OGH 9ObA130/12a

OGH9ObA130/12a21.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, Johann-Böhm-Platz 1, 1020 Wien, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Antragsgegner Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, über den Antrag auf Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass die zwischen dem Österreichischen Gewerkschaftsbund und dem Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs abgeschlossenen Verbandsempfehlungen zur Regelung der Pensionszulage und deren Valorisierung als Kollektivverträge zu qualifizieren bzw Kollektivverträgen gleichzusetzen sind, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Der Antragsteller begehrt die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG, die für mindestens drei Arbeitgeber und drei Arbeitnehmer von Bedeutung sei. Er bringt dazu vor, zwischen ihm und dem Antragsgegner würden die Kollektivverträge für Angestellte des Innendienstes der Versicherungsunternehmen sowie für Angestellte des Außendienstes der Versicherungsunternehmen abgeschlossen. Ergänzend seien zwischen ihnen seit den 1950er Jahren auch jeweils die sogenannten „Zusatzprotokolle und Verbandsempfehlungen“ verhandelt und vereinbart worden. Beide Kollektivvertragsparteien seien lange Zeit der Ansicht gewesen, dass die Verbandsempfehlungen zwingende Normen seien und auch die Rechtswirkungen eines Kollektivvertrags entfalten sollten. Sie würden auch in rechtlicher Hinsicht Kollektivverträgen entsprechen, weil es sich um schriftliche Vereinbarungen zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner handle, ihr maßgeblicher Teil die Regelungen über die den ArbeitnehmerInnen zugesicherten Pensionszulagen betreffe, der Inhalt der Verbandsempfehlungen daher im Ermächtigungskatalog des § 2 Abs 2 ArbVG Deckung finde und die Hinterlegung und Kundmachung der Verbandsempfehlungen jeweils gemäß den Publikationsvorschriften des § 14 ArbVG erfolgt sei. Die Bezeichnung „Verbandsempfehlung“ sei lediglich historisch bedingt. Im Einzelnen seien die auf der Grundlage der Verbandsempfehlungen ausbezahlten Pensionszuschüsse von 1945 bis 2009 - mit einer Aussetzung der Valorisierung von 1990 bis 1994 - ständig angepasst worden. Dazu sei in den Kollektivverträgen, zuletzt in jenem vom 17. 5. 2008, jährlich festgelegt worden, mit welchem Prozentsatz die Pensionszulagen gemäß Verbandsempfehlung erhöht würden. Die Kollektivverträge seien von den Kollektivvertragsparteien im Amtsblatt zur Wiener Zeitung kundgemacht und beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hinterlegt worden. Da die Kollektivvertragsparteien die Pensionszulagen gemäß Verbandsempfehlung jeweils verhandelt und erhöht hätten, hätten sie das Verständnis gehabt, die Verbandsempfehlungen seien ein Kollektivvertrag oder einem solchen gleichzuhalten. Erstmals 2009 habe der Antragsgegner dem Antragsteller im Zuge der Kollektivvertragsverhandlungen mündlich mitgeteilt, dass die Erhöhungen nicht Inhalt der Verhandlungen seien. Vielmehr habe er den Verbandsmitgliedern mitgeteilt, dass die Anpassung der Staffelsätze jedem Mitgliedsunternehmen überlassen bleibe. Die Bemühungen des Antragstellers, derartige Verhandlungen mit der Antragsgegnerin aufzunehmen, seien ins Leere gegangen. Der Antragsgegner erachte die Verbandsempfehlungen als rechtlich unverbindlich. Dies begründe das Interesse des Antragstellers an der begehrten Feststellung.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurück-, in eventu abzuweisen, weil die Verbandsempfehlungen - zusammengefasst - weder die Formvorschriften eines Kollektivvertrags erfüllten noch Vereinbarungen seien. Sie seien auch nicht „fehlbezeichnet“, sondern schlicht einseitige Verbandsempfehlungen des Arbeitgeberinteressenverbands ohne normative Wirkung. Historisch gesehen sei bewusst kein Kollektivvertrag über Pensionszulagen geschlossen worden. Entsprechende Forderungen des Antragstellers seien abgelehnt worden. Eine rechtliche Relevanz der gewünschten Feststellung sei nicht ersichtlich. Der Antragsgegner könne auch nicht zur Aufnahme von Verhandlungen über Pensionszulagen gezwungen werden.

Folgendes ist zu erwägen:

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 54 Abs 2 ASGG können kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer bzw der Arbeitgeber beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Antrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist. Gemäß § 54 Abs 4 ASGG hat der Oberste Gerichtshof über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden.

Dass der vorliegende Feststellungsantrag mindestens drei Arbeitnehmer betrifft, bestreitet auch die Antragsgegnerin nicht. Er ist daher zulässig, jedoch aus folgenden Überlegungen nicht berechtigt.

2. Ein Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs 2 ASGG muss einen Sachverhalt enthalten, der ein Feststellungsinteresse begründet. Die Formulierung der Bestimmung deckt sich mit jener des § 228 ZPO. Danach kann das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen mit Feststellungsklage dann geltend gemacht werden, wenn ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung besteht. Dieses rechtliche Interesse ist vom Obersten Gerichtshof auf der Grundlage des vom Antragsteller zu behauptenden Sachverhalts, der auch auf das rechtliche Interesse Bezug nehmen muss, von Amts wegen zu prüfen. Sein Fehlen führt nach ständiger Rechtsprechung zur Abweisung des Antrags (9 ObA 131/10w mwN). Für ein Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG eignen sich nur Sachverhalte, aus denen eindeutige Rechtsfolgen abgeleitet werden können (RIS-Justiz RS0085635). Zum angegebenen Sachverhalt gehören auch jene Fakten, die den vom Antragsteller zur Unterstützung seines Vorbringens vorgelegten Umständen im Rahmen dieses Vorbringens zu entnehmen sind (RIS-Justiz RS0085735). Feststellungsanträge zur Klärung abstrakter Rechtsfragen, denen bloß theoretische Bedeutung zukommt, erfüllen die Voraussetzungen eines rechtlichen Interesses auch im Rahmen eines Feststellungsantrags nach § 54 Abs 2 ASGG nicht, weil abstrakte Rechtsfragen grundsätzlich nicht feststellungsfähig sind (RIS-Justiz RS0109383). Der Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG muss ebenso wie eine Feststellungsklage der Prävention und der Prozessökonomie dienen. Insofern unterscheidet sich das Modell des besonderen Feststellungsverfahrens nach § 54 Abs 2 ASGG von einer reinen Gutachtertätigkeit (9 ObA 131/10w mwN; RIS-Justiz RS0109383).

Ein solches Feststellungsinteresse zeigt der Antragsteller aus den nachstehenden Erwägungen nicht auf.

3. Der Antragsteller zielt nicht darauf ab, aus Gründen der Prozessprävention oder -ökonomie konkrete Ansprüche von Arbeitnehmern klären zu lassen. Insbesondere ist dem Antrag nicht zu entnehmen, dass Mitglieder des Antragsgegners entgegen den bisherigen Zusagen keine Pensionszulagen etc gewährt hätten. Dem Antragsteller ist aber zuzugestehen, dass auch die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen bestimmte Erklärungen der Kollektivvertragsparteien als Kollektivvertrag zu verstehen sind, prinzipiell zur Begründung eines Feststellungsinteresses iSd § 54 Abs 2 ASGG geeignet sein kann, weil damit das Bestehen eines Rechtsverhältnisses geklärt würde, das für mindestens drei Arbeitnehmer von Bedeutung ist.

4. Kollektivverträge sind Vereinbarungen, die zwischen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber einerseits und der Arbeitnehmer andererseits schriftlich abgeschlossen werden (§ 2 Abs 1 ArbVG). Jeder Kollektivvertrag ist nach seinem Abschluss unverzüglich von den daran beteiligten kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitnehmer in (idR) zwei von den vertragsschließenden Parteien ordnungsgemäß gezeichneten Ausfertigungen beim Bundesministerium für soziale Verwaltung zu hinterlegen (§ 14 Abs 1 ArbVG). Von diesem ist der Kollektivvertragsabschluss innerhalb einer Woche nach der Hinterlegung kundzumachen (§ 14 Abs 3 ArbVG). Die „Verbandsempfehlungen“ erfüllen jedoch weder die formalen noch die inhaltlichen Voraussetzungen eines Kollektivvertrags:

4.1. Der Antragsteller beruft sich darauf, dass die Kollektivverträge für Angestellte des Innendienstes der Versicherungsunternehmen und für Angestellte des Außendienstes der Versicherungsunternehmen bis 2009 jeweils eine Klausel zur Erhöhung der Pensionszulage enthielten und unterzeichnet, hinterlegt und kundgemacht wurden. Tatsächlich enthalten diese Kollektivverträge jeweils die Klausel, dass die Pensionszulagen Innen-(bzw Außen-)dienst „gemäß Verbandsempfehlung“ um einen bestimmten Prozentsatz erhöht werden. Diese Kollektivverträge können für die begehrte Feststellung aber nicht maßgeblich sein, weil sie dem Grunde nach keine Verpflichtung zur Gewährung einer Pensionszulage festlegen, aber auch den Antragsgegner nicht verpflichten, in den Folgejahren eine Valorisierungsklausel zu verhandeln und zu vereinbaren.

4.2. Zum Nachweis der Verbandsempfehlungen selbst hat der Antragsteller ein mit „Verbandsempfehlungen und Zusatzprotokolle“ betiteltes Urkundenkonvolut (Beil ./A1) vorgelegt, das mit einem an Betriebsratsmitglieder gerichteten Schreiben des Sektionsvorsitzenden und des Leitenden Sekretärs der Gewerkschaft beginnt, in dem zwischen Zusatzprotokollen als „zwingende Normen mit Rechtswirkung wie ein Kollektivvertrag“ und Verbandsempfehlungen, „die keine zwingenden Normen sind“, unterschieden wird. Hinsichtlich der Pensionszusagen enthält das Urkundenkonvolut eine „Neuregelung der Verbandsempfehlung der Pensionszulage Innendienst - 1. 4. 1990“ mit dem einleitenden Wortlaut:

„Der Verband empfiehlt seinen Mitgliedsunternehmen, ihren Innendienstangestellten freiwillig eine Pensionszulage nach Maßgabe folgender Bestimmungen zu gewähren: …“

Ein weiterer Text lautet:

Außendienst (KVA)

Der Versicherungsverband empfiehlt seinen Mitgliedsunternehmungen, eine Pensionszulage an alle Angestellten auszuzahlen, die eine Pension nach dem ASVG beziehen. Das nach Maßgabe folgender Bestimmungen: …

g) Schlussbestimmungen:

Die jeweiligen Staffelbeträge für den Außendienst sowie die Übergangsregelung für Angestellte, die vor dem 1. 1. 1959 in Pension gegangen sind, werden jährlich in den Gehaltsverhandlungen für den Außendienst neu geregelt und den Mitgliedern der Sektion Versicherung bekanntgegeben.“

Keiner der Texte ist datiert oder unterschrieben.

Dass auch diese Verbandsempfehlungen von den Parteien unterzeichnet, iSd § 14 Abs 1 ArbVG hinterlegt und iSd § 14 Abs 3 ArbVG kundgemacht worden wären, geht weder aus der Beilage noch aus dem Antragsvorbringen hervor, sodass sie schon den formalen Anforderungen eines Kollektivvertrags nicht entsprechen.

4.3. Inhaltlich kann die zitierte Klausel „Der Verband empfiehlt seinen Mitgliedsunternehmen, ihren Innendienstangestellten freiwillig eine Pensionszulage nach Maßgabe folgender Bestimmungen zu gewähren ...“ schon nach ihrem Wortlaut nicht dahin verstanden werden, dass der Antragsgegner mit dem - in diesem Punkt auch nicht erwähnten - Antragsteller übereingekommen wäre, für die Mitgliedsunternehmen unmittelbar und verbindlich Recht zu setzen (arg „empfiehlt“; „freiwillig“).

4.4. Die Klausel „Die jeweiligen Staffelbeträge … werden jährlich in den Gehaltsverhandlungen für den Außendienst neu geregelt und den Mitgliedern der Sektion Versicherung bekanntgegeben“ ist ebenfalls nicht dazu angetan, normative Wirkung für die Mitglieder der Kollektivvertragsparteien zu entfalten, sondern könnte allenfalls diese selbst binden (schuldrechtliche Funktion). Sie wäre daher nach den Regeln der §§ 914 ff ABGB auszulegen. Aus der Sicht eines redlichen Erklärungsempfängers legt diese Schlussbestimmung aber nur eine Modalität für die Festlegung der Pensionszulagenhöhe fest, ohne den unverbindlichen Rahmen der Verbandsempfehlung zu verlassen.

4.5. Da vom Antragsteller und vom Antragsgegner als Kollektivvertragsparteien eine hohe Kenntnis der Erfordernisse eines wirksamen Kollektivvertragsabschlusses zu erwarten ist und sie einen bestimmten Regelungsgegenstand dann, wenn er zum Inhalt eines Kollektivvertrags werden soll, auch entsprechend zu bezeichnen und zu formulieren wissen, spricht nicht zuletzt der Umstand, dass die Verbandsempfehlungen bisher nicht in die Kollektivverträge für Angestellte des Innendienstes der Versicherungsunternehmen und für Angestellte des Außendienstes der Versicherungsunternehmen einbezogen oder so bezeichnet wurden, gegen einen Verpflichtungswillen des Antragsgegners.

5. Zusammenfassend wurde vom Antragsteller nicht mit der im Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG gebotenen Eindeutigkeit dargetan, dass die verfahrensgegenständlichen Verbandsempfehlungen die formalen und inhaltlichen Anforderungen eines Kollektivvertrags erfüllen. Er kann daraus auch kein entsprechendes Feststellungsinteresse iSd § 54 Abs 2 ASGG ableiten.

Dem Antrag ist daher ein Erfolg zu versagen.

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