European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00126.15T.1126.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.189,44 EUR (darin enthalten 198,24 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Der Kläger ist seit 15. 10. 2007 bei den Beklagten beschäftigt. Bis 8. 7. 2012 war er als Arzt in Facharztausbildung tätig. Nach seinem Arbeitsvertrag sollte sein Jahresbruttoentgelt mit Inkrafttreten eines Kollektivvertrags für die Universitäten automatisch auf eine allfällige höhere Mindestentlohung für einen gleichwertigen Facharzt in Ausbildung angehoben werden. Mit 1. 10. 2009 trat der Kollektivvertrag für die ArbeitnehmerInnen der Universitäten in Kraft. Der Kläger wurde erst mit August 2012 in den Kollektivvertrag überführt.
Der Kollektivvertrag enthält auszugsweise folgende Bestimmungen:
„ § 5 Allgemeine Bestimmungen und Sonderbestimmungen
...
(2) ArbeitnehmerInnen der Universitäten sind:
1. Angehörige des wissenschaftlichen/künstler-ischen Universitätspersonals (§ 94 Abs 2 UG); oder
2. Angehörige des allgemeinen Universitätspersonals (§ 94 Abs 3 UG).
§ 44 Ärzte/Ärztinnen in Facharztausbildung
(1) Ärzte/Ärztinnen in Facharztausbildung sind Turnusärzte/Turnusärztinnen, die sich gemäß § 8 Ärztegesetz 1998 in Ausbildung in seinem Sonderfach und den hiefür einschlägigen Nebenfächern befinden.
(2) Das Arbeitsverhältnis dient der Ausbildung zum Facharzt/zur Fachärztin (§ 8 Ärztegesetz 1998), der Vorbereitung auf eine allfällige universitäre Karriere als wissenschaftliche/r MitarbeiterIn sowie der Vertiefung und Erweiterung der fachlichen Bildung.
(3) …
§ 49 Gehaltsschema für das wissenschaftliche und künstlerische Universitätspersonal
…
(3) Der monatliche Bruttobezug in der Gehaltsgruppe B1 beträgt …
§ 64 Geltendmachung von Ansprüchen
...
(2) Andere als die in Abs 1 genannten Ansprüche sind bei sonstigem Ausschluss innerhalb von sechs Monaten ab Fälligkeit vom/von der ArbeitnehmerIn bei der Universität schriftlich geltend zu machen.
(3) Bei rechtzeitiger Geltendmachung nach Abs 1 und 2 bleiben die Ansprüche auch über die dort vorgesehenen Fristen hinaus gewahrt, wenn der/die ArbeitnehmerIn innerhalb von
a) drei Monaten nach Erhalt einer endgültigen abschlägigen Mitteilung der Universität,
b) sechs Monaten, falls sich die Universität bis dahin nicht schriftlich geäußert hat,
Klage beim zuständigen Gericht einbringt.
§ 67 Ärzte/Ärztinnen in Facharztausbildung
Für ArbeitnehmerInnen nach § 44 gelten §§ 49 und 68 mit der Maßgabe, dass sie in die Verwendungsgruppe B1 und, soweit mit ihnen eine Qualifizierungsvereinbarung (§ 46) getroffen wurde, in die Gehaltsgruppe A2 einzureihen sind.
§ 68 Gehaltsschema für das wissenschaftliche Universitätspersonal (Sonderbestimmung zu § 49)
(1) Für ArbeitnehmerInnen nach § 5 Abs 2 Z 1, die im klinischen Bereich einer Medizinischen Universität ärztlich oder zahnärztlich verwendet werden, gilt § 49 Abs 6. Die Abgeltung von Journaldiensten (§ 69) und Rufbereitschaften (§ 70) bleibt hievon unberührt.
…
§ 78 Wissenschaftliche/Künstlerische Mitarbeiter-Innen in Ausbildung, Assistenten/Assistentinnen ohne Doktorat, Assistenten/Assistentinnen nach § 491 VBG
(1) Für wissenschaftliche/künstlerische Mitarbeiter-Innen, die nach dem 31. Dezember 2003 und vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Kollektivvertrags in ein Arbeitsverhältnis zur Universität aufgenommen wurden, das im Wesentlichen den Regelungen in §§ 6 ff UniAbgG (insbesondere im Hinblick auf die Einräumung von Zeit für Erbringung selbständiger wissenschaftlicher oder künstlerischer Leistungen sowie für einschlägige Aus‑ und Fortbildung und die vom Assistent/inn/enschema abweichende Entgelthöhe) entspricht, gelten abweichend von §§ 31, 49 und 76 das Beschäftigungsausmaß, die Aufgabenfestlegung sowie das Entgelt, wie im jeweiligen Arbeitsvertrag festgelegt, als zwingender Mindeststandard. Das Entgelt beträgt mindestens das nach § 6f Abs 1 Z 1 iVm § 7 Abs 6 UniAbgG ab 1. Oktober 2009 geltende Ausmaß. … f
(2) ....“
Es gab mehrere Informationsveranstaltungen, in denen die Ärzte über das Inkrafttreten des Kollektivvertrags informiert wurden. Die Beklagte stuft Fachärzte in Ausbildung, die nach dem 1. 10. 2009 eingestellt wurden, nach dem Kollektivvertrag in B1 ein. Fachärzte in Ausbildung mit Altverträgen wurden nach dem im Dienstvertrag vereinbarten Bezug bezahlt, weil die Beklagte auf dem Standpunkt steht, dass auf deren Entlohnung § 78 KV anzuwenden ist. Diese Mitarbeiter haben auch keine Mitteilung über ihre Einstufung erhalten. Aufgrund der Unklarheiten über die Einstufung nichtwissenschaftlicher Mitarbeiter richtete die Beklagte ein Schreiben an den Betriebsrat II für das allgemeine Universitätspersonal, in dem ein Verjährungsverzicht dahin abgegeben wurde, dass die Sechs-Monatsfrist des § 64 KV für Ansprüche aus individuellen Einstufungen des allgemeinen Universitätspersonals erst mit 1. 10. 2010 oder einem allfälligen späteren Zeitpunkt der Mitteilung über die Einstufung zu laufen beginnen sollte. Der Kläger kannte dieses Schreiben nicht und erhielt keine schriftliche Mitteilung über seine Einreihung. Er erhielt auch keine Information über das Inkrafttreten des Kollektivvertrags und wandte sich nicht an den für ihn zuständigen Betriebsrat I (Betriebsrat für das wissenschaftliche Personal). Mit Schreiben vom 4. 2. 2014 forderte er die Beklagte zur rückwirkenden Aufrollung seiner Bezüge und der Zahlung der Entgeltdifferenzen auf.
Der Kläger begehrt mit seiner am 26. 3. 2014 eingebrachten Klage die der Höhe nach unstrittigen Entgeltdifferenzen für den Zeitraum Jänner 2011 bis 8. 7. 2012 nach Maßgabe von § 49 Abs 3 KV. § 78 KV sei nicht anzuwenden, weil er als Facharzt in Ausbildung angestellt worden sei, nicht aber als wissenschaftlicher/künstlerischer Mitarbeiter in Ausbildung. Mangels Information des Klägers widerspreche der Verfallseinwand Treu und Glauben. Obwohl der Beklagten die Problematik der Überführung der Ärzte in Facharztausbildung bekannt gewesen sei, habe sie die Ärzte mit Altverträgen nicht in den Kollektivvertrag überführt und ihnen keine Informationen betreffend ihre Einstufung zukommen lassen. Dies wiege umso schwerer, als den betroffenen Ärzten in vielen Fällen mündlich als auch schriftlich zugesagt worden sei, dass keine Überführung in den Kollektivvertrag geschuldet werde bzw die Einstufung ordnungsgemäß sei. Die Beklagte habe auch keinen Dienstzettel und keinen Arbeitsvertrag ausgehändigt. Da Ärzte in Fachausbildung zum allgemeinen Universitätspersonal gehörten, sei auch der Verjährungs‑ und Verfallsverzicht der Beklagten beachtlich. Die „doppelte“ Verfallsfrist des § 64 KV sei überdies sittenwidrig. Die Ansprüche würden auch auf Schadenersatz gestützt, weil die Beklagte wider besseres Wissen keine Überführung in den Kollektivvertrag vorgenommen habe.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und hielt dem entgegen, dass der Kläger als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingetreten sei, sodass das Gehaltsschema des § 49 KV kraft ausdrücklicher Anordnung des § 78 KV nicht zu beachten sei. Eine Umstufungsproblematik habe sich nicht ergeben. Es sei daher auch keine Verpflichtung zur Aushändigung einer Änderungsmeldung iSd § 76 Abs 3 KV ausgelöst worden. Überdies seien die Ansprüche gemäß § 64 KV und Punkt 21 des Dienstvertrags verfallen. Dies gelte auch für das Schadenersatzbegehren des Klägers.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. § 78 beziehe sich auf alle wissenschaftlichen und künstlerischen MitarbeiterInnen. Fachärzte in Ausbildung gehörten gemäß § 94 Abs 3 Z 6 UG zum allgemeinen Universitätspersonal, würden jedoch hinsichtlich der Arbeitnehmervertretung gemäß § 135 Abs 3 UG dem wissenschaftlichen Universitätspersonal zugerechnet. Da der Kollektivvertrag in § 5 Abs 2 die Personalkategorien des UG übernehme und dabei ausdrücklich auf § 94 Abs 2 und 3 UG verweise, gehörten auch Fachärzte in Ausbildung dem allgemeinen Universitätspersonal an. Die Bestimmung des § 78 KV komme nicht zur Anwendung, der Kläger sei daher gemäß den §§ 76 Abs 3, 49 KV wie andere Fachärzte in Ausbildung zu entlohnen. Gemäß § 64 Abs 2 iVm Abs 3 lit a KV seien die Ansprüche aber verfallen. Die dort normierte Frist sei nicht sittenwidrig. Die Berufung auf die Verfallsklausel verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben, weil es die Beklagte nicht darauf angelegt habe, die rechtzeitige Anspruchsdurchsetzung durch den Kläger zu verhindern. Die an den Betriebsrat für das allgemeine Universitätspersonal gerichtete Erklärung der Beklagten sei darauf ohne Einfluss. Das Schadenersatzbegehren sei nicht berechtigt, weil die Beklagte nicht in vorwerfbarer Weise die vermögensrechtlichen Interessen des Klägers verletzt habe.
Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht, erklärte die Revision jedoch für zulässig, weil der Frage der Zulässigkeit der in § 64 KV normierten Verfallsklausel eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht zulässig, weil die revisionsgegenständlichen Fragen des Verfalls der Ansprüche sowie allfälliger Schadenersatzansprüche des Klägers in der ein Parallelverfahren betreffenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 29. 10. 2015, 8 ObA 75/15k, geklärt wurden.
1. Fachärzte in Ausbildung sind nach der genannten Entscheidung ‑ wie auch durch die Novelle 2015 zum UG 2002, BGBl I 2015/21, bekräftigt wurde ‑ dem wissenschaftlichen/künstlerischen Universitätspersonal zuzuzählen. Dies ist nicht weiter revisionsgegenständlich.
2. Der Kläger richtet sich gegen die Wirksamkeit der Verfallsklausel, weil die darin vorgesehene doppelte Befristung (schriftliches Geltendmachen von Ansprüchen innerhalb von sechs Monaten, danach dreimonatige Klagsfrist) die Anspruchsdurchsetzung in sittenwidriger Weise erschwere. Dazu wurde in der Entscheidung 8 ObA 75/15k ausgeführt:
„Allgemein hält die Rechtsprechung eine Verkürzung der allgemeinen Verjährungsfrist (nicht aber einseitig zwingender gesetzlicher Verfallsfristen wie nach § 34 AngG oder § 1162d ABGB) durch eine Vereinbarung für zulässig. Dies gilt auch für die Geltendmachung von offenen Arbeitnehmeransprüchen im aufrechten Arbeitsverhältnis. De lege lata besteht keine gesetzliche Regelung, die eine Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfristen im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung in Arbeitsverträgen generell verbieten würde (9 ObA 1/14h).
Die vertraglichen Verfallsklauseln unterliegen allerdings der allgemeinen Sittenwidrigkeitskontrolle nach § 879 ABGB. Sie sind dann als sittenwidrig zu erachten, wenn sie die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschweren (RIS‑Justiz RS0016688).
Verfallsfristen von drei Monaten sind in Kollektivverträgen durchaus üblich und werden von der Rechtsprechung akzeptiert (vgl RIS‑Justiz RS0034517; 9 ObA 86/01i; 9 ObA 19/10z). Dies gilt auch für sogenannte 'doppelte Verfallsbestimmungen', bei denen in der Regel eine zunächst einzuhaltende längere Frist für eine außergerichtliche Geltendmachung der Ansprüche beim Arbeitgeber im Fall der Ablehnung mit einer kürzeren Frist für die gerichtliche Geltendmachung (kollektivvertragliche Klagsfrist) kombiniert wird (vgl 8 ObA 79/13w; Geiblinger, die Geltendmachung von Ansprüchen und deren Verfall nach den Kollektivverträgen, ASoK 2012, 295).
Die hier zu beurteilende Verfallsbestimmung nach § 64 KV unterliegt nach den dargestellten Grundsätzen keinem Sittenwidrigkeitsurteil. Die (kürzere) kollektivvertragliche Klagsfrist von drei Monaten hat der Kläger ohnedies eingehalten.“
Nichts anderes trifft im vorliegenden Fall zu. Der Kläger kann sich damit nicht auf die Unwirksamkeit der Klausel berufen.
3. Der Kläger bringt auch vor, dass der Verfallseinwand der Beklagten gegen Treu und Glauben verstoße, weil die Beklagte durch Nicht‑ und Falschinformation die Durchsetzung der Ansprüche verhindert habe. Sie habe die Einstufung entgegen § 76 Abs 3 und § 47 Abs 4 KV nicht mitgeteilt und bei Inkrafttreten des neuen Kollektivvertrags entgegen § 2 Abs 6 AVRAG auch keinen Dienstzettel ausgestellt.
Das Berufungsgericht hat die entsprechenden Grundsätze zutreffend dargelegt, wonach für eine Unzulässigkeit des Verfallseinwands vorausgesetzt ist, dass dem Arbeitgeber ein bewusstes rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen ist, das von der Absicht getragen ist, die Anspruchsdurchsetzung durch den Arbeitnehmer zu verhindern oder zumindest ernsthaft zu erschweren (RIS‑Justiz RS0051974; RS0034487). Dass es ein solches rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten verneinte, entspricht auch der Entscheidung 8 ObA 75/15k, in der die Rechtsauffassung der Beklagten zu § 78 KV als nicht offenkundig unrichtig bzw unvertretbar angesehen wurde, weil der Themenkomplex erstmals durch jene Entscheidung geklärt wurde. Damit im Zusammenhang wurde auch die Pflicht des Dienstgebers zur Bekanntgabe der Einreihung (Einstufung) samt Höhe des Entgelts durch Dienstzettel oder Arbeitsvertrag nach § 47 Abs 4 KV bzw § 2 Abs 6 AVRAG gesehen. Da sich die Beklagte im Ergebnis daher auf die Verfallsklausel berufen konnte, wurde dem Vorbringen des Klägers, dass die Verjährungseinrede gegen Treu und Glauben verstoße, von den Vorinstanzen zu Recht nicht gefolgt.
Die vom Kläger vermissten detaillierten Feststellungen dazu, dass die Beklagte tatsächlich Kenntnis von der Einstufungsproblematik gehabt habe, es bei Informationsveranstaltungen jedoch keine Information dahin gegeben habe, dass die Ärzte in Facharztausbildung mit Altverträgen nicht in den Kollektivvertrag überführt würden, könnten an dieser rechtlichen Beurteilung nichts ändern. Sie sind daher nicht weiter entscheidungswesentlich.
4. Zum Schadenersatzanspruch des Klägers haben die Vorinstanzen zutreffend festgehalten, dass ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht nicht schon in der Verletzung der Entgeltzahlungspflicht an sich liegen kann, sondern vielmehr ein besonderer Umstand hinzutreten müsste, der den Vorwurf rechtfertigt, der Dienstgeber habe in vorwerfbarer Weise ‑ über den Verzug mit den geschuldeten Entgeltzahlungen hinaus ‑ die vermögensrechtlichen Interessen des Dienstnehmers verletzt (RIS‑Justiz RS0021541 [T3]; vgl 9 ObA 70/11a; 9 ObA 118/13y). Wie dargelegt, kann der Beklagten eine unvertretbare Rechtsansicht zu § 78 KV nicht angelastet werden. Damit ist aber auch ein Schadenersatzanspruch des Klägers in Höhe des vorenthaltenen Entgelts ausgeschlossen.
5. Da die Revision damit insgesamt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist sie zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (s RIS‑Justiz RS0035962; RS0035979).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)