OGH 8Ob519/84

OGH8Ob519/847.6.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann V*****, vertreten durch Dr. Michael und DDr. Peter Stern, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Notburga F*****, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 9 Cg 495/81 des Kreisgerichts Leoben (Streitwert 885.289 S sA), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 12. Dezember 1983, GZ 5 R 116/83‑2, womit die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00519.840.0607.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.

 

Begründung:

In dem zu AZ 9 Cg 466/76 des Kreisgerichts Leoben anhängig gewesenen Rechtsstreit, in dem die mündliche Verhandlung in erster Instanz am 14. 2. 1979 geschlossen wurde, begehrte der Kläger von der Beklagten als Alleinerbin nach ihrem am 10. 12. 1973 verstorbenen Vater Josef M***** die Zahlung von 885.289 S sA (755.000 S Kapital und 130.289 S kapitalisierte Zinsen für die Zeit vom 1. 1. 1961 bis Ende 1976) im Wesentlichen mit der Behauptung, M***** habe sich mit schriftlicher Abmachung vom 17. 10. 1973 verpflichtet, dem Kläger den von ihm aufgrund früher ausgestellter Schuldscheine anerkannten Betrag von 755.000 S der dem Josef M***** weiterhin als Darlehen überlassen worden, ab 1. 1. 1961 mit 1 % jährlich zu verzinsen gewesen und nach dem Tod des Josef M***** fällig zu stellen gewesen sei, zurückzuzahlen und dafür zu sorgen, dass von seinen erbberechtigten Hinterbliebenen dss von ihm als Treuhänder übernommene und verwaltete Vermögen an den Kläger weitergegeben werde. Das Vermögen des Josef M***** stamme von Friederike S*****, geborene Gräfin L*****, die ihr Vermögen vor ihrem Ableben ihrem Neffen Josef M***** gleichsam in Treuhandschaft mit der Auflage übergeben habe, es dem Kläger als ihrem außerehelichen Sohn sofort nach seinem Erscheinen zu übergeben.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, Josef M***** sei weder Erbe noch Treuhänder des Vermögens der Friederike S***** gewesen. Der Nachlass nach Friederike S***** sei vielmehr ihrer Nichte Elisabeth B***** eingeantwortet worden. Die angebliche schriftliche Abmachung vom 17. 10. 1973, auf die sich der Kläger stütze, sei eine plumpe Fälschung; die auf diesem Schriftstück befindliche Unterschrift stamme nicht von Josef M*****. Selbst wenn dies aber zutreffe, handle es sich um eine Unterschiebung zur Erwirkung einer Blankounterschrift und sei der Text nachträglich geschrieben worden.

Dieses Klagebegehren wurde mit Urteil des Kreisgerichts Leoben vom 20. 2. 1979, AZ 9 Cg 466/76‑81, abgewiesen. In diesem Urteil wurde im Wesentlichen festgestellt, dass der Kläger als ehelicher Sohn der Sabina V***** am 15. 11. 1919 geboren wurde und dass die Unterschrift auf der vom Kläger verfassten mit 17. 9. 1973 datierten Verpflichtungserklärung von Josef M***** stammt; hingegen wurde nicht als erwiesen angenommen, dass M*****seine Unterschrift unter den Text der Urkunde gesetzt hätte bzw dass die vom Kläger behauptete Vereinbarung vom 17. 10. 1973 zustande gekommen sei.

Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht bestätigte mit Urteil vom 1. 6. 1979, AZ 5 R 47/79‑89, diese Entscheidung. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich und führte unter anderem aus, der Inhalt der Urkunde vom 17. 9. 1973 wäre nur dann verständlich, wenn man mit Fug und Recht davon ausgehen könnte, dass der Kläger tatsächlich der uneheliche Sohn der Friederike S***** sei.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Revision des Klägers wurde mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 20. 12. 1979, 8 Ob 524/79‑101, nicht Folge gegeben.

Zu AZ 9 Cg 119/81 des Kreisgerichts Leoben brachte der Kläger am 9. 3. 1981 eine auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage ein. Er begehrte dort die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 9 Cg 466/76 des Kreisgerichts Leoben im Wesentlichen mit der Begründung, ein von ihm am 9. 2. 1981 im Taufregister der Friederike Gräfin L***** im Pfarramt Pürgg aufgefundener, zum Teil ausradierter Bleistiftvermerk weise auf die Taufeintragung des Klägers hin, stelle einen Zusammenhang zwischen ihm und Friederike S***** her und gebe die Möglichkeit, davon auszugehen, dass er doch deren unehelicher Sohn sei. Damit erhielte eine Feststellung des Zustandekommens der Vereinbarung vom 17. 10. 1973 eine solide Grundlage, was zur Stattgebung der Klage im Hauptprozess führen müsse.

Diese Wiederaufnahmsklage wurde mit Urteil des Kreisgerichts Leoben vom 23. 6. 1981, AZ 9 Cg 119/81‑10, im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, das neue Beweismittel sei nicht geeignet, eine für den Kläger günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen. Die gegen diese Entscheidung des Klägers erhobene Berufung blieb ebenso erfolglos wie seine Revision an den Obersten Gerichtshof.

Am 22. 10. 1981 brachte der Kläger zu Az 9 Cg 495/81 des Kreisgerichts Leoben eine weitere auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage ein. Mit ihr begehrte er die Wiederaufnahme des zu AZ 9 Cg 466/76 abgeführten Verfahrens im Wesentlichen mit der Begründung, eine Frau Maria S***** habe ihm am 24. 9. 1981 bestätigt, dass er im Jahr 1973 mit Josef M***** bei ihr gewesen sei, wobei M***** ihr die – übrigens allgemein bekannte – Tatsache bestätigt habe, dass der Kläger ein unehelicher Sohn der Friederike S*****, geborene L*****, und sein Cousin sei. Dem Kläger sei diese ehemalige Angestellte des Hauses L***** nunmehr durch Zufall bekannt geworden und er mache sie als neues Beweismittel, von dem er ohne sein Verschulden erst am 24. 9. 1981 habe Gebrauch machen können, geltend. Der neue Beweis sei im Zusammenhang mit der Matrikeneintragung im Pfarramt Pürgg und allen übrigen bisher aufgenommenen Beweisen geeignet, eine für ihn günstigere Entscheidung im Hauptprozess herbeizuführen, erscheine doch das Zustandekommen der Vereinbarung vom 17. 10. 1973 dann glaubhaft, würde der Kläger als unehelicher Sohn der Friedrike S***** angesehen werden.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, die nicht erweisliche Abstammung des Klägers sei nicht der Hauptgrund für die Abweisung das Klagebegehrens im Vorprozess gewesen; selbst bei Richtigkeit des behaupteten Wiederaufnahmsgrundes sei für den Kläger nichts gewonnen und die erwiesene Fälschung der Urkunde vom 17. 9. 1973 nicht aus der Welt geschafft. Die Zeugin Maria S***** sei auch kein neues Beweismittel für die vom Kläger bereits im Vorprozess ohne Erfolg aufgestellte Behauptung, er sei der uneheliche Sohn der Friederike S*****. Auch bei nur geringer Sorgfalt wäre der Kläger schon im Hauptprozess in der Lage gewesen, diese Zeugin ausfindig zu machen und zu führen.

Das Kreisgericht Leoben wies mit Urteil vom 17. 5. 1982 auch diese Wiederaufnahmsklage ab.

Es stellte im Wesentlichen fest, dass im Jahr 1973 Josef M*****, der Kläger und ein Herr Arnold die Zeugin Maria S***** in ihrem Anwesen in Wörschachberg besuchten. M***** bejahte damals ihre Frage, ob es wahr sei, dass die „Kicki“ (Friederike S*****) einen Sohn gehabt habe, und er erklärte, der Kläger sei das uneheliche Kind der Friederike S*****. Der Kläger erinnerte sich erst 1981 wieder daran, fuhr am 22. oder 23. 9. 1981 nach Wörschachberg und erhielt am 24. 9. 1981 von Maria S***** die Äußerungen M*****s aus dem Jahr 1973 mündlich und auch schriftlich bestätigt.

Rechtlich beurteilte das Kreisgericht Leoben diesen Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass auch die Aussage der Zeugin Maria S***** nicht geeignet sei, zu einer wesentlichen Änderung der Beweiswürdigung im Hauptprozess zu führen. Die Äußerungen M*****s bewiesen weder die Abstammung des Klägers noch tangierte sie die Feststellung, dass M***** nicht das Schriftstück vom 17. 9. 1973 in Kenntnis seines Inhalts unterfertigt habe.

Diese Entscheidung wurde vom Kläger mit Berufung bekämpft.

Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht hob mit Beschluss vom 12. 7. 1982 das Urteil des Erstgerichts auf und wies die Wiederaufnahmsklage zurück.

Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Wiederaufnahmsklage auf keinen gesetzlich zulässigen Anfechtungsgrund gestützt worden sei. Neue Tatsachen oder Beweismittel nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO seien gemäß § 530 Abs 2 ZPO nur dann ein gesetzlich zulässiger Wiederaufnahmsgrund, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande gewesen sei, sie vor Schluss der mündlichen Verhandlung im Hauptprozess geltend zu machen. Das Fehlen der Zulässigkeitsvoraussetzungen für Wiederaufnahmsklagen, also auch ein die Wiederaufnahmsklage ausschließendes Verschulden, sei in jeder Lage des Wiederaufnahmsverfahrens von Amts wegen wahrzunehmen.

Der Kläger habe zwar in der Klage und in einem anderen Schriftsatz behauptet, er habe durch Zufall erst am 24. 9. 1981 von der Existenz der Zeugin Maria S***** Kenntnis erlangt. Er gebe aber unter einem zu, dass er bei den Äußerungen des Josef M***** gegenüber dieser Zeugin im Jahr 1973 anwesend gewesen sei. Diese Zeugin sei also kein wirklich neues Beweismittel. Der Kläger habe nach seinem Vorbringen auf sie und ihr Wissen um M*****s Äußerungen lediglich vergessen, sich (nach seiner Aussage als Partei) „glaublich 1981 erstmals“ wieder ihrer erinnert und am 24. 9. 1981 ihr Wissen bestätigt erhalten.

Ein Vergessen könne nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmsfällen wie etwa bei krankhafter Erinnerungsschwäche oder durch Erkrankung bedingter Beeinträchtigung der Merkfähigkeit nicht als Verschulden iSd § 530 Abs 2 ZPO gewertet werden. Von solchen Ausnahmsfällen abgesehen sei das Vergessen eines nach Meinung der Partei entscheidungswesentlichen Beweismittels auf die Unterlassung jenes Grades der Aufmerksamkeit und des Fleißes zurückzuführen, der bei jedem, der den Verstandesgebrauch besitze, vom Gesetz vermutet und besonders von einer prozessführenden Partei im Rahmen ihrer prozessualen Dilingenzpflicht verlangt werde. Im Interesse der Rechtssicherheit sei bei Beurteilung der Schuldlosigkeit iSd § 530 Abs 2 ZPO gerade bei dem hier geltend gemachten Vergessen wegen der Gefahr von Missbräuchen ein strenger Maßstab anzulegen.

Aus der Behauptungs‑ und Beweispflicht des Wiederaufnahmsklägers folge, dass es seine Aufgabe sei, die Behauptung aufzustellen, dass und weshalb er von den Tatsachen oder Beweismitteln im Vorprozess unverschuldet keinen Gebrauch machen konnte und die hiefür notwendigen Beweise anzubieten; fehle es an einem solchen Vorbringen, dann müsse die Wiederaufnahmsklage ohne Erfolg bleiben.

Der Kläger habe in der Klage bloß vorgebracht, er habe von dem neuen Beweismittel ohne sein Verschulden erst am 24. 9. 1981 Gebrauch machen können. Tatsächliche Gründe für seines Schuldlosigkeit habe er weder behauptet noch bewiesen; auch im Verfahren sei nichts hervorgekommen, was das Vergessen des Klägers als unverschuldet ansehen ließe.

Wenn bereits in der Klage jede Tatsachenbehauptung fehle, dass die Geltendmachung der als Wiederaufnahmsgrund angeführten Tatsachen oder Beweismittel im Vorprozess ohne Verschulden unmöglich gewesen sei oder wenn sich das Verschulden am Nichtvorbringen bereits aus den – als richtig angenommenen – Tatsachenbehauptungen des Wiederaufnahmsklägers ergebe, sei eine mündliche Verhandlung überflüssig und die Zurückweisung der Klage gemäß § 538 ZPO möglich. Auch wenn sich erst bei der mündlichen Verhandlung ergebe, dass die Wiederaufnahmsklage auf einen gesetzlich unzulässigen Wiederaufnahmsgrund gestützt werde, sei die Klage gemäß § 543 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen; diese Bestimmung gelte auch noch im Rechtsmittelverfahren.

Der Kläger stütze sein Wiederaufnahmsbegehren auf einen gesetzlich unzulässigen Wiederaufnahmsgrund, weil er Umstände, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass er die ihm bereits 1973 bekannt gewordene Zeugin Maria S***** unverschuldet vor Schluss der Verhandlung im Verfahren AZ 9 Cg 466/76 des Kreisgerichts Leoben nicht führen konnte, weder behauptet noch bewiesen habe. Es sei daher aus Anlass der Berufung des Klägers das Urteil des Erstgerichts aufzuheben und seine Klage durch Beschluss zurückzuweisen gewesen.

Ein gegen diese Entscheidung gerichteter Rekurs des Klägers blieb erfolglos. Der Oberste Gerichtshof gab ihm mit Beschluss vom 21. 4. 1983, 8 Ob 558/82, keine Folge. Er führte im Wesentlichen aus, der Kläger habe bereits in seiner Wiederaufnahmsklage vorgebracht, die nunmehr geführte Zeugin Maria S***** könne bestätigen, dass ihr Josef M***** im Jahr 1973 anlässlich eines in Gegenwart des Klägers geführten Gesprächs mitgeteilt habe, der Kläger sei ein unehelicher Sohn der Friederike S***** und sein Cousin. Aus diesem Vorbringen ergebe sich eindeutig, dass diese Zeugin dem Kläger nicht erst nach Schluss der Verhandlung in erster Instanz im Hauptprozess, sondern bereits wesentlich früher bekannt geworden sei. Es wäre unter diesen Umständen Sache des Klägers gewesen, konkret darzutun, aus welchen Gründen die Unterlassung der Namhaftmachung dieser Zeugin im Hauptprozess nicht ein Verschulden seinerseits begründe. Dazu habe aber der Kläger keine konkreten Tatsachenbehauptungen vorgebracht, sondern ohne solche konkrete Tatsachenvorbringen ausgeführt, er habe von dem nunmehr angeführten neuen Beweismittel ohne sein Verschulden erst am 24. 9. 1981 Gebrauch machen können. Diese Qualifikation widerlege sich aber aus dem Tatsachenvorbringen des Klägers von selbst: Wenn das Gespräch der Zeugin S***** mit Josef M***** im Jahr 1973 in Gegenwart des Klägers stattgefunden habe, dann sei kein plausibler Grund dafür ersichtlich, warum der Kläger diese Zeugin nicht bereits im Hauptprozess führen habe können. Es wäre daher Sache des Klägers gewesen, im Verfahren aufzustellen, aus denen sich hätte ergeben können, dass er ohne sein Verschulden außerstande gewesen sei, die Zeugin S***** bereits im Hauptprozess zu führen. Da er dies unterlassen habe, sei seine Wiederaufnahmsklage mit Beschluss zurückzuweisen.

Mit der nunmehr vorliegenden, an das Oberlandesgericht Graz gerichteten und am 20. 10. 1983 bei diesem eingebrachten Wiederaufnahmsklage begehrte der Klgäer die Bewilligung der Wiederaufnahme des Wiederaufnahmsverfahrens AZ 9 Cg 495/81 des Landesgerichts Leoben und die Aufhebung des in diesem Verfahren ergangenen Urteils des Kreisgerichts Leoben vom 17. 5. 1982 sowie der Beschlüsse des Oberlandesgerichts Graz vom 12. 7. 1982 und des Obersten Gerichtshofs vom 21. 4. 1983, ferner im wiederaufgenommenen Wiederaufnahmeverfahren die Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 9 Cg 466/76 des Kreisgerichts Leoben und die Aufhebung der in diesem Verfahren ergangenen Urteile aller drei Instanzen und schließlich in diesem wiederaufgenommenen Verfahren die Fällung eines Urteils im Sinne der Stattgebung seines Klagebegehrens.

Der Kläger machte im Wesentlichen geltend, er habe auf die Zeugin S***** ohne sein Verschulden wegen einer krankheitsbedingten Gedächtnisstörung vergessen, von der er erstmals am 21. 9. 1983 bei einer ärztlichen Untersuchung vor dem Amtsgericht Köln und in der Folge durch ein über Anraten seines Vertreters eingeholtes Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Univ.‑Prof. Dr. S***** vom 18. 10. 1983 Kenntnis erlangt habe; diese krankhafte Gedächtnisstörung erkläre auch, weshalb er im Wiederaufnahmeverfahren AZ 9 Cg 495/81 keine Erklärung für seine Vergesslichkeit habe geben können. Die Unterlassung einer Begründung für seine Vergesslichkeit könne ihm daher auch nicht als schuldhafter Dilingenzmangel angelastet werden. Das angerufene Oberlandesgericht Graz sei für diese Wiederaufnahmsklage zuständig, weil es mit Beschluss vom 12. 7. 1982 die zu AZ 9 Cg 495/81 des Kreisgerichts Leoben eingebrachte Wiederaufnahmsklage unter Aufhebung des vorangegangenen Urteils des Kreisgerichts Leoben zurückgewiesen habe und die nun geltend gemachte neue Tatsache bzw der neue Beweis sich auf die Begründung dieses Beschlusses beziehe.

Das Oberlandesgericht Graz wies mit dem angefochtenen Beschluss, ohne die Zustellung der Klage an die Beklagte zu verfügen, die Wiederaufnahmsklage zurück.

Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, das gemäß § 530 Abs 1 ZPO nur ein Verfahren wiederaufgenommen werden könne, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden sei. Das Verfahren Az 9 Cg 495/81 des Kreisgerichts Leoben sei aber nicht durch eine Entscheidung in der Sache selbst beendet worden, sondern unter Aufhebung des Urteils des Erstgerichts durch einen Zurückweisungsbeschluss wegen des Mangels der formellen besonderen Prozessvoraussetzungen.

Ferner sei das Vorbringen des Klägers für eine Wiederaufnahme aus dem Grund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO absolut untauglich. Durch eine solche Wiederaufnahme solle Abhilfe geschaffen werden, wenn die festgestellten Tatsachen unrichtig oder unvollständig seien. Die zu AZ 9 Cg 495/81 des Kreisgerichts Leoben eingebrachte Wiederaufnahmsklage sei aber der Zurückweisung verfallen, weil der Kläger schon die erforderlichen Tatsachenbehauptungen zur Schuldlosigkeit seines Vergessens auf die Zeugin S***** nicht aufgestellt habe; es hätten daher hiezu keine Beweise aufgenommen und keine Feststellungen getroffen werden können. Wenn der Kläger nunmehr sinngemäß behaupte, er habe wegen seiner krankhaften Gedächtnisstörung auch auf dieses notwendige Vorbringen vergessen bzw es mangels Kenntnis des Grundes nicht erstatten können, tangiere dies nicht die materielle Wahrheit und Vollständigkeit der Sachgrundlage, sondern stelle das den Versuch dar, ein zur Schlüssigkeit der zu AZ 9 Cg 495/81 des Kreisgerichts Leoben eingebrachten Wiederaufnahmsklage unumgängliches Tatsachenvorbringen nachzutragen; dazu sei aber ein Wiederaufnahmeverfahren nicht vorgesehen. Dem rechtskundig vertretenen Kläger habe bereits bei Einbringung der zu AZ 9 Cg 495/81 des Kreisgerichts Leoben erhobenen Wiederaufnahmsklage klar sein müssen, dass er eine nach eigenem Vorbringen bereits im Jahr 1973 wahrgenommene Tatsache bzw ein ihm bereits damals bekannt gewordenes Beweismittel nicht ohne zusätzliches konkretes Tatsachenvorbringen zur unverschuldeten Unmöglichkeit der früheren Geltendmachung im Hauptprozess erst im Jahr 1981 zur Begründung einer Wiederaufnahmsklage heranziehen könne. Er habe es daher auch zu vertreten, wenn sein Prozessbevollmächtigter, sei es mangels, sei es trotz gehöriger Information, es unterlassen habe, relevante Tatsachen und Beweismittel zur Schuldlosigkeit am vergessen rechtzeitig vorzubringen.

Endlich sei für die vorliegende Wiederaufnahmsklage das Oberlandesgericht Graz unzuständig. ISd § 532 Abs 2 ZPO hänge beim Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO die Zuständigkeit davon ab, welches Gericht die Tatsachenfeststellungen getroffen habe, die vom geltend gemachten Anfechtungsgrund betroffen werden; das Berufungsgericht sei nur dann zuständig, wenn die betroffene streitentscheidende Feststellung unter Änderung des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts ausschließlich von ihm getroffen worden sei. Das Oberlandesgericht Graz habe aber als Berufungsgericht im vorangegangenen Wiederaufnahmeverfahren keinerlei Tatsachenfeststellungen getroffen, weshalb die vorliegende Wiederaufnahmsklage nicht bei ihm anhängig gemacht werden könne.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem erkennbaren Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Oberlandesgericht Graz die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über die vorliegende Wiederaufnahmsklage aufzutragen.

Ein Fall des § 521a ZPO liegt nicht vor, weil die Klage vor Eintritt der Streitanhängigkeit zurückgewiesen wurde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Der im angefochtenen Beschluss vertretenen Meinung, die Wiederaufnahme des zu AZ 9 Cg 495/81 des Kreisgerichts Leoben anhängig gewesenen Wiederaufnahmsverfahrens komme deswegen in Betracht, weil dieses Verfahren nicht durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden sei, kann allerdings nicht beigetreten werden. Gemäß § 530 Abs 1 ZPO in der vor Inkrafttreten des Konsumentenschutzgesetzes, BGBl 1979/140, geltenden Fassung konnte nur ein durch Urteil geschlossenes Verfahren unter den in dieser Gesetzesstelle normierten Voraussetzungen wiederaufgenommen werden. Durch § 36 Z 10 KSchG wurde diese Gesetzesstelle dahin abgeändert, dass nunmehr „ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist“, unter den dort weiter normierten Voraussetzungen wiederaufgenommen werden kann. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (RV 744 BlgNR 14. GP  52, 54), war es der Zweck dieser Gesetzesänderung, „unter dem Gesichtspunkt, dass allzu strenge bzw enge der Durchsetzung und damit Verwirklichung des materiellen Rechts doch wiederholt entgegenstehende Verfahrensvorschriften abzulehnen sind, die Wiederaufnahmsklage nicht nur bei Urteilen, sondern auch bei Beschlüssen zuzulassen. Nach der bis dahin geltenden Fassung des § 530 ZPO könne eine Wiederaufnahmsklage nur bei Vorliegen einers Urteils erhoben werden. Auch dies sei eine Verfahrensvorschrift, die dem Durchbruch des materiellen Rechts entgegenzustehen geeignet sei, wenn die Endentscheidung gerade nicht in Urteils‑, sondern in Beschlussform zu ergehen habe. Als Beispiele kämen in Betracht: Ein Wechselzahlungsauftrag, gegen den keine Einwendungen, oder ein Zahlungsbefehl, gegen den kein Widerspruch erhoben worden sei, ein im Besitzstörungsverfahren ergangener Endbeschluss, aber auch etwa ein wegen örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ergangener Zurückweisungsbeschluss. Zumindest einige der im § 530 ZPO genannten Wiederaufnahmsgründe könnten auch bei solchen Endentscheidungen vorliegen; nach der bis dahin geltenden Rechtslage könnten sie aber infolge der besagten formellen Verfahrensvorschrift nicht ins Treffen geführt werden. Diese Unausgewogenheit werde durch die nunmehr vorgeschlagene Änderung behoben“.

Gerade aus der beispielsweisen Aufzählung eines Zurückweisungsbeschlusses wegen örtlicher Unzuständigkeit unter den durch Wiederaufnahmsklage anfechtbaren verfahrensbeendenden Entscheidungen in den Gesetzesmaterialien ergibt sich mit voller Deutlichkeit, dass der Wille des Gesetzgebers dahin ging, mit der Neufassung der Vorschrift des § 530 Abs 1 ZPO durch § 36 Z 10 KSchG auch die Wiederaufnahme von Verfahren zu ermöglichen, die nicht durch eine Sachentscheidung im engeren Sinne, sondern durch eine rein prozessrechtliche Entscheidung, etwa durch die Verneinung von Prozessvoraussetzungen, beendet wurden. Gerade darum handelte es sich aber, wenn im Vorprozess die Wiederaufnahmsklage des Klägers deswegen letztlich mit Beschluss zurückgewiesen wurde, weil er nicht dargetan hatte, dass er ohne sein Verschulden außerstande war, das behauptete neue Beweismittel vor Schluss der Verhandlung im Vorprozess geltend zu machen. Aus dieser Art der Beendigung des Vorprozesses lässt sich daher die Unzulässigkeit der vorliegenden Wiederaufnahmsklage nicht ableiten.

Mit Recht hat aber das Oberlandesgericht Graz seine Zuständigkeit zur Entscheidung über die vorliegende Wiederaufnahmsklage verneint.

Eine auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage, wie sie hier erhoben wurde, muss gemäß § 532 Abs 2 ZPO beim Prozessgericht erster Instanz, wenn aber nur eine in höherer Instanz ergangene Entscheidung von dem geltend gemachten Anfechtungsgrund betroffen wird, bei diesem Gericht höherer Instanz angebracht werden. Maßgebend für die Zuständigkeit ist grundsätzlich, welches Gericht die Tatsachenfeststellungen getroffen hat, die durch neue Tatsachen oder Beweismittel entkräftet werden sollen. Stammt diese Tatsachengrundlage von dem im Vorprozess in erster Instanz eingeschrittenen Gericht, dann ist dieses Gericht auch dann zur Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage berufen, wenn das Berufungsgericht die betreffenden Feststellungen gebilligt, aber etwa zu Ungunsten des nunmehrigen Wiederaufnahmsklägers verwertet oder aus ihnen andere rechtliche Schlussfolgerungen abgeleitet hat als das Erstgericht. Die individuelle Zuständigkeit des Berufungsgerichts nach § 532 Abs 2 ZPO ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn die maßgebenden Feststellungen im Vorprozess ausschließlich von diesem Gericht getroffen worden sind (SZ 44/145; 4 Ob 324/74; 4 Ob 579/75; 6 Ob 530/80; 7 Ob 787/81 ua). Im vorliegenden Fall hätte der Kläger mit seiner zu Az 9 Cg 495/81 des Kreisgerichts Leoben eingebrachten Wiederaufnahmsklage nur dann erfolgreich sein können, wenn er dort konkret behauptet und bewiesen hätte, dass er ohne sein Verschulden außerstande war, die Zeugin S***** bereits im Hauptprozess zu führen. Eine solche Behauptung wäre in erster Instanz aufzustellen und der Beweis über sie vom Prozessgericht durchzuführen gewesen. Da eine derartige konkrete Behauptung gar nicht aufgestellt wurde, hatte das Prozessgericht keinen Anlass und keine Möglichkeit, Beweise über sie abzuführen und Feststellungen in dieser Richtung zu treffen. Wenn dann die Rechtsmittelgerichte davon ausgingen, dass mangls derartiger konkreter Behauptungen des Klägers seine Wiederaufnahmsklage gemäß § 538 ZPO (§ 534 ZPO) mit Beschluss zurückzuführen sei, so haben sie damit keine Tatsachen festgestellt, sondern bloß den Sachverhalt in dem Rahmen, in dem ihn der Kläger vorgetragen hat, rechtlich gewürdigt (1 Ob 744/55). Da somit das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in dem zu AZ 9 Cg 495/81 des Kreisgerichts Leoben abgeführten Wiederaufnahmsverfahren keine vom Erstgericht abweichende Feststellung getroffen hat, die durch den nunmehr geltend gemachten Wiederaufnahmsgrund berührt wird, kommt iSd § 532 Abs 2 ZPO die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Graz zur Entscheidung über die vorliegende Wiederaufnahmsklage nicht in Betracht.

Eine (amtswegige) Überweisung einer Wiederaufnahmsklage an das zuständige Gericht hat nicht stattzufinden ( Fasching Kommentar IV 522; SZ 44/145; 4 Ob 305/84 ua).

Das Oberlandesgericht Graz hat daher mit Recht die vorliegende Wiederaufnahmsklage wegen funktioneller Unzuständigkeit zurückgewiesen. Schon aus diesem Grund musste dem Rekurs des Klägers ein Erfolg versagt bleiben, sodass auf seine weiteren Rechtsmittelausführungen nicht mehr eingezugehen ist.

Die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels hat der Kläger gemäß den §§ 40, 50 ZPO selbst zu tragen.

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