OGH 9ObA159/11i

OGH9ObA159/11i29.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.‑Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Michael Kutis und Ing.Thomas Bauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** J*****, vertreten durch Dr. Michael Koth, Rechtsanwalt in Gänserndorf, gegen die beklagte Partei M***** L*****, vertreten durch Dr. Andreas Manak, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Zahlung (Streitwert 22.560,40 EUR; Revisionsinteresse 7.200 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 20. Oktober 2011, GZ 8 Ra 119/11w‑20, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 29. Juli 2011, GZ 34 Cga 97/10m‑14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Eine Vereinbarung, durch die der Angestellte für die Zeit nach der Beendigung des Dienstverhältnisses in seiner Erwerbstätigkeit beschränkt wird (Konkurrenzklausel), ist nach § 36 Abs 2 AngG unwirksam, wenn sie im Rahmen eines Dienstverhältnisses getroffen wird, bei dem das für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührende Entgelt das Siebzehnfache der (täglichen) Höchstbeitragsgrundlage nach § 45 ASVG (im Jahr 2010: 2.329 EUR [§ 45 iVm § 108 Abs 1 und 3 ASVG iVm Art I § 1 Z 2 der Kundmachung BGBl II 2009/450]) nicht übersteigt. Der Revisionswerber steht auf dem Standpunkt, dass die von ihm als Angestellter bei der Klägerin bezogenen Provisionen bei der Entgeltgrenze des § 36 Abs 2 AngG nicht zu berücksichtigen seien. Maßgeblich sei nur das Grundgehalt (Fixum), das in seinem Fall das Siebzehnfache der (täglichen) Höchstbeitragsgrundlage nach § 45 ASVG nicht überstiegen habe. Die im Arbeitsvertrag mit der Beklagten vom 8. 9. 2009 vereinbarte Konkurrenzklausel sei daher unwirksam.

Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird damit nicht aufgezeigt. Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits in seiner Vorjudikatur mit der mit AngG‑Novelle BGBl I 2006/35 in § 36 Abs 2 AngG eingeführten „Entgeltgrenze“ auseinandergesetzt (8 ObA 16/09z = Burger‑Ehrnhofer, Endlich Rechtsprechung zur Frage der Berücksichtigung von Sonderzahlungen bei der Berechnung der Entgeltgrenze für Konkurrenzklauseln, RdW 2009, 761; Schrank, Ausgewähltes Judikatur‑Update, ZAS 2010, 125 [133]; 9 ObA 154/09a = ecolex 2010, 789 [Niksova] ua). Dabei wurde die Überzeugung gewonnen, dass der Gesetzgeber dadurch, dass er im Zusammenhang mit der Ermittlung der Entgeltgrenze des § 36 Abs 2 AngG von dem „für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Entgelt“ ausgeht, das wortgleich die Basis für die Ermittlung der Abfertigung nach § 23 Abs 1 AngG darstellt, hinreichend klar zum Ausdruck gebracht hat, dass diese identen Begriffe in den unterschiedlichen Gesetzesstellen desselben Gesetzes auch ident zu verstehen sind. Eine systematische Auslegung kommt nicht an der Tatsache vorbei, dass im selben Gesetz bereits an anderer Stelle dieselbe Wortfolge verwendet wurde (Burger‑Ehrnhofer, RdW 2009, 761 [763] ua). Die Anknüpfung an § 45 ASVG soll lediglich gewährleisten, dass die maßgebende Entgeltgrenze an eine wertangepasste Determinante gebunden ist (Oberhofer, Ausbildungskostenrückersatz und Konkurrenzklausel Neu, ZAS 2006, 152 [160]; Eypeltauer, Einbeziehung der Sonderzahlungen in die Entgeltgrenze für Konkurrenzklauseln, ecolex 2006, 678 ua).

Das Berufungsgericht hielt sich daher bei Ermittlung des für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Entgelts des Beklagten zu Recht an die von der Lehre gebilligte ständige Rechtsprechung zu § 23 Abs 1 AngG. Danach entspricht es der herrschenden Auffassung, dass das nach § 23 Abs 1 AngG die Basis der Berechnung des Abfertigungsanspruchs darstellende, für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührende Entgelt jede Leistung umfasst, die der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber dafür bekommt, dass er ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Schwankt die Höhe des Entgelts innerhalb des letzten Jahres vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ist der Durchschnittsverdienst als Bemessungsgrundlage der Abfertigung zu Grunde zu legen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Schwankungen durch variable Prämien, Zulagen, Sonderzahlungen, Überstundenentgelte oder ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ durch Provisionen bewirkt werden (Mayr in ZellKomm² § 23 AngG Rz 25 f mwN; Reissner in ZellKomm² § 36 AngG Rz 89; 8 ObA 16/09z; 9 ObA 154/09a; RIS‑Justiz RS0028581, RS0043295 ua). Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach „das für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührende Entgelt“ auch die im Durchschnitt vom Beklagten bei der Klägerin bezogene Provision umfasst, ist daher nicht zu beanstanden (vgl Oberhofer, ZAS 2006, 152 [160]; Neubauer/Rath, Nochmals zu den Neuerungen bei der Konkurrenzklausel und bei Ausbildungskostenrückersatz, ASoK 2007, 46 [49] ua). Sie entspricht der Rechtsprechung zu § 23 AngG (RIS‑Justiz RS0027971 ua), deren Anwendung auf § 36 Abs 2 AngG vom Obersten Gerichtshof gebilligt wird.

Die Überlegung des Revisionswerbers, dass der Entgeltbegriff des § 36 Abs 2 AngG in seiner arbeitnehmerfreundlichen Schutzfunktion teleologisch dahin auszulegen sei, dass ausschließlich das „Grundgehalt“ maßgeblich sei (in diesem Sinn insbesondere Schindler in Mazal/Risak, Arbeitsrecht Kap XX Rz 175), überzeugt nicht. Die angesprochene „arbeitnehmerfreundliche Schutzfunktion“ manifestiert sich bereits darin, dass der Gesetzgeber die Konkurrenzklausel nicht unbeschränkt zuließ, sondern einer Entgeltgrenze unterwarf. Damit war klar, dass es in Zukunft über und unter der Entgeltgrenze liegende Fälle geben wird. Bei der betraglichen Ermittlung der Entgeltgrenze ist der Schutzgedanke nicht hilfreich, weil es gerade um die Frage geht, wie weit dieser Schutz im Einzelfall aufgrund der einzelnen arbeitsrechtlichen Bestimmung geht (vgl Eypeltauer, ecolex 2006, 678 [679] ua). Der Begriff „Grundgehalt“ wird im AngG nicht verwendet, ist aber dem österreichischen Recht nicht fremd. So wird etwa im AVRAG, das mit Novelle BGBl I 2006/36 in § 2c Abs 2 AVRAG für die Konkurrenzklausel ebenfalls eine Entgeltgrenze einführte, zwischen dem „Grundgehalt“ und „weiteren Entgeltbestandteilen“ (§ 2 Abs 2 Z 9 AVRAG) einerseits und dem ‑ für die Entgeltgrenze maßgebenden ‑ „für den letzten Monat des Arbeitsverhältnisses gebührenden Entgelt“ (§ 2c Abs 2 AVRAG) andererseits unterschieden. Die vom Revisionswerber angestrebte Gleichstellung von „Grundgehalt“ und „Entgelt“ scheidet damit für das AVRAG aus. Es ist vielmehr der arbeitsrechtliche weite Entgeltbegriff zu Grunde zu legen (Binder, AVRAG² § 2c Rz 6; Holzer/Reissner, AVRAG² Nachtrag 2006 § 2c Rz 6 ua). Ein Grund, bei gleichem Regelungswortlaut die Entgeltgrenzen des AngG und des AVRAG unterschiedlich zu ermitteln, ist nicht zu erkennen. Dass Konkurrenzklauseln und Abfertigungen unterschiedliche Ziele verfolgen, wird vom Obersten Gerichtshof nicht verkannt. Ein zureichender Grund, den bei beiden Regelungen verwendeten Begriff des „für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Entgelts“ unterschiedlich zu verstehen, ist dies jedoch nicht. Gerade im Bereich, wo Provisionen eine Rolle spielen, sind Kundenkontakte und Kundenstamm meist besonders bedeutsam und Konkurrenzklauseln daher ein nachvollziehbares Anliegen der Arbeitgeber (Theuer, Entgeltgrenze und Entgeltbegriff bei der Konkurrenzklausel [§ 36 AngG; § 2c AVRAG], JBl 2010, 9 [18] ua). Dem Ansatz des Revisionswerbers, unter „Entgelt“ in § 36 Abs 2 AngG sei nur das „Grundgehalt“ zu verstehen, kann daher nicht beigetreten werden (vgl Reissner in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 36 Rz 110a; Neubauer/Rath, ASoK 2007, 46 [48 f]; aM Heilegger, Neuregelung von Konkurrenzklausel und Ausbildungskostenrückersatz, RdW 2006, 287; Resch in Löschnigg, AngG8 § 36 Rz 52 ua).

Die vom Revisionswerber gehegte Befürchtung, dass die Berücksichtigung von Provisionen bei der Ermittlung der Entgeltgrenze zu „ganz zufälligen Ergebnissen“ führe, ist unbegründet. Dass beim Regelungskonzept des § 36 Abs 2 AngG in der Regel erst bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststeht, ob die seinerzeit im Arbeitsvertrag vereinbarte Konkurrenzklausel wirksam ist, ist nicht zu vermeiden. Im Übrigen sorgt aber gerade die oben genannte Durchschnittsbetrachtung dafür, dass es eben nicht auf die vom Revisionswerber befürchteten monatlichen Schwankungen der Provisionen ankommt (vgl Reissner in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 36 Rz 110a ua), sodass der „Zufall“ einer besonders hohen, für das Überschreiten der Entgeltgrenze verantwortlichen Provision für den letzten Monat des Arbeitsverhältnisses ausreichend entschärft erscheint.

Auch die Befürchtung des Revisionswerbers bezüglich der „leichten Manipulierbarkeit“ der Entgeltgrenze erscheint übertrieben. Dass im Fall eines Entgelts nahe der Entgeltgrenze Manipulationen (beider Parteien) nicht völlig ausgeschlossen werden können, um über die Entgeltgrenze zu kommen oder unter der Entgeltgrenze zu bleiben, mag durchaus sein. Dies gilt aber in modifizierter Form auch für das dem Revisionswerber vorschwebende Abstellen auf das Grundgehalt. Gerade im Fall des Beklagten hat sich die Befürchtung eines „leistungsfeindlichen Regimes“ nicht verwirklicht, lag doch bei ihm das Entgelt (Grundgehalt zuzüglich anteiliger Sonderzahlungen zuzüglich durchschnittlicher Provision) über der Entgeltgrenze.

Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Beklagten zurückzuweisen.

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