen für die gehobene Hotellerie vorsehen könnte ( Aigner/Mazal in Mazal/Risak Arbeitsrecht I „II Der Kollektivvertrag“ Rz 45) oder im Bereich des Lebensmittelhandels je eigene Kollektivverträge für den Groß‑, den Kleinhandel, für Supermärkte, für den Obst‑ und Gemüsehandel, für den Fischhandel usw abgeschlossen werden könnten ( Kietaibl Arbeitsrecht I 8 223).

5. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass die Kollektivvertragsunterworfenheit nach § 8 Z 1 ArbVG grundsätzlich nach der faktischen Zuordnung zu einer bestimmten Fachgruppe im Rahmen der Wirtschaftskammerorganisation erfolgt (RIS‑Justiz RS0050862; RS0050871; jüngst 8 ObA 35/13z). Gemäß § 44 Abs 2 WKG besteht diese Mitgliedschaft unabhängig von der Zahl der zustehenden Berechtigungen und unabhängig davon, ob und in welchem Umfang diese Berechtigungen ausgeübt werden . Die Mitgliedschaft endet immer erst mit dem Wegfall der letzten sie begründenden Berechtigung. Unter Berechtigung ist die jeweilige Berechtigung aufgrund der Gewerbeordnung zu verstehen ( Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch , ArbVG § 8 Rz 10; zur vergleichbaren alten Rechtslage des § 29 Abs 7 HKG: Schrank , Kollektivvertragsangehörigkeit und Handels-kammermitgliedschaft: Dargestellt am Beispiel der Industrie-Kollektivverträge, ZAS 1978, 129 [134]).

6. Zunächst ist ‑ mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ‑ davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien (hier der Fachverband der Immobilien‑ und Vermögenstreuhänder einerseits und der Österreichische Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten, Wirtschaftsbereich ‑ Wirtschafts-dienstleistung) den gegenständlichen Kollektivvertrag in Kenntnis dieser Rechtslage abgeschlossen haben. Eine sich grundsätzlich am Text des Kollektivvertrags orientierende Auslegung (RIS‑Justiz RS0008782; RS0010088; ua) führt dann aber dazu, dass vom fachlichen Geltungsbereich des KV Immobilienverwalter alle Mitgliedsbetriebe umfasst sind, die der Berufsgruppe der Immobilienverwalter angehören . Dies trifft aber auf den Beklagten zu, wie auch von der Revisionsbeantwortung eingeräumt wird (S 3, vorletzter Absatz). Hätten die Kollektivvertragsparteien die Absicht gehabt, auf die tatsächliche Ausübung der Immobilien-verwaltungstätigkeit durch den Unternehmer abzustellen, dann hätten sie diese ‑ praktisch wohl auch schwer durchführbare ‑ Regelung (vgl RIS‑Justiz RS0008828; RS0008897) doch klar im Text des Kollektivvertrags zum Ausdruck gebracht.

7. Da somit auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Streitteilen der Kollektivvertrag für Angestellte der Immobilienverwalter Anwendung findet, hat die Klägerin Anspruch auf den begehrten und der Höhe nach unstrittigen Sonderzahlungsanteil (§ 12 KV). Die geltend gemachte Urlaubsersatzleistung (§ 10 UrlG) wurde bereits im erstinstanzlichen Verfahren von der Beklagten substanziiert nie bestritten (§ 267 ZPO).

Der Revision der Klägerin ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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