OGH 9Ob45/22s

OGH9Ob45/22s14.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. P*, 2. M*, beide vertreten durch Dr. Jörg Lindpaintner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei J*, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens GZ 40 Cg 74/13p des Landesgerichts Innsbruck, über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 14. April 2022, GZ 2 R 42/22a‑4, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00045.22S.0714.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien haben die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Wiederaufnahmskläger (idF: Kläger) begehren mit der beim Oberlandesgericht Innsbruck eingebrachten Klage die Wiederaufnahme des Verfahrens GZ 40 Cg 74/13p des Landesgerichtes Innsbruck, in dem das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht mit Teilurteil vom 22. 7. 2015 den klagsstattgebenden Teil des Urteils des Landesgerichtes Innsbruck vom 26. 2. 2015, 40 Cg 74/13p‑23, bestätigte. Mit diesem Teilurteil wurde der dortige Beklagte (hier Erstkläger) schuldig erkannt,

a) einer Vermessung und Teilung des Gst *,

b) einer Teilung des Gst * in dieses und eine daraus lastenfrei abzuschreibende, nach Lage und Flächeninhalt der ursprünglichen Bp. * gleichende Teilfläche,

c) der Eröffnung einer neuen EZ für die aus Gst * abzuschreibende, nach Lage und Flächeninhalt der ursprünglichen Bp. * gleichende Teilfläche und

d) der Einverleibung des Eigentumsrechts für den Kläger in die neu zu eröffnende Einlagezahl

zuzustimmen.

[2] Die Kläger behaupten das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, weil mit den Erkenntnissen des Landesverwaltungsgerichtes Tirol LvwG‑2021/11/0644‑15 nach dem Tiroler Höfegesetz und LvwG‑2021/11/0643‑15 nach dem Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996, jeweils vom 17. 2. 2022, den Klägern zugestellt jeweils am 24. 2. 2022, rechtskräftig die Genehmigung des durch die Urteile des Landesgerichtes Innsbruck vom 2. 8. 2018, 40 Cg 74/13‑75 und des darin einbezogenen Teilurteils des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 22. 7. 2015, 2 R 70/15h, 40 Cg 74/13‑28, geschaffenen Titels versagt worden sei. Diese Entscheidungen des Landesverwaltungsgerichtes Tirol stellten neue Beweismittel dar. Die Bewilligungen wären zur Durchführung des urteilsmäßig ausgesprochenen Teilungs- und Übereignungsvorgangs erforderlich gewesen, sodass sich das Teilurteil als obsolet und undurchführbar herausgestellt habe und dessen Erfüllung rechtlich und faktisch unmöglich sei.

[3] Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Oberlandesgericht Innsbruck aus, zur Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage nicht zu ständig zu sein und die Rechtssache an das Landesgericht Innsbruck zu überweisen. Für die Frage der Zuständigkeit zur Entscheidung über eine auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage komme es darauf an, von welchem Gericht die streitentscheidenden Feststellungen getroffen wurden. Dies sei im vorliegenden Fall das Erstgericht gewesen. Für die Wiederaufnahmsklage sei daher das Prozessgericht erster Instanz zuständig.

[4] Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Kläger mit dem Antrag, den Beschluss ersatzlos zu beheben und dem Oberlandesgericht Innsbruck die Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage aufzutragen.

[5] Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Eine auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage muss gemäß § 532 Abs 2 ZPO beim Prozessgericht erster Instanz, wenn aber nur eine in höherer Instanz ergangene Entscheidung von dem geltend gemachten Anfechtungsgrund betroffen wird, bei diesem Gericht höherer Instanz angebracht werden. Maßgebend für die Zuständigkeit ist grundsätzlich, welches Gericht die Tatsachenfeststellungen getroffen hat, die durch neue Tatsachen oder Beweismittel entkräftet werden sollen. Stammt diese Tatsachengrundlage von dem im Vorprozess in erster Instanz eingeschrittenen Gericht, dann ist dieses Gericht auch dann zur Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage berufen, wenn das Berufungsgericht die betreffenden Feststellungen gebilligt, aber etwa zu Ungunsten des nunmehrigen Wiederaufnahmsklägers verwertet oder aus ihnen andere rechtliche Schlussfolgerungen abgeleitet hat als das Erstgericht. Die individuelle Zuständigkeit des Berufungsgerichts nach § 532 Abs 2 ZPO ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn die maßgebenden Feststellungen im Vorprozess ausschließlich von diesem Gericht getroffen worden sind (9 Ob 169/98p; 8 Ob 519/84 mwN).

[7] 2. Die vorliegende Wiederaufnahmsklage zielt nicht auf eine Änderung der Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes oder des Berufungsgerichtes ab, sondern macht die Undurchführbarkeit der gerichtlichen Entscheidung durch Verweigerung der Genehmigung der Liegenschaftsübertragung durch Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichtes Tirol geltend. Ob dies einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO darstellt, ist hier nicht zu prüfen. Allerdings wäre ein entsprechendes Tatsachenvorbringen, so die Umstände schon bekannt gewesen wären, in erster Instanz aufzustellen und der Beweis darüber vom Erstgericht aufzunehmen gewesen.

[8] 3. Da mangels entsprechender Behauptungen auch das Berufungsgericht zu diesem Thema keine vom Erstgericht abweichenden Feststellungen treffen konnte, die durch den Wiederaufnahmsgrund berührt werden (vgl 8 Ob 519/84), liegt kein Fall vor, bei dem die maßgebenden, also die vom geltend gemachten Wiederaufnahmsgrund betroffenen Feststellungen ausschließlich vom Berufungsgericht getroffen wurden. Es hat daher bei der allgemeinen Regel zu bleiben, dass die Wiederaufnahmsklage in allen Wiederaufnahmsfällen (außer jenem des § 530 Abs 1 Z 4 ZPO) beim Prozessgericht erster Instanz erhoben werden muss.

[9] 4. Soweit die Kläger darauf hinweisen, dass das Erstgericht im wiederaufzunehmenden Verfahren im Urteil vom 2. 8. 2018 (ON 75) das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck nur verbindlich zu Grunde legte, ist dies zwar richtig. Zu diesem Zeitpunkt war das Teilurteil bereits in Rechtskraft erwachsen und nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Die Wiederaufnahmsklage richtet sich aber gegen die Sachverhaltsgrundlage des Teilurteils, die vom Landesgericht Innsbruck im Urteil vom 26. 2. 2015 (ON 23) geschaffen wurde.

[10] 5. Nicht richtig ist, dass von einer Bewilligung der Wiederaufnahme durch das Erstgericht die Urteile der Rechtsmittelinstanzen nicht tangiert wären. Vielmehr hätte das Erstgericht in einem solchen Fall neben der Aufhebung des Ersturteils auch die Aufhebung der darauf beruhenden Rechtsmittelentscheidungen zu verfügen, soweit diese einen im Aufhebungsverfahren aufgehobenen Ausspruch zum Gegenstand haben (vgl Jelinek in Fasching/Konecny 3 § 541 Rz 11).

[11] 6. Dem Rekurs der Wiederaufnahmskläger war daher nicht Folge zu geben.

[12] 7. Die Kläger haben die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels nach §§ 40, 50 ZPO selbst zu tragen.

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