OGH 8Ob51/12a

OGH8Ob51/12a30.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** M*****, vertreten durch die Klaus & Partner Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei E***** U*****, vertreten durch Dr. Herwig Rischnig und Dr. Harald Skrube, Rechtsanwälte in Villach, wegen Feststellung und Einverleibung einer Dienstbarkeit (Gesamtstreitwert 5.800 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 15. Februar 2012, GZ 2 R 20/12m-20, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 17. November 2011, GZ 43 C 148/11k-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, von dem man aus über eine Holzbrücke auf ein Grundstück des Beklagten gelangt. Der von der Klägerin in Anspruch genommene Dienstbarkeitsweg auf dem Grundstück des Beklagten weist einen südlichen und einen nördlichen Wegast auf. Diesen Weg benützt die Klägerin seit ihrer Kindheit, weil es sich dabei um den kürzeren und bequemeren Weg handelt, um diverse Ziele zu erreichen. Der Beklagte wendet sich nicht gegen die Benützung des Weges durch die Klägerin und deren Verwandte. Aufgrund einer Anfrage seiner Mieter erklärte er allerdings im Jahr 2009, dass familienfremde Personen den Weg nicht benützen dürften.

Die Klägerin ist die Tante des Beklagten. Seine Mutter hat als Anerbin den Hof nach dem Tod des Vaters übernommen und ihrer Schwester, der Klägerin, im Rahmen eines Erbübereinkommens aus dem Jahr 1959 zwei Grundstücke überlassen. Zudem erhielt die Klägerin an einem Zimmer im Haus ***** die Dienstbarkeit der Wohnung eingeräumt. In der Folge ließ die Klägerin auf einem ihrer Grundstücke ein eigenes Wohnhaus errichten, in das sie 1969 einzog. Ab dem Jahr 1971 hat sie das ihr eingeräumte Wohnungsrecht nicht mehr ausgeübt.

Der Beklagte erwarb das Grundstück, auf dem der beanspruchte Weg verläuft, aufgrund eines Schenkungsvertrags aus März 1991. Im selben Jahr wurde das Wohnungsrecht der Klägerin mit deren Einverständnis aus dem Grundbuch gelöscht.

Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass ihr als Eigentümerin der herrschenden Grundstücke gegenüber dem Beklagten als Eigentümer des dienenden Grundstücks die Dienstbarkeit des Gehens über den (näher beschriebenen) südlichen und nördlichen Wegast auf dem Grundstück des Beklagten zustehe. Gleichzeitig begehrte sie die Einwilligung des Beklagten in die Einverleibung dieser Dienstbarkeit des Gehens. Der Weg sei sowohl von ihr als auch von ihrer Mutter, ihrem Sohn und ihren Gästen mehr als dreißig Jahre lang benützt worden. Die Ausübung der Servitut sei für den Beklagten erkennbar gewesen. Sie sei redliche Rechtsbesitzerin gewesen, weil sie in der Benützung von niemandem behindert worden sei. Die Dienstbarkeit diene der vorteilhafteren und bequemeren Benützung ihrer Liegenschaft.

Der Beklagte entgegnete, dass die Klägerin bis zum Jahr 1991 sein Grundstück ausschließlich im Rahmen ihres Wohnungsrechts benützt habe, um verwandtschaftliche Kontakte zu pflegen. Die Benützung eines Weges aufgrund von verwandtschaftlichen oder rechtsgeschäftlichen Beziehungen schließe den Besitzwillen aus. Außerdem sei das beanspruchte Gehrecht auch nicht erforderlich, weil das Grundstück der Klägerin über eine gesonderte Zufahrt verfüge.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren (einschließlich der Eventualbegehren) ab. Die Benützung einer Landfläche aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen schließe den für das Vorliegen von Besitz notwendigen Besitzwillen aus. Dieser Grundsatz gelange im Anlassfall zur Anwendung, weil der Beklagte das Begehen seines Grundstücks durch die Klägerin im Hinblick auf das verwandtschaftliche Verhältnis nicht beanstandet habe. Außerdem hätte die Ersitzungszeit frühestens mit der Löschung des Wohnungsrechts der Klägerin im Jahr 1991 begonnen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und erkannte das Hauptbegehren für berechtigt. Solange die Klägerin das Wohnungsrecht ausgeübt und das Grundstück des Beklagten im Rahmen des Familienverbands benützt habe, sei ein Besitzwillen nicht erschließbar. Da sie aber auch ab dem Jahr 1971 den in Rede stehenden Weg im Eigeninteresse unbeanstandet benützt habe, habe sie das Gehrecht ersessen. Auf den gutgläubigen lastenfreien Erwerb, der eine nicht verbücherte und nicht offenkundige Dienstbarkeit zum Erlöschen bringe, könne sich nur der entgeltliche Erwerber der Liegenschaft berufen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob bereits die Nichtausübung des Wohnungsrechts oder erst dessen Löschung den Lauf der Ersitzungsfrist ausgelöst habe, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.

Die Klägerin beantragt mit ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel des Beklagten zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer entscheidungsrelevanten erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss im Rechtsmittel eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt werden (vgl 8 Ob 87/11v). Dass zu einem konkreten Sachverhalt keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliegt, begründet noch keine erhebliche Rechtsfrage. Im Fall der bloßen Anwendung bereits vorhandener Rechtsprechungsgrundsätze auf einen konkreten Sachverhalt können nur grobe Subsumtionsfehler eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigen (RIS-Justiz RS0102181). Die Voraussetzungen für die Anrufung des Höchstgerichts sind im Anlassfall nicht gegeben.

2.1 Grundvoraussetzung jeder Ersitzung ist der Besitz eines Rechts oder der Sache, die ersessen werden soll; die bloße Innehabung genügt hingegen nicht. Richtig ist, dass der Besitz auch den entsprechenden Besitzwillen erfordert. Ein Recht wird besessen, wenn es objektiv erkennbar gegen jemanden in Anspruch genommen wird und dieser sich fügt (4 Ob 87/04d).

Der Beklagte missversteht den Rechtssatz zu RIS-Justiz RS0118984, wonach die Benützung eines Weges aufgrund von verwandtschaftlichen oder rechtsgeschäftlichen Beziehungen den für das Vorliegen von Besitz notwendigen Besitzwillen ausschließe. Es kommt nicht darauf an, ob der belastete Grundstückseigentümer die Benützung eines Weges aus verwandtschaftlicher Rücksicht gebilligt hat oder nicht. Vielmehr ist maßgebend, ob der Besitzer dem Inhalt nach ein Gehrecht ausgeübt hat. Zur Beurteilung dieser Frage ist entscheidend, zu welchem Zweck der Anspruchsteller den Weg in Anspruch genommen hat. Dementsprechend wird im erwähnten Rechtssatz klargestellt, dass derjenige kein Recht auf die Benützung des Weges in Anspruch nimmt, der über das Grundstück geht, um den Eigentümer des Grundstücks zu besuchen oder mit diesem ein Rechtsgeschäft abzuschließen bzw das Rechtsgeschäft auszuführen.

2.2 Nach den Feststellungen hat die Klägerin die fragliche Wegstrecke zum eigenen Nutzen verwendet, um gewisse Ziele schneller und bequemer zu erreichen. Auch Besucher sind auf diese Weise einfacher zur Klägerin gekommen. Danach besteht kein Zweifel, dass die Klägerin eine Grunddienstbarkeit ausgeübt hat.

2.3 Die Ausübung des Gehrechts durch die Klägerin zu ihrem Eigennutzen hat schon mit ihrem Einzug in ihr neu errichtetes Haus im Jahr 1969, jedenfalls aber mit der tatsächlichen Aufgabe der Ausübung des Wohnungsrechts im Haus *****, begonnen. Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt es auf die grundbücherliche Löschung des Wohnungsrechts (im Jahr 1991) nicht an.

2.4 Auch zu den übrigen Voraussetzungen für die Ersitzung und zum behaupteten gutgläubigen lastenfreien Erwerb zeigt der Beklagte, der in der Revision teilweise von der Sachverhaltsgrundlage abweicht, keine erhebliche Rechtsfrage auf. Nach den Feststellungen hat selbst er, der erst im Jahr 1991 Eigentümer des fraglichen Grundstücks wurde, die Klägerin über den Weg gehen gesehen, obwohl er nie im Haus ***** gewohnt hatte. Warum er sich, dazu noch als Geschenknehmer (vgl RIS-Justiz RS0117411), auf den Gutglaubensschutz berufen will, ist nicht verständlich.

3. Insgesamt erweist sich die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Klägerin die Grunddienstbarkeit des näher beschriebenen Gehrechts ersessen habe, als nicht korrekturbedürftig. Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen.

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