OGH 9Nc3/24a

OGH9Nc3/24a22.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen T*, AZ 1 Pu 6/24w des Bezirksgerichts Gmunden, wegen § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090NC00003.24A.0422.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Gmunden vom 8. November 2023, GZ 1 Pu 109/23s-130, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Unterhaltssache betreffend den minderjährigen T* an das Bezirksgericht Innsbruck wird nicht genehmigt.

 

Begründung:

[1] Beim Bezirksgericht Döbling waren zu 10 Ps 106/12f eine Pflegschaftssache und zu 10 Pu 106/12f eine Unterhaltssache bezüglich des Kindes anhängig. Mit Beschluss vom 13. März 2020 übertrug das Bezirksgericht Döbling die Zuständigkeit zur Besorgung der Unterhaltssache 10 Pu 106/12f gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Gmunden, das die Zuständigkeit für dieses Verfahren gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN zu 1 Pu 36/20a übernahm. Eine Übertragung der Pflegschaftssache erfolgte nicht.

[2] Mit Beschluss vom 22. 10. 2020 genehmigte das Bezirksgericht Gmunden pflegschaftsgerichtlich eine außergerichtliche Unterhaltsvereinbarung der Eltern vom 1. 10. 2020 betreffend den Unterhalt des Kindes ab 1. 10. 2020. Im Zuge der Überprüfung der dem Kind bewilligten Verfahrenshilfe gab die Mutter am 30. 12. 2022 eine Adresse des Kindes im Sprengel des Bezirksgerichts Döbling bekannt.

[3] Mit Beschluss vom 12. 6. 2023 übertrug das Bezirksgericht Gmunden die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache (unter der Aktenzahl 1 Ps 36/20a) gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Döbling, da das Kind sich ständig im Sprengel des Bezirksgerichts Döbling aufhalte.

[4] Das Bezirksgericht Döbling verweigerte die Übernahme der Zuständigkeit zur Besorgung der Personensorgesache („gemeinschaftlicher Akt PS“), weil das Bezirksgericht Gmunden in dieser Personensorgesache nie zuständig gewesen sei. Nach wie vor sei das Bezirksgericht Döbling zuständig.

[5] Die Übernahme des „Pu‑Aktes“ verweigerte das Bezirksgericht Döbling mit dem Hinweis, dass das Kind bei der Mutter mit dem Hauptwohnsitz in Innsbruck gemeldet sei, sodass keine Zuständigkeit des Bezirksgerichts Döbling gegeben sei.

[6] Mit dem unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Beschluss vom 8. 11. 2023 übertrug das Bezirksgericht Gmunden die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache hinsichtlich der Unterhaltssache gemäß § 111 JN dem Bezirksgericht Innsbruck, weil das Kind sich jetzt ständig im Sprengel dieses Gerichts aufhalte. Es wies darauf hin, dass kein offener Antrag vorliege.

[7] Das Bezirksgericht Innsbruck verweigerte die Übernahme der Unterhaltssache. Es sei fraglich, ob der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in Innsbruck längerfristig begründet oder nur vorläufig sei. Beim Bezirksgericht Döbling sei ein Obsorgeverfahren unbekannten Inhalts anhängig. Inwiefern aufgrund der unklaren Situation die Übernahme der Teilzuständigkeit durch das Bezirksgericht Innsbruck zweckmäßig sei, sei unerfindlich. Die hier entstandene Informationslücke habe ihren Ursprung gerade in der nicht zweckmäßigen Trennung der an und für sich gemeinschaftlich zu führenden Pflegschaftsakten.

[8] Das Bezirksgericht Gmunden teilte mit, dass nach Rücksprache mit dem Bezirksgericht Döbling „der gesamte Akt ohnehin an das Bezirksgericht Innsbruck abgetreten werde“ und daher die Unterhaltssache „sogleich an dieses überwiesen werden könne.“

[9] Das Bezirksgericht Gmunden legte den Akt dem Obersten Gerichtshof mit dem Ersuchen um Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die vom Bezirksgericht Gmunden verfügte Übertragung ist nicht gerechtfertigt.

[11] 1.1 Das zuständige Pflegschaftsgericht kann nach § 111 Abs 1 JN seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn im Interesse der pflegebefohlenen Person der pflegschaftsgerichtliche Schutz voraussichtlich gefördert wird. Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach § 111 Abs 1 JN ist stets das Kindeswohl (RS0047074).

[12] 1.2 Die Rechtsprechung billigt dem Naheverhältnis zwischen pflegebefohlener Person und Gericht wesentliche Bedeutung zu und sieht deshalb im Allgemeinen das Gericht als am Besten geeignet an, in dessen Sprengel die Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (RS0047074 [T7]; RS0049144). Bei nicht stabilem Aufenthalt wird eine Übertragung der Zuständigkeit allerdings abgelehnt (RS0046908 [T12]; RS0047300 [T21]).

[13] 1.3 Auch wenn § 111 JN ausdrücklich vorsieht, dass die Pflegschaftssache auch nur zum Teil an ein anderes Gericht übertragen werden kann, erscheint es regelmäßig zweckmäßig, dass eine Pflegschaft bei nur einem Gericht geführt wird. Die Möglichkeit der Teilübertragung ist äußerst restriktiv zu nutzen (Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 111 JN Rz 22 mwH in FN 107). Eine Art „gespaltene“ Zuständigkeit mehrerer Pflegschaftsgerichte ist zumeist schon aus praktischen Überlegungen (Aktenführung udgl) zu vermeiden (10 Nc 8/16g = RS0129854 [T2]).

[14] 2. Nach der Aktenlage ist schon aufgrund der diesbezüglich widersprüchlichen Angaben der Mutter des Kindes und des Bezirksgerichts Döbling fraglich, ob das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt tatsächlich im Sprengel des Bezirksgerichts Innsbruck hat. Darüber hinaus ergibt sich aus der Aktenlage, dass beim Bezirksgericht Döbling nach wie vor ein Pflegschaftsverfahren bezüglich des Kindes anhängig ist. Aus der bloß in Aussicht genommenen (?) Möglichkeit der Übertragung dieses Verfahrens an das Bezirksgericht Innsbruck ergibt sich nicht, dass das Kind in dessen Sprengel seinen stabilen Aufenthalt hat, sodass die Übertragung der Zuständigkeit nicht zu genehmigen war.

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