OGH 9Ob55/16b

OGH9Ob55/16b29.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** B*****, geboren am ***** 1998, im Revisionsverfahren vertreten durch Dr. Thomas Juen, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Sabine Prantner, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen 6.152,95 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. April 2016, GZ 2 R 84/16s‑44, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2015, GZ 26 C 644/14d‑40, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0090OB00055.16B.1129.000

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR (darin 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision nachträglich (§ 508 Abs 3 ZPO) mit der Begründung zugelassen, dass zur Frage, ob einem Patienten von einem Arzt die von ihm angedachte Differenzialdiagnosen auch ausdrücklich zur Kenntnis gebracht werden müssen, keine gesicherte Judikatur vorliege. Damit wird die Frage des Umfangs der ärztlichen Aufklärungspflicht angesprochen. Da diese Frage aber immer nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des Krankheitsbildes gelöst werden kann (RIS‑Justiz RS0026529), ist sie nur dann revisibel (§ 502 Abs 1 ZPO), wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Wohles des Patienten abzugrenzen und erst in zweiter Linie auch unter Bedachtnahme auf sein Selbstbestimmungsrecht (RIS-Justiz RS0026362). Die ärztliche Aufklärungspflicht umfasst ua auch die Pflicht, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen über die Unterlassung einer Behandlung zu unterrichten. Damit der Patient sein Selbstbestimmungsrecht in zurechenbarer Eigenverantwortung wahrnehmen kann, soll ihm durch diese Aufklärung und Belehrung die sachgerechte Entscheidung darüber ermöglicht werden, ob er eine (weitere) ärztliche Behandlung unterlassen kann (9 Ob 64/08i; 3 Ob 77/10k; RIS‑Justiz RS0026578). Die Belehrung hat um so ausführlicher und eindringlicher zu sein, je klarer für den ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation die schädlichen Folgen des Unterbleibens sind und je dringlicher die weitere Behandlung aus der Sicht eines vernünftigen und einsichtigen Patienten erscheinen muss. Auf alle nur denkbaren Folgen über die Nichtvornahme einer Behandlung muss der Arzt daher nicht hinweisen (9 Ob 64/08i; 3 Ob 77/10k ua; RIS‑Justiz RS0026529).

Diesen Grundsätzen der Rechtsprechung folgte das Berufungsgericht. Ausgehend von den bindenden Tatsachenfeststellungen haben die Vorinstanzen eine Verletzung von Aufklärungspflichten durch den die Klägerin im Krankenhaus der Beklagten behandelnden Arzt in vertretbarer Weise verneint.

Die ärztliche Diagnose einer Gastroenteritis am 12. und 13. 6. 2011 war aufgrund der klinischen Zeichen und ausreichend vorliegenden Befunde korrekt. Die Differentialdiagnose einer Appendizitis wurde vom behandelnden Arzt bedacht. Da aber auch am 13. 6. 2016 noch keine typischen Anzeichen einer Appendizitis vorlagen, war es zur Vermeidung einer diagnostischen Lücke aus medizinischer Sicht ausreichend, die Patientin aufzufordern, wieder in das Krankenhaus zu kommen, sollten ihre Schmerzen weiter andauern oder schlimmer werden. Obwohl sich der Gesundheitszustand der Klägerin in den darauffolgenden Tagen verschlechterte, wurde die Klägerin erst – über Aufforderung ihres Hausarztes – am 17. 6. 2011 wieder im Krankenhaus vorstellig. Die behandelnden Ärzte diagnostizierten an diesem Tag eine perforierte Appendizitis und nahmen umgehend die notwendige Operation vor.

Mit der Aufforderung des behandelnden Arztes am 13. 6. 2011, im Falle gleichbleibender oder sich verstärkender Schmerzen wieder in das Krankenhaus zu kommen, wurde der Klägerin in der konkreten Situation ausreichend bewusst gemacht, dass in den genannten Fällen weitere ärztliche Maßnahmen erforderlich sind. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Klägerin in dieser konkreten Situation, in der noch keine typischen Anzeichen einer Appendizitis vorlagen, vom behandelnden Arzt nicht auch über die bei der Diagnose und Aufklärung mitbedachte Differentialdiagnose einer Appendizitis informiert habe werden müssen, ist vertretbar. Die Aufklärungsanforderungen dürfen nämlich auch nicht überspannt werden (6 Ob 214/14k; RIS‑Justiz RS0026362 [T1]).

Der in der Revision der Klägerin für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Entscheidung 10 Ob 24/00b liegt ein mit dem Anlassfall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. In dieser Entscheidung wurde das pflichtwidrige Unterlassen einer therapeutischen Aufklärung damit begründet, dass der Patient auf allfällige schädliche Folgen einer Unterlassung der empfohlenen Therapie überhaupt nicht hingewiesen wurde.

Da es somit der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979 [T16]).

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