OGH 8ObS205/01g

OGH8ObS205/01g13.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und die fachkundigen Laienrichter Dr. Wilhelm Koutny und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Lieselotte S*****, vertreten durch Mag. Rudolf Lind, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Bundessozialamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Geigerstraße 5-9, 1050 Wien, nunmehr: IAF Service GmbH, wegen S 323.185 netto Insolvenz-Ausfallgeld, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. September 2000, GZ 8 Rs 218/00p-11 idF des Berichtigungsbeschlusses vom 5. März 2001, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Das Berufungsgericht hat das nach dem idF der Nov 1999 zu beurteilende Klagebegehren (Konkurseröffnung 1. 6. 1999) auf Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld zur Gänze abgewiesen, weil die Klägerin - die die Schwester des Geschäftsführers der späteren Gemeinschuldnerin ist, in deren Unternehmen sie für die Kunden- und Lohnverrechnung zuständig war und wusste, dass alle anderen Dienstnehmer lohnbefriedigt würden - trotz Nichtzahlung des Lohnes durch 14 Monate, weder ihren vorzeitigen Austritt erklärt noch ihren Lohn gerichtlich eingefordert habe. Dieses Verhalten hielte einem Fremdvergleich nicht statt. Derartige Verhaltensweisen wiesen auf den zumindest bedingten Vorsatz auf Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hin und hätten zur Folge, dass der Arbeitnehmer sämtliche Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld verliere.

Die Klägerin bringt in ihrer außerordentlichen Revision vor, dass ihr nach ihrer Ansicht eine bewusste Handlungsweise zur Schädigung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds vorgeworfen werden müsste, wozu aber keine Feststellungen getroffen worden seien; der bloße Umstand der Nichtgeltendmachung durch längere Zeit reiche nicht aus. Eine derartige Judikatur stünde im Widerspruch zur sonstigen Judikatur zur Sittenwidrigkeit. Überdies fehle Judikatur, ob die oberstgerichtliche Rechtsprechung zu § 3a IESG dem Art 10 der RL 80/987 EWG entspreche.

Rechtliche Beurteilung

Mit diesen Ausführungen vermag die Revisionswerberin keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Dieser hat insbesondere in der Entscheidung vom 23. 10. 2000, 8 ObS

206/00b (= DRdA 2000/37 [Anzenberger] = RdW 2001/451 und 462 = WBl

2001/91 = ZIK 2001/117 mwN) alle diese Fragen ausführlichst behandelt

und seine bisherige Rechtsprechung dogmatisch untermauert. Er hat dort einerseits aufgezeigt, dass seine Rechtsprechung mit der Richtlinie 80/987/EWG infolge des Missbrauchsvorbehaltes in Art 10 vereinbar ist, sodass es nicht an einer oberstgerichtlichen Rechtsprechung zu dieser Frage fehlt, und andererseits klargelegt, dass das "verfahrenstechnische" Mittel des Fremdvergleiches und die darauf aufbauende Beurteilung des "atypischen Arbeitsverhältnis" nicht mit dem eigentlichen Ausschlussgrund, der Übertragung des Finanzierungsrisikos verwechselt werden dürfe. Die Beurteilung "atypisches" Arbeitsverhältnis, bei dem es dem Arbeitnehmer, anders als vom IESG zugrundegelegt, nicht auf die Erzielung von Entgelt zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes ankommt, ist nur Ausdruck für das Ergebnis des Fremdvergleiches, der wieder nur zur Beurteilung dient, ob ein bestimmtes Verhalten - Stehenlassen des Entgeltes - den zumindest bedingten Vorsatz des Arbeitnehmers zur Verlagerung des Finanzierungsrisikos indiziert. Es bedarf dieser im Zwischenbereich zwischen den eigentlichen Bestimmungen über die Risikotragung und den verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Feststellung der konkreten Sachverhalte liegenden Regelungen, weil der zahlende Dritte - hier der Insolvenz-Ausfallgeld-Fond - sonst schon mangels faktischer Möglichkeiten, die Feststellung des tatsächlich vorliegenden Sachverhaltes zu erreichen, völlig den Versuchen der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen auf Insolvenzausfallgeld ausgesetzt wäre. Der Fremdvergleich hat dabei sämtliche objektive Anhaltspunkte heranzuziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bei Personen, bei denen sich eine besondere Nahebeziehung zum Arbeitgeber zeigt, regelmäßig auch das Wissen um die finanzielle Situation des Betriebes größer ist und daher auch schon bei kürzeren Entgeltrückständen beim Verbleiben im Betrieb zumindest der bedingte Vorsatz anzunehmen sein wird, das Entgelt nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu erhalten. Beim durchschnittlichen Arbeitnehmer kann sich dies regelmäßig nur aus deutlich über der 6-Monatsgrenze des § 3a IESG liegenden Entgeltrückständen ableiten lassen. Ergibt sich daraus aber der Schluss, dass zumindest der bedingte Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, so kann dieser nicht durch den Beweis über die konkreten Absichten des Arbeitnehmers widerlegt werden.

Im Hinblick auf die eingangs wiedergegebenen Umstände des Einzelfalles ergibt sich, dass die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung liegt und dem Berufungsgericht bei Subsumtion des vorliegenden Sachverhalts unter diese Rechtsprechung keine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen ist: Im vorliegenden Fall wäre auch einem familienfremden Dienstnehmer, der Einblick in die Kunden- und Lohnverrechnung hatte und wusste, dass alle übrigen Dienstnehmer lohnbefriedigt wurden, der aber trotzdem 14 Monate ohne Bezahlung im Betrieb tätig geblieben ist, kein Insolvenz-Aufallgeld zugebilligt worden, auch wenn er - wie die Klägerin - schon sehr lange bei der späteren Gemeinschuldnerin beschäftigt gewesen wäre und ihm deshalb eine längere Überlegungsphase zuzubilligen gewesen wäre. Der Umstand, dass die Klägerin durch familiäre Bande mit dem Geschäftsführer der beklagen Partei verbunden war und angab, dass sie gerade deshalb ihre Ansprüche gegen ihre Arbeitgeberin nicht gerichtlich geltend gemacht habe, kann zu keinem für sie günstigeren Ergebnis führen.

Die Novelle des § 3a IESG durch das BGBl I 142/2000 ist hier noch nicht anzuwenden. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die hier für die Annahme eines Missbrauches der Sicherungseinrichtung noch beachtliche zeitliche Komponente infolge der als abschließend anzusehenden Regelung mit dieser Novelle weiterhin zum Ausschluss des Sicherungsanspruches führen kann.

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