European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132082
Spruch:
Der Rekurs der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien sind schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.315,37 EUR (darin 219,23 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Das Erstgericht wies die Begehren der beiden Kläger auf Feststellung und Einverleibung einer Wegedienstbarkeit, Entfernung einer Absperrung sowie Unterlassung der Behinderung des Geh‑ und Fahrtrechts gegen alle drei Beklagten ohne Beweisaufnahme ab. Die Kläger hätten nicht vorgebracht, inwiefern eine Wegedienstbarkeit über das Grundstück der Erstbeklagten (deren persönlich haftende Gesellschafter der Zweit‑ und die Drittbeklagte sind) eine vorteilhaftere oder bequemere Benützung des Grundstücks der Kläger als herrschendes Grundstück bewirken würde.
[2] Das Berufungsgericht bestätigte mit Teilurteil die Abweisung des Feststellungsbegehrens gegen die Zweit-und Drittbeklagte. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens gegenüber der Erstbeklagten und aller weiteren Klagebegehren auf Einverleibung, Entfernung und Unterlassung auch gegen die Zweit‑ und Drittbeklagten hob es das Ersturteil über Berufung der Kläger auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Der Weg über das Grundstück der Erstbeklagten ermögliche nach dem Vorbringen der Kläger eine vorteilhaftere und bequemere Benützung ihrer Liegenschaft, die über bloß persönliche Vorteile der Kläger hinausgehe. Immerhin könnten die Kläger das angrenzende Gebiet zu Freizeit- und Erholungszwecken schneller und bequemer erreichen.
[3] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich der aufgehobenen Klagebegehren 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Die Zulässigkeit des Rekurses begründete es damit, dass es keine Rechtsprechung dazu gebe, ob ein Wegerecht begründet werden könne, wenn es in erster Linie Freizeit- und Erholungszwecken der Eigentümer und Benützer der herrschenden Liegenschaft diene.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das klagsabweisende Ersturteil wiederherzustellen. In eventu wurde ein an das Berufungsgericht gerichteter Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt.
[5] Die Kläger beantragen in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
[6] Die Rekurswerber beziehen sich in ihrer Erklärung zur Zulässigkeit ihres Rekurses ausdrücklich und ausschließlich auf die Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts. Ihr Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 526 Abs 2 Satz 2 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Frage des Utilitätserfordernisses einer Dienstbarkeit hängt im Allgemeinen von den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalls ab, wobei die Frage, was letztlich tatsächlich bequem, nützlich oder notwendig ist, auch eine Tatfrage darstellt (9 Ob 122/06s). Dass eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu einem gleichartigen (oder ähnlichen) Fall fehlt, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RS0107773 [T4]). Die Zurückweisung des Rekurses mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO; RS0043691).
[7] 1. Die Kläger begründeten die behauptete Ersitzung des Geh‑ und Fahrtrechts über einen (näher beschriebenen) Weg auf dem Grundstück der Beklagten im Wesentlichen damit, dass die Kläger und ihre Rechtsvorgänger den Weg als Zugang zum anschließenden Waldgrundstück seit mehr als 30 Jahren als Weg zum Wandern, Radfahren, zu Erholungszwecken im angrenzenden Wald und zum Befahren mit Nutzfahrzeugen, etc nutzten. Einen anderen Weg, auf dem die Kläger zum Waldgrundstück kommen könnten,gebe es in der Nähe nicht. Es müsste ein Umweg von mehr als einer halben Stunde in Kauf genommen werden, was für die Kläger nicht zumutbar sei.
[8] 2. Eine Grunddienstbarkeit muss der vorteilhafteren oder bequemeren Benützung des herrschenden Grundstücks dienen (RS0011597 [T1]; RS0011582). Das Erfordernis der Nützlichkeit oder Bequemlichkeit bezieht sich immer auf das Grundstück selbst, nicht auf persönliche Vorteile seines Eigentümers (RS0011593 [T1]; vgl RS0034213). Der Vorteil muss nicht die Bodennutzung betreffen (5 Ob 93/70 [SZ 43/117]; 2 Ob 115/12v Pkt III.2.; Memmer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 473 Rz 5; Merth/Spath in Schwimann/Kodek, ABGB‑Praxiskommentar5 § 473 ABGB Rz 6). Bei der Beurteilung des Utilitätserfordernisses ist kein strenger Maßstab anzuwenden (RS0011593; Hofmann in Rummel, ABGB3 § 473 ABGB Rz 2). Nur völlige Zwecklosigkeit verhindert das Entstehen einer Dienstbarkeit (vgl RS0011541) bzw vernichtet diese (RS0011589; RS0011582).
[9] 3.1. In der Rechtsprechung wurden bereits zahlreiche, teils mit dem behaupteten Nutzen der Kläger(zu Freizeitzwecken) vergleichbare Grunddienstbarkeiten erwähnt. In 8 Ob 235/64 (SZ 37/113) wurde ausgesprochen, dass das Recht, vom dienenden Grundstück aus im Gewässer zu baden und Bootsfahrten zu unternehmen sowie anderen Personen die Benützung des Gewässers zu diesem Zwecke von seinem Grundstück aus zu ermöglichen,der vorteilhafteren Benützung des (von einem Fremdenbeherbergungsunternehmen genutzten) herrschenden Grundstücks im Sinn des § 473 ABGB dienen und dieses Recht daher den Erfordernissen einer Grunddienstbarkeit entsprechen kann. Auch nach 9 Ob 38/20h (Pkt 2.1.) bewirkt die Einräumung eines Rechts auf den Zugang zum See und die Benutzung des Uferstreifens als Badeplatz eine vorteilhaftere Benutzung des Grundstücks. In 8 Ob 51/12a (Pkt 2.2.) wurde die Benutzung eines Wegs zum eigenen Nutzen der Klägerin, um gewisse Ziele schneller und bequemer zu erreichen, als Ausübung einer Grunddienstbarkeit angesehen. Ebenso eine Dienstbarkeit der „Beschränkung bei der Bebauung und Bepflanzung“, um die Aussicht von der klägerischen Liegenschaft zum See zu erhalten (8 Ob 131/16x [Pkt 4.]).
[10] 3.2. Die Entscheidung 1 Ob 76/15f, auf die die Beklagten rekurrieren, ist mit dem von den Klägern behaupteten Sachverhalt, der kein landwirtschaftliches Grundstück, sondern ein Privatgrundstück betrifft, nicht vergleichbar. Die Inanspruchnahme der Bademöglichkeit zu Freizeit- und Erholungszwecken wurde in der genannten Entscheidung nur deshalb nicht als vorteilhaftere Nutzung der landwirtschaftlichen Grundstücke betrachtet, weil sich auf diesen Grundstücken (Acker) grundsätzlich niemand regelmäßig aufhielt und im Zusammenhang damit auch sein Erholungsbedürfnis befriedigen wollte.
[11] 3.3. Auch im Zusammenhang mit unregelmäßigen Servituten zugunsten von Gemeinden wird in der Rechtsprechung und Lehre die Auffassung vertreten, dass Bedürfnisse des Fremdenverkehrs genauso von Bedeutung sein können, wie wirtschaftliche oder kulturelle Bedürfnisse, wie die Benützung als Kindergarten-, Schul‑ oder Kirchweg oder zur Freizeitgestaltung und Erholung (9 Ob 122/06s; Zach/Spath in Schwimann/Kodek, ABGB‑Praxiskommentar5 § 480 ABGB Rz 16 mwN; vgl 9 Ob 22/09i zum Bedarf nach geeigneten Wanderwegen in ausreichender Zahl für Gemeinden mit bedeutendem Fremdenverkehr). Schon bei einer Wegersparnis von 250 m wurde die Zwecklosigkeit einer Wegeservitut verneint (6 Ob 208/08v).
[12] 4. Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Grunddienstbarkeit. Das Vorbringen der Kläger, den Weg über das Grundstück der Erstbeklagten seit mehr als 30 Jahren als bequemen Zugang zum anschließenden Waldgrundstück zu Erholungszwecken zu nützen, ist grundsätzlich geeignet, die behauptete Servitutsersitzung zu begründen. Die im Rekurs der Beklagten aufgeworfenen Fragen zum konkreten Besitzwillen der Kläger sowie zum gutgläubigen lastenfreien Erwerb durch die Erstbeklagte stellen sich in diesem Verfahrensstadium noch nicht. Diese Fragen können erst nach dem vom Erstgericht durchzuführenden Beweisverfahren beantwortet werden.
[13] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Beklagten in ihrer Rekursbeantwortung hingewiesen (RS0123222).
Oberster Gerichtshof
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