OGH 9Ob19/04s

OGH9Ob19/04s5.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Roman S*****, Selbstständiger, *****, vertreten durch Mag. Dr. Gerhard Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei L***** AG, *****, vertreten durch Dr. Christoph Wolf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung eines Aufsichtsratsbeschlusses betreffend Abberufung und Kündigung eines Vorstandsmitgliedes (Gesamtstreitwert EUR 40.000), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2003, GZ 1 R 233/03x-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 25. August 2003, GZ 26 Cg 220/02d-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.765,62 (darin EUR 294,27 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Unternehmen der beklagten Partei bestand zunächst in der Rechtsform einer GmbH, deren Gründungsgesellschafter auch der Kläger war. Als sich nach dem Beitritt weiterer Gesellschafter die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft abzuzeichnen begann, wurde der Geschäftsführervertrag des Klägers für seine künftige Funktion als Vorstandsmitglied adaptiert und eine dreimonatige Frist zur Kündigung des Anstellungsvertrages vereinbart. Am 15. 4. 2002 wurde der Kläger vom Aufsichtsrat der beklagten Partei auf die Dauer von drei Jahren zum Vorstandsmitglied bestellt. Neben ihm wurden noch zwei weitere Personen (Schwiegersöhne des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden) zu Mitgliedern des Vorstandes berufen. In der Folge kam es zu Spannungen zwischen dem Kläger einerseits und den beiden weiteren Vorstandsmitgliedern andererseits, welche den Kläger "entmachten" wollten. In der Aufsichtsratssitzung vom 10. 9. 2002 beschloss der aus 4 Personen bestehende Aufsichtsrat mehrheitlich (gegen die Stimme der als Aufsichtsrätin fungierenden Schwester des Klägers) die Abberufung des Klägers "aus wichtigen Gründen" sowie seine Kündigung zum 31. 12. 2002. Beides wurde dem Kläger noch am selben Tag mitgeteilt. Im Anschluss an diese Verständigung führte der Kläger zahlreiche Gespräche mit dem Aufsichtsratsmitglied Dr. K*****, an welchen auch die Schwester des Klägers teilnahm, sowie mit dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. O*****. Dr. K***** wies darauf hin, dass die vom ihm repräsentierte Aktionärsgruppe einen Prozess vermeiden wolle und an einer friedlichen Lösung der Angelegenheit interessiert sei; weiters sagte er zu, sämtliche ihm vom Kläger erteilten Vorschläge an die anderen Aufsichtsratsmitglieder und die beiden verbliebenen Vorstandsmitglieder weiterzuleiten und tat dies in der Folge auch (Feststellung im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes, AS 229). Über Aufforderung des Dr. K***** verfasste der Kläger ein entsprechendes Forderungsschreiben (- nicht festgestellt werden konnte, dass der Kläger auch die Wiedereinsetzung in seine Vorstandsfunktion begehrte -), welches von seinem Rechtsanwalt auch den anderen Aufsichtsratsmitgliedern und den Vorstandsmitgliedern übermittelt wurde. Die Aufsichtsratsmitglieder Dr. K***** und Dr. O***** sagten dem Kläger eine Antwort bis 17. 10. 2002 zu. Der Kläger drohte bei dieser Gelegenheit die Anfechtungsklage an, falls kein entsprechendes Vergleichsanbot erstattet werde. Als keine termingerechte Antwort erfolgte, setzte der Kläger eine weitere Nachfrist von 10 Tagen. Nach deren fruchtlosem Verstreichen teilte das Aufsichtsratsmitglied Dr. K***** dem Klagevertreter mit, dass er wohl kein Mandat der beklagten Partei habe, aber weiter um eine Bereinigung bemüht sei und die Verbindung zwischen dem Vertreter des Klägers und der Gesellschaft binnen zwei Wochen herstellen werde. Diese zugesicherte Kontaktaufnahme erfolgte nicht, worauf der Kläger am 27. 11. 2002 die vorliegende Klage einbrachte.

Mit dieser Klage begehrt er 1.) seine Abberufung als Vorstandsmitglied vom 10. 9. 2002 für unwirksam zu erklären, 2.) die Kündigung vom 10. 9. 2002 für unwirksam zu erklären und 3.) die Feststellung, dass ihm sämtliche, sich aus dem Geschäftsführervertrag ergebenden Ansprüche bis zum Ende des Vertrages am 14. 4. 2005 zustünden. Er habe weder grobe Pflichtverletzungen begangen, noch liege ein Vertrauensentzug durch die Aktionäre vor. Seine Abberufung sei daher zu Unrecht erfolgt. Sein Anstellungsvertrag sei aufrecht, was jedoch von der beklagten Partei bestritten werde. Seine Klage sei auch rechtzeitig eingebracht worden, weil er nicht habe erkennen können, dass ihn Mitglieder des Aufsichtsrates offensichtlich nur hingehalten hätten, um der beklagten Partei die Gelegenheit zum Einwand mangelnder Unverzüglichkeit der Klageführung zu bieten. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Aufsichtsrat habe den Kläger wegen dessen grober Pflichtverletzungen berechtigt abberufen; die Kündigung sei vertragskonform. Im Übrigen sei die Klage auch verfristet. Eine Anfechtungsklage nach § 75 Abs 4 AktG sei unverzüglich einzubringen, lediglich Verhandlungen mit dem verbliebenen Vorstand, der einzig dafür zuständig sei, könnten eine Fristverlängerung bewirken. Der Kläger habe aber nicht mit dem Vorstand verhandelt, sondern nur mit Mitgliedern des Aufsichtsrates Gespräche über die Zukunft des Unternehmens, nicht jedoch über seine Wiederbestellung geführt. Die erst 78 Tage nach der Verständigung von der Abberufung eingeleitete Klageführung sei daher nicht mehr als unverzüglich zu betrachten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass kein gesetzlicher Grund zur Abberufung des Klägers bestanden habe. Auch die Rechtzeitigkeit der Klageführung sei zu bejahen. Da die Kompetenz für Verhandlungen über die Abberufung beim Aufsichtsrat liege, seien die Gespräche des Klägers mit diesem den sonst mit dem Vorstand zu führenden, fristverlängernden Verhandlungen gleichzuhalten.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes, wobei es im Wesentlichen dessen Rechtsauffassung teilte. Ergänzend verneinte es das Verfristungsargument mit dem Hinweis auf die Entscheidung 1 Ob 11/99w, wo implicite die Rechtzeitigkeit einer ca zwei Monate nach der Abberufung als Vorstandsmitglied eingebrachte Anfechtungsklage bejaht worden sei. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei; insbesondere sei es nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren ab-, hilfsweise zurückgewiesen werde. Die klagende Partei beantragte, die Revision als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage, ob bei Einbringung einer Anfechtungsklage nach § 75 Abs 4 AktG eine Frist einzuhalten ist, keine Rechtsprechung besteht; sie ist aber nicht berechtigt. Die Revisionswerberin macht mit ihrer Rechtsrüge ausdrücklich nur noch die Verspätung der Klageführung geltend, sodass sich die Überprüfung durch das Revisionsgericht darauf zu beschränken hat. Der vom Aufsichtsrat beschlossene Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied wird mit der Verständigung des betroffenen Mitgliedes wirksam (RIS-Justiz RS0110174) und führt ohne Rücksicht auf seine Berechtigung zum Funktionsverlust, welcher bis zur rechtskräftigen (rückwirkenden Rechtsgestaltungs-)Entscheidung über die Unwirksamkeit (schwebend) wirksam bleibt (RIS-Justiz RS0049407, insbes SZ 71/77, SZ 72/90).

Das Aktiengesetz kennt weder für die Abberufung eines Vorstandsmitgliedes durch den Aufsichtsrat (§ 75 Abs 4 Satz 1und 2 AktG) noch für die dagegen erhobene Anfechtungsklage des abberufenen Vorstandsmitgliedes (§ 75 Abs 4 Satz 4 AktG) bestimmte Fristen. Auch die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 1 Ob 11/99w nimmt zu dieser Frage nicht Stellung, weil im zugrundeliegenden Verfahren ein Verspätungseinwand gar nicht erhoben wurde.

Während in der deutschen Rechtsprechung zur gleichlautenden Bestimmung (§ 75 Abs 4 dAktG alt) die Verwirkung der Geltendmachung bekannter, aber offensichtlich verziehener Abberufungsgründe judiziert wurde (NJW 1954, 998 f), wird im deutschen Schrifttum (zur Nachfolgebestimmung des § 84 Abs 3 dAktG) die Ansicht vertreten, dass bei Vorliegen eines wichtigen Grundes die Abberufung - bei sonstigem Rechtsverlust - unverzüglich (Kalss im Münchener Kommentar zum Aktiengesetz III2 Rz 229 zu § 84) bzw innerhalb angemessener Frist (Hans-Joachim Mertens im Kölner Kommentar zum Aktiengesetz II2 Rz 142 zu § 84) zu erfolgen hat. Rechtsprechung oder Lehre dazu, dass auch die Anfechtungsklage fristgebunden sei, findet sich indes nicht. In Österreich vertrat zuerst Schiemer (Handkommentar zum Aktiengesetz2, 286) die Auffassung, dass, obwohl für die auf das Fehlen eines wichtigen Grundes zur Abberufung gestützte Anfechtungsklage keine Frist gesetzt sei, doch eine unbeschränkte Klagefrist nicht zur Verfügung stehe. Auch der Aufsichtsrat müsse den gegen ein Vorstandsmitglied gegebenen Abberufungsgrund in angemessener Frist aufgreifen, andererseits sei es dem abberufenen Vorstandsmitglied ebenfalls zumutbar, seiner Amtsentsetzung zeitgerecht entgegenzutreten; ein unbegründet spätes Einschreiten werfe die Frage auf, ob für die Klage noch ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Ihm folgend argumentiert Krejci (FS Wagner, "Zur Entmachtung des Vorstandsmitgliedes einer Aktiengesellschaft" 250), dass der Abberufene das Recht habe, den Widerruf (seiner Bestellung) in angemessener Frist zu bekämpfen. Strasser (Jabornegg/Strasser Kommentar zum Aktiengesetz II4 Rz 45 zu §§ 75, 76) verlangt zunächst dann, wenn das Substrat des Abberufungsgrundes in einem einmaligen Vorfall besteht (anders bei Dauertatbeständen), dass der Aufsichtsrat von seinem Abberufungsrecht unverzüglich bei sonstiger Verwirkung seines Rechts Gebrauch machen muss und beruft sich hiezu insbesondere auf die sinngemäße Anwendung der zur Entlassung aus einem Arbeitsverhältnis ergangene Judikatur und Literatur. Dass das Gesetz hingegen im Zusammenhang mit einer gegen die Abberufung gerichteten Anfechtungsklage keine Frist für die Klageeinbringung vorsehe, müsse als arger Fehler des Gesetzgebers gewertet werden. Die Lösung dieses Problems könne nur in der Erwägung gefunden werden, dass das abberufene Vorstandsmitglied die Klage unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern - was ihm eine den Umständen des Falles angemessene Überlegungsfrist gewähre - einbringen müsse, widrigenfalls sein Anfechtungsrecht erloschen sei. Komme es im Gefolge einer Abberufung zunächst zu Verhandlungen zwischen dem Vorstand und dem abberufenen Vorstandsmitglied, so verlängere sich die Anfechtungsfrist um die Dauer dieser Verhandlungen (aaO Rz 48). Den vorgenannten Autoren ist im Grunde dahin beizupflichten, dass eine Anfechtungsklage nach § 75 Abs 4 AktG nicht unbeschränkt lange mit Erfolg erhoben werden kann. Dies ergibt sich schon aus dem evidenten Klarstellungsinteresse der Gesellschaft, welche einerseits - im Falle eines stattgebenden Urteils - die laufenden Vorstandsgehälter nachzahlen aber andererseits in der Regel hinsichtlich der Bestellung eines allenfalls erforderlichen anderen Vorstandsmitgliedes disponieren muss. Diese Interessenlage ist derjenigen eines Arbeitgebers vergleichbar, welcher sich mit der Bekämpfung einer möglicherweise unwirksam (zB entgegen den Bestimmungen des AVRAG oder des BehEinstG) ausgesprochenen Kündigung oder Entlassung konfrontiert sehen muss. In diesen Fällen wurde von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung ausgesprochen, dass der betroffene Arbeitnehmer seinen Fortsetzungsanspruch nicht unbegrenzt geltend machen kann, sondern sich binnen angemessener, von den Umständen des Einzelfalles abhängiger Frist entscheiden muss, ob er auf der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses besteht oder lieber die beendigungsabhängigen Geldansprüche geltend macht (RIS-Justiz RS0107828; RS0028233).

Der Gedanke dieser "Aufgriffsobliegenheit" ist aufgrund der vorerwähnten, vergleichbaren Interessenlage auch auf eine Klageführung nach § 75 Abs 4 AktG übertragbar. Es wird daher vom abberufenen Vorstandsmitglied verlangt werden müssen, ohne schuldhafte Verzögerung, dh innerhalb einer den konkreten Umständen angemessenen Frist, die Klage zu erheben. Dabei ist der von Strasser (aaO) erwähnte Fall der Verhandlungsführung mit dem Vorstand wohl ein möglicher Fall von mehreren denkbaren, in denen Zuwarten nicht schadet.

Die Revisionswerberin vertritt, wie schon in den Vorinstanzen, die Auffassung, dass Verhandlungen mit dem Aufsichtsrat nicht geeignet gewesen seien, eine Verzögerung der Klageeinbringung zu rechtfertigen. Der beklagten Partei ist vorerst dahin beizupflichten, dass das Vertretungsprivileg beim Vorstand einer AG liegt, zumal dem Aufsichtsrat nur in wenigen, im Aktiengesetz ausdrücklich geregelten Fällen Vertretungsbefugnis zukommt (SZ 48/79 uva). Hiezu zählt nicht nur die (Neu-)Bestellung eines Vorstandsmitgliedes, sondern auch Verhandlungen betreffend einen Widerruf eines Abberufungsbeschlusses (Schiemer aaO 287).

Im konkreten Fall ging es in den Gesprächen des Klägers bzw seines Vertreters mit den Mitgliedern des Aufsichtsrates wohl nicht um eine Neubestellung oder einen Beschlusswiderruf. Es kann aber nicht übersehen werden, dass sich Mitglieder des Aufsichtsrates nicht nur zwecks Vermittlung mit dem verbliebenen Vorstand zur Verfügung gestellt, sondern auch den Inhalt der Forderungen des Klägers laufend auch dem Vorstand mitgeteilt hatten. Somit musste aber sowohl diesem als für die finanzielle Abgeltung zuständigen Organ als auch dem zur allfälligen Bestellung eines Ersatz-Vorstandmitgliedes berufenen Aufsichtsrat klar sein, dass beim Scheitern der Verhandlungen eine Anfechtungsklage drohte. Daraus folgt, dass von der Verletzung einer Aufgriffsobliegenheit durch schuldhaften Verzug mit der Klageeinbringung nicht die Rede sein kann.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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