OGH 9ObA108/11i

OGH9ObA108/11i24.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Sabine Duminger und Mag. Robert Brunner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** W*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Alexander Burkowski, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei A***** Bankaktiengesellschaft, *****, vertreten durch die Haslinger / Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Juni 2011, GZ 11 Ra 42/11t-17, womit das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. März 2011, GZ 11 Cga 23/11h-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Revisionsverfahren geht es - wie schon im Berufungsverfahren - nur mehr um die Betriebsvereinbarung „Pensionsreform '99“ (im Folgenden kurz Betriebsvereinbarung) vom 30. 12. 1999, mit der Alterspensions-Anwartschaften auf eine Pensionskasse übertragen wurden. Der Kläger begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit dieser Betriebsvereinbarung, woraus resultiere, dass ihm gegenüber der Beklagten eine Betriebspension aufgrund direkter Leistungszusage zustehe.

Das Klagebegehren wurde vom Erstgericht abgewiesen. Die Beklagte habe darauf vertrauen dürfen, dass der Zentralbetriebsrat zufolge Kompetenzübertragung durch den Betriebsrat zum Abschluss der Betriebsvereinbarung berechtigt gewesen sei. Die vom Kläger erhobene Berufung blieb ohne Erfolg. Das Berufungsgericht vertrat ebenfalls die rechtliche Beurteilung, dass die Beklagte von einer wirksamen Kompetenzübertragung ausgehen konnte. Die ordentliche Revision wurde mit der Begründung zugelassen, dass zum Vertrauensschutz des Betriebsinhabers bei einer Kompetenzübertragung nach § 114 ArbVG noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn der Klagestattgebung (beschränkt auf die Betriebsvereinbarung „Pensionsreform '99“) abzuändern.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte zurecht die Abweisung des Klagebegehrens durch das Erstgericht; auf dessen Begründung wird verwiesen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Zusammenfassend ist zur Kompetenzübertragung nach § 114 ArbVG, soweit dies im Revisionsverfahren relevant ist, Folgendes festzuhalten:

Zwischen den Parteien ist nicht weiter strittig, dass die gegenständliche Betriebsvereinbarung Angelegenheiten betrifft, die unter § 97 Abs 1 Z 18a ArbVG fallen, und dass die der Arbeitnehmerschaft zustehenden Befugnisse - soweit nichts anderes bestimmt ist, was hier nicht der Fall ist - nach § 113 Abs 1 ArbVG durch den Betriebsrat ausgeübt werden. Der Betriebsrat kann aber nach § 114 Abs 1 ArbVG dem Zentralbetriebsrat mit dessen Zustimmung die Ausübung seiner Befugnisse für einzelne Fälle oder für bestimmte Angelegenheiten übertragen. Diese Beschlüsse sind dem Betriebsinhaber nach § 114 Abs 4 ArbVG umgehend mitzuteilen und erlangen erst mit der Verständigung Rechtswirksamkeit.

Die gegenständliche Betriebsvereinbarung wurde auf Seite der Belegschaft nicht von einem oder mehreren Betriebsratskollegien, sondern vom Zentralbetriebsrat abgeschlossen. Ein ausdrücklicher Beschluss auf Übertragung der Befugnis zum Abschluss der Betriebsvereinbarung durch den Betriebsrat auf den Zentralbetriebsrat sowie die ausdrückliche Übernahme der Übertragung durch den Zentralbetriebsrat waren nicht feststellbar. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Betriebsinhaber allerdings weder berechtigt noch verpflichtet, Untersuchungen über die innere Willensbildung des Betriebsrats anzustellen, wenn ihm nicht bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, dass die Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden beschlussmäßig nicht gedeckt ist (RIS-Justiz RS0051490 ua). Wie der Oberste Gerichtshof ebenfalls schon mehrfach ausgesprochen hat, kann ein außenstehender Dritter - also insbesondere auch der Betriebsinhaber - die Erklärungen des Betriebsratsobmannes jedenfalls dann als rechtswirksame Stellungnahme des Betriebsratskollegiums ansehen, wenn ihm die dabei unterlaufene Verletzung der Vorschriften über die Willensbildung des Betriebsratskollegiums nicht bekannt war und auch nicht auffallen musste (RIS-Justiz RS0051485 ua).

Den häufigsten Anwendungsfall der vorstehend zitierten Rechtsprechung bildet die Zustimmung des Betriebsratsvorsitzenden zu einer vom Betriebsinhaber beabsichtigten Kündigung eines Arbeitnehmers (§ 105 ArbVG) und die dabei auftauchende Frage, ob sich die Zustimmung des Betriebsratsvorsitzenden auf einen entsprechenden Beschluss des Betriebsratskollegiums stützen kann (vgl 4 Ob 83/85; 9 ObA 26/88; 9 ObA 208/90; 9 ObA 300/97a; 9 ObA 8/04y ua). Der Oberste Gerichtshof machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass der grundlegende Gedanke, dass der Arbeitgeber keine Untersuchungen über die innere Willensbildung des Betriebsratskollegiums anstellen soll oder muss, wenn ihm nicht bekannt ist oder bekannt sein muss, dass die Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden beschlussmäßig nicht gedeckt ist, verallgemeinerungsfähig ist und über die Fälle der Zustimmung nach § 105 ArbVG hinausreicht. So wurden die vorstehenden Überlegungen auch schon auf den Fall von Mitteilungen des Betriebsratsvorsitzenden an den Betriebsinhaber im Zusammenhang mit dem Ergebnis einer Betriebsratswahl nach § 57 ArbVG angewendet (9 ObA 117/92). Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die vorstehenden Grundsätze sinngemäß auch auf die gegenständliche Situation der Willensbildung im Zusammenhang mit einer Kompetenzübertragung vom Betriebsrat auf den Zentralbetriebsrat und die Frage der Rechtswirksamkeit der Willensbildung gegenüber dem Betriebsinhaber (§ 114 ArbVG) anzuwenden sind, ist nicht zu beanstanden. Auch hier hatte der Betriebsinhaber keinen Einblick in die innere Willensbildung der beteiligten Kollegialorgane der Belegschaft.

§ 114 Abs 4 ArbVG hebt ausdrücklich hervor, dass die Kompetenzübertragung erst mit der Verständigung des Betriebsinhabers von den vorhergehenden Beschlüssen Rechtswirksamkeit erlangt. Vom Vorliegen der gebotenen Verständigung ist hier auszugehen. Zum einen gaben nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen die Betriebsratsvorsitzenden im Juni oder Juli 1999 in Anwesenheit der Vertreter der Beklagten bekannt, dass der Zentralbetriebsrat die Betriebsvereinbarung entwickeln und abschließen solle. Zum anderen ließ der Zentralbetriebsrat in der Folge bis einschließlich der Unterfertigung der fertigen Betriebsvereinbarung im Dezember 1999 gegenüber dem Betriebsinhaber sichtlich keinen Zweifel daran, dass er die übertragene Zuständigkeit auch tatsächlich in Anspruch nimmt. Die Frage, ob dem Betriebsinhaber eine allenfalls unterlaufene Verletzung der Vorschriften über die Willensbildung der Betriebsrats- und Zentralbetriebsratskollegien hätte bekannt sein müssen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Hier bestehen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betriebsinhaber von Mängeln in der Willensbildung ausgehen musste.

Überzeugende Argumente, weshalb die bisherige Rechtsprechung, wonach ein Betriebsinhaber bei Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden darauf vertrauen kann, dass diese durch ordnungsgemäße kollegiale Willensbildung zustandegekommen sind, nicht auch auf die vorliegende Konstellation übertragen werden kann, vermag der Revisionswerber nicht zu nennen. Der in der Revision anklingende Ansatz, die vorliegende Frage sei für die Belegschaft „bedeutender“ als die bisher dem Grundsatz, dass der Betriebsinhaber weder berechtigt noch verpflichtet ist, Untersuchungen über die innere Willensbildung des Betriebsrats anzustellen, unterstellten Fälle, ist schon vom Ansatz her verfehlt. Der Revisionswerber übergeht, dass auch der allgemeine Kündigungsschutz (§ 105 ArbVG) im Rahmen der Betriebsverfassung als Mitwirkungsrecht der Belegschaft geregelt ist und kollektivrechtlichen Charakter mit dem Ziel der Wahrnehmung der Gesamtinteressen der Arbeitnehmerschaft hat. Ob in Fällen anderer Betriebsvereinbarungen Unterschriftsblätter der Unterzeichnenden vorlagen oder nicht, ist hier nicht entscheidend. Dass der Zentralbetriebsrat bei der Unterfertigung der Betriebsvereinbarung nicht gehörig vertreten war, behauptet ohnehin niemand.

Richtig ist, dass der Dritte bei Fehlen einer Vollmacht im Innenverhältnis nur dann geschützt ist, wenn für ihn die Herstellung des Rechtsscheins kausal für den Abschluss des Rechtsgeschäfts war, wozu gehört, dass ihm zu diesem Zeitpunkt das den Rechtsschein auslösende Verhalten überhaupt bekannt war (RIS-Justiz RS0019490 ua). Daraus ist aber für den Klagestandpunkt nichts zu gewinnen. Denn wie bereits ausgeführt, war der Beklagten bekannt, dass die Betriebsratskollegien die Kompetenz zur Entwicklung und zum Abschluss der Betriebsvereinbarung an den Zentralbetriebsrat abgegeben hatten und dass der Zentralbetriebsrat in der Folge bis einschließlich der Unterfertigung die Kompetenz zum Abschluss der Betriebsvereinbarung auch tatsächlich in Anspruch nahm. Soweit dies der Revisionswerber negiert, geht er mit seinen Überlegungen nicht vom bindend festgestellten Sachverhalt aus. Ob die Beklagte ursprünglich der Meinung war, der Zentralbetriebsrat könne die Betriebsvereinbarung auch ohne Kompetenzübertragung abschließen, ist nicht entscheidend. Die Beklagte bezweifelte jedenfalls nie, mit dem zuständigen Belegschaftsorgan eine wirksame Betriebsvereinbarung abzuschließen.

Zusammenfassend ist der unbegründeten Revision des Klägers ein Erfolg zu versagen. Es bleibt bei der Bestätigung der Klageabweisung durch das Berufungsgericht.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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