European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:0090OB00083.09K.0630.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Ehegattin des Klägers hatte mit der Krankenanstalt L*****, dessen Träger die Beklagte ist, einen Behandlungsvertrag geschlossen. Sie wurde am 19. 9. 2007 zu einer notwendigen Umwandlung eines Magenbandes in einen Magen‑Bypass stationär aufgenommen. Die Operation erfolgte am 20. 9. 2007. Im Zuge der Operation kam es zu einer Verletzung des Dickdarms, die eine Bauchfellentzündung auslöste, an der die Patientin verstarb.
Der Kläger begehrt Schmerzengeld wegen der durch den Tod seiner Ehefrau hervorgerufenen behandlungsbedürftigen schweren Depression. Die Operation an seiner Frau sei nicht lege artis vorgenommen worden. Einerseits hätte der Allgemeinzustand der Patientin die Vornahme der Operation nicht zugelassen, andererseits sei sie trotz des lebensbedrohenden Zustands verspätet behandelt worden. Der Behandlungsvertrag sei auch ein Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, also des Klägers, das beklagte Land hafte daher für das Verschulden des behandelnden Arztes gemäß § 1313a ABGB.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Es liege kein Behandlungsfehler vor. Bei der Gattin des Klägers sei eine - vor der Operation als möglich mitgeteilte - Komplikation eingetreten, welche rechtzeitig und fachgemäß behandelt worden sei. Der Kläger sei auch nicht vom Schutzbereich eines Vertrags zu Gunsten Dritter erfasst. Mangels eines vertraglichen Anspruchs könne er daher nicht auf das beklagte Land als Rechtsträger der Krankenanstalt greifen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Es vertrat ‑ soweit im Revisionsverfahren noch relevant ‑ die Rechtsauffassung, dass das Interesse des Klägers am positiven Ergebnis der von der Beklagten zu erbringenden Leistung, nämlich der Behandlung seiner Ehefrau, nicht ausreichen könne, um eine Leistungsnähe herzustellen, zumal aus dem Behandlungsvertrag die Wiederherstellung der Gesundheit nicht geschuldet werde. Allein das emotionale Interesse des Klägers als Angehöriger reiche nicht aus, um in den Kreis der vom Behandlungsvertrag geschützten Personen zu kommen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sei zwar allgemein anerkannt, dass Schutz‑ und Sorgfaltspflichten aus einem Vertragsverhältnis nicht nur zwischen den Vertragsparteien, sondern auch gegenüber bestimmten dritten Personen bestehen können, die durch die Vertragserfüllung erkennbar in erhöhtem Maße gefährdet werden und der Interessenssphäre eines Vertragspartners angehören. Im Falle der schuldhaften Verletzung der auf den Dritten erstreckten vertraglichen Schutz‑ und Sorgfaltspflichten erwerbe dieser einen direkten Schadenersatzanspruch aus dem fremden Vertrag gegen den Schuldner, der dann auch gemäß § 1313a ABGB für das Verschulden der Personen hafte, derer er sich zur Erfüllung bediente (SZ 59/189 ua). Wegen der vom Gesetzgeber vorgesehenen unterschiedlichen Ausgestaltung von Delikts‑ und Vertragsrecht könnten auch die Grenzen zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung nicht aufgehoben werden, der Kreis der geschützten Personen sei daher eng zu halten. So sei zum Krankenhausaufnahmevertrag bereits ausgesprochen worden, dass ein Besucher des Patienten mit der vertraglich zu erbringenden Leistung der Krankenanstalt bestimmungsgemäß nicht in Berührung komme, sodass er von der Krankenanstalt nicht aus dem mit dem Pflegling abgeschlossenen Behandlungsvertrag zu schützen sei. Die Beklagte sei aus dem Vertrag mit der Ehefrau des Klägers nur dieser gegenüber zur fachgerechten Behandlung, Pflege und ordnungsgemäßen Aufklärung verpflichtet, diese Leistungen seien aber allein ihr als Patientin zu erbringen gewesen. Der Kläger habe schon wegen der höchstpersönlichen Natur der geschuldeten Leistungen nie Adressat oder Nutznießer der Hauptleistung werden können. Diese hätte ihn weder begünstigen noch ihm zugewendet werden können, noch bestehe ein unmittelbares Interesse an der medizinischen Leistung an sich. Die Wahrung des immateriellen Interesses am Wohlergehen des Ehepartners und damit verbunden das Ausbleiben psychischer Belastungen durch die Krankheit bzw den schlechten Behandlungsverlauf des Ehegatten sei nicht vom Behandlungsvertrag erfasst. Die für die Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter in erster Linie erforderliche Leistungsnähe eines nicht den Vertrag schließenden Dritten sei damit nicht gegeben. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil aus den Vorentscheidungen 5 Ob 18/08w und 8 Ob 127/02p eine andere Rechtsauffassung erschlossen werden könne, wenngleich gerade das Problem des Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter dort nicht erörtert worden sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und im Rahmen des Aufhebungsantrags berechtigt.
Unter den sogenannten „Schockschäden“ versteht man jene psychischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert, die ein Dritter durch das Miterleben oder die Mitteilung eines Unfallgeschehens erleidet ( Harrer in Schwimann 3 § 1295 Rz 15). Erleidet jemand infolge Tötung oder Verletzung eines nahen Angehörigen eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert, so wird diese Person in ihrem eigenen absolut geschützten Rechtsgut der körperlichen Integrität verletzt, sie ist selbst unmittelbar geschädigt und hat auf dieser Grundlage Anspruch auf Schadenersatz nach § 1325 ABGB (Neumayr „Rechtliche Grundlagen für Schockschäden und Trauerschmerzen“, Jahrestagung 2009 der Gesellschaft der Gutachterärzte Österreichs ‑ in Druck). Eine solche psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert tritt typischerweise im Kreise naher Angehöriger auf, wenn sie die Nachricht vom Tod oder einer schwersten Verletzung erhalten. Derjenige, der einen anderen sorgfaltswidrig tötet oder schwerst verletzt, handelt daher auch gegenüber der psychischen Integrität von dessen nahen Angehörigen sorgfaltswidrig, weil seine Handlung typisch geeignet ist, bei den nahen Angehörigen eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert auszulösen, was einen Eingriff in ein absolut geschütztes Recht darstellt (RIS-Justiz RS0116865; 4 Ob 71/10k; SZ 2002/110; Neumayr aaO). Die Grundlage für die Zurechnung solcher „Fernwirkungsschäden“ zum Erstschädiger ist also, dass die Verletzungs‑ bzw Tötungshandlungen im Rahmen einer typisierten Betrachtung im hohen Maß geeignet sind, bei nahen Angehörigen solche Fernwirkungsschäden herbeizuführen (ZVR 2001/52 = SZ 74/24; RIS‑Justiz RS0117794). Wegen des Erfordernisses dieser „typischen Eignung“ ist die Beschränkung auf nahe Angehörige aus der „Kernfamilie“ (Eltern, Kinder, Ehegatten und Lebensgefährten, bei enger Gemeinschaft auch Geschwister, nicht aber Freunde) erklärbar ( Neumayr aaO mwN). Wenngleich bisher überwiegend Schockschäden aus Verkehrsunfällen judiziert wurden, ist klargestellt, dass ein Angehörigenschockschaden auch durch ärztliche Fehlbehandlung mit Todesfolge hervorgerufen werden kann (8 Ob 127/02p = ZVR 2002/96; 4 Ob 71/10k). Im vorliegenden Fall nimmt der Kläger aber nicht die mögliche deliktische Haftung (s 1 Ob 91/99k; 4 Ob 71/10k) der mit der Behandlung seiner Gattin unmittelbar befassten Personen in Anspruch, sondern eine vertragliche Anspruchsgrundlage gegenüber dem Rechtsträger der Krankenanstalt.
In den Entscheidungen 8 Ob 127/02p und 5 Ob 18/08w wurde einem Behandlungsvertrag zwar die Schutzwirkung zu Gunsten Dritter implizit unterstellt, dies mangels Thematisierung durch die Parteien aber nicht näher untersucht. Eingehender setzte sich bereits der erste Senat in seiner Entscheidung 1 Ob 91/99k = SZ 72/91 mit dem Problem einer Schutzpflicht zugunsten Dritter aus einem ärztlichen Behandlungsvertrag auseinander. Dort ging es um die Unterhaltsfolgen nach der Geburt eines schwer behinderten Kindes, wo unmittelbare Vertragspartnerin der Krankenanstalt die Mutter war. Zur Rolle des Vaters wurde ausgeführt: „Wenngleich der Vater ... offenkundig nicht selbst Partner des Behandlungsvertrags war, wird er doch von dessen Schutzbereich umfasst. Für die Ersatzpflicht des verantwortlichen Arztes kann es keine Rolle spielen, wie sich die verursachte Belastung im Einzelfall zwischen den Eheleuten verteilt. ... Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen ..., der Vater sei berechtigt, jenen Schaden im eigenen Namen einzuklagen, der ihm aufgrund seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht durch die Heilungskosten entstanden ist, ohne dass es einer Abtretung von Ersatzansprüchen des Verletzten bedürfe. Als Rechtsgrundlage der Anspruchsberechtigung des Vaters wurde jeweils Schadensverlagerung angenommen (zuletzt ausführlich SZ 70/84), weil der Schaden, der normalerweise beim Verletzten eintritt, ausnahmsweise aufgrund bestehender Unterhaltsverpflichtung wirtschaftlich vom Dritten, nämlich vom Vater, zu tragen sei. Der erkennende Senat verkennt nicht, dass der vorliegende Fall dadurch gekennzeichnet ist, dass … das Kind selbst einen Schadenersatzanspruch aufgrund des unerwünschten eigenen Lebens nicht hat, hält aber dennoch an dieser Rechtsansicht fest, weil ungeachtet dieses Umstands jedenfalls die durch die Behinderung des Kindes verursachten Mehrbelastungen und damit ein an sich in der Person des eingetretenen Schadens aufgrund des Gesetzes (§ 140 Abs 1 ABGB) von beiden Eltern zu tragen ist. Zum selben Ergebnis gelangt man, wenn man ‑ wie die deutsche Lehre und Rechtsprechung ‑ den Schutzbereich des ärztlichen Behandlungsvertrags auf den Vater erstreckt, hat doch dieser gleich der Mutter ein eigenes, dem Arzt bekanntes Interesse, über das Wohlergehen bzw Beeinträchtigungen der Leibesfrucht informiert zu werden.“
Grundsätzlich macht eine Vertragsverletzung nur dem Gläubiger gegenüber ersatzpflichtig (Harrer in Schwimann VI 3 § 1295 ABGB Rz 107). Es ist allerdings in Rechtsprechung und Lehre allgemein anerkannt, dass Schutz‑ und Sorgfaltspflichten aus Schuldverhältnissen nicht nur zwischen den Vertragsparteien, sondern auch gegenüber bestimmten dritten Personen bestehen, die zwar aus dem Vertrag nicht unmittelbar berechtigt sind, aber der vertraglichen Leistung nahe stehen (RIS‑Justiz RS0037785; RS0017195 ua). Begünstigte Personen in diesem Sinn sind Dritte, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung beim Vertragsabschluss vorhersehbar war und die der Vertragspartner entweder erkennbar durch Zuwendung der Hauptleistung begünstigen will bzw begünstigte oder an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat oder denen er selbst offensichtlich rechtlich zur Fürsorge verpflichtet ist (SZ 2003/90; Harrer in Schwimann VI 3 § 1295 ABGB Rz 108). Diese Kriterien wurden bisher regelmäßig bezüglich der Familienangehörigen eines Werkbestellers, eines Mieters oder des Käufers eines Produkts etc angenommen ( Harrer , Rz 108, Schmaranzer, Der Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter 70 f ua).
Soll die vom Gesetzgeber getroffene unterschiedliche Ausgestaltung von Deliktsrecht und Vertragsrecht nicht aufgehoben oder verwischt werden, hat der Kreis der geschützten Personen, denen statt deliktsrechtlichen auch vertragsrechtliche Schadenersatzansprüche zugebilligt werden, eng gezogen zu werden (RIS‑Justiz RS0022814). Neben dem Erfordernis der Erkennbarkeit eines Kontakts Dritter mit der dem Mittelsmann durch den Schädiger erbrachten Leistung kommt es auch darauf an, dass neben der sozialen Nahebeziehung auch der bestimmungsgemäße Kontakt mit der Hauptleistung vorliegt ( Schmaranzer aaO, 74 f).
Die zu 1 Ob 91/99k aus dem Eltern‑Kind‑Verhältnis gewonnenen Erkenntnisse sind auf den vorliegenden Fall erstreckbar: Bei einer Krankenbehandlung bzw Operation steht der Ehegatte eines Patienten jedenfalls dann in einem a priori erkennbaren, durch seine Angehörigeneigenschaft begründeten Naheverhältnis zum Patienten, wenn die Lebensgemeinschaft aufrecht ist und keine Hinweise auf eine bereits eingetretene Entfremdung (wie zum Beispiel durch eine de-facto vorgenommene oder beabsichtigte Trennung) bestehen. Ebenfalls wäre ein Eingriff in absolut geschützte Rechte (s oben zur deliktischen Schockschadens-Haftung) gegeben. Von den oben in der Literatur erwähnten Fällen, wo die Leistung dem Mittelsmann erbracht und dabei bzw dadurch ein nahestehender unmittelbar Dritter geschädigt wird, unterscheidet sich der Behandlungs-Fall dadurch, dass es hier nicht bloß zu einer Risikoerweiterung bzw Schadensverlagerung auf den Dritten kommt, sondern bei diesem ein eigenständiger Schaden, nämlich der Schockschaden eintritt, der erst als Folge der vertraglichen Schlechterfüllung (mit der Folge des Todes des Mittelsmanns) entsteht. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass der Ehegatte eines (fehlbehandelten) Patienten nicht im erforderlichen Naheverhältnis zur vertraglichen Hauptleistungspflicht (Behandlung bzw Operation nach den Regeln der Kunst) steht. Nicht zuletzt aufgrund der gegenseitigen Beistandspflicht nach § 90 Abs 1 ABGB, die nicht nur materiell, sondern auch immateriell zu gewähren ist ( Koch in KBB 2 § 90 ABGB Rz 6; Schwimann/Ferrari in Schwimann ABGB I 3 § 90 Rz 9; Stabentheiner in Rummel I 3 Rz 9) besteht ein erkennbares unmittelbares vertragliches Interesse beider Ehegatten an einer erfolgreichen Behandlung. So hält es etwa auch Beisteiner (Angehörigenschmerzengeld ‑ der Ersatz von Schock‑ und Trauerschäden bei Tötung oder Schwerstverletzung naher Angehöriger, 134 f) grundsätzlich für erwägenswert, auch den ärztlichen Behandlungsvertrag als Grundlage einer vertraglichen Haftung des Schädigers für das Angehörigenschmerzengeld zu sehen: In der Verletzung der Hauptleistungspflicht (gegenüber dem Patienten) liegt nämlich gleichzeitig eine Verletzung von Schutz‑ und Sorgfaltspflichten gegenüber Angehörigen.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten:
Im Falle eines ärztlichen Kunstfehlers mit der Folge des Todes des Patienten ist auch der in aufrechter Lebensgemeinschaft mit dem Patienten lebende Ehegatte aus dem Behandlungsvertrag derart geschützt, dass er für einen bei ihm eingetretenen Trauerschaden mit Krankheitswert vom Vertragspartner des Getöteten Ersatz wegen Verletzung vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten begehren kann.
Da die Vorinstanzen, ausgehend von ihrer Rechtsauffassung, keine Feststellungen, insbesondere zu den behaupteten Kunstfehlern durch die Erfüllungsgehilfen des beklagten Krankenhausträgers bzw zu den behaupteten Krankheitsfolgen beim Kläger getroffen haben, bedarf es der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)