Spruch:
Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG und Art 140 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, auszusprechen, daß der erste Satz des § 7 Abs 1 IESG, BGBl 1977/324, in der Stammfassung verfassungswidrig war.
Mit der Fortführung des Rechtsmittelverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten.
Text
Begründung
Mit der am 11.Februar 1992 beim Landesgericht Eisenstadt eingelangten Klage begehrte der Kläger von seiner Arbeitgeberin L***** GmbH in K***** einen Betrag von 1,039.432 S netto samt 13,5 % Zinsen ab 1. November 1991 und brachte vor, daß er vom 1.November 1990 bis 10. September 1991 bei der beklagten Partei als Leiter des Konstruktionsbüros angestellt gewesen sei und zuletzt ein Gehalt von 55.702 S brutto, 14mal jährlich erhalten habe. Beim Antritt des Dienstverhältnisses seien dem Kläger die Vordienstzeiten ab 2. November 1978 angerechnet worden. Da die beklagte Partei dem Kläger seit Beginn des Dienstverhältnisses die Entgelte nicht ausgezahlt habe, sei er nach Setzung einer Nachfrist am 31.Oktober 1991 ausgetreten; bei ordnungsgemäßer Kündigung hätte das Dienstverhältnis zum 31.März 1992 geendet, so daß ihm für diesen Zeitraum Kündigungsentschädigung gebühre. Überdies gebühre dem Kläger eine Urlaubsentschädigung für einen offenen Urlaubsanspruch von 48 Werktagen sowie eine Abfindung von vier Monatsentgelten. Darüber hinaus machte der Kläger die nicht bezahlten laufenden Bezüge von November 1990 bis Oktober 1991 einschließlich Sonderzahlungen geltend. Die bankmäßigen Zinsen schulde ihm die beklagte Partei aufgrund einer Betriebsvereinbarung; dementsprechend machte der Kläger kapitalisierte Zinsen bis zum 31.Oktober 1991 in der Höhe von 33.223 S geltend und begehrte für den Zeitraum danach 13,5 % Zinsen. Mit in Rechtskraft erwachsenem Versäumungsurteil vom 11.Mai 1992 gab das Landesgericht Eisenstadt der Klage statt.
Am 7.Jänner 1993 wurde über das Vermögen der L***** GmbH das Ausgleichsverfahren und sodann am 6.April 1993 der Konkurs eröffnet.
Nach Anmeldung einer Forderung von insgesamt 1,254.672,25 S netto (1,039.432 S netto offene Entgeltansprüche samt kapitalisierten Zinsen laut Versäumungsurteil; 166.049,26 S an Zinsen bis 6.Jänner 1993 und 49.190,99 S an Verfahrenskosten) im Ausgleich beantragte der Kläger am 15.April 1993 die Gewährung von Insolvenzausfallgeld in dieser Höhe samt 4 % Zinsen vom 7.Jänner 1993 bis 7.Mai 1993.
Mit Bescheid vom 28.September 1993 lehnte die beklagte Partei diesen Antrag ab.
Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage die Zuerkennung von 1,254.672,25 S netto an Insolvenzausfallgeld und brachte hiezu vor, daß seine Ansprüche gemäß § 1 Abs 2 IESG gesichert seien und das Arbeitsamt bei Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches an die hierüber ergangene gerichtliche Entscheidung gebunden sei.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und führte aus: In der Zeit vom 2.November 1978 bis 31.August 1982 sei der Kläger bei der P***** Maschinenbau GmbH in K*****ittsee und daneben ab 1.März 1981 bis 15.Juli 1982 auch bei der R*****iemer GmbH, Kfz-Reparatur- und Montagebetrieb in G*****, beschäftigt gewesen. Beide Dienstverhältnisse hätten wegen Insolvenz des Dienstgebers geendet. Vom 1.September 1982 bis 31.Jänner 1983 sei der Kläger bei der L***** Kunststoffprodukte GmbH in K*****ittsee und vom 1. Februar 1983 bis 30.Juni 1990 bei der L*****Kunststoff-Technologie GmbH in K***** beschäftigt gewesen. Dieses Dienstverhältnis dürfte durch vorzeitigen Austritt wegen Vorenthaltens der Bezüge geendet haben, wobei der Austritt bereits im März 1990 erklärt worden sei, so daß für den Zeitraum bis 30.Juni 1990 Kündigungsentschädigung gebührt haben dürfte. Am 12.März 1990 habe der Kläger jedenfalls ein Beschäftigungsverhältnis bei der P***** Produkt Design GmbH aufgenommen. Nach Beendigung dieses Beschäftigungsverhältnisses am 31. August 1990 habe der Kläger mit 1.September 1990 wieder ein Dienstverhältnis bei der L***** GmbH - im folgenden L***** genannt - angetreten. Dieses Dienstverhältnis habe durch vorzeitigen Austritt am 31.Oktober 1991 geendet.
Die L***** sei mit Gesellschaftsvertrag vom 7.Jänner 1983 gegründet und sodann beim Landesgericht Eisenstadt registriert worden. Gesellschafter sei die L***** International SA. Die L***** sei bereits ab ihrer Gründung nicht in der Lage gewesen, die Dienstnehmerforderungen auf laufendes Entgelt zu begleichen, weshalb im Einvernehmen mit der Hausbank, der Raiffeisenkasse K***** (im folgenden Raiffeisenkasse K*****) und der Interessenvertretung der Arbeiter und Angestellten die Vereinbarung getroffen worden sei, daß die Arbeitnehmer ihre Gehaltskonten überziehen konnten und die L***** die Zinsen abdecke. Danach seien die ausständigen Dienstnehmerforderungen - etwa drei Monatsentgelte - bzw die überzogenen Gehaltskonten immer wieder von der L***** abgedeckt worden. In den letzten 27 Monaten vor der Konkurseröffnung - ab November 1990 - seien keine Entgelte mehr an die Arbeitnehmer gezahlt worden. Etwa Mitte 1990 seien der L***** infolge Ausschöpfung des Kreditrahmens von der Raiffeisenkasse K***** keine Kredite mehr gewährt worden. Ab diesem Zeitpunkt sei den Arbeitnehmern die Möglichkeit geboten worden, ihre Gehaltskonten über den sonst banküblichen Überziehungsrahmen von drei Monaten hinaus zu überziehen, was auch geschehen sei. In diesem Zusammenhang sei zwischen der L***** und dem Betriebsrat die mit 7.Februar 1991 datierte und die Betriebsvereinbarung Nr.006 vom 22.Mai 1985 ersetzende Betriebsvereinbarung Nr.011 mit Gültigkeitsbeginn ab dem Abrechnungszeitraum September 1990 abgeschlossen worden. Ihrem Kern nach stelle die Betriebsvereinbarung eine eindeutige Finanzierungshilfe der Dienstnehmer für die L***** dar. Diese habe keine Gehälter, sondern nur die betragsmäßig geringeren Schadenersatzzahlungen für Lohnkosten bzw Überziehungszinsen zu bezahlen gehabt. Es erscheine denkunmöglich, daß ohne die Existenz des Insolvenzausfallgeldfonds eine derartige Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden wäre. Der Kläger habe ebenso wie die anderen Dienstnehmer von der nicht erst in den letzten 27 Monaten vor der Ausgleichseröffnung, sondern bereits Jahre zuvor eingetretenen materiellen Insolvenz der L***** Kenntnis gehabt bzw vor dieser Tatsache fahrlässig die Augen verschlossen. Auch die Vorgangsweise des Klägers im Jahre 1990 spreche für seine Kenntnis von der materiellen Insolvenz der L*****. Er habe seinen Austritt erklärt, nachdem ab der Gehaltszahlung für August 1989 keine weiteren Entgelte mehr ausgezahlt worden seien. Bei den laufend abgehaltenen Betriebsversammlungen, an denen auch die Interessenvertretung der Arbeitnehmer mitgewirkt habe, seien die Arbeitnehmer jeweils über die schlechte wirtschaftliche und finanzielle Situation der L***** informiert worden. Könne der Schuldner die Arbeitnehmerforderungen nicht mehr zeitgerecht erfüllen, sei dies ein Anzeichen seiner Zahlungsunfähigkeit. In den mit der Raiffeisenkasse K***** abgeschlossenen Pfandverträgen über die Besicherung der Ansprüche aus "Kontoüberziehung Gehaltsvorschuß" seien der Darlehensgeberin alle derzeit und in Zukunft gegen die L***** und den Insolvenzausfallgeldfonds sowie gegen alle künftigen Arbeitgeber zustehenden Ansprüche verpfändet worden. Diese Vorgangsweise sei von allen Beteiligten nur wegen der Existenz des Insolvenzausfallgeldfonds vorgeschlagen worden und sei das Finanzierungsrisiko von vorneherein in sittenwidriger Weise auf einen Dritten - den Insolvenzausfallgeldfonds - überwälzt worden. Diese zur Schädigung Dritter führende Vorgangsweise sei gemäß § 879 Abs 1 ABGB sittenwidrig. Darüber hinaus habe sich die L*****zur Erfüllung der ihr obliegenden Pflichten der Raiffeisenkasse K***** als Gehilfin bedient, so daß die Zahlung der Raiffeisenkasse K***** als Leistung des Schuldners gelte. Soweit Dienstnehmerforderungen über die Raiffeisenkasse K***** gezahlt worden seien, sei Lohnbefriedigung eingetreten und seien Ansprüche auf Insolvenzausfallgeld nicht gegeben, da darauf § 1422 ABGB nicht anwendbar sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und vertrat die Rechtsauffassung, daß die Einwände der beklagten Partei gegen die Finanzierung der Entgeltzahlungen für die Qualifikation der geltend gemachten Ansprüche als gesicherte Ansprüche im Sinne des IESG nicht von Bedeutung seien.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrages Folge und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es vertrat die Rechtsansicht, in der Frage, ob der geltend gemachte Anspruch auch gesichert sei, sei das Arbeitsamt nicht an das ergangene Versäumungsurteil gebunden. Verträge zu Lasten Dritter seien diesen gegenüber unwirksam. Darauf aufbauend habe die Rechtsprechung einen Dienstvertrag für nichtig erklärt, der ohne sachliches Bedürfnis zwecks Versorgung eines Dienstnehmers auf Kosten der Republik Österreich abgeschlossen worden sei. Gleiches sei für Änderungen von Arbeitsverträgen angenommen worden, wenn die Vertragsänderung deswegen erfolgt sei, weil sie nicht der Vertragspartner, sondern der an seine Stelle rückende Betriebsnachfolger zu erfüllen gehabt habe. Bei den gegenständlichen Transaktionen müßten die wirtschaftliche Bedeutung und der Regelungszweck im Vordergrund stehen. Auch Finanzierungshilfen von Arbeitnehmern an Arbeitgeber könnten nicht als gesicherte Ansprüche qualifiziert werden; alle Handlungsweisen, die der Umgehung dieses Rechtsgrundsatzes dienten, seien als sittenwidrig zu qualifizieren. Ohne hinreichende Feststellungen könne jedoch nicht geprüft werden, ob tatsächlich Handlungen zu Lasten Dritter vorlägen.
Gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs des Klägers aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzuändern.
Die beklagte Partei beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Oberste Gerichtshof zu § 7 Abs 1 IESG wiederholt ausgesprochen hat, bleibt das Arbeitsamt auch bei Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung über den Anspruch in der Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüssen, die im gerichtlichen Verfahren (als dort nicht anspruchsbegründend) von vornherein nicht zu prüfen waren oder (mangels Einwendung) nicht geprüft wurden, frei (SZ 62/16; GesRZ 1989, 221 = WBl 1989, 377; WBl 1990, 271 [Liebeg 261]; EvBl 1991/6 uva). Dasselbe gilt für die Frage, ob überhaupt ein gesicherter Anspruch vorliegt (ecolex 1991, 637 = WBl 1991, 328 [Liebeg]; 9 Ob S 23/92; 9 Ob S 19/93; 9 Ob S 26/93).
Besteht daher gemäß § 7 Abs 1 Z 1 IESG eine Bindungswirkung der im Rechtsstreit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ergangenen Entscheidung, dann ist im Verfahren über das Insolvenzausfallgeld lediglich zu prüfen, ob ein Anspruchsausschluß oder eine Anspruchsbegrenzung nach dem IESG vorliegt bzw ob es sich bei dem im Vorprozeß zuerkannten Anspruch um einen gesicherten Anspruch des Arbeitnehmers handelt. Der Entscheidung des VwGH 11.808 A/1985 lag ein dem von der beklagten Partei behaupteten durchaus ähnlicher Sachverhalt zugrunde. Der Verwaltungsgerichtshof gelangte aufgrund des § 1 Abs 3 Z 1 IESG in der Stammfassung auch unter Bedachtnahme auf die EB zur RV (464 BlgNR XIV.GP, 8) zur Auffassung, daß sich der normative Gehalt dieser Bestimmung nicht darin erschöpfe, Insolvenzausfallgeld nur für solche Ansprüche nach § 1 Abs 2 IESG auszuschließen, die durch eine anfechtbare Rechtshandlung nach der AnfO oder KO erworben wurden, sondern daß darüber hinaus im Rahmen dieser Bestimmung auch eine nach diesen Bestimmungen nicht anfechtbare, rechtsmißbräuchliche privatrechtliche Gestaltung wahrgenommen werden könne, mit der das Ziel verfolgt werde, mit der Gegenleistung für die Arbeit von vorneherein nicht den Arbeitgeber, sondern den Insolvenzausfallgeldfonds zu belasten. Hiebei genüge es, wenn der Arbeitnehmer von dieser Absicht des Arbeitgebers auch nur wissen mußte. Mit der Novelle BGBl 1986/395 vom 3.Juli 1986 wurde der Ausschluß nach § 1 Abs 3 Z 1 IESG auf Ansprüche eingeschränkt, die durch eine im Sinne der AnfO bzw der KO anfechtbare Rechtshandlung erworben wurden. Holler (Neuerungen im Bereich der Entgeltsicherung bei Insolvenz ZAS 1987, 147 ff [148]) vertrat dazu die Auffassung, daß durch diese Formulierung klargestellt worden sei, daß nur jene Tatbestände den Anspruch auszuschließen vermögen, die in der KO oder in der AnfO geregelt sind. Der extensiven Interpretation der "anfechtbaren Rechtshandlung" im Sinne allgemeiner privatrechtlicher Gestaltung zu Lasten des Insolvenzausfallgeldfonds durch den Verwaltungsgerichtshof sei damit der Boden entzogen worden. Da nicht anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber auf das ein Jahr zuvor ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht Bedacht genommen hat, muß mit Holler davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber den Ausschlußtatbestand bewußt auf die Anfechtungstatbestände der KO und AnfO beschränken wollte.
Dies führt im vorliegenden Fall dazu, daß anders als in dem der Entscheidung SZ 61/249 zugrundeliegenden Fall (die Entscheidungen SZ 62/182 und WBl 1990, 305 betrafen Anfechtungstatbestände nach der KO) - in dem eine bindende Entscheidung im Sinne des § 7 Abs 1 IESG nicht vorlag - die Nichtigkeit von nur auf eine sittenwidrige, mit dem Zweck des IESG unvereinbare Belastung des Insolvenzausfallgeldfonds abzielender Vereinbarungen nur im Rahmen der Anfechtungstatbestände der KO und AnfO wahrgenommen werden könnte, was zumindest bezüglich des mehr als zwei Jahre vor der Ausgleichseröffnung abgeschlossenen Arbeitsvertrages zu einer Einschränkung nur auf den Anfechtungstatbestand nach § 28 Abs 1 Z 1 KO führen würde. Auch die Vereinbarungen über die Vorfinanzierung sind nur nach den Anfechtungstatbeständen der KO überprüfbar, wobei die Bindungswirkung des zwischen dem Kläger und dem Arbeitgeber ergangenen Versäumungsurteils überdies dazu führen muß, die erhebliche Zinsenbelastung jedenfalls als einen Anspruch gegen den Kläger und nicht bloß gegen seinen Arbeitgeber zu werten.
Der Oberste Gerichtshof hegt gegen die im vorliegenden Fall anzuwendende Bestimmung des § 7 Abs 1 Satz 1 IESG wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 Abs 1 B-VG Bedenken. Die Bindung des Arbeitsamtes führt dazu, daß die Ansprüche jener Arbeitnehmer, die vor der Entscheidung des Arbeitsamtes einen Titel gegen ihren Arbeitgeber erlangt haben, im Rahmen der Zuerkennung der aus öffentlichen Mitteln zu erbringenden Leistungen des Insolvenzausfallgeldfonds einer weniger umfassenden Überprüfung unterliegen, als die der Arbeitnehmer, die einen solchen Titel nicht erlangt haben. In diesem Zusammenhang ist wohl auch zu beachten, daß das der Parteiendisposition unterliegende Zivilverfahren, an dem weder der Insolvenzausfallgeldfonds noch eine seine Interessen wahrende Amtspartei im Sinne des § 66 ASGG und § 10 IESG beteiligt sind, noch weniger als das vom Grundsatz der amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit bestimmte Strafverfahren geeignet ist, einigermaßen objektive Grundlagen für die Beurteilung eines öffentlich-rechtlichen Anspruches zu schaffen. Die eine Prozeßführung zu Lasten Dritter ermöglichende Ausdehnung der Rechtskraftwirkung eines Zivilverfahrens auf die Anspruchsgrundlagen für Leistungen eines öffentlich-rechtlichen Fonds an eine der Prozeßparteien ist sachlich nicht gerechtfertigt (siehe Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7 Rz 1350/1). Auch das Bestreben des Gesetzgebers, damit einfache und leicht handhabbare Regelungen zu schaffen und einen Verfahrensaufwand zu vermeiden, rechtfertigt es nicht, den Eintritt einer Rechtsfolge von Zufälligkeiten, insbesondere von der Manipulation zugänglichen Umständen, abhängig zu machen (siehe Walter-Mayer aaO Rz 1350).
Aber auch wegen einer allfälligen Verletzung des durch Art 6 Abs 1 MRK vor der Entscheidung über seine zivilrechtlichen Verpflichtungen jedermann gewährleisteten rechtlichen Gehörs hegt nunmehr der Oberste Gerichtshof gegen die angefochtene Gesetzesbestimmung Bedenken. Ungeachtet der öffentlich-rechtlichen Zuordnung im österreichischen Recht ist der Anspruch auf Insolvenzausfallgeld als "civil right" im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK zu qualifizieren, weil es sich um die Fortwirkung des aus einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis abgeleiteten Entgeltanspruches handelt (siehe auch Liebeg, Die Bindung an die insolvenzrechtliche Feststellung der Forderung, WBl 1990, 261 ff [264 Anm 17]; Fink ZAS 1991, 67 ff [69]). Bei neuerlicher Prüfung erachtet der Oberste Gerichtshof den Umstand, daß es sich bei dem Insolvenzausfallgeldfonds um eine juristische Person des öffentlichen Rechtes handelt, nicht für so bedeutsam, daß es gerechtfertigt wäre, diesem Fonds, der nur aus Beiträgen der Dienstgeber gespeist wird, den in der MRK grundsätzlich jedermann gewährleisteten Schutz zu versagen (siehe auch Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich, Rz 40). Auch dem Insolvenzausfallgeldfonds muß daher wohl das Recht auf Prüfung der gegen ihn erhobenen privatrechtlichen Ansprüche in einem fairen Verfahren zugebilligt werden. Die angefochtene Regelung steht in Widerspruch zu dem in Art 6 Abs 1 MRK jedermann gewährleisteten Recht, von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht gehört zu werden, das über ihn betreffende zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat, da das Arbeitsamt (und damit das Gericht) an die Entscheidung in einem anderen Verfahren gebunden ist, zu dem der Insolvenzausfallgeldfonds aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Zugang hatte (siehe VfSlg 12.504).
Anders als in dem mit Beschluß des VfGH vom 2.3.1995, G 279/94-10, zurückgewiesenen Antrag vom 27.10.1994, 8 ObS 20/94, stützt der Oberste Gerichtshof daher den vorliegenden, die angefochtene Gesetzesbestimmung deutlicher bezeichnenden Gesetzesprüfungsantrag nicht nur auf einen Verstoß gegen Art 7 Abs 1 B-VG, sondern darüber hinaus auf eine Verletzung des in Art 6 Abs 1 MRK jedermann gewährleisteten rechtlichen Gehörs.
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